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Der Rektor magnifikus
Als die Leidens-Woche vor Ostern erschien, ging Siegwart wieder der seinigen aus dem Wege und mit Vögeln davon, um, ungleich den Heeren, Marschtage und Ruhetage zugleich zu haben. Das Vorfest-Backen der Weiber ist nicht sowohl wie das Backen des Zwiebacks und das Verproviantieren der Festungen ein Zeichen des nahen Kriegs als eine Ursache desselben. Langen vollends die Festtage selber an, so bringen sie den Engeltruten, die stets etwas vergießen wollen, entweder Schweiß oder Tränen, statt der Arbeit die Weinerlichkeit des Ruhens mit; so wird auf Kriegsschiffen jede ausgeleerte Tonne süßes Wasser wieder mit Seewasser gefüllt, damit das Gleichgewicht bleibe. Er ließ ihr wieder Gotthelfen daheim; sie war noch in gesegneten Umständen.
Aber wie war ihr Sohn seit Weihnachten an Ruhm und Ruhmbegierde gestiegen! Wie würde sie jetzt schon, hätte sie anders eine Wünschelrute seiner geistigen Gold- und Wasseradern in Händen gehabt, aus so vielen großen Zügen und Kindereien des Knaben den Fibel erraten haben, der eine sächsische Fibel schrieb! – Der störende Vogler lag auf ihm bloß als Leichenstein, der die Keimspitze nicht erdrückt, weil sie sprießend sich um ihn heraufbeugt. Wann wünschte Fibel mehr zu werden als jetzt! Sein Vater war ihm wenig, er stand nicht im Adreßkalender; mehr seine Mutter. Denn Engeltrut hatte aus dem alten Kurfürstlichen Sächsischen Hof- und Staats-Kalender aufs Jahr ihrer rosenwangigen Jugend das gedruckte Blatt gerissen und gerettet, worauf sie mit ihrem Tauf- und Geschlechts-Namen (geborne Böpple) stand, als sogenanntes »Extra-Weib bei der Hofdame«. Den Dorf-Honoratioren war das Extra-Blatt längst mitgeteilt und Siegwarten früh vorgehalten als Jugend-Patent und Frauen-Heiligenschein.
Laßt uns aber das Osterfest mitfeiern und nachschauen, was Fibel tut vor der Welt...
Durch Heiligengut lief die Landstraße und folglich viel Volk. Noch wurde von Erziehern wenig ausgerechnet, in welchem Grade eine Landstraße, die mit ihren Silberflotten der Städte ein nacktes Dörfchen durchschneidet, einen Knabenkopf anleuchte und betrachte und abschleife, der sich eben aus dem Fensterchen steckt, wenn etwas vorüberrollt – und wie dies so einfließe, daß oft vornehme Reisende zehnmal mehr ausbilden als Reisen – und welchen Schwung jedes rote Kutschenrad, jeder galonierte Tressenhut einem armen Dorf-Teufel erteile, der wie Fibel gern alles einmal erreichen will, was vorfährt, und gern bebändert hinter jedem Kutschenkasten stände, oder vergoldet darauf säße.
Wollen wir der Geschichte glauben – und wem wollen wir weiter über Vergangenheit glauben? –, so ritten schon vormittags am dritten Ostertage mehrere Studenten ein als Vorzeichen und saßen ab im Pfarrhofe, um dem Pfarrer den Vaters-Bruder zu verkündigen, den Rektor magnifikus der Landes-Universität. Es gibt Filial-Dörfer, die vielleicht abbrennen, ohne daß je in ihnen das lange Wort Magnifizenz ausgesprochen wurde; diesmal lief der kostbare Laut umher wie ein gemeiner Vieh-Titel; und es wurde davon geredet, wieviel ein solcher akademischer Kommandant und Kommandeur sei, wie nahe er hinter dem Regenten regiere als detto, wie Fürstensöhne selber oft diesen Posten (den einzigen Zivil-Posten) bekleideten.
Fibel stellte sich einen Rektor magnifikus ungefähr vor wie die heilige Dreifaltigkeit und voll ausgehender heiligen Geister. er dachte, ein so großer Mann komme sogleich mit Rektor-Mantel und Zepter in der Hand auf die Welt. – Die Mutter bekam einige heftige Kopfschmerzen vor Ausmalen ihres Großvaters.
