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23.
Die letzten Tage

Am 2. Februar verabschiedeten wir uns von unsern Freunden in Lan-tschou. Wie gewöhnlich, dauerte es sehr lange, bis wir ab fahren konnten. Es war bereits ¾4 Uhr, als wir durch die Straßen der großen, schönen Stadt hinausrollten. Rote Plakate und Menschengewimmel ließen erkennen, daß in zwei Tagen das chinesische Neujahrsfest gefeiert wurde.

Wir fahren hinaus durch das Doppeltor im Süden und dann ostwärts durch Tung-kwans Tor. Vor der Stadt kamen wir an unzähligen Grabhügeln mit Denkmälern vorbei. Unter ihnen schlafen Generationen von Lan-tschou-Chinesen den letzten Schlaf. Wir fahren im breiten Tal des Gelben Flusses, das von mittelhohen Bergen eingeschlossen wird. Nach einer halben Stunde geht es hinauf in ein kleines Seitental. Der Weg ist breit und in gutem Zustand. Dann führt er auf und ab über Hügelketten, Schwellen und kleine Täler. Die Abhänge sind steil. Das Land öffnet sich. Teilweise fahren wir wieder durch Hohlwege. An geschützten Stellen liegt noch reichlich Schnee. Nach zweistündiger Fahrt lagerten wir in 2100 Meter Höhe. Wir hatten etwa 42 Kilometer zurückgelegt. Das Lager hatte die Nummer 169, die Gegend hieß Ma-chia-chai.

Hier und da stehen stumpfe Lehmkegel mitten im Weg, wenn sich die Straße an Lehmhügeln entlang schlängelt. Sie geben an, wieviel von dem Lehmgrund schon abgetragen ist. Viereckige Holzstücke an den Seiten verdeutlichen, wieviel noch zur Straßenarbeit verwendet werden kann.

Wir fahren einen Höhenzug hinauf zu einem Paß. Hier sind wir auf allen Seiten von großen, gelben, abgerundeten Lehmhügeln ohne Felsuntergrund umgeben. Zu beiden Seiten breiten sich gepflügte Felder aus. Man sieht keine Menschen und trifft nur selten Wanderer. Ein Königsadler schwebt über dem öden Land. Eine längere Strecke geht der Weg auf dem Kamm entlang. Oben ist das Gelände ziemlich eben, aber an den Seiten hat man ein gelbes Wellenmeer. Nun geht es einen langen und steilen Berg abwärts zu einer größeren Talmulde. Der Höhenunterschied zwischen Gipfel und Talboden beträgt ungefähr 300 Meter. Wir treffen dort ein Dodge-Lastauto. Die Fahrer erzählen, sie kämen aus Sian. Zwei Wochen lang seien sie unterwegs und hätten den ganzen Weg über Schlägereien mit Räubern gehabt.

Über ein zugefrorenes Gewässer im Talboden führt eine Brücke. Sie hat in der Mitte eine Öffnung, damit sie nicht von Karren benutzt werden kann. Die Karren fahren daher im Flußbett. Von Zeit zu Zeit kommen wir an einem Dorf oder einem Hof vorbei. Bei Ting-hsi war die Brücke unbefahrbar; wir mußten durch ein Schlammbett, wo wir steckenblieben.

Dem Bürgermeister von Ting-hsi machten wir unsere Aufwartung. Er erzählte, daß der Weg ungefähr dreißig Kilometer ziemlich sicher sei. Dann müßten wir aber vor einem Überfall auf der Hut sein. Er gab uns deshalb einen Offizier und zwei Soldaten zur Begleitung.

Wir kletterten unerhört steil bergauf. Das Auto kann nicht mehr, es hält und rollt rückwärts. Die Bremsen fassen nicht. Die Fahrt wird schneller. Es geht zum Rand eines Abgrunds. Im letzten Augenblick kann Effe den Wagen herumreißen. Er saust in voller Fahrt gegen die senkrechte Lehmwand. Sie ist ziemlich weich, das Auto erleidet daher keinen nennenswerten Schaden. Wir fahren weiter sehr steile Berge hinauf und hinab. Man sitzt mit klopfendem Herzen im Wagen und freut sich bei jedem Nebental und bei jeder Kurve, wenn man glücklich vorbei ist.

