Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

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14. Judas-Kapitel

Fibels Einschiebessen, bis zum Aufdecken des Wandschränkchens

Das Werk war auf- und ausgebauet, und die Kranzrede auf dem Dachsattel hatte Fibel schon seit der ersten Mauer mehrmals an sich gehalten; – bekam es vollends noch Drucklettern und illuminiertes Vieh dazu, so war etwas in Heiligengut fertig errichtet, was man, seit der Kirchturm stand, niemals da gesehen. Im ganzen Dorfe lief das Gerücht um, daß der Student ein neues Abc-Buch für alle Kinder, auch die ausländischen, verfertigt; – ein Unternehmen, das freilich der Ortsschulmeister, der so lange Fibelhahn auf dem Mist und im Korbe war, für windig und absurd erklärte.

Der junge Autor – froh, schon Geld noch unter der Regierung des letzten Halbsouverains erschrieben zu haben – trug seine Abcfiguren, womit er, wie mit Schachfiguren, König und Königin, sich und Mutter decken wollte, in die Buchdruckerei der Stadt und zeigte dem Druckerherrn sein Papier vor und fragte sanft an: »Wieviel bekommt man dafür?« Fibel meinte damit, wieviel er selber für das Gedruckte werde erhalten; der Druckerherr aber verstand natürlich, wieviel er ihm für seine eigene Schwärze und Arbeit zahle, und versetzte daher: »Je mehr Exemplare, desto mehr wird ausgebatzt.« – »Nu,« sagte Gotthelf, »so will ich eine unglaubliche Menge haben und will das Geld gleich mitnehmen.« Sogar die letzte Wendung zog den Druckerherrn noch nicht aus dem Labyrinth; bis er endlich aus diesem durch einen neuen Antrag Fibels in ein unbändiges Lachen geriet, wozu sich Gesellen und Jungen gesellten. Jetzt wurde dem Schriftsteller das Wesen der Buchhändler auseinandergesetzt, wobei er freilich aussah und zuhorchte wie eine sprachunkundige Mutter, welche ihres Sohnes wegen mitten in den lateinischen Reden einer Gymnasiums-Feierlichkeit sitzt.

So trug er denn seinen Verlags-Artikel zum Verleger der Stadt und wollt' ihn losschlagen für Geld. Aber der Mann schlug den Artikel aus; und es ist wahre Schonung, daß ich den Namen eines Buchhändlers verschweige, der ein Werk fahren ließ, wovon nachher so viele tausend Buchbinder in Sachsen und Franken sich bekleideten und beköstigten. Noch schwerer wird mir das Verschweigen, wenn ich weiter erzähle, daß er fast hämisch dem jungen Schriftsteller zu Selbstverlag und Selbstdruck riet und ihm den Kauf einer kleinen Handbuchdruckerei, die er ihm vorzeigte, antrug; »mit diesen Lettern«, setzt' er hinzu, »getrau' er sich Werke von jedwedem Fache, sogar die allerexzellentesten zu drucken.« Helf schlug ein und fleht' ihn bloß um Gottes willen halb kniefällig an, ihm die Buchdruckerei nur so lange aufzuheben, bis er seine Erbschaft gewonnen, bis in den tiefen November. Es wurd' ihm zugesagt.

Er ging so froh nach Hause, als hätt' er in der Tasche eine der besten Taschendruckereien mitzubringen; indes glaubte die Mutter seinen Hoffnungen mitten in der Not schon darum, weil er ihr niemals widersprach. So lebten nun beide sich in den November hinein. Wenn man bloß daran zu denken gewohnt ist, wie viel Große brauchen, um ihr schales Leben einigermaßen abzusüßen – Lumpenzucker, halbe Bastern, Großmelis, Kleinmelis, fein-fein Raffinade, Kandis, Rosenzucker und Bleizucker –: so erstaunt man freilich, wie unser Paar mit dem matten Zuckerwasser auskam, welchem es täglich so viel Wasser nachgoß, daß das Gesöff wie gutes Wasser nach nichts schmeckte. Es finden sich Belege in beider Geschichte, daß sie einmal abends nichts als einen einzigen Kartoffel verspeisten, aber einen so ungeheuern und diesen so freudig und satt, daß ihnen dazu nichts zu wünschen übrig blieb als ein Gast. Aber was machte jede Entbehrung so leicht? – das Wandschränkchen. Mit Freuden darbt, hungert, dürstet jeder vor der Tür einer Silberkammer, wenn er weiß, sie tut sich ihm auf nach wenigen Tagen. – Und – wenn wir die tierdumme Furcht wegwerfen – sitzt nicht jeder von uns an der Tür einer solchen Kammer?

Fibel gehörte überhaupt unter die wenigen Menschen, die sich von den vielen unterscheiden, welche dem Hunde ähnlichen: man streiche diesem irgend etwas ihm Abscheuliches auf Nase und Schnauze, so leckt er gleichwohl an demselben, wie sonst am Wohlschmeckenden, so lange bis ers hinein und rein aufgenossen hat; gleichermaßen wiederkäuen die meisten Menschen lieber das aufgelegte Widrige als Süße und saugen es stückweise in sich, bis sie endlich unter lauter Fluchen über den bittern Nachgeschmack ihn erschöpfen. Aber der leichtsinnige Fibel hielt nur den Honiggeschmack im Munde fest, und ließ das Übrige aus dem Magen gehen, wohin es konnte. Möchte doch jeder ein Register, eine Spieltabelle über Hoffnungen und Befürchtungen halten und Ende Jahrs nachlesen, wie unendlich viele – Befürchtungen gar nicht eingetroffen sind! Aber der Mensch vergißt leichter altes Fürchten als altes Hoffen, denn er setzt eben nicht das Drohen, sondern das Versprechen der Zukunft, d. h. des Weltgeistes voraus.

