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Lauter Kapitelchen
Verdrüßlich und fast grimmig hab' ich das Kapitel ohne eine Zahl überschrieben; denn seit Wochen lauft nichts mehr von den Dorfjungen ein, und ich sehe mich mitten im Buche und im Dorfe mit leeren Händen festsitzen, ohne einen Ausweg zu einem ordentlichen Ausgang. Treib' ich aber das Ende nicht auf: so ist mein ganzes Buch ein elender Fisch, dem der Schweif, ohne welchen er sich nicht steuern kann, oder ein Pfau, dem der Schwanz abgeschnitten ist, um dessen Glanz-Rad sich doch der ganze Vogel dreht. Es gibt ja keinen Leser in der Welt, der mich nicht anfahren und fragen wird: »Wie gings aber denn zuletzt mit Fibeln, mein Freund?« Und es wird ungern oder nicht angenommen, wenn man sich etwan mit Homer, der den angekündigten Tod des Achilles auch nicht abgesungen, vergleichen und rechtfertigen wollte; denn neuerer Zeit soll man eben (fodern sie) mehr leisten als Homer.
Etwas wohl hab' ich doch getan; und liefere es denn hier. Es muß nämlich tiefern Geschichtsforschern sehr wohl bekannt sein, daß einst die Jesuiten, um des spanischen Königs Philipp II. Staats-Heimlichkeiten auf Papier zu haben, durch Geld und List einen Vertrag über die täglichen Lieferungen des königlichen Nachtstuhls abgeschlossen, weil sie aus dem Stuhle an jedem Ziehungstage manches zerrissene brauchbare Staatspapier desselben zu ziehen hofften, um den Hintergrund der Entwürfe dieses geistigen unsichtbaren Weibs (Femme invisible) zu haben. Sie schlossen ganz recht, der Nachtstuhl kann gut aus einer spanischen Wand der königlichen Pläne unser ordentliches bureau décachetage von D'Argenson werden, oder ein passives Beichtsitzen, oder eine versio interlinearis dieses schwer zu verdeutschenden Königs, kurz der Ambasciadore unsers Jesuitengenerals; denn wenn wir diesem, endigen sie, alles mitteilen, so wird aus dem Nacht- ein Weber- und Seidenstuhl, worauf wir einige Seide spinnen zu guten Geweben.
Diese Anekdote kann viel dazu beigetragen haben, daß ich bei einem Mangel an umlaufendem Papier, welchen geldlose Staaten gar nicht kennen, auf den Gedanken verfiel, ob nicht die Göttin Gelegenheit (denn Gelegenheit nennt man in mehreren deutschen Kreisen einen bekannten Inkognito-Ort; daher vielleicht auch der Ausdruck Gelegenheits–Gedichte) mir mehr zubringen könne als alle Jungen des Dorfs. Denn es war vorauszusetzen, daß wenigstens die bedeutendern Personen die von den Franzosen zerrissenen ausgestreueten Nachrichten von Fibel als Drucksachen durch ihre Kinder auflesen ließen und sie dann verwandten, wie sie wollten. Ich stattete daher dem gewöhnlichen Honoratioren-Dreimaster der Dörfer, dem Pfarrer, dem Rektor (so hieß der neueste Schulmeister, wie in Städten wieder der Rektor Professor) und dem Amtmann, die nötigen Besuche ab, welche ohne Unhöflichkeit nicht wohl zu unterlassen waren. Vergnügt und reichlich genoß ich die gute Gesellschaft jedes Honoratiors und führte mit ihm die gehörigen Gespräche, ohne welche ein Besuch ein Bettel ist; und tauschte gern, wie Diskurse fodern, unsere verschiedenen Meinungen über Kriegs- und Friedensläufe, über neue Bücher und alles um. Darauf nahm ich zufällig – ich sann in einem fort darauf – einen kurzen Abtritt, um bei diesem Abstecher vielleicht etwas zu holen für mein Buch; – ordentlich als wäre jedes Gemach nur das Vorzimmer eines heimlicheren (wie es denn auch politisch so ist), verurteilt' ich mich selber willig auf den Armensünderstuhl der Menschheit (nach König Alexanders Meinung) oder auf Philipps II. Thron-Untersatz, um, wie gesagt, mein Buch mit dem guten Geruche zu schließen, in welchem ich schon als Poet bei der Welt stehe. Nun hab' ich von jeher eine Art von feinerem Sittengesetz darin beobachtet, daß ich an den besagten benannten