Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

22.
Durch gefährliche Berggegenden

Nachts hatten wir selten mehr als 16 Grad Kälte. In der Nacht zum 21. Januar waren es nur -13,2 Grad. Nun sind wir endlich fertig zum Aufbruch! Die Abschiedsbesuche wurden rasch erledigt. Aber es dauert immer seine Zeit, aus einer Großstadt herauszukommen. Erst spät am Tage fuhren wir los. In Tung-kwan oder dem »Östlichen Stadttor« wurden wir von einer Kamelkarawane aufgehalten. Es waren hohe, königliche Tiere mit mächtigen, dunklen Winterpelzen und vornehmen Köpfen. Sie sahen im Düstern des Tores wunderbar aus.

Chin-kwan, »das goldene Tor«, ein guter Name für ein Dorf in diesem armen Land. Chin-shui-ho ist ein Fluß, der sich in ein paar Arme teilt, die wir zweimal kreuzen. Hier trafen wir einen geradeswegs aus Tibet kommenden Mann mit zwei Jaks. An mehreren Stellen wachsen Tannen, ein ungewöhnlicher Anblick. Hinter dem Dorf Ta-ho-yen lagerten wir und stellten in der Nacht Wachen aus. Sie erhielten einen Lohn von 650 Coppers, kleinen chinesischen Bronzemünzen mit einem viereckigen Loch in der Mitte. 600 bis 700 Coppers entsprachen einem Silberdollar in Liang-tschou. Die ganze Nacht hörte man Lärm von Wagen und schwatzenden Menschen.

So beginnen wir eine neue Tagereise auf dem Weg nach Lan-tschou, der vorletzten Etappe auf der langen Reise nach Sian. Erst in Lan-tschou hat man den Eindruck, sich der Zivilisation wirklich zu nähern.

Ho-tung-pu, »das Dorf östlich des Flusses«, hat Tore ohne Gewölbe. Auch hier sahen die Leute arm aus. Sie verbreiten einen üblen Geruch, denn in ihren Kleidern trocknet jahrelang der Schweiß. Kleine hungrige Kinder springen auf dünnen Beinen umher. Behörden und Soldaten denken nur an ihren eigenen Vorteil und lassen die armen Menschen im Elend verkommen. Das Land geht dann in offene Grusebene über. Ein ganzes Dorf liegt in Trümmern. Erdbeben und Militär haben es zerstört. Ching-pei-yi hat einmal schmucke Stadttore aus gebrannten Ziegeln gehabt. Jetzt liegen sie in Trümmern. Auch in der Hauptstraße sieht man nur Ruinen.

Der Bürgermeister in Liang-tschou hatte uns vor dem Dorf Ku-lan gewarnt. Die ganze Gegend dort würde von Räubern unsicher gemacht. Wir sollten schnell durch das gefährliche Gebiet fahren und nicht bei Ku-lan übernachten. In Su-tschou hatten wir einen gewissen Herrn Sun vom Kriegsministerium getroffen. Er war auf einer Reise zwischen Ping-fan und Ku-lan überfallen und ausgeplündert worden. Nur das nackte Leben hatte er retten können.

Mitten in der Nacht weckte mich Yews durchdringende Stimme. Er rief nach Tschockdung. Ich erhob mich aus dem Schlafsack und fragte, was geschehen sei. »Mit den Lastautos ist irgend etwas los«, antwortete Yew. Tschockdung eilte hinaus. Im selben Augenblick hörte man, wie jemand mit einem Satz aus ziemlicher Höhe auf den Erdboden sprang. Der Dieb verschwand hinter einer Mauer oder in einem Graben. Soweit man sehen konnte, fehlte nichts. Tschockdung erhielt Befehl, bis zum Tagesanbruch Wache zu halten. Die Nacht verlief dann ruhig.

