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Sitzungs-Fortsatz
Ich kann mich hier sehr leicht lächerlich machen, wenn ich nicht verständig verfahre. Setz' ich nämlich die Pelzischen Sitzungen her, so bring' ich das aus ihnen ausgehobne Leben zum zweiten Male und fange mitten im Buche wieder beim Anfange des Lebens an. Merz' ich die Sitzungen aus, so fehlt gerade der Teil des Fibelischen Lebens, der in die Vorlesungen hineinfällt, und es wird das ganze Werk ein Wrack.
Um also die papiernen Patronen dieses Kapitels, die aus Flintenläufen zurückgeblieben, zu Land- und Schiff-Patronen für mein Buch zu machen, ist es notwendig, daß ich zwar in Sitzungen über Fibels jetziges Leben eine Weinlese, aber in Sitzungen über dessen früheres nur eine Ährenlese halte, und so werden, hoff' ich, alle so befriedigt, daß man weder pfeift noch keift.
In der zweiten Sitzung mußte die Lebensbeschreibung mit Fibels Theogonie oder dessen Ahnen-Vortrab angefangen werden; aber Pelz klagte sehr darin, daß man zwar in Lebensbeschreibungen glücklich einen Sprung bis zu dem Urahnen Adam, aber den Rückweg nicht herab durch die spätern Vorahnen eines Helden machen könne, was doch so verdrüßlich sei. Schon der gewöhnlichste Biograph schickt seinem Helden ein Leben dessen Vaters, dessen Großvaters, Urgroßvaters abgekürzt voraus; aber viel weiter rückwärts hinauf ringt der höhere Lebensbeschreiber, dessen Ziel wäre, womöglich gleich nach der Sündflut anzufangen und Noahs Kasten zum treibenden Lohkasten des Stammbaums seines Helden oder zum Mumienkasten von dessen Vorfahren zu machen. Könnt' ers, der Mann, es gäbe gewiß ein Werk von mehreren Bänden. – Aber unendlich besser stehen sich Lebensbeschreiber, wenn sie herabwärts gehen von dem Helden zu dessen Enkeln; hier ist das Notizen-Flöz unerschöpflich, und die Gesippschaft ist ein Wurmstock von frischen Biographien, den man nur auszubrüten braucht. Mich wundert daher, daß Biographen eines berühmten Mannes ihn nur bis zu seinem Tode verfolgen, und selten durch Enkel und Urenkel hindurch. Eigentlich nimmt ja keine Biographie ein Ende, denn die darin aufgeführten Kinder des Helden zeugen neue, und so fort, und alles ist dem Helden verwandt. Leider kann nur der Lebensbeschreiber nicht die durch ganze Jahrhunderte fortfließende biographische Nachkommenschaft erleben, sondern legt die Feder schon beim Enkel nieder. Desto unerwarteter wars mir und uns allen, daß Richardson und andere englische Romanschreiber dem Leben ihrer romantischen Personen hinten nur dürftige Nachrichten von deren am Ende des Romans gebornen Kindern u. s. w. anheften und uns mit einem kurzen Robespierres-Schweif abspeisen, da es bei ihnen als Dichtern so sehr in ihrer Macht stand, dem gedichteten Leben wie einem Wechsel voll Indossi ein Allonge nach dem andern anzukleben und romantische Prozessionsraupen von Urenkeln so ausgedehnt nachziehen zu lassen, daß die ganze Wesen-Kette nicht eher abreißen konnte als mit dem Lebens-Faden des Dichters selber. Von dem an sich unbedeutenden englischen Dichter Dyer erzählt JohnsonLives of the English Poets, Dyer. – so sehr vergißt der Brite seine kleinen Dichter später als der Deutsche seine großen –, daß er sich gerühmt, eine Frau geheiratet zu haben, deren Großmutter eine wirkliche Shakespeare von einem Bruder Shakespeares war. Dyer lieferte dadurch wenigstens einen guten Beitrag zu Shakespeares Nach-Lebens-Beschreibung bis zu seiner Zeit.
