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Es ist kein Wunder daher, daß ein solcher Mann und Buchstabierer späterhin so bittere Feinde fand; und daß ein Heinicke seiner Buchstabier-Methode so viel Unheil zuschrieb als Malthus der Übervölkerung. Ich weiß, sie hätten ihm, hätten sie ihn über der Arbeit ertappt, den Schreibarm abgesägt.
Er setzte bloß die geistlichsten Sachen, z. B. das Vaterunser, den Morgen- und Abendsegen, zum Buchstabieren in Bewegung – so wie die Deutschen anfangs Bibeln, die Welschen aber nur Klassiker druckten –; nur schwankt' er anfangs am Schreibtisch bei sich, ob er z. B. das Vaterunser und die beiden Segen zugleich mitzubeten hätte, wenn er sie silbenweise hinschriebe – was sehr ins Verdrüßliche und Langweilige fiel –, oder ob er die Andacht auf die schicklichern Zeiten versparte, wo es schneller zuging. Letzteres wählt' er um so lieber, da es doch nicht geklungen hätte, wenn er im Abendsegen, den er am hellen Tage abschrieb, hätte ordentlich andächtig verfahren und halblächerlich für das Verleben eines Tages danken wollen, der noch tageshell dastand. Himmel! wie muß ein Mann den Dampf und Rauch des Lebens durch seine Schreibspule von sich weggeblasen haben, wenn er nicht nurSiehe Anhang. nach dem Morgensegen hinschreibt: »Und als-denn mit Freu-den an dein Werk ge-gan-gen und et-wa ein Lied ge-sun-gen, als die Ze-hen Ge-bot, o-der was sonst dei-ne An-dacht gie-bet« – sondern wenn er auch dem Abendsegen die Zeile ansetzt: »Und als-dann flugs und fröh-lich ein-ge-schla-fen.«
Sogar das Körperliche bei seinem geistigen Erzeugen kehrte sich zu seinen Freuden um, z. B. er schnitt in ruhigen Muße-Stunden mehrere Federn voraus, um sie im Feuer bei der Hand zu haben – er deckte Dintenfaß und Dintentopf vor allem Staube zu, was so viele von uns versäumen, so wie das Abwischen der Federn nach dem Schreiben! – Ja war er nicht sein eigner Dinten-Koch (und dadurch hofft' er, nicht mit Unrecht, sein Goldkoch zu werden) und setzte, sobald es regnete oder schneite, die beste Dinte im Dorfe an und prüfte die Schwärze von Stunde zu Stunde, um leserlicher aufzutreten? – Und bracht' er nicht unter dem letzten Souverains-Wechsel eine Feder, so teuer als ein ganzer Flügel oder Flederwisch ist, nach Hause und gestand der Mutter frei, diese Seefeder – zwar bekanntlich ein Seetier, er wollte aber sagen ein Seekiel – sei wohlfeiler gar nicht zu haben als um einen Batzen der Kiel? –
»Jetzt aber,« fügt' er entschlossen bei, »jetzt gehts auch an die hochtrabendsten Reime, die es nur gibt, und da gehören die wackersten Seefedern dazu; Reime, wie nur im Gesangbuche stehen, müssen vorkommen und alles sehr schön ausfallen!«
Er fing denn das Reimen an und folgte seinem Rufe, dem Hahnenrufe.
Bekanntlich stellt' er in seinem Werke immer neben etwas Lebendiges etwas Totes, eine Frucht oder ein Werkzeug, z. B. neben die Gans die Gabel, neben die Sau den Szepter, neben den Affen den Apfel; ein schöner Wechsel, welchen später die Franzosen zu ihrem revolutionären Kalender entlehnten und glücklich nachahmten, um die Tage statt nach Schutzheiligen lieber nach Schutztieren und Schutz-Gerätschaften zu benennen.
Dreierlei macht aber den Autoren das Leben sauer, erstlich der Anfang, weil sie gleich auf der Schwelle mit Wolken und Juwelen vor den Lesern blitzen wollen; – zweitens die Wahl unter der Fülle, wenn sie über eine ganze halbe Welt zu reden und zu gebieten haben, z. B. ein Beschreiber der gräßlichsten Vorfälle jetziger Zeit; – drittens die Wahl, wenn wenig oder gar nichts da ist; z. B. wenn einer ein Namens-Lexikon der jetzt in Paris kursierenden Mystiker und ersten Christen schreiben wollte, wovon er (ungleich dem dasigen Atheisten-Lexikographen) schwerlich für jeden Diphthong einen Mann finden würde.