Gleich hinter dem Dorf führte der Weg wieder in einen Korridor hinein. Er war dann acht Meter breit. Wir kommen zum gefährlichen Dorf Ku-lan und werden von Soldaten ohne Gewehr angehalten. Auf unsere Frage, warum sie ohne Waffen seien, antworteten sie, die Räuber nähmen sie ihnen ja sofort weg. Ohne Zwischenfall fahren wir durch das Dorf. Auf vielfach gewundenem Weg geht es dann am linken Ufer eines Flusses entlang, dessen Eisband sich einige zehn Meter unter uns hin schlängelt. Auf beiden Seiten fallen Bergabhänge gegen den Talboden nieder. Das Tal wird immer wilder und malerischer. In einer Ausweitung treffen wir sechs Karren mit gewölbtem Strohdach, in denen ein Zirkus oder eine Akrobatengesellschaft herumreist. Am Nachmittag treffen wir fünfzehn Reisende. Sie fuhren in einem Chevrolet-Lastauto, das als Omnibus zwischen Liang-tschou und Lan-tschou diente. Diese Omnibusgesellschaft ist von Ma Pu-chin gegründet worden. Der Omnibus fährt nicht eher los, als bis alle Plätze besetzt sind. Wer als erster Fahrkarten gekauft hat, muß so lange warten.

Zwischen Blöcken und Grus geht es bergauf und bergab. Dann fahren wir wie in einer Rinne auf dem Abhang, wo ein Schutzwall die Aussicht behindert. Der Verkehr ist recht lebhaft, wir treffen Karren, Esel, Wanderer, Handelsleute. Jungen tragen auf wippenden Stangen zwei Körbe mit Glaspfeifen, die einen Kuckuckslaut hervorbringen.

Das Tal wird immer wilder zwischen steilen Klippen und prächtiger Fernsicht. Großartig leuchtet die Abendsonne auf den Bergen, ihre Kämme erglühen in grellem Gelbrot. Wir werden bei den Kurven auf diesem wunderbaren Weg durchgeschüttelt. Er wird Ku-lan-hsia, »Ku-lans Hohlweg«, genannt. Es ist ein Kunststück, ein Lastauto so zu lenken, daß es nicht in die Tiefe stürzt. Eine Steintafel mit Inschrift soll an einen Wohltäter erinnern, der Geld für den Straßenbau geschenkt hatte.

Nachdem wir ein Seitental auf einer Brücke gekreuzt haben, klettern wir wieder auf steilem und schmalem Schlängelweg hoch. Man fragt sich, wie lange es dauert, bis die Kraftwagen umkippen. Eine Unachtsamkeit, und man mußte hinabstürzen und zerschmettert werden.

Auf einem Abhang uns gegenüber werden fünfzehn Jaks. Die Nordhänge sind noch schneebedeckt. Der Weg ist zu schmal für die Limousine, der Lastwagen ist noch einen Fuß breiter. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, mit heiler Haut vorwärts zu kommen! Die Große Mauer läuft rechts zum Talboden hinunter.

Bisweilen sind wir unten im Tal und kommen dicht an den Fluß. Dann geht es wieder hinauf auf gewundenem Weg. An einer Stelle springt eine wuchtige Felswand vor. Der Weg ist hier furchtbar schmal. Wir halten und warten auf den Lastwagen. Die Stelle wird untersucht und vorsichtig umfahren – es glückt. Auf einer Höhe vor uns sieht man einen Karren. Glücklicherweise hält der Kutscher rechtzeitig. Ein Vorbeifahren an dieser schmalen Stelle wäre undenkbar.

Chia-kwei, Li und Tschockdung haben ihre eigene Philosophie. Sie hocken auf dem Deck des Lastwagens. Kommt er an besonders gefährliche Stellen, so werfen sie sich Pelze über den Kopf. So brauchen sie wenigstens ein etwaiges Unglück nicht zu sehen. Es wäre besser gewesen abzuspringen, aber das war oft leichter gesagt als getan.

Wir fahren an einer Ulmenreihe vorbei, die am Ufer des vereisten Flusses steht. Im Sommer mußte es hier herrlich sein. Nahe beim Dorf Hou-shui, »Zusammenfluß des Wassers«, lagerten wir in 2100 Meter Höhe.

Nach einem Tief von 19,6 Grad war es am Morgen des 24. Januar grimmig kalt. Eine Reiterschar ritt durch das Tal nach Liang-tschou. Wir wunderten uns, was das für Leute waren. Es waren Soldaten, die uns anhielten und Fragen stellten. Sie erzählten, daß eine Bande von etwa dreißig Räubern am Tag vorher festgenommen worden sei. Man habe sie mit Eisenfesseln aneinandergekettet. Jetzt sollten sie nach Liang-tschou getrieben, dort gefoltert und abgeurteilt werden.