Serat ist nicht zu sehen. Ist ihm etwas zugestoßen? Wir warten. Ja, nun hört man seinen Motor. Es wird dunkel. In solchem Gelände darf man nicht fahren, wenn der Tag vorbei ist. Deshalb machen wir nach 115 Kilometern beim Dorf Hung-tu-yo halt. Es ist das Lager 170. Wir befinden uns in 2000 Meter Höhe. Der Hof der Karawanserei war von Karren vollgepfropft, die für eine neue Fernsprechlinie zwischen Sian und Lan-tschou Telephonmasten geladen hatten. Deshalb zogen wir in einen einzeln dastehenden Hof, der groß genug war für unsere drei Kraftwagen und zwei Zelte.

Am 4. Februar ging es nach 16,4 Grad Kälte in der Nacht bei Tagesanbruch weiter. Es hieß, daß wir bis Hua-chia-ling leidlich guten und sicheren Weg hätten. Dann aber sei er schlecht und durch Räuber gefährdet. Kurz vor dem Aufbruch saßen unsere drei Soldaten auf einem Turm vor dem Dorf und veranstalteten Zielschießen. Offenbar übten sie und wollten ihre Gewehre prüfen, um einem räuberischen Überfall begegnen zu können.

Hinter dem Dorf haben wir eine halsbrecherische Fahrt bergab durch einen sehr abschüssigen und engen Hohlweg. Dann geht es in langsamer Fahrt hinauf durch ein Tal, auf dessen Sohle wir mehrere Male einen zugefrorenen Bach überqueren. Wieder wird der Weg sehr steil. Sechs Mann schieben. Es geht einige Meter. Holzpflöcke werden hinter die Räder gelegt. Bei der Limousine sind die Kolbenringe lose, der Motor hat keine Kraft. Unter diesen Umständen weiterzufahren, ist lebensgefährlich. Ich ziehe es vor, die schrecklichen Steilhänge hinaufzugehen. Und dieser Weg ist neu! Der alte, der höher liegt, ist noch schlimmer. Ich halte an einer Anhöhe und warte und warte. Man sieht niemanden, nur hin und wieder hört man Rufe und Knattern. Eine unbehagliche Spannung herrscht. Ist etwas geschehen, wird eine Hiobspost kommen, daß ein Auto über einen Hang gerollt ist oder zum Wrack wurde?

Halt – jetzt hört man deutlich Autogeräusch. Die Limousine ist da. Yew kommt und berichtet, was für ein elender Weg das ist.

Effe eilt zu Fuß den Abhang hinunter, um Serat zu helfen. Wir warten. Man hört ein paar Flintenschüsse. Sind das Räuber?

Dort kommen die zehn Karren mit Telephonmasten und placken sich den Berg herauf. Als die ersten bis zu uns heraufgekommen sind, spannen sie die beiden Vorderpferde aus. Sie führen sie hinunter, um ihren Kameraden zu helfen.

Yew kommt zurück. In einer scharfen Kurve erhielt er einen Stoß von ein paar Telephonmasten. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte einige Meter einen Steilhang hinunter. Er konnte aber wieder festen Fuß fassen und hochkommen.

Endlich sieht man Serat mit seinem Auto. Wir fahren weiter zu einem 2200 Meter hohen Paß. Auf einem Abhang liegt umgeben von Äckern ein Dorf. Diese chinesischen Farmer sind zu bewundern. Man findet sie auf jedem überhaupt nur anbaufähigen Boden. Dann fahren wir eine Weile auf dem Kamm. Der Weg ist unheimlich gewunden. Die Hügel bieten aber sonst weiter keine Schwierigkeiten. Hin und wieder kommen wir an einem Dorf vorbei. Links lassen wir ein viereckiges Fort liegen. Dann folgt wieder ein kleiner Paß, der nach allen Seiten hin eine wunderbare Aussicht bietet. Alles ist gelb, die Hügel, Häuser und Mauern. Hier kommt eine kleine Karawane von Eseln mit roten Papierstücken an den Ohren. Man feiert Neujahr. Dort werden zwanzig Kamele ohne Lasten ostwärts geführt; Überall sind die weichen hügeligen Abhänge von Ackern durchzogen;

Von Hua-chia-ling an beginnt das angekündigte, von Räubern besetzte Gebiet. Etwa neunzig Kilometer geht jetzt der Weg durch unbebautes Land. Unsere Soldaten halten die Gewehre schußbereit.