Nun komme die Welt wieder auf Fibeln und Pelzen und die zweite Sitzung. Letzterer tat viel, nämlich das Seinige, und suchte trotz den notdürftigsten Nachrichten Fibeln so weit herzuleiten, als wäre dieser eine Makulatur, welche eine lange Ahnenreihe von Lumpen, weißer Wäsche, Garn, Flachs- und Leindotter aufweist. Die von Pelz aufgeführten Ahnen Fibels stehen auch im 1. B. Mos. K. 10. V. 26 bis 29: »Und Jaketan zeugte Almodad, Saleph, Hazarmaveth, Jarah, V. 27. Hadoram, Usal, Dikela, V. 28. Obal, Abimael, Seba, V. 29. Ophir, Hevilah und Jobab. Das sind alle Kinder von Jaketan.« Die fiblischen heißen zwar anders als die biblischen, aber der Leser denkt sich in der Tat bei den einen so viel als bei den andern, da die Stammbäume eine Differential- und Integral-Rechnung sind, welche nach Euler und SchulzDessen Sehr leichte und kurze Entwicklung der wichtigsten mathematischen Theorien. 1803. eine Rechnung nicht mit Größen, sondern mit Nullen ist; wie man denn diese Nullen am Stammbaum in Kupfer gestochen hängen sieht.
Fibels Enkel und Urenkel berührte Pelz nicht sehr, erstlich weil diese Stuben-Nachzügler eines genialen Feld-Herren darum unbedeutender sind als der Ahnen-Vortrab, insofern öfter ein Köpfchen einen Kopf erzeugt, ein Prosaiker einen Dichter (wie die ungeflügelte Blattlaus eine geflügelte), ein figürlicher Neptunist einen Vulkanisten als umgekehrt ein Kopf seinesgleichen.Nur adeliges ritterliches Blut zeugt wieder dasselbe; daher nach denselben Grundsätzen nach den Eskimos sogar ein Schiffskapitän wieder einen zeugt, und sie führen einem solchen ihre Weiber zu, um Kapitäne zu bekommen. Zweitens ging er auch darum leicht über Fibels Enkel etc. etc. weil dieser nicht einmal Kinder hatte.
Große Lebensbeschreiber – sah Pelz – wetteifern gemeiniglich in Versuchen, selten aus der Kindheit oder Zwiebelwurzel des Helden die ganze künftige Tulpe vorzuschälen, aus der kindlichen Typologie den Messias, so daß die nachherigen männlichen Krönungskleider nichts sind als die vorherigen kindischen Windeln, und daß die Kartenhäuser desselben schon die Modellzimmer seiner künftigen Lehrgebäude, Krönungssäle und babylonischen Türme u. s. f. vorstellen. Es zeigt Studium der großen Biographien, daß Pelzen kein Zug aus Fibels Kindheit elend genug vorkam, mit welchem er nicht dessen jetzige Größe zu beschreiben hoffte. Aus der Laus, welche, wie wir alle gelesen, der Rektor magnifikus ihm zu mikroskopischen Belustigungen vom Kopfe abgehobene zog Pelz viel und legte sie gleichsam, so wie jener Floh ein Kunstwägelchen zog, als Vorspann Fibels Siegswagen vor. Pelz hatte nämlich recht, da er dartat, daß die Hand eines Prorektors voll akademischen Inskriptionen, welche eine Laus von einem jugendlichen Kopfe hebt, zugleich einen Floh ins Ohr setzt; mit bessern Worten: kann ein junger Mensch gleichgültig dabei bleiben, wenn der Finger eines berühmten Mannes ihn berührt und wie ein Zitteraal elektrisch durchschlägt? – – Ich für meine Person versichere aufrichtig, daß es, wenn ich in jüngern Tagen das Glück gehabt hätte, mit Goethe im Billardzimmer zu sein und zufällig bei dem Weggehen seinen runden Hut für meinen anzusehen und mitzunehmen, ich versichere, daß es für meinen Kopf, hätt' ich den Hut nur einige Tage auf ihm herumgetragen (im Hutfutter müßt' ich seinen Namen erfahren haben), daß es von Folgen gewesen und ich etwas geworden wäre.
Fast das halbe Abc-Buch nun wußte Pelz aus den Knospen der Kinderjahre herauszuziehen.