Wir fuhren zum Fluß hinunter, der aus südwestlicher Richtung kommt und fünfunddreißig Meter breit ist. Zum größten Teil ist er eisbedeckt, hat aber in der Mitte eine schmale Wasserrinne. Die Limousine kam gut hinüber. An einer Stelle, wo der Fluß sechzig Meter breit ist und mehrere Schichten Eis mit Wasser dazwischen hat, versuchte es der Lastwagen. Er war noch nicht weit gekommen, als er langsam durch das Eis durchbrach. Das Gepäck mußte abgeladen und über das Eis auf festen Boden getragen werden. Die ganze Geschichte kostete uns zwei Stunden. Dann geht es einen Berg an der linken Talseite hinauf. Mächtige Blöcke sind zur Seite geschafft worden. Wir kommen wieder in einen vier Meter breiten Hohlweg hinein. Man trifft wandernde Tunganen, chinesische Bauern und Kaufleute. Fast alle tragen blaue Kleider oder Schafpelze, die mal weiß gewesen sind. Sie haben Filzstrümpfe und Schuhe, außerdem Ledermützen oder kleine Filzkäppchen. Auf einer Brücke kreuzen wir eine Nebenfurche in einer tief eingeschnittenen Schlucht. Bald treffen wir mehrere Reiter und zwei Karren mit gewölbtem Strohdach. Es ist ein Bräutigam, der sich seine Braut holen will. Drei weitere Karren gehören zu seinem Gefolge, auf denen seine eigene Habe und die Gaben der Schwiegereltern für das neue Heim fortgeschafft werden. Trotz aller Armut geht das Leben seinen Gang. Die Menschen verheiraten sich, bekommen Kinder und sterben.

.

Eingebrochen! Hou-shui am 24. Januar 1935. Yew

Ein sehr steiler und gewundener Weg führt uns wieder zum Boden des Haupttals. Wie Lastkarren diese Steigung erklimmen, ist unfaßlich. Wir sind in 2200 Meter Höhe. Hin und wieder bilden Quellen an den Seiten des Tals Eisschollen, die wie Metall in der Sonne schimmern. Lung-kou-pu, »das Dorf des Drachenmauls«, besitzt bloß einige Hütten. Wir fahren über ein paar Eisschollen; eine davon ist zehn Meter breit. Das Eis hält. Dann geht es an mehreren herrlichen Plätzen mit Bäumen vorbei; auf einigen Abhängen wachsen Nadelbäume. Nan-yüan, »der südliche Hof«, hat zwei Wassermühlen am Ufer. Auf dem ganzen Weg gibt es alte Wachttürme. Hier und da sieht man Lama- und Buddhatempel. Um ½6 Uhr schlagen wir unser Lager 163 in 2600 Meter Höhe bei dem Dorf Nan-nien auf. Hier besitzt ein reicher Mann zweihundert Schafe, die für die Nacht in einen Pferch getrieben werden. Dieser Mann versprach uns zwei Nachtwachen, die sich bei Dunkelheit auch einfanden. Sie freundeten sich mit unsern Dienern gleich an, schwatzten und lachten mit ihnen. Nachts hörte man alle Viertelstunden ihr Geschrei. Sie wollten damit Diebe erschrecken, Räuber in die Flucht jagen und beweisen, daß sie wachten.

Am Morgen des 25. Januar waren wir alle nach -19,8 Grad in der Nacht und bei hartem südöstlichen Wind durchgefroren. Wir brachen auf und kletterten immer höher. Im Tal wimmelt es von Felsentauben. Stellenweise sieht man Schneestecke und Eisschollen. Immer höher geht es. Hier wandern junge Chinesen, die im taktmäßigen Schritt ihre großen Körbe anmutig auf Bambusstangen schaukeln lassen. Um ¾11 Uhr sind wir auf dem 2775 Meter hohen Paß. Das war der höchste Punkt, den wir auf der ganzen Expedition erreicht hatten. Auf der Paßhöhe, Wu-shao-ling, »des Kammes schwarzer Gipfel«, steht ein kleiner Tempel, »Han-tsu-miao«. Ein alter Priester mit langem Spitzbart tritt heraus. Der Paß bildet die Grenze zwischen Ku-lan und Ping-fan.