Wir fahren über ein paar Bergrücken. Ganz unbebaut ist die Gegend nicht. Wir kommen an Äckern und ein paar Dörfern vorbei. Ein einsamer Baum steht an der Seite des Wegs in diesem sonst so nackten Land. Ab und zu sieht man einen Hirten mit seiner Schaf- oder Ziegenherde. Der Weg ist durch das Schmelzwasser, das über den gelben Lößlehm rinnt, glatt wie Schmierseife. Man macht sich darauf gefaßt, daß das Auto über den Straßenrand in einen Abgrund saust. An der Seite liegt das Wrack eines Lastautos. Dieser Weg ist fürchterlich, besonders wenn er naß ist. Die Landschaft ist ganz einförmig. Oft bleibt die Limousine im Schlamm stecken. Wir müssen warten, bis Serat kommt und uns flottmacht.

Wir haben noch über zwei Stunden durch pechschwarze Nacht zu fahren. In diesem gefährlichen Gelände eine spannende Fahrt! Bald sind wir auf dem Kamm eines Höhenzugs, der zu beiden Seiten steil abfällt, bald auf den drohenden Hängen eines Rückens. Immer haben wir wenigstens einen gefährlichen Abgrund neben uns, nur ein Meter trennt uns von dem sicheren Tod.

Die Schneemenge nimmt zu, je mehr wir uns von dem ausgetrockneten Innern des Festlands entfernen und uns der Küste und den feuchten Bahnen der Meereswinde nähern. Die Schneefelder leuchten aus dem Dunkel heraus. Ich sehe nicht, wie Effe fährt, und habe mitunter das Gefühl, als ob er den Weg verloren hat. Ich frage ihn, ob er ihn deutlich erkennt. Nach seiner Gewohnheit ist er ruhig und stumm wie ein Fisch. Am schlimmsten ist es bei den steilen, kurvenreichen Steigungen. Streiken dort Motor und Bremsen, und rollt der Wagen rückwärts wie gestern, so stürzen wir im Dunkeln unweigerlich über den Rand in den Abgrund.

Nach einer Weile treffen wir ein paar Nachtwanderer. Sie sagen uns, wir hätten nur noch etwa 1,5 Kilometer zu fahren. Wir setzen im Dunkeln unsern Weg fort. Endlich sehen wir ein paar Bäume und einige Häuser. Wir kommen auf die Hauptstraße des Dorfs und schlagen in einem Hof unser Lager auf. Wir sind 264 Kilometer von Lan-tschou gefahren und haben noch 138 bis Ping-liang zu schaffen. Auf dem Weg dorthin haben wir den Bergrücken Liu-pan-schan zu überwinden. Dann geht es wieder abwärts bis Sian.

Beim Dorf Ma-chia-pu steht ein Wachtturm mit fünf kleinen Pyramiden – es ist lange her, daß wir einen solchen sahen. Auch hier gibt es eine oft unterbrochene Allee, bis wir in ein schmales Tal hineinsteuern, wo der Weg gut ist, aber gewunden und hügelig. Wir fahren über ein paar Höcker. Dann geht es wieder abwärts zur Talsohle, wo der Weg gut und ungefähr acht Meter breit ist. Durch einen Torweg aus Ziegeln fahren wir hinein in die kleine Stadt Ching-ning. Hier soll die Begleitmannschaft gewechselt werden. Alle Läden sind wegen des Neujahrsfestes geschlossen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis wir die neue Begleitung bekamen.

Während dieser Zeit unterhielten wir uns mit dem Bürgermeister, der uns viele Verhaltungsmaßregeln gab. In seinem Bezirk wohnten 60 000 und in seiner Stadt 14 000 Menschen. Es gab 36 Schulen. Hier liegt ein Regiment von 3500 Mann, die von der Bevölkerung jährlich 150 000 Dollar erpressen. Die Rekruten hat man aus den Räuberbanden genommen.

