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Die biographische Akademie
Die kleinen Schneidersjungen selber brachten mir und – was noch mehr ist – der Welt dieses zweiundzwanzigste Kapitel, das ihr Vater mit der Schere aus der großen vierzigbändigen Fibels-Lebensbeschreibung zu einem schönen langen papiernen Maß für einen Mann von fast sechs Fuß zugeschnitten; ordentlich als hätt' er damit dem so langen Fibel selber einen Ehrenrock anmessen wollen. Für mich wie für ihn waren die Papierstreifen Ordensbänder; gleichsam zusammenhaltende Papierstreifen dieser Lebens-Weltkugel. Sie erzählen aber folgendes:
Der Magister Pelz brauchte kein Kirchen- und Staats-Jahr, um einzusehen, daß er durch den Überfluß an Exemplaren zuletzt so überflüssig werden würde, daß er auf kein Geld weiter Aussicht hätte als auf Reisegeld. Freilich hielt ihn die Betrachtung etwas aufrecht, daß Fibel ganz unvermögend war, irgendeinen Menschen, sogar einen Bettler, abzudanken (das jetzige Irr- und Strafgesetz einer Geldstrafe gegen zufälliges Almosengeben hätte ihn selber in die Almosenkasse geworfen); ja ein Schustermeister konnte ihm ein Paar sinesische Stiefel liefern, welche jeden Tag ein neues Hühnerauge aus den Zehen ausbrüteten: er gab sie nicht zurück, sondern trug sie und ihren Druck vergnügt. Ferner liebte er wie alle Heimisch-Selige Ordnung und die Unverrücktheit jedes Dings; ihm nun von seinen drei zugewöhnten Arbeits-Köpfen einen nehmen, hieß ihm wie einem Höllenhunde einen Kopf abhauen.
Aber – und dies war kein Trost für Pelz – Drotta stand da und konnte ihren Arm und daran ihren Finger ausstrecken und Pelzen die Türe zeigen. Die Allmählichkeit der Weiber ist so furchtbar als die Plötzlichkeit der Männer. Daher verfiel er auf etwas. Männer, die wie Fibel bei Ländern und einem Fürsten in Kredit stehen, sind es gewohnt, sich für etwas zu halten; und in der Tat brannte Fibels Name mit 24 rot erleuchteten Buchstaben am Triumphbogen, wie – um das Gleichnis zu Wasser und auf der Achse zu holen – in London Goldsmiths GrabmalIm Freimütigen vom J. 1802. mit Drucklettern, welche eine benachbarte Feuersbrunst zu einem Flusse geschmolzen hatte, glänzend überflossen wurde. Um so leichter konnte Pelz dem lammfrommen Abcschützenmeister auf dessen eigenen Trommelfell seine Viktorien und Tedeums abtrommeln und ihm geradezu zu verstehen geben, er sei ein verdammt großer Mann; obgleich sonst die Schmeichelei mit dem Kandis-Zucker nicht nur die Süßigkeit, sondern auch die Eises-Durchsichtigkeit gemein haben muß.
Es war an dem merkwürdigen Tage, wo bei dem Pfarrer eigner Geburtstag war und so große Cour von Amtsbrüdern oder schwarzen Kirchensklaven, daß der Rauchfang noch zwei Stunden nach der Eßstunde aufrauchte und der Bratendampf die äußersten Häuser ergriff und sich statt in Bratenröcke in Armensuppen-Röcke zog. An diesem Tag wars, wo Pelz und Helf auf einem Berge auf abgetriebnen Baumstöcken saßen und in den Weihrauch des Pfarrhauses hineinsahen und an die Ehre dachten, welche die Menschen auf der Erde haben. »Ich sollte der Pfarrer gewesen sein,« fing Pelz an, »einen Mann wie Sie hätt' ich dazu gebeten.« – »Es sind aber, Herr Magister, Pfarrherrn dabei, welche jeder schon seinen guten Band Leichenpredigten herausgegeben, voran mit seinem kurzen Lebenslauf und mit lateinischen Lobgedichten auf sich.«
Jetzt konnte Pelz seine Schleusen aufziehen: »Ach, das ists ja! Wozu ist man denn ein berühmter Mann in vielen Ländern, wenn man den Ländern oft bis auf die kleinste Kleinigkeit, auf Husten, Schnarchen, Niesen, unbekannt bleibt? Es sollte doch wahrlich (oder ich bin ein Narr) von einem großen Manne jeder Schritt und Tritt und jeder Zahn, der in seinem Gebiß und in seinem Friesierkamm fehlt, der Welt so gut bekannt sein als irgendeine Lücke in alten Handschriften, zumal da er selber neue gibt. Siebzehn Predigten wurden anno 1541 gehalten und ediert, bloß damit sie Luthers Lebenslauf vortrugen.... Herr, Sie sollten etwas von sich drucken lassen!«
»Was soll ich denn noch, außer dem Abc?« sagte Fibel.
