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Erfindung und Erschaffung des sächsischen Abc's
Leidenschaftlicher sah wohl niemand aus als ich in der ersten Stunde, wo ich das 13te Kapitel aus dem Juden-Buche ausgerissen fand, man müßte denn mich selber in der zweiten ausnehmen, wo ich die Sache dennoch bekam, als eine spielende Knapp- oder Knabschaft (es war nicht meine biographische) das Kapitel an mein Fenster steigen ließ, als Papierdrachen. Ein artiger Schicksals-Wink! Er will damit wohl sagen: so heben wir Autoren auf Papier uns sämtlich hoch genug (höher vielleicht, als unsere Bescheidenheit anerkennen will); Wind (er bedeutet das Publikum) trägt auf- und fortwärts; an der Schnur hält den Drachen ein Knabe (er soll den Kunstrichter vorstellen), welcher durch sein Leitseil dem Flugtiere die ästhetische Höhe vorschreibt.
Bei solchen Erfindungen wie die eines ganz neuen Abcbuchs für ganze Länder, die es lesen, sind auch Kleinigkeiten, welche um deren Geburt umher waren gleichsam als Mütter und Wehmütter, in hohem Grade wichtig. Das Schicksal wollte nämlich haben, daß Fibel eines Abends vor der zerbrochenen Fensterscheibe des Schulmeisters vorbeiging, und daß darein statt des Glases der sogenannte Abc-Hahn eingeklebt war, dessen Tierstück die ältern Abcbücher mit einem Prügel in der Kralle abschließt. Aber dieser Scheiben-Hahn wird noch viel wichtiger durch einen Traum, womit er Fibels ersten Schlummer schwängerte, und welcher nachher so gewaltig alle Schulbänke und Abcschützen erschütterte.
Alle Vögel seines Vaters – träumte er – flatterten und stießen gegeneinander, pfropften sich ineinander und wuchsen endlich zu einem Hahne ein. Der Hahn fuhr mit dem Kopfe zwischen Fibels Schenkel, und dieser mußte auf dessen Halse davonreiten, mit dem Gesichte gegen den Schwanz gekehrt. Hinter ihm krähete das Tier unaufhörlich zurück, als würd' es von einem Petrus geritten – und er hatte lange Mühe, das Hahnen-Deutsch in Menschen-Deutsch zu übersetzen, bis er endlich herausbrachte, es klinge ha, ha. Es sollte damit weniger – sah er schon im Schlafe ein – der Name des Hahns ausgesprochen (das n fehlte), noch weniger ein Lachen oder gar jener Verwunderungs-Ausbruch vor den damals noch unerfundnen Park-Graben angedeutet werden, sondern als bloßes ha des Alphabets, welches h freilich der Hahn ebensogut he betiteln konnte, wie b be, oder hu, wie q ku, oder hau, wie v vau, oder ih, wie x ix. Fibel hörte hinter sich über funfzehn Schulbänke das Abc aufsagen, aber jedesmal das h überhüpfen; endlich fuhr der Reithahn unter sie, und sie riefen einhellig: ha, ha etc. etc., ohne zu lachen. Und Helf konnte jetzt sehen, daß jede Bank ein Abcbuch voll eingeschnitzter Bilder war – z. B. bei A einen Hintern, bei B eine Birkenrute für jenen –, aber nur um H war nichts gemalt, bis der Hahn leibhaftig den Buchstaben vorstellte so wie Hennen die en.