Diese drei Torturen oder Teile der Buße stand auch Fibel aus. Die erste Seite, worauf bekanntlich der Affe und der Apfel stehen, hatt' er als die Fassade so festlich als möglich mit Raffaels-Tapeten vollzuhängen, um dem Leser oder dem Buchstabierer gleich vornen einen Vorschmack zu geben, auf was er drinnen im Lehr- und Bildersaale sich zu freuen habe. Noch dazu mußte die erste Seite, da sie allein stand – neben jeder folgenden schlug sich (die letzte ausgenommen) immer die Nebenseite auf – und da sie also den Vorteil des Kontraposts entbehrte, sich mit eigentümlichen Schönheiten waffnen, um ihre Stelle würdig zu behaupten.
Auch mußte die Welt – ließ sich ohne Scharfsicht voraussehen – ihr Auge zu allererst auf die erste Seite mit drei Haupt- und drei Bei-Figuren richten, weil die Anfangs-Buchstaben ihrer Namen zugleich die Anfangs-Buchstaben des Titels seiner Schrift, nämlich des Abc waren.
Es gehört unter die vielen Autorfreuden, welche ich unter dem Schreiben dieser Lebens-Beschreibung genieße, daß ich die ganz unbekannte Anekdote – sie wäre denn der göttingschen Bibliothek bekannt – aus meinen Dorf-Papieren geben kann, daß Fibel auf folgende Weise anfing:
Der Adam gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Apfel frißt. |
Mehrere Deutsche meiner Bekanntschaft wünschen, er hätt' es stehen lassen, daß sein Vorbertuchs-Bilderbuch wie das Menschengeschlecht anfing, mit dem A Adams. Das Schicksal und er selber wollten es anders. Der nackte Adam, der wohl nach, aber nicht unter dem Apfel-Biß in Pelze zu kleiden war, wollt' ihm nicht als der anständigste Großzeremonienmeister vorkommen, der nackend sowohl Abc-Bilder als die langen Menschenreihen anführte. Dabei blieben noch dazu Be und Ce unbesetzt.
Auch, wie gesagt, das Schicksal wollte ein anders, indem es ihn durch einen Affen, Bären und ein Camel aus dem elenden Eismeer herausfahren ließ ans Ufer; nämlich ein Bärenführer tat ihm diese Vorspann-Dienste dadurch, daß er mit ihnen für Geld durch das Dorf zog und gleichsam ihren farbigen Schatten für ewige Zeiten auf die erste Seite warf. So ritt denn unser Fibel auf dem dreileibigen Geryon ins Holzschnitt-Werk hinein, wozu ihm bald ein Quintett von vaterländischen, aber dummen Tieren stößt, Dachs, Esel, Frosch, Gans und Hase.
Am meisten sind wir Menschen dem Bärenführer Dank für das repräsentative System schuldig, daß durch seinen Durchzug unser alter Stammvater und Stammhalter Adam sich, unserer anständiger, in den Stief- und Zerr-Menschen, den Affen, verwandelte. Letzterer homme postiche kann nach einem umgekehrten Anthropomorphismus in so viele Äpfel beißen, als er will. Dabei ist er, wie Adam erst nach dem Falle, schon von Natur in Tierfelle anständig gekleidet; und es ist überhaupt zu einem gesandtlichen Repräsentanten Adams, des wahren Menschenkönigs, indem ein Stellvertreter doch nicht alle Vorzüge seines Fürsten haben kann, recht gut der Affe gebrauchbar und zuschickbar, da dieser, kann er auch nicht alle höhern Eigenheiten seines Repräsentandus darstellen, doch die andern niedrigern an seiner Natur wie durch ein Kreditiv erträglich aufweiset, unter welchen er tückische Laune, Wollust, Possierlichkeit, Unbezähmbarkeit wohl ohne Eitelkeit anführen darf.
Die zweite obgedachte Not, die ein Autor hat, nämlich die Wahl unter dem Überflusse, erlitt Fibel an dem Buchstaben S, dem bekannten Lexikons-Riesen, ja Riesengebirge, das mit seiner Länge kaum aufhören will und sich daher flegelhaft über einen Bogen nach dem andern legt, indes sich X und Z kaum sehen lassen. Der vom Wörter-Zufluge gestochene Fibel wurde noch mehr verfolgt vom Lexikon, worin er gewöhnlich die Substantiven jedes Artikels, als z. B. des S (schon hier bei mir sitzt S an S), nachschlug; und er hätte vor so vielen S- oder Es-Tieren sich gar nicht zu retten gewußt, wäre nicht sein Landesherr auf einer Saujagd mit Hülfstruppen zu ihm gestoßen. Sofort hatt' er dieses Gedicht:
S s Sau S s Scepter. Die Sau im Koth sich wälzet sehr, Das Scepter bringet Ruhm und Ehr. |
Er wurde mit S gleichsam überregnet, denn er konnte sogar den Scepter in einen Sau-Spieß (worin allein 4 S nisten) umschmieden. Ein feiner Takt riet ihm, das S-ch-wein, das seinem Ohre so nahe und seinem Gaumen noch näher kam, nicht aufzunehmen, sondern die Sau aus der höhern Jagd, das sogenannte ritterliche Tier, das sich mit seinen Hauern viel näher an Thron und Scepter schließt.