»Gar nichts« – versetzte Pelz –, »aber wir andern tätens. – Herr Fibel! erwägen Sie, wenn ich nun Ihr Leben von vornen an beschriebe und alles Ihr Wesen, und wir drei Leute es dann wöchentlich abdruckten, bis ein Band nach dem andern daraus würde« – –
»Und das ginge?« fragte Fibel und drehte vor Freude nach seiner Gewohnheit an einem Beinkleiderknopfe. –
»Und wenn« – fuhr Pelz fort – »ich vollends Fuhrmannen und Pompieren anhielte, mir wöchentlich jede biographische Kleinigkeit von Ihnen einzuliefern, und ich selber am stärksten hinter Ihnen her wäre« – –
»Falls Sie drei mich so wegbekämen und ich ganz leibhaftig in Druck herauskäme – und einen schönen Mordspektakel gäb's mir zu Ehren – und Wind sollten Sie von mir von allem bekommen«... vor Bewegung drehte er sich einen Knopf ab und warf ihn weit den Berg hinunter. –
»Ich meine nämlich vorzüglich,« – fuhr jener fort – »wenn ich den Beispielen der größten Biographen folgte oder auch Paravicini singularia de viris claris zum Stickmuster nähme oder auch den Selbst-Lebensbeschreiber Montaigne oder hundert andere, welche alle von den größten Gelehrten, sie mochten entweder sie selber sein oder nicht, das Kleinste, Exterieur, Leibes-Öffnung (wie Montaigne), Schuhspitzen, Handschrift, Flüche, Schwüre, Spitzbübereien, gedruckt in die Welt schickten« –
»So möchte man aber des Henkers werden, wenn alles so herrlich ginge,« (sagte Helf und warf den zweiten Hosenknopf hinunter) »und meines guten Vaters würde dabei, hoff' ich, sehr nach Verdienst gedacht« – –
»Ach was das? Sogar des Groß- und Urgroßvaters, so weit hinauf Nachrichten zu haben ständen. Nun wenn aber; fahr' ich endlich fort, die Sache sich vollends ins Große triebe und Fuhrmann und Pompier und ich jeden Sonntag gleichsam eine biographische Akademie in der Fibelei hielten und Sie bei der Sitzung säßen und ich das Eingesammelte vorläse, bevor es in der Woche gedruckt würde« – –
»O mein zu schönster Magister Pelz!« (sagte Fibel Knopf drehend und werfend) »ich weiß nur jetzt nicht, wo ich bin, und ich bin freilich dabei, bei der Sache... o du lieber bester Gott!«
»Ich meine nur aber so« – fuhr Pelz fort –: »wenn wir nun dies alles so verständig einfädelten und abdruckten, daß wir gar in unserer biographischen Akademie, eben weil bisher in allen Akademien nur auf tote Mitglieder Reden gehalten wurden, so wie die alten römischen Kaiser nur dem nächst verstorbnen oder die Päpste den nächst verstorbnen katholischen Königen Lobreden wie grüne Erdschollen nachwarfen, wenn wir, wie gesagt, es so machten, daß wir, ich nämlich, Sie als wohlseliges Mitglied, oder richtiger als den verstorbnen Stifter der Akademie ansähen und ansprechen, nur damit ich dann hundert Dinge sagen könnte, welche sonst gegen Ihre Bescheidenheit verstießen« – –
»Natürlich ständ' ich lebendig bei der Sache und hörte ihr zu, nur säh' es nicht so aus; aber es täte nichts« – sagte Helf schon ohne Verstand.