Fibel war zu Einbrechen und Einsteigen entschlossen, um ein paar Blicke auf einen Mann zu werfen, von welchem er ein Sinnenbild haben mußte, wenn er nachher nach seiner Weise stundenlange träumen wollte, er selber sei es. Aber die Mutter zeigte, daß sie in Dresden gewesen und daß sie einen Großvater besessen – sie sagte zu Gotthelf, sie wolle mit ihm zu Seiner Magnifizenz gehen und ihn inskribieren lassen; »dann bist du auf einmal ein gemachter Student; so wars schon bei meinem Großvater.«
Das Schicksal wollt' es anders; ein langzöpfiger Pedell schritt ein und fragte nach dem Vogler und nach einem abgerichteten Stare für Seine Magnifizenz. Sie warf vor Freude ihre Antworten durcheinander, bat ihn, sich den Matz herauszufangen – versicherte, ihr Mann sei nicht da – sagte, sie habe ihm den Vogel eigenhändig verehren wollen – und schloß, sie ziehe sich stracks an und überreiche selben.
Nach einer kleinen Doppel-Toilette, als sie sich in ihre dicksten Kleider eingehülset und Helfen an ein langes Lederband des spanischen Rohrs befestigt hatte, trafen beide – den Star trug Fibel in einem Säckchen – in der Gaststube des Pfarrers ein.
Die Gelehrten, der Pfarrer und Rektor, fuhren noch lange in den sach- und wortreichsten Diskursen über den Psalmum abcdarium fort, ehe sie jene stehen und passen sahen – Helf übersetzte später der Mutter nach Vermögen (da er kein Latein konnte) das Gespräch, es sei über das Abcbuch und den Psalter gewesen. Aber wie erstaunte über des Rektors Erhabenheit unser Paar, das statt eines bloßen gelehrten Lichts einen herrlichen Schwanzstern anzubeten fand.
Der Rektor hatte nämlich eine dreiknotige Zipfelperücke auf.
Andere und gute Perücken, Zopf- und Beutel-Perücken, ja solche, die weit am Rückgrat hinabliefen, hatte man in Heiligengut längst gekannt, aber noch keine, welche über beide Achseln bis auf die Brustknochen herunterwuchs.
Zum Glück stellte der Star (im Sacke wurd' ihm die Zeit lang wie der Atem kurz und der Aufenthalt verdrüßlich) dem Rektor seinen Träger vor und wurde Oberzeremonienmeister, indem er im Säckchen, um seine Sprachübungen (in lauter Vokativen) zu treiben, den Rektor anredete: Spitzbube, Reckel etc. etc. – »Es sind nur die Voglers-Leute mit dem Staren«, sagte der Pfarrer und winkte ihnen zum Verehren zu.
Jetzt trat die Mutter hin und küßte freude-bebend des Rektors rechte Hand, der Sohn darauf weinend die linke und ließ, weil er den Vogel hielt, seinen spanischen Stecken fallen. »Das Männchen hier hat das Mätzchen?« fragten Magnifizenz. »O Gott, jawohl! Es ist mein Söhnchen«, versetzte die Mutter. Der gesäckte Vogel wurde frei und auf des Prorektors fette gleißende Hand gelassen; auf derselben redete ihn der Star mit seinem ganzen Laster-Sprachschatze an. »Nur jammerschade,« sagte die Mutter, »daß mein Alter nicht Zeit genug gehabt, der Matz sollte Euer Magnifizenz ganz anders schimpfen, er wollte die Sache nach den 10 Geboten vornehmen.« – »Man kann«, sagte der Musen-Weisel, »mit dem zufrieden sein, was er vorgebracht.« – »Nein,« sagte die Frau, »mein Mann nimmt eine Sünde nach der andern her und richtet ihn zu ihr ab, sie sind aber beide erst beim Huren und Stehlen.«
»Ich habe oft«, sagte der Prorektor, sich an seinen Verwandten wendend, »Gottes Weisheit in den Vögeln bewundert, welche fast allein zu sprechen scheinen unter allen Tieren, obwohlen vierfüßige, wie der Esel, uns in Gestalt und Wandel viel näher stehen mögen. Es ist mir aber aufgefallen, daß solche nichts sagen als Schimpf- und Schand-Worte; nicht etwa als ob ich nicht wüßte, daß ja Menschen ihnen dergleichen erst beibringen; sondern dieses hab' ich erwogen, daß, da doch die Lehrer der Vögel wie der Kinder unter höherer Leitung stehen, erstere immer Injurien zu ihren Vokabeln nehmen. Hier steckt