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9.
Dambin Lamas Räuberburg

Das nächtliche Tief hatte nur 15,7 Grad unter Null betragen. Bei dem heftigen Südwestwind am Morgen des 18. Januars kam es uns aber schneidend kalt vor. Wir nahmen unsere Plätze in der rollenden Kolonne ein. Mein Fahrer, unser »Hausarzt«, brauchte wegen des Eises des Möruin-gol keine Bedenken zu haben. Es war mindestens ein halbes Meter dick und trug. Auf dem linken Ufer fuhren wir zum Zollhaus hinauf. Vier Zollschnüffler traten heraus und wiesen uns den Weg. Sie wagten zwar nicht, unsere Ladung mit Zoll zu belegen, schienen aber nicht übel Lust dazu zu haben. Kaum hat man diese Siedlung hinter sich, so ist man auf unfruchtbarer »Gobi«. Man fährt an einem großen Obo aus Nutzholz vorüber, einem Wegweiser bei Sandsturm oder Schneegestöber. Der Weg ist ausgezeichnet und hebt sich als helles Band vom Boden ab. Hier kommt ein einsamer Wanderer, der ein weißes Kamel führt. Die Wüste ist unsagbar öde. Dies ist »Die Schwarze Wüste«, die Khara Gobi der Mongolen. Keine Spur von Pflanzenwuchs. Nur hin und wieder einige dahinwelkende Grasbüschel auf niedrigen Kegeln. Das Land ist flach. Geländewellen merkt man nur daran, daß die Autos, die vor uns fahren, von Zeit zu Zeit verschwinden. Gelegentlich gleicht der Karawanenweg mehreren schmalen Fußpfaden. Das ist der große Weg, den unser Freund, der alte Marschall Yang Tseng-sin, dem Verkehr erschloß. Er hatte gerade sein Amt als Gouverneur von Sinkiang im ersten Jahr der Republik angetreten.

Drei Lastwagen haben haltgemacht, um Brennstoff für die Lagerfeuer des Abends zu sammeln. Alle Wegzeichen bestehen aus dürren Saksaulen, die zu schmalen Bündeln zusammengebunden sind. Sie stehen da wie Pricken in einem Fahrwasser. Vor uns tauchen niedrige Berge auf, deren Gipfel zitternd über dem Horizont zu schweben scheinen, eine Luftspiegelung, die ihr trügerisches Gaukelspiel treibt.

Nach einer Weile erreichen wir einen eigenartigen Ort, wo Saksaulen und einige Pappeln zwischen hohen Dünen wachsen. Hier befindet sich eine Zollnebenstelle und ein Tempel, der Kwan-yu-miao heißt. Er ist erst vor vier Jahren auf einer kleinen Anhöhe errichtet worden. Man hat von ihm eine unendliche Aussicht nach Westen. Als die Zollstelle angelegt wurde, stahl man Bauholz von einem Obo bei dem Tempel. Einer der Diebe erkrankte daher. Kwan-Yü, nach dem das Heiligtum genannt ist, war ein noch heute berühmter Feldherr in der Zeit der Drei Reiche. Er wurde wegen seiner Treue zu seinem Kaiser bewundert. In der Nähe des Tempels liegt der »Schilfbrunnen«, den ziemlich üppiges Schilf umgibt.

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Tempel am »Schilfbrunnen« (Lu-tsao-ching) in der Schwarzen Gobi. Hummel

Meile auf Meile bleibt sich die Landschaft gleich. Nur dann und wann begegnen uns Streifen mit Grasbüscheln auf Kegeln und noch seltener Tamarisken. Ein ausgetrocknetes Flußbett zeigt deutliche Erosionsstraßen. Es verrät damit, daß bisweilen doch Wasser in der Rinne fließt.

Die »Berge« stellen sich als niedrige Erhebungen heraus, als gelbe und schwarze Hügelrücken, zwischen denen sich der Weg hinschlängelt. Kleine flache Furchen, dunkler Grus, kein Pflanzenwuchs, Porphyr mit weißen Quarzadern, niedrige Schwellen und Pässe. Wir befinden uns in einem Labyrinth kleiner Hügel. Es ist nicht schwer, voranzukommen, solange es hell ist. Aber jetzt sinkt die Sonne und sendet uns ihre blendenden Strahlen gerade in die Augen. Die drei Lastautos fahren vor uns her. Wir folgen ihren Spuren. Bald ist die kurze Dämmerung in Dunkelheit übergegangen. Jetzt ist es schwierig, die roten Fähnchen zu sehen, die bei der kartographischen Aufnahme als Marken ausgepflanzt werden. Endlich erblicken wir unter der kleinen Mondsichel in einiger Entfernung ein Feuer. Wir erreichen unser Lager, das schon bereit ist, uns aufzunehmen.