namenlosen Orten nie etwas anders gelesen als Gedrucktes; aber nichts Geschriebenes, in welches letztere kein Fremder hineinzugucken hat, er sitze hoch oder niedrig. So tat ich wieder; – aber es schien, als sollte seltene Rechtschaffenheit auf der Erde einmal belohnt werden: ich fand wirklich Abschnitzel von Fibels gedruckter Lebensbeschreibung und steckte sie zu mir, da ja Gelegenheit Diebe macht, aber ohne einen einzigen Gewissensbiß. In der ersten Freude über den dritten Honoratior, bei welchem ich die letzten biographischen Kleeblätter fand, rief ich freilich: es ist halb unerhört, ein solcher zweimaliger Gewinn eines biographischen Paroli: einen Pelz, Pompier, Fuhrmann, dann einen Pfarrer, Rektor und Amtmann; alle sechs arbeiten an einem einzigen Leben, ein lebensbeschreibendes Trabanten-Sextett, das um den UranusAuch der Uranus am Himmel hat sechs Trabanten, wie Saturn sieben. Fibel lauft, wobei ich mich nicht einmal zähle, weil er sonst ein Saturn mit sieben Trabanten wird! Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, zu diesem biographischen Zyklus. – Jetzt aber weiß ichs, daß wenig davon zu sagen, da alles, was ich bei diesen Cour- und Sitz- und Ziehungs-(Nachmit-)Tagen erhob, sich auf so karge Zeilen belief, daß ich mich schämen würde, sie als Ausgangs- oder Abtritts-Kapitelchen abzusetzen und vorzusetzen, wenn es ein besseres Mittel gäbe, die allgemeine, von so vielen Bogen gespannte Neugierde der Welt erträglich zu stillen. Aber es ist nichts anders zu machen als Kapitelchen, wie da folgen.
Sogleich nach einem Geburtsfeste des Sohnes starb die gute Mutter Engeltrut und phantasierte erhabene Sachen vom Dresdner Hofe und vom Rektor magnifikus und von unserem Herrgott. Ihr berühmter Sohn ließ sie mehrere Tage länger unbegraben liegen, als sich wohl schickte, weil er unter dieser Zeit erst etwas gelassen zu werden hoffte, um als berühmter Gelehrter hinter der Leiche mehr mit erlaubten mäßigen als unmäßigen Tränen nachzufolgen.
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Der berühmte französische Biograph Pompier starb allhier mehr aus Überfluß als aus Mangel an Jahren und wurde mit den Lettern seines Namens beigesetzt; wer aber seinen Lebensfaden abgerissen... (hier war dem Kapitelchen das Ende abgerissen).
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Der ehrliche Fuhrmann ließ alles fahren und fuhr selber lebendig ab. Die vortreffliche Gemahlin Herrn Fibels, von welcher so viel Gutes zu sagen wäre, wenn es nicht parteiisch wäre, gab ihm eines und das andere Wort mit, das er als einen guten unentgeltlichen Wanderpaß ansehen konnte.
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Gewaltige Änderungen und Durchbrüche in Herrn Studenten Fibels Seele – die ganze Fibelei halb aufgehoben... (Hier fehlt alles.)
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Eben setzt und druckt ganz allein der letzt übriggebliebene Magister Pelz das letzte Kapitel der Lebensbeschreibung; unser guter Herr Fibel ist, obwohl alternd, doch gesundend. Pelz, bisheriger Redakteur des lebensbeschreibenden Gelehrtenvereins, geht eben auch fort und druckts nur vorher. Niemand bleibt nun mehr im Dorfe zurück, der das Leben des großen Fibels fortsetzen könnte, ausgenommen er selber durch Fortleben. Vielleicht in spätern Zeiten treten hohe Biographen auf, welche unsere Spreu zu Weizen sichten. (Ich J. P. Richter gestehe unverhohlen, daß mir diese Abtritts-Stelle eine gute Idee von mir gegeben.) Im Himmel oder wohin man sonst verdammt wird – denn im Himmel ist doch nur der Unendliche allein ganz selig – hoff' ich meinen Lebensbeschriebenen wieder zu treffen. Soli Deo gloria. Vierzigster oder letzter Band.
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Und Sic (setz' ich dazu) transit gloria mundi.