»Das ist sehr vorteilhaft, solche Leute zum Schutz bei sich zu haben, denn sie stehen mit den Räuberbanden auf gutem Fuß. Sie werden deshalb nicht angegriffen werden. Von dem Dorf Lung-te an liegen in allen Garnisonen Truppen der Zentralregierung. Sie sind wirklich verläßlich.«

Er fügte hinzu:

»Wenn Sie unterwegs sechs oder mehr Leute beieinander treffen, so seien Sie vorsichtig. Das sind gewöhnlich Räuber.«

Als wir uns über die schlechte Straße beklagten, antwortete der Bürgermeister:

»Sie sollen mal sehen, wie sie in zwei Monaten aussieht, wenn sie in ein einziges Schlammbad verwandelt wird. Jetzt ist die Straße gefroren und hart.«

Nachdem wir noch ein paar Stunden gewartet hatten, können wir endlich durch das Osttor hinausfahren. Durch einen tiefen und engen Hohlweg geht es zur Talsohle hinunter, die mit Schnee und Eisschollen bedeckt ist. Die Straße ist gut, sie läuft in Windungen an der Talseite entlang und ist mit einer Schutzmauer versehen.

Eine Neujahrsprozession kommt mit einem großen goldenen Löwen aus Pappe an der Spitze und mehreren Flaggen angezogen. Sie sehen genügsam und froh aus, diese armen Bauern, die sich hier bei der größten Festlichkeit des Jahres vergnügen. Aber sie lieben die neue Straße nicht. Sie raubt ihnen einen Streifen Land, ohne daß sie dafür etwas eintauschen.

Die Straße ist von zwei Reihen prächtiger Erlen eingefaßt. Hier treffen wir 131 mit Waren beladene Kamele, ein buntes und angenehmes Bild in dieser Winterlandschaft. Eine große Herde pechschwarzer Schweine wird nach Sian getrieben. Die Straße ist wunderbar, nur hier und da verengt sie sich zu einem Hohlweg.

Am zweiten Neujahrstag ist der Verkehr unbedeutend. Größere Geschäfte schließen zwei Wochen lang, kleinere bloß eine Woche. Die Holzsäulen und Türpfosten sind mit roten Papierstreifen vollgeklebt. Auch die Karawanen sind zum Fest geschmückt. Vorn am Sattel des ersten Kamels hängen zu beiden Seiten rote Bänder herunter.

Es fängt an dunkel zu werden, als wir das Stadttor von Lung-te erreichen und zum Yamen des Bürgermeisters hinsteuern. Er empfängt uns in seinem Arbeitszimmer, das die übliche Form hat. Es ist unbeschreiblich einfach. Ein Tisch steht am Fenster, er bricht fast unter den vielen Akten zusammen. Ferner sind nur noch ein kleinerer Teetisch und sieben Stühle vorhanden. An der inneren Schmalseite befindet sich ein Kang, auf dem der Bürgermeister nachts schläft. Das Fenster hat Holzgitter, die mit weißem Papier beklebt sind – Glasscheiben steht man hier nicht. An der einen Wandseite ist ein einfacher Kamin. Ein Holzgestell trägt ein Waschbecken aus Eisenblech. Das kleine Gemach war also zugleich Arbeits-, Empfangs-, Schlaf-, Wasch- und Teezimmer, außerdem das einzige im ganzen Yamen, das geheizt war. So anspruchslos wohnen alle Bürgermeister Kansus, auch in den größeren Städten – eng, dürftig, schmutzig, kalt und dunkel.

Während wir mit dem Bürgermeister plauderten, traten ein paar Offiziere ein. Sie baten, in unsern Autos mitfahren zu dürfen. Wir antworteten, sie seien uns als Schutzwache willkommen.

Lung-te ist im Lauf der letzten zweiundeinhalb Jahre neunmal von Räubern ausgeplündert worden. Es lag daher zum großen Teil noch in Trümmern. Bei der letzten Plünderung vor knapp einem Jahr war ein Teil der Einwohner totgeschlagen worden. Die übrigen konnten fliehen. Einige Flüchtlinge waren jetzt wieder zurückgekehrt. Kaufleute sind im allgemeinen Überfällen am meisten ausgesetzt. Staats- oder Militärautos werden nicht angegriffen.

