Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

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27. Judas-Kapitel

Der kleine Plutarch

Obgleich Pelz die Vergangenheit erschöpft hatte, so schlug sich doch aus jeder Woche wieder frische nieder, und sein Ufer wuchs täglich. Er stellte den guten Grundsatz in der Fibelei auf, daß Plutarch das beste Beispiel gegeben, aus den kleinsten Punkten gleichsam in Punktiermanier den Kupferstich eines Mannes zu liefern; daher umschiffte den Helden der biographische Dreidecker die ganze Woche überall, um etwas für den Sonntag aufzufischen und irgendeinen reichen Zug zu ihren historischen Zügen zu tun. So gelang es denn auch Pelzen, in den nächsten Sitzungen den Helden dadurch weiter auszumalen, daß er vermischt bemerken konnte: Fibel gehe gern mit gebognen Knien, so wie man mit ähnlichen reitet – Er sei ein Mann nicht nach der Stadtuhr, sondern nach der Sekundenuhr – Er hänge die Röcke immer zusammengefaltet, die Innenseite auswärts gekehrt, an den Nagel – Er zünde für seine Person jedes Talg-Licht am untern dickern Ende an, ob er gleich seinen Weibern den Nutzen davon nicht beibringen könne, daß das Rinnen des Talgs eben das dünnere Ende schön verdicke – Zu seinem Ordnungs-Zuge gehöre noch die außerordentliche Sorgfalt für Magazine an Federmessern, Federn und an Dinten von allen Farben, so wie sein Eintunk- und Schreib-Reglement und Regulativ, daß er (was leider so viele versäumen) die Feder abwasche, nachdem er damit geschrieben, weil sich sonst die Feder-Spalte verklebt, und daß er jedes Dinten-Faß gegen Bestäuben zudecke.

Selber gegenwärtiger Mitarbeiter an der Lebensbeschreibung wurde in dem hohen Begriff, den er sich längst von Fibels Gutmütigkeit gemacht, ungemein durch folgende kleine Pelzische Pinselstriche bestärkt. Der gute Held nahm vor jedem die Jungen ätzenden Vogel den Umweg; er vermied so ängstlich, falsche Erwartungen in seinem Seidenpudelspitz zu erregen, daß er, da derselbe von allem Eßbaren seinen Bröckchen-Fleischzehend erhob, ihn an ungenießbare Sachen, z. B. Obst, das er aß, riechen ließ, damit sich Spitz auf nichts vergeblich spitzte. Trugen hingegen Täuschungen zum Glück des Hundes bei, z. B. dessen Voraussetzungen unter Fibels Ankleiden, mitlaufen zu dürfen: so ließ er dem Hunde das Hoffen und sagte nur beim Abgehen: zurück! und fragte jeden: warum dem Tiere die kurze Lust nicht gönnen? Aus derselben warmen Herzens-Quelle springt auch seine Sitte, Spitzen, der alles Beste ohne rechten Genuß auf einmal durch die Gurgel jagte, dadurch zu einem feinern Lebens-Genuß zu zwingen, daß er z. B. die Fleischstücke, in gebrochne Brüche zerfällt, überall in der Stube umhersäete und ihn so nötigte, nicht nur mehrere kleine Hoffnungen, sondern auch Bissen mit wahrem Geschmacke zu verzehren.

Sogar seiner Frömmigkeit wurde stark gedacht, so sehr diese bei einem gut geschriebnen Werke ein opus supererogationis ist. Gute Werke, die man schreibt, sollten von guten, die man tut und von denen man leichter in einem Tage zwanzig vollenden kann als von jenen ein halbes, dispensieren, besonders einen Verfasser von Predigten, Sittenlehren und so weiter. Shakespeare wurde durch das Schreiben göttlicher Werke unsterblich, ungeachtet er im Ausführen derselben als Schauspieler es nur bis zum Mittelmäßigen und im Hamlet nur zum Geiste gebracht, den er nicht einmal hinter einem Körper, sondern hinter einem Helme und Panzer zu spielen hatte. Ebenso sollte man moralischen Schriftstellern, nachdem sie schon das Ihrige getan und die reinste Sittenlehre auf das Papier gestellt, nicht gar zumuten (was desto mehr ihren Lesern obliegt), dieselbe auch im gemeinen Leben darzustellen.

Für nichts lernt ein Mann sich leichter halten als für einen großen, sobald er die erfoderlichen Leute dazu um sich hat; und Fürsten werfen diese so leichte Täuschung einander billig vor. Man findet sich freilich so unvermerkt in etwas Großes verwandelt, wie etwan um London herum allmählich die Dörfer sich als Hauptstadt-Gassen einschwärzen und anschienen und die Landleute sich unter der Hand in Großstädter umsetzen. Aber obgleich der Student Fibel an seinem biographischen Hofe auch gezwungen war, sich für so groß zu halten, als er lang war (er maß bekanntlich sechs Schuh): so sah er die Verstandes-Größe bloß wie die körperliche für eine Gabe Gottes an, an welcher ihn dies am meisten freuete, daß er durch sie mehr zum frühern Lesen der Bibel (durch sein Abcbuch) und zum schönen Ernähren seiner Mutter und Frau und der väterlichen Tier-Verlassenschaft helfen können.