Da rief Helfen eine Stimme mehr aus dem Himmel als aus der Hahn-Gurgel zu: »Sitze ab, Student, und ziehe aus eine Schwanzfeder dem Hahn und setze damit auf das Buch der Bücher, voll aller matres et patres lectionis, das Werk, das der größte Geist studieren muß, schon eh' er nur fünf Jahr alt wird, kurz das tüchtigste Werk mit dem längsten Titel, das so viele Menschen aus Kürze bloß das Abc-Buch nennen, da sie es das Abecedeeefgehaikaelemenopequeresesthetheuvauweixypsilonzet-Buch nennen könnten; schreibe dergleichen, mein Fibel, und die Welt liest.«
Darüber wurd' er – was wohl jeder angehende Schriftsteller würde – wach und setzte sich im Bette auf; der Traum war heiß in seine Brust gefahren und bestellte darin ein ganzes neues Leben voraus. Helf konnte gar nicht genug mit sich sprechen aus der Sache. Er müsse gar erstaunen – so übersetz' ich ungefähr sein Selbstgespräch –, daß er, der bisher so viel in ausländischen Alphabeten gearbeitet, noch nicht das geringste in seinem eignen Alphabet für Abc's getan, ordentlich als hab' ihn die Sucht, den glänzenden Vielwisser zu spielen, verblendet. – Er habe Gewalt und Zeit genug gehabt, das alte Abc durch ein neues aus dem Weg zu räumen, bloß schon dadurch, daß er neben jeden schwarzen Buchstaben einen roten gemalet hätte, ein rouge et noir-Spiel, bei welchem jeder alte Abcdarius nur verlieren könne. – Könn' ers nicht viel weiter treiben und jeden Buchstaben mit einem kleinen Gedicht von zwei Reimen versehen und ihn so in die Gehirnrinde einschneiden? – Und könn' er nicht sogar mit ganzen Tieren und Werkzeugen einen und denselben Buchstaben benamen und anfangen, z. B. das E mit Esel und Elle oder F mit Frosch und Flegel? – Ja könn' er nicht (denn das entwerfende Feuer eines Autors wächst fürchterlich) sogar die Holzschnitte der Sachen eindrucken lassen über den Reimen? Himmel! wären sie nicht vollends zu illuminieren? –
Aber man sieht hier, wie ungeheuer in einem Autor alles aufwächst, und wie ein Würmchen, kaum federlang, noch ehe er vom Sessel aufsteht, sich zum LindwurmDieser besteht nach der Naturgeschichte aus vereinigten Würmer-Marschsäulen. ausstreckt und verdickt. Dem Muhammed diktierte die Taube in einer Minute 180 000 OffenbarungenSiehe Düvals Leben. ; aber diese Taube sitzt auf jeder Schulter, über welcher ein Kopf ein Buch entwirft, nur sagt sie mehr ins anstoßende Ohr.
Fibel sprang aus dem Bette, das Zudeckküssen über den Bett-Stollen hinausstoßend. Er erlebte die schönste Dämmerung, in welche ein Mensch schauen kann; denn in einem Buche, dessen Schöpfung man sich eben vorsetzt, steckt ein halbes Leben und Gott weiß wie viel Zukunft dazu; Verbesserungen, Erweiterungen regneten in seinen Kopf hinein, indem er leise auf und ab ging aus Mangel an Licht; denn es war den 6ten Dezember oder Maria-Empfängnis-Tag. Auch Verfasser dieses bekennt hier, er nähme selber mit einem Vorhimmel vorlieb, dessen Seligkeit darin bestände, daß er jeden Tag auf den Plan eines neuen Buchs verfiele, so wie mit einer verdammten Vorhölle, wo er zur Strafe bloß einzupacken vorbekäme, Bücher in Packpapier, Briefe in Umschläge, alles in Reisekästen.
Jetzt, da wir freilich das fertige Abc vor uns liegen habenSiehe Anhang. , denken wir es uns schon so fertig gelegen auch in Fibels Gehirn, daß er es aus diesem nur bei dem Kopfe herauszuziehen brauchte; aber könnte man nur in eines Autors Gehirn-Uterus nachsehen, welche Menge zurückgebliebener Glieder, ja ganze Halbzwillinge des Buchs würde man darin aufgespeichert finden!
Am Morgen schüttete er vor der Mutter seinen Nachtfang aus, aber unter dem Ausschütten schnalzte immer mehr nach. Er konnte es kaum erwarten, daß er anfing und die Feder nahm.
Schon die erste Blatt-Seite – sonst eben kein Spielplatz und Lustlager für den Autor, sondern ein Exerzier- und Kampfplatz, weil er nur mit den besten Ideen anfangen will, und folglich ein Richtplatz so vieler Gedanken, die er ausstreicht – schon die erste Seite war ein schönes Tuskulanum und Utopien für Helf; er schrieb das kleine Abc in schöner Kanzleischrift, ohne einen Buchstaben auszustreichen, geschweige ein Wort, lustig und ungestört herab. Zwischen alle schwarze Buchstaben steckte er rote auf, um allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen; daher die meisten Kinder Deutschlands sich noch der Freude entsinnen, mit welcher sie aus den schwarzen die rot gekochten wie gare Krebse herausfischten und genossen.