eben wieder geheime Weisheit des Allwissenden. die Steine schreien, Kinder und Narren und Vögel reden die Wahrheit; und daher die wahren Schimpfworte, welche z. B. dieser Star vorhin ausgestoßen. Und ein solcher Vogel beleidigt dabei ebensowenig als ein Pfarrer, welcher Schneider oder Weber auf der Kanzel Diebe schiltDie Helmstädter Fakultät erklärte eine solche Scheltung frei von Injurie. Leys. sp. 548. Med. 7. , oder der Esel Bileams. – Ach, Gott steckt oft das Allergrößte ins Allerkleinste! sozusagen die größte Weisheit in die größte Dummheit. Pedell, packe Er mein Microscopium aus, und bring' Ers hieher.«
Denn anfangs vorigen Jahrhunderts waren mehr Größen gemein als Vergrößerungsgläser und Größenlehren. Es war freilich nur ein bloßes einfaches Mikroskop, etwas das man jetzt Kindern beschert; aber der Rektor magnifikus machte viel daraus – und viel damit.
Je mehr er Flaschen auf das Faß seines Leibes abzog, desto mehr erhob er Gott verstärkter, indem er die verschiednen Nichtswürdigkeiten vorbrachte, womit wie mit eingeschnitztem oder untergestelltem Thronvieh bisher die Büchermacher Gottes Thron verzierten und hoben. Da er noch nicht Derhams Astrotheologie lesen können: so konnt' er nicht auf die gemeinern Beweise und Verherrlichungen und Wappenhalter des göttlichen Throns verfallen und nicht wie etwan mit Menzius auf den Frosch – mit Meier auf die Spinne – mit Sloane auf den Magen – mit Stengel auf die Mißgeburt – mit Schwarz auf den Teufel. – – Er verfiel auf etwas anderes, auf ein dem viergehäusigen Menschen-Ich nächstes Ich – auf die Laus.
Als ihm das einfache Vergrößerungsglas gebracht worden: sah er sich – wie ein Dedikator – nach dem Gegenstande zum Vergrößern um. »Mein Söhnchen,« sagt' er, »ein Pediculus, den du uns abgeben wolltest, würde für uns alle ein Lehrer sein, oder auch einige Pediculi.« Gotthelf guckte ihm ohne die geringste Anstalt zu einer Antwort ins Gesicht. »Söhnchen,« fuhr er fort, »zeige deinen Kopf!« Dieses hielt ihn vor ihm unter. »Sehr scharmant« – rief der Teleolog – »ich halte etwas fest, gleichsam die Petit Schwabacher von Gottes Schrift im Buche der Natur, einen homunculum auf dem homine, einen winzigen Fingerkalender der großen Ewigkeit.« Nun steckte er den homunculus auf eine feine Nadel vor dem Vergrößerungsglase und bat die Gesellschaft, sowohl das Tier zu betrachten als die Schlußketten, die sich aus demselben ziehen ließen – ferner ließ er bemerken, wie eben das Kleinste gleich dem Zwergbaum das größte Obst abwerfe – dann wollt' er bemerkt wissen, daß der homunculus, die Laus, durchsichtig sei und nichts Festes zeige als den Magen, der sich bald größer, bald kleiner ziehe – und endlich bat er, noch einen göttlichen Fingerzeig oder Zeigefinger nicht zu übersehen, den nämlich, daß Mohren schwarze Läuse besäßen, Brünetten brünette, Blondinen blonde; denn so sehr auch erstlich der Schöpfer durch gleichartige Farbe des Gewildes und des Bodens, z. B. bei Hasen, Raupen, Rebhühnern, für die Sicherheit durch ihre Verwechslung mit der Farbe des Bodens sorge und folglich hier auch, so sei doch, da das Wesen auf dem Menschen selber sitze, noch mehr darüber auszudenken; denn sobald man betrachte, daß dem Menschen (wie dem Deutschen) nichts ekelhafter und abscheulicher vorkomme, als was ihm gerade am nächsten und ähnlichsten liege – (hier berief er sich auf Gerüche, Läuse, Verwandten, Affen u. s. f.) – und zwar darum, weil uns der Schöpfer auf unsere Erbärmlichkeit hinführen wollte, so sei es Wohltat des Schöpfers, daß er uns den Anblick solcher Spiegel-Dinge durch ähnliche Farbe mit unserem Kopfe erspare, und so habe Gott auch an dem vorstehenden blonden Kindeskopfe seine Güte dadurch bewiesen, daß keine brünetten Läuse darauf zu sehen, sondern leicht verwechselbare blonde.
