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Eröffnung der Sitzungen
Den Weibern im Hause leuchtete noch wenig von der Sache ein, als schon am nächsten Sonntage sich sämtlicher lebensbeschreibender Gelehrten-Verein (die biographische Akademie) samt Fibel in die Fibelei zur ersten Sitzung begab. – Bevor wir aber einen Schritt dem Vereine nachtun, muß ich vorausbemerken, daß ich freilich Pelzens akademische Vorlesungen in einem ganz andern, nur damals noch neuen Deutsch vor mir liegen habe, als ich sie hier lesen lasse; aber da mir die Welt zu erwarten schien, daß ich an die Stelle des altfränkischen Stils einen glänzenden klassischen setzte und die steife Chrysaliden-Puppe voriger Sprache zur jetzigen leichten Sommervogels-Gestalt ausbrütete, damit das Ganze mehr Glanz hätte: so wendete ich ihm diesen Glanz zu.
– Sollt' es im folgenden der späten Nachwelt mißfallen, daß man diese selber Fibeln so sehr ins Gesicht weissagt und er schon bei Lebzeiten so viel Lob auszuhalten hat: so frag' ich diese späte Nachwelt, ob nicht noch größere Leute sich dasselbe lebendige Einmauern in ihre Ruhmtempel oder das lebendige Begraben unter ihre Rauchopferaltäre mußten gefallen lassen. Himmel! wieviel Lob müssen nicht die guten Fürsten tragen, sogar die schwächsten! Dennoch ertrugen sie's wacker und wurden nicht ungehalten, daß ganze Korporationen sie so stark ins Gesicht lobten als die orientalischen Fürsten sich selber und sie als Gargantuas auf Thron-Chimborassos aufstellten und an einem Karl dem Kahlen den Haarwuchs und an einem Johann ohne Land die europäischen Besitzungen vorhoben.
Allerdings ist Übertreibung des Lobs da recht gut und angemessen, wo der Fürst bloß schwaches verdient. Die Griechen gaben für den olympischen Kämpfer erst dann zu einer ikonischen Statue, die ihn nach seiner wahren Wirklichkeit darstellte, Erlaubnis, wenn er drei Siege davongetragen; hingegen nach einem Siege durft' er nur größer und edler, als er war, abgebildet werden. Aber es beweiset eben das schöne griechische Gemüt der Hofleute wie der Zeitungsschreiber, daß sie von einem kleinen Helden-Fürsten, der kaum einmal gesiegt, stets bloß hohe, über die Wahrheit hinaus veredelte Darstellungen geben, und der Fürst selber, wenn er Griechisch genug denkt, willigt in bloße Verschönerung ein; aber ein Helden-Fürst, der dreimal und öfter gesiegt – es sei im Felde, Kabinette oder sonst –, darf wohl auf eine bloße treue (ikonische) Abbildung seiner Anspruch machen und kann zu seinen übertreibenden Hof- und Zeitungs-Sprechern recht gut im Jähzorn sagen: »Wie? ihr schmeichelt mir ja, als hätt' ich noch nichts getan? Geht, Bestien! Ihr leckt, aber nicht Lazarus-Wunden heil, sondern geifernd Wunden der Wasserscheu an.« – Indes gibts noch immer sanftere gekrönte Heroen, welche, anstatt ihre Ansprüche auf eine ikonische Darstellung geltend zu machen, sich mit kolossalen, über ihre geistige Lebensgröße hinausgehenden begnügen, vertrauend auf die gerechtere Nachwelt, welche die Karten und Masken abzieht. Wie sollte nun unser Fibel, der bei weitem nicht so groß ist als ein Heros, viel daraus machen, daß zu viel aus ihm gemacht wird?
Sonntags nach dem Mittags-Essen verfügte sich nämlich die ganze Akademie in die Fibelei. Der Magister stellte sich vor den Letternkasten (es sollte den Katheder vertreten), die beiden Akademisten Fuhrmann und Pompier saßen ihm gegenüber; das wohlselige Mitglied Fibel setzte sich aus Schicklichkeit so, daß es ihnen den Rücken wies; teils sollte der Rücken in etwas Verstorbnes hineinspielen, teils konnte auf dem gegen die Wand gekehrten Gesichte sich besser die Bescheidenheit erhalten unter so außerordentlichem Lobe bei Lebzeiten.