Man rechnete 70 Kilometer nach Ping-liang, wovon zehn über den Bergrücken Liu-pan-schan führen. Die Straße soll weniger steil und schwierig sein als die hinter uns liegende. Sie ist fast niemals durch Schnee gesperrt. Im Sommer ist sie aber oft nach Regen zerstört, schlüpfrig und gefährlich, ja, nicht selten wochenlang gar nicht zu befahren.

Wie mehrere Bürgermeister, die wir früher getroffen haben, erzählt auch dieser in Lung-te, daß die Bauern bestrebt find, ihr Eigentum in Haus und Hof auf ein Mindestmaß zu verringern. Sie brauchen dann nicht so sehr unter den Steuern zu leiden. Sie schicken ihre Kinder auch nicht zur Schule, da der Schulbesuch Geld kostet.

Ununterbrochen schneit es den ganzen Abend, ebenso am Morgen des 6. Februar. Der Bürgermeister, in dessen Namen wir gewohnt haben, kommt selbst heraus, um Lebewohl zu sagen. Er besteht darauf, daß wir sieben Soldaten mitnehmen, da die Gegend zu unsicher sei.

Wir holten die Begleitmannschaft in der Kaserne ab und rollten hinaus in die blendend weiße Landschaft. Ein Trupp von dreißig Mann zog ostwärts. Wahrscheinlich sollten einige Räuberbanden dingfest gemacht werden. Auf der Landstraße liegt mehrere Zentimeter dicker Schnee. So weit die Allee reicht, ist es leicht, sich zurechtzufinden. Dann aber ist die Straße unter Schnee verborgen. In den Spuren von Eselkarawanen versuchen wir vorwärts zu kommen.

Die Steigung beginnt. Die Autos kommen bei Hügeln und Kurven ins Gleiten und Schleudern. Die Schneemenge nimmt zu. Wir bringen behelfsmäßige Schneeketten an den Hinterrädern der Limousine an. Undurchdringlich hüllt die Schneedecke die weiße Landschaft in ihre Schleier. Man sieht höchstens einige dreißig Meter weit. Ununterbrochen schneit es weiter.

An ein paar steilen Stellen ist die Straße noch nicht fertig. Dort ist die Fahrbahn ganz schmal, und die Steinschwellen sind noch nicht weggesprengt. Das Auto kann nicht weiter. Chia-kwei legt Steine hinter die Räder, damit der Wagen nicht nach einigen Metern gleich wieder rückwärts rollt. Schneehaufen müssen weggeschaufelt werden. Drei Hausierer tragen auf der Achsel Bambusstangen mit Körben. Sie sind die einzigen Wanderer, die wir treffen. Bei solchem Wetter bleibt man in seinen vier Pfählen.

Nach ein paar größeren Windungen erreichen wir den ungefähr 2600 Meter hohen Paß. Im Zickzack geht es abwärts. Der Schneefall wird stärker. Richtige kleine Lawinen gleiten vom Autoverdeck. Nach einer Weile lichtet sich der Schneenebel. Wir sehen im Talboden ein Dorf. Sein Name ist Ho-schan-pu. Wir kreuzen eine Brücke, wo eine Kamelkarawane rastet. Fasanen flattern ganz dicht bei den Höfen im Schnee umher. Die sieben Soldaten, die mitgefahren sind, springen ab.

Wieder kommen wir an einer Kamelkarawane vorbei. Die Kisten, mit denen sie beladen sind, enthalten Tabak aus Lan-tschou. Wir folgen einem größeren Tal, an dessen Seiten sich Nebentäler öffnen. Fasanen kommen zu Hunderten vor. Sie sitzen auf der Straße und stiegen ein paar Meter vor uns hoch. Das Tal wird enger. An seiner schmalsten Stelle liegen drei kleine, besonders malerische Tempel von San-kwan-kou. Hier läuft die Straße an der rechten Talseite. Sie ist gut gebaut und hat eine Schutzmauer.

Um 3 Uhr kommen wir durch das Westtor von Ping-liang. Hier befindet sich eine Station der China Inland Mission. Wir halten vor dem Yamen des Magistrats. Aber niemand ist zu Hause, und wir fahren weiter, jetzt in Gesellschaft von Serat. Die unendlich lange Straße ist ein einziges Schlammbad. Der Schnee ist mitten auf die Fahrbahn geschaufelt worden und behindert den Verkehr. Alles ist feucht, schmutzig, ärmlich und reizlos.