Ja zuletzt wurde ihm dieses Nachschleichen und Niederschreiben der drei biographischen Staatsinquisitoren so verdrüßlich, daß er, da er nicht niesen konnte, ohne ins Lebensprotokoll hineinzuniesen, und keinen Schritt tun, ohne die drei angeschnallten lebendigen Schrittzähler hinter sich – (sie hätten gern seinen Lutherischen Tisch- und Bettreden aufgepaßt, wären sie nicht von Tisch und Bett geschieden gewesen) – daß er, sag' ich, sichs als eine besondere Gefälligkeit von der Akademie ausbat, in jedem Monate eine Woche ganz frei für sich zu behalten, aus der gar nichts ausgezogen und eingetragen werden sollte, und mit welcher er so frank und frei umspringen könnte, als besäß' er wirklich diese Lebenswoche als Eigentümer – – aber tut er dies denn nicht auch sonst und lebt selber von Woche zu Woche?

Überhaupt ein wunderlicher Heiliger und Seliger! O ein anderer hätte Gott gedankt, daß er drei Evangelisten und, rechnet man mich vollends dazu, vier Evangelisten seines Lebens bekommen, von welchen die drei nie zu nahe (wie schon Kants und Schillers Lebensbeschreiber beweisen) dem Helden anwohnen konnten. Ja nicht einmal bloß unter einem Dache sollte der Heldensänger mit seinem Helden sich aufhalten, sondern sogar unter einer Hirnschale, wodurch, da nur einer darunter Platz hat, natürlich der Held und sein Sänger in eins zusammenfallen und miteinander das herausgeben, was man eine Selbstlebensbeschreibung, Autobiographie, Confessions u. s. w. nennt; aber welcher Vorteil, da alsdann der Selbst-Beschreiber allein die geheimsten Ehren- und Schandtaten weiß und sie am zartesten von sich erfährt!

Wahrlich! Fibel hätte das Glück mehr schätzen können, Leute um sich zu haben, die ihren Helden warm aufgreifen und ungemein kenntlich abbosseln in Wachs und ihn so der Nachwelt wie ausgebälgt hinstellen. Louis XIV. ließ seine beiden Geschichtsschreiber, Boileau und Racine, sogar seinen Feldzügen – als den Gegenständen der demokratischen Satire des einen, und der heraklitschen Trauerspiele des andern – nachfahren, damit sie selber das Unsterbliche sähen, was sie zu verewigen hätten, und aus dem Schlachtenblut Weingeist abzögen, um den Monarchen darein konserviert zu hängen. – Traten nicht immer ein oder mehrere Studenten in Wittenberg dem großen Luther auf die Fersen nach und hielten ihre Schreibtafeln unter, um für die Nachwelt alles aufzufangen, was er fallen ließ? – Diese Vorsicht wird aber nur zu oft vergessen, wenn die großen Männer noch am Leben sind. So könnte z. B. – um nur vom allerdünnesten, kürzesten Lichtchen der Welt zu sprechen, von mir – mir überall ein lebensbeschreibender Mensch auf Wegen und Stegen nachsetzen, bis in mein Haus und Schlafzimmer hinein, ja der leere Mensch könnte sich als Reitknecht und Abschreiber anbieten und mir in jedes heimliche und öffentliche Gemach nachdringen, bloß damit er etwas zu liefern hätte, wenn ich abgefahren wäre, und könnte wirklich auf diesem Wege (denn er schnappte von mir jeden Laut und Zug und Wisch auf) die meisten Spezereien und Salze sammeln, womit man die Walfische der gelehrten Welt mit einem solchen Glück einmariniert, daß selber der sterbliche Schreiber sich am unsterblichen mit verewigt, z. B. Lord Oxford an Swift; – dies, sag' ich, könnte jetzt geschehen bei Lebzeiten; aber noch zeigt sich niemand dazu, und vergeblich bin ich jahrelange am Leben und führe in Baireuth meine Gespräche und den beigefügten Lebenswandel, ohne daß da nur ein Hund die Feder nähme und charakteristische Züge heimlich für solche Mémoires von mir aufgriffen als ich (aus Mangel eines andern) mich leider künftig selber zusammenzutragen genötigt sehe.