Verehrlicher Gelehrten-Verein!
Der Zweck unserer Gesellschaft ist, das Leben unsers seligen Präsidenten und Mitgliedes allmählich zusammenzutragen, um es dann der Welt gedruckt zu schenken. Keine Anekdote aus seinem wöchentlichen Leben soll uns zu schlecht sein, daß wir mit ihr nicht dessen sonntägliche Beschreibung aufstutzten.
Eh' wir aber zum Leben selber schreiten, wird es gut sein, den Seligen vorher flüchtig im allgemeinen zu loben, weil wir sonst Toren wären, wenn wir ein Leben lieferten, woran nichts wäre. Seine jetzige Seligkeit allein gäbe ungeachtet des Sprichworts de mortuis nil nisi bene (von Toten sage nur Gutes) noch keinen Grund zum Lobe ab. Die ganze Geschichte ist ja eine Gegenfüßlerin dieses hohlen Sprichworts und spricht als Teufels-Advokatin gerade nach Jahrhunderten die gelobtesten Fürsten, Helden und Gelehrten zu Unheiligen statt zu Heiligen. Wie lange muß denn einer verstorben sein, damit man anfangen könne, ihn, statt zu loben, so zu tadeln, wie Geschichtsschreiber an so vielen Tausenden tun? Denn der Vorwand, solche strafende Totengerichte darum zu verwerfen, weil die Toten sich nicht mehr verteidigen können, gälte ja noch stärker für ältere als neuere. Nur in folgendem Sinne kann das Sprichwort gelten: »Du, Vertrauter und Zeuge eines Verstorbnen, sage ihm nichts Böses nach, was du allein weißt; denn du bist nur ein Zeuge, dem noch dazu das fremde Eingeständnis fehlt.«
Aber wir haben bessere Gründe als den Tod, aus unserem Seligen viel zu machen. Das Knausern mit Lob kommt überhaupt Männern lächerlich vor, welche längst gelesen, daß Lobreden sogar auf die gemeinsten Sachen, auf den Rettich (von Marcianus) – auf das Podagra (von Pirchheimerus) – auf den Kot (von Majoragius) – auf den Hintern (von Coelius Calcagninus) – auf Hölle und Teufel (jenes von Mussa, dieses von Bruno) geschrieben worden. Sogar mündlich hat man es von jeher mit Loben weit getrieben und, wie schriftlich Major die Lüge oder Dornavius den Neid, so mündlich beides an Hofleuten gepriesen und, wenn nicht wie Archippus den Esels-Schatten, doch den Mächtigen, unter dessen Schatten sie standen.
Aber wozu dies? Wir haben hier einen ganz andern Mann vor uns, welcher uns (nicht wir ihm) Ruhm macht, das bekannte Mitglied unserer Akademie; und es wäre bloß dessen eigne Schuld, wenn er nicht einer der größten Männer wäre; aber dafür hat er gesorgt:
Er hat das Abcbuch gemacht.