Es ist bekannt, daß ich im Judas-Kapitel die ungleichartige Zusammenstellung des 18ten Gesangs:
Die Sau im Koth sich wälzet sehr, Das Scepter bringet Ruhm und Ehr. |
auf eine leichte Weise aus einer fürstlichen Saujagd-Partie zu erklären suchte, welche eben durch das Dorf ritt, als Fibel episch beim S saß und sang; worin auch dessen Preiserteilung an die Sau statt an das Schwein für mich spricht. Aber mein gelehrter Amtsbruder Pelz will hier anderer Meinung sein und glaubt (in der 10ten Sitzung) den ersten Keim des achtzehnten Gesangs (nach seinem Entwicklungssystem) auf dem Wirtshaus-Tische zu finden, allwo der kleine Fibel unter dem Spielen der deutschen Karten so oft gesehen habe, daß die Sau regelmäßig den König steche oder besiege; wobei Pelz noch die Frage tut (ich muß sie halb für Spaß halten), ob nicht Fibel damit einige französische, von ihren Mätressen besiegte Könige, z. B. den damaligen Louis XIV, von weitem ansteche, besonders da der Szepter (im Bilde) sich gegen das Tier wie gegen eine Esther neige, ja da es bei dem S das Hauptbild vorstelle. »Hätt' er nicht ebensogut einen Schach- oder S-chützen- oder S-chlangenkönig zum S auswählen können und einen S-auspieß statt S-zepters zum Seitenstück?« fragt Pelz und will die Nachwelt entscheiden lassen. Zu dieser gehör' ich zwar und kann als solche entscheiden; aber ich überlasse wieder meiner noch späteren Nachwelt die Entscheidung.
Mein verehrter Mit-Plutarch Pelz hatte noch andere Sitzungen über die Jugend-Geschichte, aus welcher er, um den jetzigen großen Mann schon im Kinde zu zeigen, alle Züge eines Einfalts-Pinsels aufzutreiben suchte, welche (als Vorläufer eines raffaelischen Götter-Pinsels) ihn in die Reihe der großen Männer stellen konnten, die mit ähnlichen Zügen debütierten. Es ist derselbe Gedanke, auf welchen nachher Jean Jaques im Emil verfallen, daß sich das Genie in der Kindheit oft durch Stupidität ansage, so wie (füg' ich und die Erfahrung bei) die vorzeitigen Geistes-Reifen den Bäumen gleichen, welche, je weniger Früchte, desto mehr Blüten tragen. Daher brachte Pelz bei, daß Fibel noch im 14ten Jahre immer einige Bedenkzeit haben mußte, wenn er die rechte Seite von der linken gut unterscheiden sollte (im Spiegel konnt' ers nicht einmal) – daß er mehrmals auf die Zähne eines Heurechens aufgefußt, mit dessen Stiel er sich dadurch an die Stirne geschlagen – und daß er lange fortgeglaubt, zwei angezündete Lichter zugleich müßten langsamer verbrennen als eines allein, da jedes dem andern beim Leuchten helfe. Ja stellte der Lebensbeschreiber nicht die Mutter als Zeugen auf bei der Tatsache, daß der Selige einmal im Regen mit einem neuesten Hute neben einem Spießgesellen gegangen, der einen der verschossensten auf hatte, und daß er ihn gebeten, den verschossenen ihm (er wollte seinen neuen schonen) zum Aufsetzen zu leihen und dafür den feinen zu tragen? – Aus solchen erwiesenen Beispielen, wo Fibel den Kopf verloren, bat Pelz jeden, selber zu schließen, welch' ein großer er sei.
Meng' ich meine Meinung herein, so bin ich sehr der seinigen. Die Sache ist in der Gelehrtengeschichte noch stärker erwiesen und die Einfalt in ein höheres Alter hinaufgeführt. Es ist noch wenig, daß man den scharfspaltenden Thomas von Aquino bloß in seiner Kindheit Ochs genannt, wie den Brutus etwas später brutus; war nicht in viel spätern Jahren Leibniz so unvermögend, in Leipzig, als Swift in Oxford, Magister zu werden? Und wie viele Jahre lange hatte wohl der Mathematiker Schmidt keinen Ansatz zu allen Wissenschaften, sogar zu seinen, den mathematischen? Gerade bis in sein vierzigstes; – überhaupt ein besonderes Jahr, gleichsam die vierzigtägige Genie-Fasten (Quadragesimä), nach welchem erst auch RousseauConfessions. , CromwellHume. , MuhammedGibbon. aufflogen und sich ganz zeigten.
Aber die Gelehrten sollten berechnen, daß in diesem Satze noch weit mehr steckt. Liegt es uns dadurch denn nicht ganz nahe, daß es vielleicht hienieden Genies geben könne, welche bis ins 80te Jahr (die doppelte Quadragesimä) und also bis in den Tod so einfältig und vernagelt bleiben als andere bis ins 40te, so daß sie erst in spätern Jahren, also nach dem Tode ihre Blütenknöpfe wie die Aloe nach ihrem dreißigjährigen Wetterkriege aufsprengen und prangend auseinanderfahren und so der Welt – aber der zweiten – zeigen, was an ihnen ist?