In der Nacht haben wir 23 Grad Kälte. Am nächsten Tag setzen wir unsere Fahrt auf dem Karawanenpfad fort. Von Zeit zu Zeit kommen wir an alten Lagerplätzen vorüber. Sie verraten sich durch Kameldung oder die Feuer- und Kochgruben der Karawanentreiber. Gewöhnlich ist der Boden vollkommen unfruchtbar. Hart und eben, ist er für Autofahrten ausgezeichnet. Der Wegebauer hat hier wenig Arbeit. Bisweilen fahren wir über hart gewordenen trockenen Schlamm, den das Regenwasser in flache Niederungen hinabgespült hat. Er bildet den schönsten Boden, der einer Asphaltstraße ähnelt. Rechts und links unserer Straße erheben sich niedrige Hügel in der Ferne.

Alles ging glatt. Wir hatten schon zehn Kilometer zurückgelegt, als uns das letzte Auto durch Zeichen zur Umkehr aufforderte. Wir fuhren zurück. Serat – der Fahrer des letzten Wagens – berichtete, daß dem »Edsel« noch im Lager 23 ein Unglück zugestoßen war. Kurz nach unserm Aufbruch waren auch die Lastwagen fahrbereit. Nur »Edsels« Motor war eingefroren. Dschomtschas Wagen nahm ihn ins Schlepptau. Dabei fuhr »Edsel« auf eine niedrige Böschungskante auf, während Dschomtscha in voller Fahrt war. Durch den Ruck wurde die Vorderachse des »Edsel« etwas verbogen. So war der Wagen unbrauchbar. Georg ließ uns sagen, er brauche für die Ausbesserung mindestens zwei Tage. Wir berieten. Bei dem nächsten Brunnen mußten wir sowieso ein paar Tage stilliegen. Hier wollte Chen eine astronomische Ortsbestimmung machen. So konnten Dschomtscha und Effe mit ihren Kraftwagen zum Lager 23 zurückkehren und Georg helfen. Serat sollte uns mit seinem Lastauto zum nächsten Lager begleiten.

Es ging also weiter nach Westen. Das Gelände wurde eine Zeitlang schlechter. Es war von zahlreichen seichten Abflußfurchen durchzogen. Dadurch geraten die Wagen in eine schaukelnde Bewegung. Die Fahrt wird wesentlich verlangsamt. Der Boden steigt ganz allmählich an. Die Geländewellen sind ziemlich flach. Im Süden ist die Landschaft überwältigend. Kaum zehn Kilometer entfernt zieht sich ein niedriger dunkler Höhenzug hin, der einer scharf gezeichneten Meeresküste gleicht. Hinter ihm ragen noch drei Höhenzüge empor. Sie heben sich in immer leichteren hellblauen Farbtönen ab, je weiter sie entfernt sind. Dieses Gebiet hat eine täuschende Ähnlichkeit mit dem Meer und seinen rollenden mächtigen Dünungen. Man kann den Blick nicht losreißen von dem wunderbaren Landschaftsbild. Doch vergebens lauscht man darauf, die Dünung gegen die Uferklippen donnern zu hören. Hier ist es still und stumm. Nur der Westwind klagt und heult, wenn er über unsere Autos hinwegstreicht. Die erstarrten Wogen sind trocken; kein Tropfen Wasser findet sich weit und breit. Der Weg führt über kleine niedrige Schwellen von Tonschiefer. Auf einem Höhenrücken stehen drei Obos aus Stein. Bisweilen dient nur ein einziger, größerer, hochkantig aufgestellter Stein als Wegzeichen. Rechts haben wir in einer Entfernung von ein paar Kilometern eine schwarze Bergkette, von der zahllose kleine Furchen nach Süden auslaufen.

Serat machte halt und fragte nach den Befehlen für das Nachtquartier. Er wußte, daß es links vom Weg eine Niederung mit Saksaulen gab, wo wir Brennstoff in Hülle und Fülle hätten. Dorthin lenkten wir die Wagen. Das Lager wurde eiligst aufgeschlagen; das Sammeln von Feuerholz begann. Inzwischen war Dschomtscha mit seinem Auto angelangt. Wie Kung, sein Fahrgast, berichtete, sah die Lage im Lager 23 recht ernst aus. Georg hatte sich einen Plan ausgedacht. Danach wird der »Edsel« abgeladen und die verbogene Vorderachse mit ihren Enden auf Holzklötzen aufgestützt. Sie ähnelt dann also einer Bogenbrücke. Darauf wird ein vollbeladener Lastwagen so aufgestellt, daß das eine seiner Hinterräder sich auf den Scheitelpunkt der verbogenen Achse stützt. Mit Winden wird das Rad dann langsam herabgelassen. Es soll durch die Schwere seines Wagens die Achse zurückbiegen. Damit der kalte Stahl nicht etwa springt, wird sie mit der Lötlampe angewärmt. Würde es gelingen, eine so schwierige Arbeit mitten in der Wüste auszuführen. Ich bezweifelte es und war darauf gefaßt, den neuen Wagen zu verlieren.