Draußen vor dem Osttor fahren wir über eine Brücke. In der Dämmerung machen wir, 1250 Meter hoch, bei dem Dorf Tse-schih-li-pu halt. Obgleich wir fast acht Stunden gefahren sind, hatten wir kaum mehr als 95 Kilometer geschafft.

Am Morgen des 7. Februar herrschte dasselbe wolkige und düstere Wetter wie tags zuvor. Die Temperatur war bis auf -7,4 Grad gesunken. Weiter ging die Fahrt durch das breite Tal zwischen Hügeln, die immer niedriger wurden. Wir fahren durch Dörfer und Alleen, an Höfen und Gehölzen vorbei und über Brücken hinüber. Hsü-chuang ist ein größeres Dorf mit leeren Straßen. Die Einwohner bleiben in ihren Häusern, trinken Tee und rauchen Opium. Hier wurde vor ein paar Tagen ein Autobus überfallen. Den Fahrgästen wurden Geld, Wettsachen und Kleider geraubt.

Jetzt erreichen wir eine prächtige Allee, aber der Fahrweg läuft daneben. Man sieht viele Schneewehen. Oft fahren wir über Brücken. Der Weg ist jammervoll, man wird auf und ab geschleudert. In den Bergen war es weit besser.

Um die Mittagszeit schwenkt die Straße im rechten Winkel nach links und geht zum Fluß Ching-ho. Einige zugefrorene Flußarme werden gekreuzt. Dann fährt Effe in den Hauptarm. Das Auto sinkt immer tiefer, schließlich sprudelt das Wasser quer hindurch. In aller Hast retten wir die Sachen, die auf dem Boden liegen. Hinauf mit den Beinen auf die Rückenlehnen der Vordersitze! Dort sitzen wir, während das Wasser durch den Wagen hindurchfließt. Glücklicherweise brauchten wir nicht lange auf Serat zu warten, der uns heraushalf. Diesen Fluß mußten wir noch mehrmals kreuzen. Serat hilft uns, war aber selbst nahe daran, umzukippen.

Durch ein verfallenes Dorf fahren wir hinein in die Stadt Ching-chüan und kommen auf die enge Hauptstraße, die bald in einen Hohlweg übergeht. Wir sind auf falscher Straße, müssen rückwärts fahren, wenden und werden nach Tung-kwan, dem Osttor, gewiesen. Darauf fahren wir am Fuß verschneiter Hügel entlang, die wir zur Rechten haben. Das Tal wird schmäler. Rechts erheben sich rotgelbe Lößwände. Mir haben links den Fluß und fahren auf einer Brücke über ein Seitental. Die Straße geht dann unheimliche Steilhänge hinauf bis zu einer Schwelle, von der man aber wegen des Nebels keine Aussicht hat. Die Lößwände haben seltsame Formen von Häusern, Mauern, Festungen und Türmen angenommen.

Wir steigen. Die Bäume in der Allee haben Rauhreif und erinnern an Alabaster. Dann hält sich der Weg eine Weile auf dem Kamm. Dort oben ist es kalt. Der Schnee liegt sehr hoch. Die Allee hat aufgehört. Der Weg wäre ohne die Spuren von einigen chinesischen Lastautos nicht zu finden gewesen.

Quer durch das Dorf Yao-Lien läuft die Grenze zwischen Kansu und Schensi. Wir kommen an einsamen Gehöften und einem Dorf vorbei und begegnen einer Tabakkarawane von 200 Kamelen. Durch einen langsam abwärtsgehenden Hohlweg geht es zu einem größeren Tal mit einem Fluß, der nach Ching-ho fließt. Er wird auf einer schlechten Brücke gekreuzt.

Die Dämmerung ist in Dunkelheit übergegangen, als wir nach einer Fahrt von etwa 150 Kilometern zum Yamen des Bürgermeisters in der Stadt Ping-hsien fahren. Sie soll 3000 Einwohner haben. Wir befinden uns 800 Meter hoch.