– »Freilich! Wenn ich nun vollends den elenden Flegel von Flegler, welcher uns jeden Sonntag nachmittags im Kruge angreift, in der Fibelei der Welt in seiner lächerlichsten Blöße zeigte, worin er statt seiner ausgefallnen Kritik- und Hundszähne den Simsonschen Zahnkinnbacken vorweisen muß, und es dann am Montag und Dienstag in Druck setzte vor die ganze zivilisierte Welt hin – und ihn fast zu lächerlich machte von hier bis in die Vorstädte von Hof in Vogtland hinein – wiewohl es von der andern Seite gut ist, daß wir einen Feind haben, weil ohne einen uns die in Biographien so nötigen gelehrten Streitigkeiten fehlen würden: – täte man nun dies alles trefflich« – –
– Hier gab Helf vor Lust und Dank Pelzen einen kräftigen Schlag auf den Schenkel und sagte: »Und so würde wahrlich die ganze Schenke zu Verstand gebracht; aber um Gottes willen, herrlicher Magister, Sie wollten was sagen und fingen an: wenn« –
»Mehr nicht;« (sagte er) »denn alles wäre eben fertig, nämlich einer der berühmtesten Skribenten, den Sie nur kennen; denn mich sollte der Donner erschlagen, wenn ich nicht jede Woche wöchentliche Nachrichten von Ihnen gäbe, und sollt' ich die schlechtesten haben. Setzen wir beide nun, ich und Sie, Ihr Leben lange genug so miteinander fort: so kann Ihr lebendiges Leben so stark ins Gewicht fallen als Faßmanns Quartanten-Gespräche im Reiche der Toten und Ihre Biographia Fibeliana so vielbändig werden als die Biographia britannica, ob diese gleich aus mehreren Leben besteht.«
»Pelz! Gott!« (versetzte Fibel schwindelnd und hielt ein ausgerauftes Bäumchen in der Hand) »das ist der Ehre gar zu viel für mich Voglers-Sohn in diesem Dorfe; aber wahrlich ich will gern demütig einhergehen und mich in Gottes Augen für einen Madensack halten, wenn Sie die bewußten Bände fertigen und meiner so sehr in Ehren gedenken; und glauben Sie mir, ich würde mir etwas einbilden auf das Lob eines solchen Mannes wie Sie, Wertester!«
Auf dem Heimwege hatte er (dummerweise trug er noch immer das ausgerupfte Bäumchen) viele Mühe, seine drei abgedrehten Kammerherren-Knöpfe von vornen (welche drei das Ganze hielten, weil damals aus Mangel an Luxus die jetzige Mode der Knöpfe nach der Zahl des Cinq-Quaramboles oder der fünf törichten Jungfrauen fehlte, so wie in Otaheiti und in der innern Schweiz aus derselben Abwesenheit des Luxus und des Diebstahls den Hütten die Vorlegschlösser mangeln) – – Fibel hatte Mühe, mit fünf Fingern die abgängige Drei zu decken, bis er das Bäumchen wegwarf und also zehn Finger wie zur Deckung von zehn Geboten aufbieten konnte, um gehalten in das Dorf einzuziehen, wo seine künftige biographische Akademie stand. Es sollte wohl ein lustiger Einfall des Schicksals sein, daß dasselbe ihn darin auf einen wieder erwischten Rekruten stoßen ließ, welchem das Werber-Kommando ähnliche Knöpfe gegen das Entlaufen abgeschnitten; seht, wollt' es sagen, wie zwei Rekruten der Unsterblichkeit in einerlei Haltung ihrer Gewänder vor einander vorüberziehen auf die Bahn der Lorbeern zu.