(Sollten wir aber nicht überhaupt, ihr guten Mitgelehrten, in den Zeit-Strom, wie die Pariser Polizei in die Seine, öfters Netze einlegen und ausspreizen, um gelehrte namenlose Schein-Leichen aufzufangen und ihnen so Leben und Namen wiederzugeben? Welche schon halb verfaulte Schein-Tote mögen an den beiden Freimütigen, an der Allgemeinen deutschen Bibliothek und an andern, noch blühenden Anstalten gearbeitet haben, welche, ganz und gar vergessen, doch so leicht auf die Beine und auf den Pranger zu stellen wären, wenn man sie nennte? –)

Wir kehren zu unserem Pelz zurück. Er muß manche Mißwochen aus biographischen Mißjahren erlebt haben, da er den Seligen zu mehreren kleinen Charakterzügen anzuspornen suchte, welche in Sitzungen und unter die Pressen zu gebrauchen wären. So riet er Fibeln zu einigem gelehrten Zerstreuetsein; »die größten Gelehrten«, sagt' er, »lieferten in ihre Lebensgeschichte die größten Beispiele von Zerstreuung – bald hielten sie in London Frauen-Daumen für Tabaks-Stopfer, bald in Paris fremde Wohnungen für ihre eigne – bald hatten sie in Paris die bekanntesten Autoren aus der Bibel nicht gewußt, sondern fragten entzückt, ob man den Baruch gelesen – Könne Er denn nicht ebensogut nicht wissen, was Er gewußt – Könn' Er nicht im Wirtshaus einen Hund einkaufen und unterwegs dessen Namen vergessen und so in der größten Verlegenheit, da Hunde wie Rezensenten niemals ihren Namen sagen, vor einer Wiedertaufe gar nicht mit ihm umzuspringen wissen? – Er, Pelz, könne sich Gelehrte denken, welche an manchen Tagen kaum wüßten, was sie wollten – welche Pferde auf der Leipziger Roßmesse kauften, die 5/4 zu teuer wären – er gestehe, er selber würde sich zu bedeutenden Zerstreuungen bereit zeigen, falls sie für sein eignes Leben in Druck gefodert würden.«

»O Gott,« rief Pelz in zu großem Feuer aus, »wär' ich nur an Ihrer Stelle, ich wollte wahrlich tausendmal einfältiger erscheinen als Sie oder ein Schaf – ich wollte mir oft gar nicht zu helfen wissen, ich wollte oft so einen kleinen Schuß haben und nicht einmal den Zunamen meines Vaters, oder meines Kindes wissen, was sonst nur Personen höhern Standes zu ignorieren vermögen.«

Aber alle Beweggründe brachten Fibeln in der Zerstreuung nicht sonderlich vorwärts. Je mehr er sich an die Sachen erinnerte, die er bei Gelegenheit vergessen sollte, desto mehr entsann er sich ihrer.

Als eine erträgliche Zerstreuung könnte man es anschlagen, daß er einige Male in Bücher-Versteigerungen, nachdem er bei dem zweiten Ausruf das zweite überbietende Gebot getan, bei dem dritten, alles ihm zuschlagenden Ruf noch ein drittes höchstes, ihn selber überbietendes nachsandte. Dies war vielleicht etwas.

Noch weniger ging es aber mit ihm fort, als ihm Pelz die Pflicht vorgesagt, großen Gelehrten, welche erbärmlich schreiben (docti male pingunt), dadurch zu ähnlichen, daß er wenigstens eine Hand schriebe, die kaum zu lesen wäre. Unleserlichkeit wurde ihm aber schwer; durch Geschwindschreiberei kam er gerade am weitesten von ihr ab. Aus Verzweiflung fiel er endlich in seine alte süße Schnörkelei und Liebesdienerei mit Zierbuchstaben zurück – und gerade diese waren zum Glücke endlich kaum zu lesen.

Allmählich wurde die Wochensaat für die Sonntags-Lese so dünn gesäet, daß zuletzt in den Sitzungen jedes Wiegenfest im Hause, allerlei Geräte und Lappen des Seligen für die Nachwelt spezifiziert wurden, falls diese nach Überbleibseln und Reliquien Nachfrage hielte. Ja Pelz zeigte dem Vereine Fibels Kinderschreibzeug und Weiberrock der ersten Jahre und anderes Gerümpel vor; und setzte dazu, wie viel er darum gäbe, könnt' er nur einen Schreib- oder Kopf-Knochen des Seligen habhaft werden; ein elender Mangel, da oft von gewöhnlichen Heiligen ganze Arme und Köpfe, noch dazu in Doubletten, ja in vielfachen Auflagen zu haben seien. Ja um nur Sonntags-Perikopen zu haben, machte Pelz sich selber zum Episteltext, über welchen er einiges sagte, was doch wieder mit der Leichenpredigt auf Fibel zusammenhing. Eben da ich auf dem Wege war, diese Verquickung und Gütergemeinschaft des Lebensbeschreibers mit dem Helden etwas ins Lächerliche zu ziehen, fiel mir bei, daß ich biographischer Korreferent auch mich schon in die Vorrede und nachher ins Dorf selbst lebensbeschreibend gesetzt habe; – – mithin gibts hier nichts zu lachen.

In einer Woche aber ging die Dürre und Darre für Pelz so weit, daß ihm Sonntags nichts übrig blieb, als über den Nutzen aller Akademien überhaupt, welchen diese teils brächten, teils zögen, eine kurze Vorlesung zu halten.


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