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Der Definitiv- und Fundamental-Rat
Dieses ganze Kapitel wurde in einem Impf- oder Pelzgarten im Grase gefunden und schien zum Verbinden der Pelz-Wunden gedient zu haben, was einer leicht fein-allegorisch deuten könnte, wenn er wollte.
Pelz gab endlich feierlich seinen Definitiv- und Fundamental-Rat her: »Fibel möge nämlich dem Markgrafen das Buch mündlich zueignen und drei Exemplare für die jungen drei Herren Markgräfchen ad usum Delphini sehr submiß, ja submissest überreichen« –
– Es steht nicht in meiner Gewalt, Fibels Erbeben zu malen; ich fahre also sogleich mit dem fortfahrenden Pelze fort:
– »Und dann muß vorzüglich bei Serenissimus angehalten werden um ein rechtes Abc-Edikt oder ein gutes Privilegium, daß das Buch von den Kindern aller Völker seiner Markgrafschaft zum Buchstabieren und Lesen verbraucht werde. Und was brauchen wir dann weiter?« –
Es stände noch weniger als vorhin in meinen Kräften, Fibels Erbeben, und zwar ein süßeres, zu schildern, wenn nicht der Magister sogleich beigesetzt hätte:
»Freilich brauchen wir noch etwas Wichtiges, einen Mann, der unsere drei Abcbücher nett einbindet und außen auf der Schale alles vergoldet, sowohl die Buchstaben als den Deckel und Schnitt – und diesen Mann haben wir schon bei der Hand in der Hauptstadt, Pompier heißt er, ein Réfugié, aber er weiß, was Vergolden ist.«
Denn nach diesen Worten war Fibel in einen warmen leichten Himmel aufgelöset, und seine Hoffnung schwamm als Sonne darin. Er versetzte: »Kriegten wir nur gleich diesen Pompierer her zu uns, o lieber Pelz!«
Er war bald gekriegt. Es kam ein gutes langes gesprenkeltes Männchen unter einer Perücke – den Schmetterlings-Flügeln seines seidnen Anzugs mochte die Hand der Zeit Schmetterlingsstaub abgescheuert haben, aber seine papiernen Manschetten hatten ihre Farbe – es hatte Ehre im Leibe, wenigstens auf dem Leibe – jedes Glied war ein Solotänzer, und der Inhaber voltigierte um jede fremde Seele geschickt. Helf hatte schon viele Höflichkeiten in seinem Leben empfangen; aber so große wurden ihm noch nicht angetan. Damals nannte man einen Franzosen noch kriechend, aber so unrichtig wie im Mittelalter der tapfere Drache ein Wurm genannt wurde.
Pompier gestand, er sei außer sich über die Ehre, Sr. markgräflichen Durchlaucht und Herrn Fibel einige attentions durch seine ChrysographieChrysographen nannte man sonst die Schreiber, welche in Bücher die Anfangsbuchstaben mit Gold einmalten. beweisen zu dürfen.
– – »Chrysographie?« Allerdings! Außer Weibern und Titeln liebte der Franzose von jeher nichts so sehr als griechische Wörter. Auch hat ein solcher fremde Wörter ausspielende Grec mehr für sich als wir. Wir können aus der lateinischen Sprache borgen, aber er, der mit ihr in der seinigen schon überflüssig versehen ist, wendet sich lieber an die großmütterliche griechische, aus welcher die lateinische entsprang. Was den französischen Grec aber ganz rechtfertigt, sind die beiden alten Geschichts-SagenLeibniz führt diese Sagen, obwohl widerlegend, an in seinem Essai sur l'origine des François. , daß die Franzosen von übriggebliebenen und entwischten Trojanern abstammten und daß sie schon unter Philipp und Alexander gegen die Griechen gedient hätten; denn in jedem Falle beweiset es doch ihre alte (auch sonst bewährte) Antipathie gegen die Griechen, daß sie so recht aus Hohn und Parodie ihnen ordentlich ihre Wörter nachreden und nachäffen.
Kaum hatte Pompier die ersten Höflichkeiten abgetan – nie die letzten –, so fiel er, wenigstens im Abstich mit sich selber, grob aus; indem er gerade heraus foderte, was ihm für die Arbeit gehöre. Dieses französische Polarisieren des höflichen oder anziehenden Pols mit dem eigennützigen oder abstoßenden kann nur Menschen unerklärlich sein, welche die dazwischenliegende Indifferenz gegen Menschen nicht erraten.
Aber Drottan war der ganze Mann verdrüßlich, nur der Magister noch mehr, weil dieser ihr, wie sie auf dem Kopfkissen klagte, einen Brotfresser nach dem andern einschwärze. Doch Fibel beharrte auf Nachruhm. – In kurzer Zeit hatte der Franzose ohne zögernden Eigennutz Einbinden und Vergolden vollendet und konnte die drei ersten Pracht-Exemplare zum künftigen devoten Überreichen überreichen. Es war für Pompier, der sich mehr an das Große der ganzen Sache heftete, Herzens-Angelegenheit, daß er Fibeln zur Übergabe der Prachtbändchen Fußfall empfahl. Wie gern wär' er selber fürstlichen Füßen zu Fuße gefallen, hätt' er daran kommen können! »Warum bin ich«, sagt' er sich selber ins Ohr, »malheureusement nicht so glücklich wie der Tropf da, daß ich statt seiner den Thron bestiege und auf der vorletzten Thronstufe niederfiele, um mich zu heben? – Wird der Dorfbengel Fibel dem Markgrafen nur halb so viele douceurs zu sagen wissen, als ich vorbrächte? – Darauf bin ich wirklich begierig.«
Der Besuch des Hofes wurde nun Sache des Hauses. Das Kleinste wurde zugenäht, eingekauft, abgebürstet, ausgekämmt und eingesteckt, was der Haus- und Buch-Vater zu seiner Erscheinung am Hofe bedurfte.
