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Eröffnung des Schränkchens und des Testaments
Ich wollte, es wäre nicht so vieles in diesem dünnen Leben wichtig, sondern man hätte aus einer oder ein paar Millionen Dinge sich wenig zu machen und könnte ruhig sich aufs Ohr legen. Aber Himmel! welche schwere eingreifende Minuten, die oft das Geh- und Schlaggewicht ganzer Jahrhunderte aufziehen oder abschneiden, haben nicht die größten Königreiche z. B. an einem Schlachttage auszuhalten! Und so geht es bis zum Einzelnen herab, der oft Stunden hat, wo für ihn ein Urteil – ein Examen – ein Landtag – eine Tapetentür – sein eigner Leib eröffnet wird – oder ein Testament.
Und im letztern Falle sind wir alle jetzt durch Fibel, dem man das väterliche aufmacht. Wahrlich ein Autor, dem das funfzehnte, so lange als Vogelscheuche aufgehangene und jeden Schnabel abtreibende Kapitel endlich von Heiligenguter Jungen eingeliefert wird, dem wird leicht der Inhalt so scheuchend, als das Papier auf dem Felde war. Schon der Anfang setzt in Angst:
Die Mutter nämlich hatte für diesen zu wichtigen Tag, zugleich Sohnes-Geburts- und ihr Erbschafts-Tag, nicht nur Kammer, Küche und Treppe gescheuert, sondern auch viel Eß- und Trinkware hingesetzt für die drei Herrn Aufschließer; – hatte nun der Vogler im Wandschrank nichts hinterlassen: so blieb, nach dem Abzuge der drei Aufmacher, die blanke Stube so wie das ganze hoffnungsleere wüste Häuschen als eine widerwärtige Hinterlassenschaft der so hoffnungsreichen Vergangenheit zurück. Inzwischen soll dieser Eingang auch nicht dem ärmsten Leser einer Lesebibliothek ohne Not das Leben sauer machen, sondern es soll gesetzt fortgefahren werden.
Es erschien denn der Schulmeister Flegler als Dorfs-Notar samt zwei Zeugen, da kein Jurist noch Unglück allein kommt, ja Fakultäten die Urtelsverfasser mehrfach aufeinander sitzend versenden, wie oft in der Paarzeit vier Frösche aufeinander sitzen oder wie man Schnecken gepaart verschickt. Flegler sagte, heute erscheine der Tag, wo er komme und an woselbem er nach der Bevollmächtigung des sel. Erblassers als Executor testamenti wirklich auftrete mit allen gehörigen gewöhnlichen Zeugen. Sowohl dieses als sein Dasein bracht' er darauf gehörig zu Papier.
Engeltrut weinte, weil sich vor ihr der verklärte Vogler gleichsam halb im Sarge, obwohl stäubend aufrichtete und ihr in dieser halben Auferstehung ordentlich die Hand reichte, als sei er da drunten freundlich geworden.
Sein Sohn paßte scharf auf alles auf und dachte am meisten an die Mutter und an das Abc.
»Von höchster Importanz ists endlich,« – sagte Flegler – »daß man allerseits von Gerichts wegen sich zum Besichtigen und Erbrechen des Wandschrankes erhebet und den Schrank zur Erbschaftsmasse schlägt, wenn auch kein Geld oder Geldeswert darinnen ist; – denn das Protokoll vom heutigen dato muß ordentlich geschlossen werden.« Die Fünfer verfügten sich ordentlich in die Kammer – der Schulmeister sah erst diese, dann noch genauer die Siegel an – dann die Papierstreifen als Eisenbänder über der Türe, ob nicht gar darauf geschrieben sei – dann schnitt er behutsam die Streifen vom Siegel los – endlich sperrt' er auf.
Der verwelkte Rosenstock in seinem Topfe stand darin. Sonst wars leer; – und als die Zeugen alles untersuchten, bliebs leer.
»Dennochen«, sagte der Schulmeister, »muß der Topf ins Protokoll eingetragen werden, mein liebes Studentchen«, und schlug Helfen auf die Achsel, schnell hintereinander Kopf nickend. Er gehörte unter die willigen Menschen, welche gern einem andern, wie Simeon dem Erlöser, das Kreuz nachtragen, wenn sie wissen, daß er daran geschlagen werde.
Flegler verfügte sich in der Stube an den Protokolltisch, gebot aber sogleich in die Kammer hinein, den Topf neben das gerichtliche Protokoll hinzustellen. Die halb erstarrte Mutter war nicht vermögend, ihre erfrornen Hände zu rühren; der Student aber ergriff den Topf und ließ – weil dieser zu schwer war, oder sein Herz – ihn aus den Schreibfingern gleiten, und die Blumenscherbe zersprang in hundert Scherben.
Indes kam aus der Erde – und woraus denn überhaupt sonst? – Gold heraus; an 300 Souverains (halbe) hatte der Münzmeister Gotthelf durch einen leichten Handgriff ausgeprägt. Die Kammer (nämlich die vier Fakultäten darin) schrie vor Lust über den Aufgang des goldnen Sternen-Gewimmels: »Die Erbschaft ist da, die Erbschaft ist da!« Der im Niederschreiben unterbrochne Flegler fuhr in die Kammer und tat im ersten dummen Schrecken die zornige Frage: »Wer von euch da hat das Gold eingeschwärzt?« – Man reiset jetzt durch wenige Länder, welche eine solche Frage nicht gerne hätten oder einen goldeinschwärzenden Taschen-Spieler. Der Schulmeister half sich sogleich aus dem Dummsein dadurch, daß er bestimmt erklärte, nicht das geringste Goldstück dürfe der Erbschafts-Massa unterschlagen werden, weil er diese zu Protokoll zu nehmen habe; freilich da niemand ihre Größe kannte, war jede sichtbare die ganze. Es gibt ebensooft einen diabolus ex machina als einen deus ex machina; Flegler wäre gern jener auf Fibels Lebenstheater gewesen – so aber arbeitete er unter dem Golde verdrießlich fort, wie ein Goldarbeiter in seiner Werkstatt, über welchen eben ein die Metalle suchendes Gewitter zieht.