Wer schon bloß bedenkt, was Buchstaben sind und wie sie einen Kadmus durch ihre Erfindung unsterblich gemacht – und Fibel hat sie bekanntlich forterhalten und gelehrt, Erhaltung aber ist zweite Schöpfung, conservatio altera creatio –; wer nur gelesen, daß unbedeutende Menschen schon dadurch auf die Nachwelt gekommen, daß sie den vorhandnen Buchstaben noch einige hinzuerfanden, z. B. Evander, der den Römern aus dem GriechischenIsidor. l. I. Etym. c. 4. die Buchstaben h r q x y z zuführte, indes unser Fibel auch die übrigen 18 darbringt – wer nur obenhin erwägt, daß über diese Vierundzwanziger kein Gelehrter und keine Sprache hinauszugehen vermag, sondern daß sie die wahre Wissenschaftslehre jeder Wissenschaftslehre sind und die eigentliche, so lange gesuchte und endlich gefundne allgemeine Sprache, aus welcher nicht nur alle wirkliche Sprachen zu verstehen sind, sondern auch noch tausend ganz unbekannte, indem 24 BuchstabenNach D'Alembert. können 1 391 724 288 887 252 999 425 128 493 402 200 mal versetzt werden – und wer sich aus diesem allem sehr leicht erklärt, warum diese vierundzwanziger UnionAnspielung auf die künftige zwanziger Union von Bahrdt. von jeher in solchem Werte gestanden, daß (zufolge dem Talmud) Gott noch Freitag abends kurz vor dem ersten Schabbes sie so wie der bileamschen Eselin Mund, mit welchem sie daher als Koätaneen (Gleichzeitige) immer in besonderer Freundschaft geblieben, nachgeschaffen – wer gar berechnet, daß sogar der Kaufmann, das arithmetische Tier, dem die Zahlen noch mehr gelten als einem Pythagoras, gleichwohl ihnen nicht so viel kreditiert als den Buchstaben, sondern hinter jede Zahlensumme die buchstäbliche Summe als Assekuranz nachfügt – ein Mann, sag' ich, der nun dies alles überschlüge und addierte, würde schwerlich sich der Frage enthalten: wer ist wohl größer als Fibel?
Und doch kann ich dem darüber außer sich seienden Manne antworten: Fibel selber ist größer. Denn dem Höchsten hat er noch ein oder ein paar Giebel aufzusetzen gewußt, und der Mann ist in demselben Abcbuch ein paar hundert Sachen auf einmal; oder wodurch sonst hätte der Selige sich so viele Ehrensäulen aus Sachsen, Franken, Vogtland abgeholt, als daß er nicht bloß Prosaist ist, sondern Dichter, nicht bloß Dichter, sondern Formschneider und Kolorist und Naturforscher und das übrige?
Der Selige hat, wie große epische Dichter, den poetischen Teil seiner Arbeit in 24 Gesänge oder 24 Reime abgeteilt, wie er es denn schon wegen der Zahl der Buchstaben nicht anders machen konnte.Siehe Anhang. Aber vom Epiker Tryphiodorus, welcher eine Odyssee zwar auch in 24 Büchern machte und jedes Buch nach einem der 24 Buchstaben nannte, aber gerade diesen Nenn-Buchstaben darin aus literarischer Seiltänzerei nie gebraucht, z. B. im ersten kein A, im zweiten kein B, – von diesem unterscheidet sich unser Epiker Fibel so sehr zu seinem Vorteil, daß er gerade in jedem Gesang den Buchstaben, wornach er ihn nannte, z. B. im ersten A: Der Affe gar possierlich ist etc. etc., zweimal nicht nur anbrachte, sondern Gott weiß wie oft. Himmel! wie wäre hier ein feiner Humanist (er müßte Kenner sein) ein Mann für uns, der kritisch scharf die verschiedenen Dichtungsarten absonderte und aushöbe, unter welchen unser Dichter hinüber- und herüberlaufend abwechselt; denn bald dichtet er komisch in X: Xantippe war eine arge Hur', Die X mal X macht hundert nur (der zweite Reim ist ein guter Stich gegen das päpstliche Recht, das in seiner Definition einer H. weit über Hundert hinausgeht) – bald streift er in M ins Didaktische über, z. B.: Zum Beten ist der Münch verpflicht, Mit Messern stich bei Leibe nicht – bald in T ins Elegische: Vorm Trachen uns bewahre Gott, Die Trage uns aus aller Noth – bald in Y ins Lyrische, z. B.: Des Ygels Haut voll Stachel ist, Nach Yüdenkirschen mich gelüst. – Die meisten Gesänge sind jedoch bloß episch. Nirgends besser aber als hier lernt man begreifen, wie die Alten im dickbändigen Homer die Enzyklopädie aller Wissenschaften finden konnten, wenn man in einem so schmalen Werkchen nicht weniger antrifft, indem darin bald Geographie vorkommt, z. B. polnische (Wie grausam ist der wilde Bär, Wenn er vom Honigbaum kommt her) oder arabische (Camele tragen schwere Last) oder italienische in M (Mit Messern stich bei Leibe nicht) – bald Kriegskunst in D (Soldaten macht der Degen kund) – bald Mystizismus in L (Geduldig ist das Lämmelein, Das Licht gibt einen hellen Schein) – bald Teleologie in O (Das Ohr zu hören ist gemacht).