Erst da der Star »Dieb!« sagte, kam er wieder zu sich und fragte nach dem Preise des Pasquillanten. – »Ach Gott,« versetzte die Voglerin, »wenn Euer Euer ihn nur nähmen! – – Nur für meinen Sohn da will ich mir etwas ausflehen, es möchte nämlich eine Inskription zu einem Studenten sein.« – Als der Rektor nach langem Mißverstehen endlich begriff, daß sie jetzt schon eine begehre: packte er in der Wein-Laune wirklich einen solchen gedruckten lateinischen Inskriptions-Bogen aus, worin dem Namen leerer Raum gelassen war, und reichte ihn Helfen mit dem Befehle, seinen hineinzuschreiben oder zu inskribieren. Fibel schrieb sich belebend zwischen gedrucktes Latein; der Rektor unterschrieb nichts, sondern ermahnte nur eifrig zu allen gelehrten Sprachen und Studien. Ja der Pfarrer las ihm das Blatt in einer guten Übersetzung vor.
Mutter und Sohn kehrten als Selbst-Ehrensäulen, als lebendige Krönungs-Kleider nach Hause, wohin sie sich sehnten, um einander an den Hals zu fallen. »Ach Gott sei Dank,« sagte die Mutter weinend, »daß ich einen Studenten geboren habe.« – »O ich möchte«, rief er, »vor Freude die Abendglocke läuten, damit nur die Bauern zusammenliefen und meine Inskription durchläsen! Oder ich könnte sie auch deutsch vormachen; denn sie verstehen zu wenig von der Sache.«
»Aber die Wildmeisterin muß es in einer halben Stunde wissen.«
Die Sache bekommt sehr leicht Licht, wenn ich fortfahre. Nämlich im Fangwalde seines Vaters stand ein einsames Jägerhaus, worin nichts wohnte als der verwittibte Jäger mit seiner einzigen Tochter, welche man jetzt schon in ihren unreifen Jahren die Wildmeisterin nannte, weil sie dem Jagdmann Hausfrau, Haushofmeister, Ratskollegium und alles war, was er brauchte, um ruhig zu schießen und zu schnarchen. Diese Wildmeisterin – Drotta – hatte Helfen schon in der Kindheit, wenn sein Vater im Walde Finken durch Aneinanderleimen fing, auf schönere Weise an ihre Psyches-Flügel geleimt, weil er immer zu ihr hineinsprang. Sie hatte aber den Fehler, den sie lange fortsetzte, daß sie ihren jungen Siegwart häufig ausprügelte, eine Sache, für welche er aus Geschmack so wenig war, daß er am Ende nur auf den WaldbergSoviel ich aus meinem Fenster sehe, ists ein mitten aus dem Walde aufsteigender runder Bergkopf. ging, von welchem aus er geradezu in die Fenster des Jägerhauses und auf den Spielplatz sehen und alles finden konnte, was einem Herzchen Flügel und Flammen gibt. Er war aber bei aller Biegsamkeit von keiner Liebe jemals abzubringen; in Buchstaben und Menschen nun hatte er sich einmal verschossen und unter letztern besonders in Drotta; kein Teufel zog ihn vom Alphabet, kein Engel oder Geliebter von der Liebe ab.