Sogar Fibels Mutter, welche kein Ehe-Krieg mehr überzog, ängstigte sich nicht darüber, daß der Magen des Sohnes mit den Jahren größer wurde; indes andere Mütter schwache Freude über die Menge und Tätigkeit der kindlichen Zähne bezeigen, so großes Vergnügen ihnen auch früher das erste Erscheinen jedes einzelnen Zahnes gemacht – Und dafür, alte Mutter Engeltrut, dafür, daß du deinem Sohne das schreibende und hoffende Leben nicht durch unnützes Zagen verkümmertest, sei dir noch auf deinem Grabhügel Dank gebracht!

Allerdings lagen um Fibels Haus noch ganz andere Paradiesgärtlein. Es wird hier nicht sowohl die Mutter-Post gemeint – die wöchentlich persönlich mit jedem neuen Reim und Tier, aus der Eierschale gebrütet, zur Wildmeisterin abging und ihr einmal gar das Jägerhorn und den Reim mitbrachte: »Das Jägerhorn macht Lust und Freud« – als der Tubus und Berg. Vielen ist aus einem frühern Kapitel dieses Werks der Waldberg bekannt, von dessen Abendseite man gerade in die Fenster des Jägerhauses schauen konnte. Vom Pfarrer bekam er gern ein altes Fernrohr geliehen, »weil er«, sagte der Pfarrer, »das Wort Teleskop aussprechen konnte, was bei uns der Schulmeister selber nicht vermag, geschweige der Bauer.« Diese Himmelsleiter holte er sich nun an grimmigen pfeifenden Wintertagen und setzte sie ans Auge, wenn die Abendsonne den Berg mit Glanzrot überlegte. Da hing der ferne kalt-windige Gipfel dicht an seiner Nase vor dem Fenster, und er, mit dem ganzen Leibe im warmen Stuben-Bade, lagerte sich bequem auf den fernen Schnee hin und konnte nun die wärmsten Blicke aufs grüne Jäger-Haus herabwerfen, worin er bald Drotta allein antraf, bald seine Mutter dazu, welches letztere leicht vorauszuwissen war.

Verschieden von diesen Winterlustbarkeiten sind die Sommerbelustigungen des optischen Älplers, wenn er abends ganz spät – sein langes ziehbares Schnecken-Fühlhorn in der Hand und am Auge – den sonnenroten Berg mitten ins Dorf mit seinem optischen Zauberstabe versetzte, und wenn er dann auf diesem Verklärungs-Tabor sich niederließ auf das von ihm selber früher zu einer Bank zusammengetragne Steinhäufchen und er keck herunter thronte und fort schauete – wenn darauf die Sonne den Berg wie einen heitern Greis mit ihren letzten Rosen überkränzte und endlich ihn stehen ließ und unterging, statt ihrer aber die schönste Abenddämmerung zum Vergolden nachschickte; und wenn dann in der Stube Fibel oben mitten auf dem fernen Gipfel saß und unter dem Gebetläuten herabsah in die Wildmeisterei und jeden Waldvogel und Drottas Abendgesang vernahm durch den Tubus und dabei ohnehin oben genau zusah, wie die Einsame das Haus verwaltete und herumarbeitete: – – in solchen Umständen war es freilich kein Wunder, wenn er das Tubusglas ohne Nutzen abwischte, weil er fälschlich dachte, der Tubus sei naß, aber nicht sein Auge. –

Kenner des menschlichen Herzens müssen es halb und halb, also ganz erklären können, daß er, sobald sein Abc-Werk fast ins reine gebracht und geschrieben war, seine Liebe gegen die vom Walde verhüllte Braut fast wie einen halben Schmerz empfand und sich kaum zu helfen wußte; und ich bin auf der Seite der gedachten Kenner, wenn sie z. B. bemerken, daß eben jedes Blatt voll Reime und Tiere gleichsam als ein guter dicker Ofenschirm und Sonnenschirm sich unter dem Ausarbeiten vor die Gestalt gestellt, die seinem kindischen Herzen so warm gemacht. Vollends war nun der Monat der großen Entscheidung über das Schicksal seines Abc, seiner Mutter, seiner Liebe so nahe herangedrungen, der Windmonat oder November, worin das Wandschränkchen, wie bekannt, testatorisch geöffnet werden mußte. Allerdings konnte vielleicht sich kein Batzen im Schränkchen zeigen, sondern etwan irgendein Spaß; daher auch dem Helden der Geschichte nicht zu verargen ist, daß er in der Nähe des so großen Tags – der im nächsten Kapitel aufgeht – seinen Tubus, bisher die Saftröhre und Brunnenröhre seines fast ausgetrockneten Lebens oder die Balancierstange seines schwankenden, nun nicht mehr an Aug' und in Hand nimmt, sondern lieber ohne alle Hoffnungen erwartet, was sogleich kommt in der folgenden


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