Da Helf glaubte, es verstoße gegen den Respekt, zu Fuße und bloß auf dem gemeinen Fußsteige der Landleute zu seinem Landesvater zu marschieren: so lief er tags vorher in die Stadt und bestellte sich eine Schöse (Kutsche), welche ihn samt seinen drei Dedizier-Abc's am Morgen darauf (er traf abends zeitig genug vorher ein) aus dem Dorfe abzufahren hatte.
Sein Triumphzug (die Nachricht davon drang bis an die äußersten Häuser des Nests) bleibe für biographische Pinsel nach mir; genug, unterwegs saß er auf dem Kutschenkissen halb gekrönt und lächelte sehr heraus, sooft es schnell fort- oder jemand vorüberging; und wär' ich dabei gesessen, ich hätte mit ihm zusammen gelächelt. Er müßte nicht bei sich gewesen sein, wenn er unter seinem Kutschenhimmel sich bei solchen Umständen und den drei Abcbüchern nicht für den Prinzenhofmeister, und insofern höchsten Orts einmal deren allgemeine Einführung geboten wurde, den Landesherrn für den Lehrherrn der Markgrafschaft angesehen hätte, für den König Dionysius, der syrakusischer Schulmeister gewesen wie Homer smyrnischer. Allerdings konnte Fibel sich selber mikroskopisch oder vergrößert erblicken, wenn er erwog, daß er, anstatt wie Pestalozzi seine neue Lehrmethode anfangs nur Bettelkindern anzuversuchen, gerade umgekehrt an Fürstenkinder-Probiersteine seine Bücher streichen wollte, indem ein Erziehungsbuch, sobald es sogar hohe Prinzchen aufbessert, die sich ungern an Bücher gewöhnen, noch tausendmal mehr (durft' er schließen) den tiefen breiten Kinder-Pöbel umarbeiten müsse, welchem ja Arbeit zweite Natur ist. Und wenn er sich erinnerte, wie reich sein Vater bei diesem spaßhaften Serenissimus weggekommen war, so sprützte er sich ordentlich mit Couragewasser und Riechspiritus an.
Nur da er die Fenster-Reihen des Schlosses und gar einige Balkons erblickte und rasselnd über den Rubikon der Schloßbrücke und kletternd über die Alpe seiner noch geschloßnen Wagentüre ging: so war ihm außen auf dem Schloßpflaster beim Aussteigen viel von Cäsar und Hannibal entfallen, was er von beiden beim Einsteigen mitgenommen und womit er in der Kutsche so bedeutend aufsaß. – Der Fürst schwoll ihm durch Annähern immer riesenhafter auf und über einen Menschen hinaus; die bedeckten Glieder, wie Schultern, Schienbeine, Nabel, Eingeweide, konnt' er sich bei ihm gar nicht mehr gedenken, nur ein Gesicht mit ein Paar Händen.
Als er vollends im alten Riesenhause, im Schlosse, die in der Mitte hohlgetretnen lang-gestreckten Steinstufen aufstieg, ließ er auf jeder Stufe ein Stückchen Herz fallen, so daß er auf der obersten keines mehr hatte.
Endlich traten gar im langen Korridore alle goldne Familien-Bilder vor ihm so ins Gewehr, daß er seines streckte und nichts weiter blieb als ein schwacher markgräflicher Untertan und Knecht, dessen Gesichts-Oval sich etwa so zum glänzenden Kron-Gesicht verhielt – aber ich halte das Gleichnis nicht für erlaubt – wie zur Sonnenscheibe die Kniescheibe, oder wie ein Christuskopf zu einem Dachrinnenkopf. Die Menschen suchen Gott in der Höhe des Himmels, als ob der Himmel nicht auch in der Tiefe und in seinen waagrechten Enden wäre; Fibel suchte nach derselben verwechselnden Hoheits- und Höhenmessung ebenso seinen Gott-Markgrafen; und stieg so viele Treppen hinan, daß er am Ende einen Dachgelehrten hätte finden und bestürzen können; eine närrische Verwechslung von Höhe mit Hoheit, nach welcher man große Kaiser gar nur auf Babels-Türmen suchen müßte oder auf Cestius-PyramidenUm welche bekanntlich in Rom die Deutschen begraben werden. .
Noch dazu tat er fast auf jeder Treppe einen falschen Fußfall und stieg sozusagen, wie andere Hofleute, unter lauter Fallen, weil ihm vier oder fünf Falsch- oder Pseudo-Markgrafen mit ihren goldnen Tressen und Bamlotten aufstießen, ungefähr nach Anzahl der Pseudo-Neronen – wie man sonst annahm; denn später waren die Neronen wieder in guten und aufrichtigen Sorten zu haben –. Er kam sogar in die Gefahr, als er den bordierten Leib-Husaren hinter sich hörte, vor ihm einen Fußfall die ganze Treppe hinunter zu tun. – So trieb er sich irre im weiten Schlosse, weil Vexier-Markgrafen gerade unter der Tafelzeit ganz schmackhaftere Sachen an Ort und Stelle zu bringen hatten als ihn. Niemand litt mehr dabei als sein Hut, den er nach dem Haarkräusler-Zeremoniell gewöhnlich als Fündling vor jede vornehme Türe legte, die er aufmachte. Es war einer der neuesten, trefflichsten, aber engsten Hüte, welcher seine Stirne – da er ihn unterwegs sehr hereingedrückt hatte, weil er ihn weiten wollte, um ihn dadurch leichter abzunehmen – mit einem artigen Heiligenzirkel oder roten Schnitt gerändert hatte. Sie stand ihm erträglich, diese königliche Kopfbinde.