– »Ich bin ein Studiosus. Guten Abend!« rief er der im Walde und im Osterputze einsam flickenden Drotta zu und hielt ihr den Einschreibe-Bogen aufgeschlagen entgegen. Sie fand wirklich seinen geschriebenen Namen mitten im Hofzirkel gedruckter und lateinischer Buchstaben regierend und sagte:»Ei !« – »Höre Sie aber!« fuhr er fort; und verlas ihr das ganze lateinische Studier-Patent langsam ohne sonderliche Prosodie. »Schön!« sagte sie, »aber das muß doch etwas heißen?« Er verdolmetschte (linde Laute!) ihr das Latein – denn er selber konnte keines – stellen- und gedächtnisweise, nach des Pfarrers Übersetzung, zu welcher er jedesmal irgendeine lateinische Zeile des Textes beilas, nur daß zu seiner an sich richtigen Übersetzung niemals die vorgelesenen Zeilen einpaßten, sondern entweder zu früh kamen oder zu spät. Als er aber gar erklärte, daß aus einem Studenten, gleichsam als aus einem Vexier-Menschen, gewöhnlich alles Vornehme würde, was man nur wollte, was mußte da nicht erst das Mädchen sagen? – Eigentlich nichts; sie war so langsam im Glauben als schnell im Handeln. – »Wer von uns hätte gedacht, daß Er so viel würde? Vergess' Er nur Seine alten Freunde nicht darüber!« – Sie schied von ihm mit ungewöhnlichem Ernst; vielleicht auch darum, weil sie gerade diesen Abend 14¼ Jahr alt wurde.
Aber wie war nicht Fibel an diesem Osterfeste aus allen alten Gräbern auferstanden und nach mehreren Himmeln vorausgefahren! Des Pfarrers Spaßrede, er müsse nun alles lernen, war Salbe für ihn. Der Universitäts-Bogen und das Schmarotzer-Tier, das Peter PindarIn der Lousiade. zum Achilles und Aeneas eines Heldengedichtes gemacht, erhoben ihn zu einem Helden. In der ersten Woche lernte er griechische Werke lesen (vom Pfarrer borgte er sich die Grammatik dazu) – – im zweiten Monate lernte er das Hebräische und las das Alte Testament in der Ursprache; – im dritten das Syrische; – im vierten und fünften das Arabische. Die sämtlichen Sprachlehren waren vom spaßhaft-gefälligen Pfarrer zu verleihen. In diesen vier Sprachen konnte er zum Erstaunen des ganzen Hauses jedes Buch lesen, das man ihm vorlegte; ja einmal assekurierte der Pfarrer öffentlich die Sache. Natürlicherweise verstand er nicht ein Wort von dem, was er vorlas; aber der Stoff ging ihn, wie einen Dichter, nichts an, sondern nur die Form. Desto reicher fiel sein reiner Genuß an den orientalischen Sprachen aus, weil deren Lettern-Formen und Selbstlauter-Untersätze sie weit über alle neueren Sprachen hoben. Indes wollte er sogar in Wörter-Gelehrsamkeit nicht zurückbleiben, sondern lernte aus einem alten guten Werke, das ich selber in meiner Jugend ohne Nutzen gelesen, in sieben Wochen das mexikanische, arabische, isländische, englische, dänische, grönländische, französische Vaterunser auswendig; dann in jeder spätern Woche wieder ein fremdes, kurz ein linguistisches Paternoster; so daß er schon vor Adelung im Mithridates ganz den nämlichen Sprachforschungs-Weg betrat. Dadurch setzte er sich instand, vor dem Essen bald als Hottentott, bald als Türke, bald als Franzose seine Andacht zu verrichten; dem Himmel selber, der alle Sprachen versteht und vernimmt, konnt' es gleichgültig sein, welche er nehme. Fibel war jetzt überhaupt ein ganz anderer Mensch.
Glücklich ist der Knabe, dem früh genug der begeisternde Geist begegnet, der ihn plötzlich über die langweilige breite Wüste der Versuche hinwegwirft ans Ziel und ihm für immer nachleuchtend stehen bleibt, das wankende Jugend-Herz ausstärkend wie ein Prophet sein Volk! – Nur in der Jugend rollt das Glücksrad, später knarrt das Pflugrad, und mühsam-langsam gibt die Furche, was der Glückstopf reichlich ausgießt.
Gleichwohl schien das Schicksal jetzt noch nicht alles mit allen Gerüsten vorbereitet zu haben, um aus Fibel das zu bauen, was er nachher geworden, einen Baumeister eines neuen alphabetischen Gebäudes.