Ich will dem Satze nicht länger nachsinnen, weil ich ihn sonst immer weiter treibe. Denn da nach der bewährten Umkehrung der vorigen Erfahrung folglich vorzeitig-kluge Kinder im Alter wenig werden, und da unser achtzigjähriges Erden-Sein nur eine bloße düstere Kinderstube zum Ewigkeits-Sonnentempel ist. So steht mir leider niemand dafür, daß nicht irdische Genies dieser Welt, wie Herder und Goethe, als vorzeitig-kluge für die zweite (gleichsam Barattiers des Himmels) vielleicht in der zweiten, dritten, vierten Welt, wo gerade der aufgeblühte Jüngling sich zeigen soll, die auf der Erde gegebenen Hoffnungen nur schlecht erfüllen, indes dagegen ihnen dort viele ihrer hiesigen Rezensenten desto weiter vorspringen, je weniger diese zu ihrem Glücke hier etwas von dem gezeigt, was man Verstand nennt. Sogar ich Unbedeutender bin nicht sicher, daß ich nicht im Himmel auf den Sand gesetzt werde und vor den Seligen das Schaf mache. –
Fibel nahm alle diese fast befremdenden Gesichts- und Feld-Züge Pelzens ganz gut auf, da keiner davon auf sein Abc-Wesen losging. Nur die Wildmeisterin, welche einige Sitzungen mißtrauisch belauscht hatte, wollte gar Mäuse merken und mutmaßen, Pelz habe ihren Mann zum Narren und wolle von ihm profitieren. Aber die Schwiegermutter dachte weiter und gab ihr durch ihre gelehrten Anverwandten in Dresden Licht, deren Verstand man auch, sagte sie, selten habe verstehen können.
Die Leser wissen schon seit mehrern Bogen, daß der Magister Pelz alle Pflichten guter Lebensbeschreiber in den Sessionen erfüllt und des Helden Vergangenheit ausführlich abgehandelt – denn woher sollt' ich die vorigen Kapitel sonst darüber nehmen, falls ich sie nicht geradezu erfabeln wollte? – Und jedes Mitglied hatte Pelzen biographische Subsidien und dons-gratuits nach eigner Weise geliefert, z. B. Pompier viel von der Heirat und von des alten Siegwarts Cour bei dem Markgrafen – Fuhrmann hingegen mehr solide Artikel, z. B. Siegwarts Tod – Pelz sich selber manches mehr Komische.
– Ich habe nur schlechte Freude am vorigen Absatze; denn ich sehe ja, daß ich immer mehr den Lebensbeschreiber der Lebensbeschreiber mache und ganz unvermerkt durch die Sitzungen mich in die schon erzählten Kapitel zurückwerfe. Es muß aber doch fortgefahren werden.
Andere versprochne lebensbeschreiberische Artikel tat Pelz kürzer ab; nämlich bei dem Artikel »Latinität, Gräzität, Hebräizität, Arabizität des seligen Mannes« führte er dessen Kenntnis und Schreibung der lateinischen, griechischen, hebräischen Alphabete und die ähnlichen Vaterunser an, wie ich aber ja auch beim Henker in weit frühern Kapiteln erzählt.
Der versprochne Artikel: »Fürstliche Gnadenbezeugungen gegen den Helden« ist leider auch schon da gewesen.
Der versprochne Artikel: »Hauptwerk, welches der Gelehrte geschrieben.« Natürlicherweise meint Pelz das Abcbuch; aber, lieber Gott, ist denn dies etwas den armen Lesern noch Unbekanntes?
Der versprochne Artikel: »Andere Werke, welche des Seligen Namen tragen«, bekanntlich die anonymen, auf deren Titelblatt Fibel elendiglich seinen Namen einschwärzte, und welche Pelz, sämtlich in Folio, in Quarto, in Sedezimo in den Sitzungs-Saal einschleppen ließ, um den dummdreisten Pompier und den dummscheuen Fuhrmann, welche freilich aus Unkenntnis namhafter Autoren namenlose schlecht kannten, durch das Titelblatt, das sie lesen konnten, auf die Gedanken zu bringen, daß Fibel sie gemacht. – – Aber ihr Heiligen alle, und selber euch Leser ruf' ich zu Zeugen an, ob ich nicht dies alles schon längst gemeldet, sowohl in der Vorrede vieles davon, als im 21. Judas-Kapitel den Rest! – Und doch soll ich Unschuldiger noch immer zurückschreiben? Aber Gott wird neue Kapitel senden.