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Jahreszeiten der Kindheit
Das goldne Jahrhundert des Menschen, nämlich die ersten Kinderjahre legten ihr Fluggold sogar noch den Spätjahren an, so gut und glanz-golden fielen sie für unsern kleinen Gotthelf aus.
Gotthelf war der Taufname eines Leipziger Rektor magnifikus, eines entfernten Schwertmagens (Verwandten männlicherseits) von der Mutter, welchen der alte Vogler auf Antreiben der Kindbetterin leicht zum Gevatter bekam, weil man eine Einladung auf die Taufschüssel so wenig als eine Sarg-Rechnung abschlagen darf! Der Rektor nahm die Bitte liebreich auf und teilte jetzt so freudig sein Bestes, wie sonst jedem, der bettelte, oder der niesete, mit, seinen Christen-Namen: Gotthelf!
Der kleine Gotthelf hatte schöne Kinderjahre. In der Hoffnungs-trunknen Jahrszeit, im Frühling, nahm der alte Vogler stets ihn und einen Stechfinken mit in den helldunklen Wald, um etwas zu fangen. Während der Alte zusah, wie sein mit Leimruten bestecktes Finken-Er die eifersüchtigen Männchen auf sich lockte: so schauete der Kleine auch mit hin und lief zuerst dazu, sobald sich einer an dem singenden Häscher oder am lebendigen SchwanenhalsNamen des Fuchseisens. gefangen hatte; zuweilen ging er aber den hellen Waldstreifen nach und zog fußhohe Bäumchen aus, um sie einige Schritte davon wieder elend einzupflanzen zu einem Gärtchen. Bald schnitzte er dem Baum die Wurzel ab und steckte ihn als einen artigen Strauß auf seinen Wachshut, um ihn nachher der Mutter anzustecken, in Ermanglung von Blumen und Erdbeeren. Zuweilen wußt' er eine dicke Fichtenborke mit dem Einlegmesser auszubrechen und sie phelloplastisch zu behandeln, indem er bald eine Kuh, bald einen Vogel oder einen Menschen aus dem Blocke der Rinde bildete und erlösete. Mit einer vom langen Morgenlichte ganz durchleuchteten Seele folgte er voll hörbarer Selbstgespräche seinem stummen Vater nach, der unter allen Sprachen die menschliche am wenigsten verbrauchte, dafür aber selber ein organisierter Wild- und Vogelruf war; es gab wenige Vögel im Walde, mit denen er nicht in ihrer Muttersprache hätte pfeifend reden können. Überhaupt gibts viele Staats-Bürger, die lieber pfeifen als sprechen.
Vier Ackerlängen vor dem Vater voraus war Gotthelf schon am Mutterhalse mit seinen Armen und Geschenken; nun mochte Engeltrut (so hieß die Mutter) immerhin Kopfschmerzen oder Grillen in dem Kopfe haben, oder Arbeit in den Händen: sie behielt jederzeit eine frei, um ihm damit die Backen zu streicheln. – Eine andere Jahrszeit brachte Gotthelfen wieder andere Freuden, nämlich andere Vögel und Fang-Weisen derselben. Der Sommer hing voll Nester, welche für jeden Heinrich den Vogler indische sind, wenn er sie leeren darf; wozu noch die Wachteln stoßen, die er fängt, eh' sie nur eines machen. – Was für einen träumenden Jüngling der Ossian ist, nämlich eine magische Herbstlandschaft, das war vollends der Herbst, wie für einen Maler, so für den alten Vogler, besonders der Spätherbst; sein Nachsommer war ein Nach-Frühling und Vorsommer, ein üppiger Valetschmaus des Jahrs. Wie ein zärtlicher Schwanengesang des Lenzes fiel ihm das Kehraus-Geschrei der Zugvögel ins Ohr; – und sein Sohn stand überall dabei und trug mit nach Hause, wenn viel gefangen wurde, es sei auf Vogelherden oder an Leimbäumen.
Freilich blühte für ihn der Winter am reichsten, und jede Stunde war ihm ein Sträußer-Mädchen (bouquetière), falls nämlich die Kälte grimmig genug war, der Schnee tief und das Wetter stürmisch genug. Schon für sich ist das Leben eines guten Vogelstellers, der ruhig pfeift und fängt, voll stiller Wochen und Wiegen, ein Mondregenbogen über schlafenden Dörfern. Nimmt man nun den ruhigen Winter, diese Natur-Sieste, besonders den in des Voglers Stube dazu: so läßt sich alles begreifen. Ich denke mir ordentlich sein Haus – ich könnt' es sogar besehen, wenn ich aufstehen wollte –: das Erdenstockwerk hat ein Zimmer und einen Stall – Fußboden und Mauern sind mit Sang- und Girrvögeln bedeckt und behangen – ein ganzer Frühling schreiet durcheinander, und der Vogler singt als Gegenchor dazwischen und gibt Pfeif-Stunden – und im Schnee draußen stehen Schlagwände und Meisenkästchen offen, um das Vogel-Odeum stärker zu besetzen. Das Stricken der Wachtelnetze, das Flechten der Käfige und Kanariennester – die Stallfütterung der unkastrierten Sänger (Vater und Sohn bilden das Küchenpersonale für die Tiere, die Mutter das für die Menschen) machen die kurzen Tage kürzer. Werden nun dabei noch bald Kanarienstieglitze illuminiert und türkisch gefärbt, bald Staren prosaische Stilistica gelesen, bald Gimpeln in Konservatorien poetische Singstunden gegeben: so tut dies auf den jungen Gotthelf Wirkungen von wahren Folgen, und Folgen wirken wieder. Daher fällt man leicht Pelzen (dem ersten Lebensbeschreiber) bei, welcher fragt, ob nicht diese ersten Kinder-Freuden und poésies-fugitives des Lebens unter Vögeln die ersten Kartons und Sbozzis zu den Tierstücken des Fibelschen Abc-Buchs in der jungen Seele abgerissen, indem im letztern nur fünf Menschen – der Mönch, der Jude, der Vogelsteller und die Nonne und die Xanthippe –, aber funfzehn Tiere auftreten. Ich für mich bejahe die Sache; ein warmer Tropfe vermag das harte Samenkorn der Kindheit zum Schwellen und Grünen zu treiben, indes den ausgebreiteten Blätterbaum ein ganzer Regenguß nur wenig umschafft und befruchtet.