Er gehe! –
Aber ich wünschte, auch andere und anders teilnehmende Heiligenguter überließen Frau und Sohn ihrer gegenseitigem Seligsprechung und ihrem Weinen vor Lust und Dank. Engeltrut wurde an diesem Tage zum zweiten Male Siegwarts Braut und Preis-Gattin, und ihr Lebenstheater drehte sich wie ein römisches Amphitheater auf Angeln um, und sie wurde aus der Zukunft zugekehrt der Vergangenheit.. Helf aber saß seines Orts tief bis über die Ohren und Augen in lauter Zukunft; er sah nur Abc und die Braut. Erst später, als ihre Glückwünscher und Glückverwünscher über Schwelle und Dächlein hinaus waren, fiel der Mutter der Geburtstag Gotthelfs fast wie etwas Neues wieder ein, und sie sagte, er müsse nun mit ihr hinknien und Gott für alles danken. Er tat es mit Freuden und kniete neben sie hin und sagte Gott Dank, doch aber mehr dafür, daß er Erbe, als daß er Mensch geworden, indes die Mutter mehr an sein Gebären als an sein Erben dachte.
Jetzt war es nun Zeit für die Mutter, sich aufzumachen und die Sache der Welt zu berichten. Großen Schmerz steckt man leichter ins tiefe Herz zurück als große Freude – obgleich die Äußern, die Menschen, an jenem den größern Anteil nehmen aber man plaudert aus hundert Gründen: z. B. weil man doch mehr die Teilnahme voraussetzt und wieder nach ihrer Entbehrung weniger fragt – weil man in der Freiheit der Freude losgebunden alles liebt – weil sogar ein fremdes kaltes Ohr und Herz die Glut der eignen Entzückung nicht löscht – weil zwar Überschmerz das Herz langsam zerläßt, aber Überfreude es gewaltsam zersprengt, auch schon, weil man sich unbesorgter den reißenden Paradiesesflüssen der Entwürfe als den zurückgehenden Höllen-Strömen der Fehlschlagungen übergibt, und weil man daher bei großen Freuden-Stürmen zuerst dem Herzen Luft zu machen hat durch die Lungen; d. h. durch Sprechen – und endlich, weil Engeltrut zuvörderst zur Wildmeisterin ging.
Gotthelf hingegen ließ seine Freude am Schreibpapier aus und teilte aus den Reimen das Dümmste lustig weg. Denn nun rückte ja die Zeit – die Goldscheiben lagen als Räder zum literarischen Siegswägelchen schon da und brauchten nur eingebohrt und angeschraubt zu werden – immer näher mit dem Wägelchen an, wo er sich aufsetzen und auf ihm hinausfahren konnte in die Welt und Unsterblichkeit. Er hatte die Taschendruckerei schon so gut als in der Tasche; durch das güldne Abc des Testaments war das bleierne des Buchs zu kaufen und zu setzen. So sehr ist sogar der größte Schriftsteller, gleichsam wie jetzt Europa, zu den Metallen verurteilt, wie ein Römer-Knecht, dieser Silberdiener und Goldsohn der metallischen Verhältnisse, obwohl in einem andern Sinn als der Silberdiener einer fürstlichen Silberkammer oder der Goldsohn einer mütterlichen Herzenskammer. Und so schrieb denn Fibel frohsam weiter und gebar selig Reime, welche die Welt kennt, aber nie kennen würde ohne den Druck.
Er siebte und filtrierte fürchterlich an seinen Abc-Gedichten, aber ohne viel Glück; denn im Haarsieb und Filtrum oder Philtrum saß immer die Wildmeisterin und verstopfte die kritischen Löcher. Zuletzt ging er, da er müde war, spazieren, fast bis an Drottas Gehege, um seine Mutter und von ihr die Nachricht früher zu haben, was das Wandschränkchen für Wirkung im Walde getan. Er selber hatte unmöglich der erste Reichtums-Bote bei der Geliebten sein können, um ihr Ja oder Nein fast herauszufodern – entweder sie rot, oder sich blaß zu machen, dies überstieg die Kräfte seines Herzens.
Die Mutter überbrachte mit mehr Freude, als ich Ursache dazu finde (denn ich höre noch nichts Bestimmtes von Einwilligung des Vaters), die Nachricht, daß der alte Jäger schon zu Hause gewesen und in zehn kurzen Flüchen seine Entzückung über den Verstand seines seligen Duzbruders ausgedrückt; – und daß die Wildmeisterin sogleich höchst gescheut mit ihr die Anlegung und Sicherheit eines solchen Kapitals besprochen. »Mutter,« rief Helf, »jetzt kommt Leben ins Haus! Und Ihr sollt recht in Euerer Kommodität sein.« Natürlicherweise sprach er dann von leichten Verlobungen und von Taschendruckereien und Autorschaften deutlicher als je.