Ein Mann, der ohnehin schon längst mit Rot schrieb – denn Fibel triebs sogar zu Blau und Grün –, muß allerdings bei dem Rot-Auflegen auf das Antlitz seines Werks rot-froher dagestanden sein als die letzten römischen Kaiser, die sich allein mit roter Dinte zu schreiben vorbehielten, wiewohl sie damit fast nur Staatsschnitzer, wie jetzt die Schullehrer Donat-Verbrechen, zeichneten.
Menschen überhaupt, welche mit mehr als einer Dinte schreiben, sind heimlich-selige Käuze und finden bei jeder Einkehr in sich schon den Tisch gedeckt und lustige Gesellschaft; Fibel war von der Zahl der Käuze. Sobald er mit roter Dinte Drucksachen schrieb, so ging er fast in Reih und Glied mit den alten Rubrikatoren, welche sonst die Buchstaben rot anstrichen und überhaupt in alles Schwarze ihr Rot einschwärzten.
Den Genuß des reinen Alphabets oder der ersten Seite tischte er sich und andern oben über der Druckerlinie auf jeder spätern Seite immer wieder aufIch verweise auf das Werk selber, das als die erste literarische Amme wohl in keiner Bibliothek fehlen sollte, so wie auch Griechen und Orientaler stets ihre physischen Ammen in der Familie fortbehielten. Ich hab' es daher diesem Buche beigedruckt; und beziehe mich stets darauf. , ohne daß die Abc-Schützen-Gesellschaft besondern neuen Nutzen davon ziehen könnte; denn Buchstaben gabs ja im Werke ohnehin wie in jedem andern genug.
Aber er konnte eben solcher Buchstaben über der LinieSiehe Anhang. nicht satt werden, welche in der feinsten Ordnung in Reih und Glied, nämlich alphabetisch dastanden, noch nicht in einzelne Worte versprengt und verrückt; unter der Linie sah er nur die angewandte Buchstaben-Mathesis, oben aber die reine.
Himmel aber! zu welch einem Himmelsbürger hätte ein Erdenbürger geboren werden können – zu einem wenigstens, der in Ambrosia und in Nektar ersoffen wäre –, wenn der Himmel einen Fibel hätte wollen unter den Chinesern aufgrünen lassen, welche achtzigtausend Sprachzeichen besitzen und welchen mithin ein Abc-Buch von einigen Folianten zu geben wäre. O Himmel! So etwas – Nur aber wär' er unter solchem Honig erstickt, und wir hätten nichts. Von desto mehr Gewicht mußten ihm die wenigen Buchstaben sein, die wir besitzen, und 24 bleierne konnten ihm wohl ein so großes haben, als jene 23 goldene waren, jeder einen Zentner schwer, von welchen ich, Gott weiß in welchem Reisebeschreiber, einmal Meldung gefunden.
Es muß zu seinem Freudenhimmel noch eingerechnet werden, daß er nicht nur mit Fraktur und Kanzleischrift – die so nahe an Druckschrift grenzt –, sondern auch mit Dinte schrieb, welche Gutenberg anfangs (nach Schröckh) gebrauchte statt der Druckerschwärze. Helf sah sich schon halb gedruckt; sah er sich um, so war er ganz gedruckt, falls im Wandschränkchen etwas war.
Er ging nun – mit dem Gefolge seiner unzähligen Abcschützen hinter sich – ins Ab-Eb-Ib- hinein; eine Buchstabier-Methode, von welcher ihn durch das ganze Buch hindurch nichts abbrachte, auch keine neuere blendendste nach seinem Tode. Er tat auf dem Papier keinen Schritt, ohne von einer Silbe zur andern auf zwei übereinander liegenden Teilungs-Strichen (z. B. Stri=che)Siehe Anhang. wie auf einer Brücke überzugehen; aber auf diese Weise eben schließt er sich an das lange Narren- und Weisen-Seil der Erfinder an, nämlich als der Erfinder der – Gedanken striche, welche im jetzigen Surrogaten-Jahrzehend so bewährteste Gedanken-Surrogate geworden. Die neuern Nießhaber dieser Erfindung setzen freilich die parallelen Striche nebeneinander, ja oft drei, bloß um vielleicht – – – mehr Raum auf dem Papier zu leeren und in dem Beutel zu füllen.