Wieder geht es auf und ab durch eine Landschaft von rotem Lehm. Schneenebel hüllt uns wieder in seine Schleier. Eine Schweineherde nach der andern kommt vorbei. Sie werden in die Schlächtereien von Sian gebracht. Die Hügel werden niedriger und verschwinden allmählich. Wir kommen hinab auf ebenes Land. Beim Tor des Dorfs Chien-chun werden wir von Soldaten angehalten, die die üblichen Fragen stellen. Die ständige Spannung ist vorüber. Die Herzen brauchen nicht mehr am Rand gähnender Abgründe zu klopfen. Auch Räuber sind nun nicht mehr zu erwarten. Der Verkehr wird lebhafter. Wir überholen oder treffen Karren und Lastautos. Wir fahren über eine Ebene, deren Grenzen am Rand des Horizonts nach allen Seiten im Nebel verschwinden.

Um 2 Uhr kamen wir zur Stadt Hsien-yang mit ihren mächtigen Mauern. Durch drei Tortürme fahren wir zu der Holzbrücke über den Wei-ho, einen wirklich bedeutenden Fluß.

Es ist 3 Uhr, als wir das Osttor von Sian erreichen. Hier fängt die alte Seidenstraße an – für uns endet sie hier. Im »Nordwestlichen Hotel« lassen wir uns in einigen halb europäisch ausgestatteten kleinen Zimmern häuslich nieder.

Sian, »der westliche Frieden«, die berühmte Hauptstadt der Han- und Tangdynastien, wurde also der letzte Lagerplatz dieser langen Autofahrt und trägt als solcher die Nummer 175. Am 8. Februar haben wir etwa 170 Kilometer zurückgelegt. Es war der letzte Reisetag, den wir auf der Seidenstraße erlebten.

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Auf dem Bahnhof in Sian. Kung

Nach einigen Tagen fuhren wir mit dem Zug nach Nanking. Hier wurde uns von der Regierung ein königlicher Empfang bereitet. Ich selbst hatte die Ehre, von dem hochbejahrten Präsidenten der Republik Lin Sen empfangen zu werden. Auch bei dem großen Marschall Chiang Kai-shek, der damals sein Hauptquartier in Hankou hatte, war ich zu Gast. Der Ministerpräsident Wang Ching-wei lud die ganze Expedition zum Mittagessen ein und hielt eine Rede auf uns, die wir nie vergessen werden. Bei einer andern Festlichkeit waren der Ministerpräsident und 250 Mitglieder der Regierung anwesend. Da hatte ich Gelegenheit, in Form eines Vortrags einen ersten Bericht über unsere Fahrt zu geben. Herzliche Aufmerksamkeiten wurden mir an meinem 70. Geburtstag erwiesen. Sie gehören zu den stolzesten und kostbarsten Erinnerungen, die ich an den Fernen Osten bewahre.

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Der Verfasser bei Marschall Chiang Kai-shek und seiner Gemahlin. Boßhard

Dr. Norin hatte uns in Nanking erwartet. Mit ihm fuhr ich nach Schanghai, wo uns Generalkonsul Lindquist gastlich aufnahm. Über Peking, wo wir von vielen alten Freunden geehrt wurden, eilten wir durch die Mandschurei über Nowo-Sibirsk heimwärts. Hier waren wir einen Tag bei dem deutschen Konsul Großkopf zu Gast, der während der letzten acht Jahre unsern Expeditionen eine so tatkräftige Unterstützung hatte angedeihen lassen.

Am 15. April 1935 waren wir wieder auf schwedischem Boden. Auf der ganzen Strecke bis nach Stockholm wurden wir vom schwedischen Volk begrüßt. In Stockholm erwarteten uns Verwandte und Freunde, die so lange in Unruhe geschwebt hatten. Bei einem Festessen in meinem Heim fehlte niemand von den in Schweden anwesenden Mitgliedern unserer Expeditionen. Ich war glücklich, daß sie alle lebten. Nicht genug konnte ich ihnen allen für die Treue danken, die sie mir während der vergangenen Jahre geschenkt hatten.

Genau ein halbes Jahrhundert war es her, seitdem ich das erstemal meine Heimat verließ. Ein ganzes Leben hatte ich der Erforschung des dunkelsten Asiens gewidmet.

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Druck von F. A. Brockhaus, Leipzig

Ausschnitt aus dem Buchdeckel

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