Die dritte Not, die einen Autor befällt, ist die: wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Sie traf Helfen sehr hart vor den Buchstaben qu, x, y, z; solche undeutsche Buchstaben legten einem ehrlichen echtdeutschen Schreiber Schreibdaumenschrauben an; es sollte sein und es war von solchen Ausländern schlechter Dank für seine Gastfreundschaft, daß sie ihn nötigten, sich halb verdreht zu zeigen. Wahrlich es kommen künftige Kapitel in dieser Geschichte, wo man über diese Buchstaben mehr hören wird.
So versah nun Fibel mit unendlicher Mühe und Freude alle 24 Buchstaben mit kleinen Sinn-Gedichten, welche bis auf diese Stunde im Maule der Nation fortdauern. Sein feilendes Ausbessern war gewaltig; er hatte alle Hände voll Arm- und Schlichtfeilen – voll Jätemesser – Stimmhämmer – Erd-Siebe – Schwingfutter – und Poliermühlen. Daraus läßt es sich freilich erklären, daß er uns Füße und Reime von einer Reinheit geschenkt, welche sich jetzt selten macht; z. B. Reime wie ist, frißt – Bär, her – Last, Gast – Hund, kund – Säck, weg (wäck) – Nacht, macht etc. etc.; – wozu aber noch kommt, daß er, anstatt wie Büffon (nach Mad. Necker) vormittags die Substantiva und nachmittags die Adjektiva zu Papier zu bringen, es gerade umkehrte und am Morgen nur die Beiwörter und erst nachmittags und abends, wo er mehr Zeit hatte, die viel wichtigern Hauptwörter aussann und hinsetzte; so wie es ein späterer Kunstgriff war, daß er den frühern Kunstgriff Boileaus, stets den zweiten Vers früher als den ersten zu fertigen, gleichfalls geschickt umkehrte und jedesmal den ersten zuerst machte, und den andern aus der Zukunft abholte. Dies gibt aber auch seinen Gedichten eine Nette und eine solche Säuberung von allen minnesängerischen Flicklauten der Neuern – z. B. von sehre, deme, Zoren etc. etc. –, daß ich mich gar nicht verwundere, wenn unsere größten deutschen Dichter ihn früher lasen und studierten als irgendeinen andern Poeten, den Homerus selber nicht ausgenommen.
Gleichwohl wär' es unbillig, eine solche ausgefeilte Vollendung von unsern neuesten Dichtern zu begehren, da es genug ist, wenn sie diesem Polyklets-Kanon von weitem nacharbeiten.
Fibelische Musterhaftigkeit im Abcbuche, kann ein Sonettist sagen, ist wohl in Gesängen von zwei Zeilen und einem Reime zu erreichen; aber ein Mann versuche einmal, nach ihr in einem großen Werke von vielen Reimen in einem Sonett zu ringen: er wird bald eine tödliche Verse-Ferse eines Achilles und Herkules an mehr als einem Fuße vorzeigen.
Selber jenen demant-dichten und demant-hellen Sinn und Inhalt der Fibelschen Gedichte
Und so sind fast alle mehr oder weniger griechisch-plastisch und real-klar. möcht ich nicht zu strenge unsern Dichtern zumuten. Vielmehr ists eben bei ihnen das Zeichen, daß sie vom Phöbus (wie wir den Apollo heißen, und Franzosen schwülstigen Unsinn) nicht weit mehr entfernt sind; so wie auch bei den Kometen das Zeichen der Sonnen-Nähe ist, wenn sie, wie diese, den Kern rein verflüchtigen und durchsichtig werden und ganz zu Schwanz, der hier Assonanz und Reim bedeuten mag.
Z. B.:
Das Fleisch der Gänse schmecket wohl,
Die Gabel es vorlegen soll.
Oder:
Gebratne Hasen sind nicht bös etc. etc.
Dennoch bleibt den Dichtern des letzten Jahrzwanzigs genug übrig, worin sie sich mutig mit Fibeln messen dürfen – auch wär's unbegreiflich, wenn so ein doch weniger von der Kunst als vom Genie begünstigter Voglers-Junge allein ganze mystische und romantische Schulen überwöge und niederzöge –; ich meine aber besonders eine gewisse, in Fibeln sehr vertrocknete Wässerigkeit im edeln Sinn. Diese weisen wir aber auf, und wir können, wie Juweliere ihre Edelsteine, so mehrere unserer poetischen Edelsteine nach ihrem hellen weißen Wasser schätzen und ausbieten. Wir besitzen Dichter vom ersten Wasser, vom zweiten, vom dritten; und in Roßdorfs Dichtergarten spiegeln und wallen Dichter vom zehnten Wasser.