Schon vor dem Paß hatten wir wieder Reste der Großen Mauer gesehen. Jetzt bei der Talfahrt haben wir die Große Mauer zur Linken. Sie besteht hier aus drei Mauerzügen. Wir befinden uns zwischen dem mittelsten und dem äußersten. Das Tal ist ziemlich offen. Links haben wir Hügel, wo Schafherden werden, rechts größere Berge. Hier treffen wir acht reitende Tunganen mit Bündeln auf ihren Pferden. Ob es Kaufleute oder Räuber sind, weiß man nicht. Ein Weilchen später sind wir vor der Großen Mauer, die hier an mehreren Stellen abgebrochen ist. Beim Dorf Chin-chang-yeh fahren wir über mehrere Arme des Ping-fan-ho. Unser Weg geht in südöstlicher Richtung in einem recht breiten Tal und mit der mächtigen schneebedeckten Kette rechts. Die Große Mauer ist hier aus Lehmblöcken und Luftziegeln gebaut und ungefähr drei Meter hoch. Der Ping-fan-ho ist ansehnlich und trägt an breiteren Stellen gewaltige Eisschollen. Gelegentlich sieht man Ruinen von Festungen, Häusern und Mauern. Wir kreuzen einen vereisten Nebenfluß, der von rechts kommt. Hier geht die Große Mauer über den Hauptfluß. Dann haben wir sie bald rechts, bald links vor uns. Die Türme liegen hier dichter als früher. Mitunter wirkt die Mauer wie mit Zinnen versehen, aber es ist nur die Verwitterung, die ihre Krone angefressen hat. An einer unbeschädigten Stelle ist sie 4,30 Meter hoch, oben 0,85 Meter und unten etwas über 2 Meter breit.

Wir lagern im Dorf Fou-chong-pu in 2200 Meter Höhe. Wieder eine kalte Nacht von -19,3 Grad. Solange es in unsern Zelten hell war, stand ein Dorfköter davor und bellte. Als wir das Licht ausgelöscht hatten und es still geworden war, wandte er sich von uns ab und bellte die Reisenden auf dem Weg an. Er tat das die ganze Nacht und bellte sich heiser. Ich wollte ihn erst fortjagen, ließ es dann aber sein. Unaufgefordert machte er sich ja die Mühe, bei uns zu wachen, während wir schliefen. Wahrscheinlich dachte er – und das mit Recht –, wir wären so unvorsichtig, an dieser Straße ohne Nachtwache zu liegen.

Der Weg mündet in eine Allee, die am Ufer entlang geht. Das Tal ist recht schmal. Der Fluß ist offen und reißend, Eisschollen treiben auf ihm, die Ufer sind zum Teil vereist. Immerzu genießt man die prachtvolle Fernsicht. Beim Dorf Wo-shun-yeh ist der Fluß sehr breit und ganz zugefroren. Er gleicht hier einem See. Auf einer hohen kurzen Balkenbrücke überqueren wir ihn an einer schmalen Stelle. Hinter dem Dorf Feng-pu kommen wir wieder durch einen vier Meter tiefen Hohlweg. Glücklicherweise treffen wir hier keine Karren, obwohl der Verkehr zugenommen hat und recht lebhaft geworden ist. Der Hohlweg wird bald über sechs Meter tief und schlängelt sich nach allen Richtungen. Ein anderer Weg rechts oben auf dem Gipfel kann nicht von Wagen befahren werden. An einer Stelle führt eine schmale Baumstammbrücke quer über den Hohlweg. Ein Weg, der so tief in den Boden eingeschnitten ist, muß hohes Alter besitzen.

Nachdem wir ihn endlich überwunden haben, läuft links die Große Mauer in einem Abstand von einigen hundert Metern. Hinter dem Dorf Shi-li-tien-tse, »Die Zehn-li-Herberge«, sind wir in offenem Land. Der Fluß ist außer Sicht. Vorbei geht es an einem Tempel mit schönem Dach. Wir erreichen Ping-fans Nordtor und werden von Soldaten angehalten. Sie sehen sich unsere Besuchskarten an und lassen uns weiterfahren. Ein Weilchen später sind wir beim Bürgermeister, der uns inständig ersucht, zum Mittagessen zu bleiben. Aber wir bitten, unsere Reise fortsetzen zu dürfen, nachdem wir in seinem Yamen eine Tasse Tee getrunken haben. Der Bürgermeister erzählt, daß der Bezirk Ping-fan vor achtunddreißig Jahren 100 000 Einwohner hatte, jetzt sind es nur 70 000. In der Stadt wohnen 1200 Familien, Chinesen, Tunganen, Mandschuren, Mongolen und Tibetaner.