Möchte ich doch mit dem wenigen, was ich aus der Fibelischen Enzyklopädie als dem poetischen Teile des Werks ausgehoben, den Humanisten Beispiel sein, wie überhaupt alle Klassiker, besonders die alten, so behandelt werden können, daß man in ihnen das findet, was man sucht, nämlich alles. Ein guter Humanist sollte wahrlich imstande sein zu sagen: »Gebt mir irgendeine alte elende matte klassische Scharteke her, ganz naht- und mehllos und nur voll von Wurmmehl, ich will euch zeigen, was darin steckt, wenn nicht ein Vor-Homer, doch ein Nach-Homer, oder ich will nicht Professor der Alten heißen.«
Noch berühr' ich flüchtig das letzte Verdienst unsers Seligen, die Zeichnung und Farbengebung der Abcbilder. Gleich Raffaels Stanzen und Madonnen (ich kann mirs denken) gefallen vielleicht anfangs Fibels Bilder schwach; ja wie bei jenen, so ist es vielleicht bei diesen bloß das Zeichen einer affektierten Kunsthöhe, wenn ein Mann, um für einen Kenner zu gelten, sich schon von deren erstem Anblicke entzückt anstellt. Ein anderes aber ist, wenn er diese Kunstwerke studiert und sie alsdann würdigt und genießt, was mein Fall ist.
Alles, was ich bisher vorgebracht, bitt' ich den lebensbeschreibenden Gelehrten-Verein nur für eine matte Abschattung des großen Deckenstücks von Kopf- und Bruststück zu nehmen, das der Selige oben an das Pantheon seines Ruhm-Tempels, gleichsam aus den Abcbildern musivisch zusammengesetzt, geworfen hat. Freilich sind meine heutigen Worte nur ein paar ausgerupfte Schwanzfedern als Kopfputz, welche nur wenig die ganze Größe des Vogel Strauß aussprechen. Nur von den Beiträgen des ganzen lebensbeschreibenden Gelehrten-Vereins unterstützt, kann ich in den nächsten Sitzungen an die Lebensbeschreibung gehen, soll sie anders mehr als gewöhnliches Interesse erregen.
In den nächsten Sitzungen ist es nun von der höchsten Wichtigkeit so wie Wirkung für uns, in die Fußstapfen der größten Biographen zu treten und alle Fragen genau zu beantworten, welche die Welt an die eines Fibels tut –
über des Helden Geburt und Eltern
über dessen Briefwechsel –
über dessen Latinität, Gräzität, Hebräizität –
über dessen Lieblings-Menschen und Lieblings-Essen –
über dessen Schriften und Verbesserungen derselben –
über andere Schriften, die ihn bloß zitieren –
über andere Gelehrte, die er gekannt, wovon Scioppius eine vollständige Liste der seinigen in einer Handschrift in der königlichen Bibliothek zu Neapel hinterlassen –
über seine gelehrten Streitigkeiten, Ehrenbezeugungen, Lächerlichkeiten und übriges –
über seinen Todestag, der gar noch nicht auszumachen ist.
– – Auf diese Weise würde vielleicht der Selige mit Wohlgefallen aus dem Schoße Abrahams herunter auf unsere biographische Fibelei sehen und droben für uns wirken.
Darauf hob sich die Sitzung einmütig auf, und der selige Fibel kehrte sich um und kehrte, wie Herkules aus dem Orkus, so nach Hause, daß er hienieden abends aß.