Darauf fuhren wir durch einige schöne Tore hinaus. Das Südtor ist ein Doppeltor mit einem frei stehenden Tor davor. Als ich vor achtunddreißig Jahren aus Tibet und Sining kam, war ich durch das Westtor eingezogen. Wieder komme ich jetzt in die Stadt, und zwar auf einem Weg, den ich vorher nie betreten hatte.

Bald kommen wir in einen 8 Meter tiefen Hohlweg, der voll von Staub ist. Bei dem Dorf Teh-chen-pu wurde Lager 165 in 1900 Meter Höhe aufgeschlagen. Beim Lager gab es einen Kwei-sin-kou, einen Turm mit Holzüberbau. Er ist dem Gott Kwei-sin gewidmet, der unter dem in der Mandschudynastie blühenden Examenwesen entschied, wer das beste Zeugnis bekommen sollte.

Am 27. müssen wir wieder in einen 5 Meter tiefen Hohlweg hinein. Wir treffen mehrere Karren. Sie werden von Mauleseln gezogen, die vor den Kraftwagen scheuen oder ganz einfach kehrtmachen. Man kann ersticken von dem vielen Staub, den sie aufwirbeln. Am rechten Flußufer erheben sich Berge von bedeutender Höhe, während wir links nur niedrige Hügel haben. Beim Dorf Kao-chin-tse läuft der Weg zwischen einer Hausreihe und der einige Meter hohen, steil abfallenden Strandterrasse des vereisten Flusses. Schöne mächtige Bäume schmücken das Flußufer.

Jetzt sind wir wieder in einem Hohlweg. Ein Steg für Fußgänger führt darüber. Der Staub wird von Karren, Hufen und Füßen aufgewirbelt und liegt dick auf dem Weg. Alles ist grau in grau. Man kann im Kraftwagen kein Ziel bestimmen: man sieht nur einen grauen Himmel von Staub. In diesem verzwickten Durcheinander von Häusern, Mauern, Terrassen und Bäumen und bei dieser dicken Luft kann man höchstens 20 Meter weit peilen. Nur im Schneckentempo geht es vorwärts. Man wundert sich, wie Menschen an einer Straße wohnen können, über und um die ständig dichte Staubwolken schweben! Den lieben langen Tag bekommen sie Staub in ihre Lungen. Nur in den Nächten sind sie für einige Stunden davon befreit.

In der Nacht zum 28. Januar sank die Kälte bis auf -20,8 Grad. Es geht zwischen gelben Lehmhügeln am Tempel Kwan-yin-tse weiter. Jetzt taucht die Große Mauer rechts auf. Wir hatten sie also an einer Stelle gekreuzt, wo sie unterbrochen war. Auch der Ping-fan-ho befindet sich jetzt rechts von uns. Dieser Weg mußte nach einem starken Regen für Kraftwagen gefährlich sein, da mußte man wie in Schmierseife über den Rand einer Kurve gleiten und in die Tiefe stürzen. Der Weg zwischen Liang-tschou und Lan-tschou ist sicher der schwerste und gefährlichste gewesen, den wir auf der ganzen Autoexpedition überwunden haben. Zum größten Teil besteht das Land aus Löß, nur hier und da kommt fester Felsen hervor. Der Himmel überzog sich am Abend, und es schneite leicht. Wir hatten auf einem kleinen ebenen Platz gelagert, auf einem Friedhof mit achtzehn Gräbern.

Wir brechen auf und passieren einen cañonartigen Hohlweg mit eigentümlichen Säulen aus gelbem Lehm. Der Verkehr ist lebhaft. Überall ist der Boden bebaut. Man sieht werdende Schafherden. Von einer Schwelle hat man eine weite Aussicht über das wildgeformte Land im Südsüdosten.

In der vergangenen Nacht war ein Stück von einer senkrechten Lehmwand heruntergestürzt und hatte den Weg versperrt. Karren können hinüberkommen. Wir aber müssen halten und einige kleine Blöcke beiseiteschieben. Kurz darauf geht es durch das kleine Dorf Hsiao-lu-che, »das Kleine Becken«. Hier räumen die Leute gerade auf und richten ihre Häuser zum Neujahrsfest her. Alle Frauen haben hier verkrüppelte Füße. Vor uns ist wieder eine Paßschwelle. Die Steigung beginnt in gräßlich steilen, schroffen Zickzackwegen. Das Herz klopft einem bis zum Hals hinauf. Man ist gespannt, ob wir hinaufkommen, oder ob das Auto rückwärts in die Tiefe rollt. Aber schließlich sind wir oben nach einer Steigung von 60 Metern auf 500 Meter. Auf der andern Seite geht es auf dem gewundenen Weg der rechten Talseite gegen Ostsüdost. In einem Abhang rechts steht man einige Grotten. Vor uns erhebt sich hoch über dem Tal ein roter Felsklotz. Er gleicht einem Palast, einer Akropolis mit hohen Säulengängen, und steht wie ein Werk von Menschenhänden aus.

Der Weg führt zwischen steilen grauen Bergen mit recht viel Neuschnee dahin. Der Hohlweg wird immer enger, tiefer und kälter. Im Hintergrund steht man wieder rote malerische Berge. Eine wilde und eindrucksvolle Natur, ein prachtvoller Rundblick. Nur 50 oder 70 Meter Abstand sind es zwischen beiden Felswänden. Plötzlich steht man das Tor des Hohlwegs. Man tritt heraus aus den Bergen und hat das Tal des Hoang-ho, des »Gelben Flusses«, im Süden vor sich, das von Bergen begrenzt wird, die in leichten Tönen schimmern.

.

Am 29. Januar um 4 Uhr 50.

Mit Bergen zur Linken fahren wir zwischen weißen Ackern ostsüdostwärts. Im Südwest blinkt der Gelbe Fluß in der sinkenden Sonne. In Erh-shi-li-pu erfahren wir, daß es nur noch 8 Kilometer bis nach Lan-tschou, der Hauptstadt Kansus, sind. Zur Rechten steht man flüchtig die Große Mauer, und Wachttürme mit oder ohne Hofmauern begleiten uns treu wie bisher.

.

Brücke Lou-tai-chiao westlich von Lan-tschou. Chen

Um ½6 Uhr sind wir am Ziel, am Gelben Fluß; der Weg läuft 10 oder 15 Meter über ihm. Wir fahren durch ein Tor hinein in die Stadt und weiter zu einem neuen Tor. Unser Lager 168 wird im Yamen aufgeschlagen. Am nächsten Tag machten wir Besuch beim Generalgouverneur Chu Shao-liang, der uns höflich aufnahm. Er hatte vom Ministerpräsidenten Wang Ching-wei den Befehl bekommen, uns in jeder Hinsicht zu helfen. Er sollte auch auf der Reise nach Sian für unsern Schutz sorgen. Auf allen gefährlichen Strecken sollten uns Militärposten begleiten. Wir besuchten dann die katholische Missionsstation. Es war eine prächtige Anlage mit einer großen Kirche und mehreren Höfen in einfacher und würdiger Bauweise. Bischof Buddenbrock empfing uns warm und liebenswürdig. Schon seit mehreren Jahren hatte ich mit ihm in Briefwechsel gestanden. Auf Dr. W. Haudes und meine Bitte hatte er uns wichtige meteorologische Aufschlüsse über Kansu gegeben. Ich saß lange bei ihm. In Lan-tschou hatte er dreizehn Jahre zugebracht und vorher siebzehn Jahre in Schantung gearbeitet. Die große Mission hatte vier Patres, fünf Laien und vierzehn Schwestern.

Zu unserer Freude waren bereits Kung und Georg aus Chung-wei gekommen. Sie hatten verschiedene Abenteuer auf ihrer Fahrt erlebt.

Am 31. Januar waren wir zu einem europäischen Mittagessen bei Generalgouverneur Chu. Er ist der einzige, der die fünf »Großen Pferde« im Zaum zu halten vermag.

In der China Inland Mission trafen wir Mr. Kieble mit Familie, Doktor Vaughan Rees und Frau, ferner Herrn Thomas Moseley mit seiner aus Schonen gebürtigen Frau. Im englischen Krankenhaus war Rand und nach ihm Rees Oberarzt. Es liegt hoch oben auf der nördlichen Seite des Flusses. Von seinen Fenstern hat man einen herrlichen Blick über den Gelben Fluß. Vor einer Woche konnte man auf dem Eis über den Fluß fahren. Jetzt waren dort nur noch schmale Eisstreifen und Treibeis. Über den Fluß geht eine 220 Meter lange und 8 Meter breite Eisenbrücke mit fünf Brückenbögen, die jedoch nicht in die Umgebung hineinpaßt.

*


 << zurück weiter >>