Das Lager 25 hieß Ye-ma-ching – der »Brunnen des Wildpferdes«. Ich überlegte hin und her. Was Kung und Dschomtscha über den verunglückten Wagen berichtet hatten, war recht bedenklich. Georg selbst hatte daran gedacht, Effe mit der verbogenen Vorderachse des »Edsel« an den Edsin-gol zu schicken. Dort hätte er vielleicht Naidang noch antreffen können. Dieser hätte dann die Achse nach Peking mitnehmen können, wo man sie leicht ausbessern konnte. Ich hielt es für meine Pflicht, mich selbst von der Lage zu überzeugen. Vor allem mußte ich vorbeugen, daß Georg überstürzte Beschlüsse faßte, um »Edsel« um jeden Preis zu retten. Die Entfernung betrug nur 100 Kilometer. Mit der Limousine war das in 3½ Stunden leicht zu bewältigen, da wir keine zeitraubende Kartenarbeit vorzunehmen brauchten.

Mit Yew und Dschomtscha brach ich kurz vor Mittag auf. Jetzt hatten wir die Sonne auf der Seite und im Rücken. Man fühlte sich noch stärker an das Meer erinnert als vorher. Die Stille und völlige Leblosigkeit der Wüste breitete sich rings um uns aus. Nein, ganz leblos war die Wüste heute nicht. Fern im Osten entdeckte Yew einen schwarzen Punkt.

»Ist das etwa einer von Georgs Wagen?« fragte er.

Heraus mit dem Fernglas! Nach einer Weile erkennen wir ein Kamel, das langsam einhertrottet. Noch ein paar Minuten, und wir sehen, daß es allein ist und keinen Sattel trägt. Es ist ein wildes Kamel, das offenbar von einem Nebenbuhler gezüchtigt worden ist. Es hatte wohl seine Liebe zu den jungen Kamelstuten der Herde allzu augenfällig verraten. Darum wurde es ausgestoßen und mußte bis zum Ende der Brunstzeit in Einsamkeit leben. Der Kamelhengst nahm uns wahr und wunderte sich vermutlich, warum es das schwarze plumpe Kamel so eilig hatte. Doch witterte es Unheil, setzte sich in Galopp und verschwand mit Windeseile zwischen den Hügeln im Süden.

Gegen den Hintergrund der Höhenrücken bei Lager 23 sahen wir ein Zelt und zwei Lastautos. Ausgezeichnet! Da war also Effe mit der verbogenen Achse nicht zu Naidang geschickt worden. Vor dem Zelt saß Georg und feilte an einer Schraube, während die andern drei die Räder befestigten. Sie hörten und sahen uns nicht, bis wir ganz dicht am Lager waren.

»Na, wie geht es?« fragte ich.

»Danke, alles klappt.«

»Ist die Achse zu gebrauchen?«

»Ja, vollkommen! Wir sind sogar ohne Erwärmung ausgekommen.«

»Wann werdet ihr fertig?«

»Morgen abend um 6 Uhr.«

»Wir müssen bei Tageslicht fahren. Beeilt euch!«

»Was will der Herr Doktor zu Mittag haben?«

»Pilmen und Tee.«

Tschockdung war ein vortrefflicher Koch und begann sogleich den Teig zu kneten.

Dann sahen Yew und ich zu, wie Effe, Georg und Dschomtscha die Achse wieder einsetzten und festschraubten.

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Georg in seiner Werkstatt bei Ye-ma-ching. Bergman

Das Essen ist angerichtet! Wir setzten uns alle im Kreis um das Feuer, das in dem »Tollok« des Zeltes brannte. Tschockdung trug sein Meistergericht auf, das vorzüglich schmeckte. Butterbrot und eingemachte Erdbeeren beschlossen dieses wunderbare Gastmahl in der Wüste.

Beim Schein von Taschenlampen und Autolampen wurden die Reifen aufmontiert. Wir plauderten am Feuer und legten uns dann um 11 Uhr sieben Mann hoch in dem kleinen Zelt schlafen. Yew und ich lagen nebeneinander hinten im »Chor« des Zelts. Die andern verstauten sich, so gut es ging. Mit dem »Edsel« fertig zu werden, hatte die Kräfte in Anspruch genommen. Die Leute waren sehr müde. Ein ganzes Orchester schnarchender Männer spielte in allen Tonarten. Bisweilen klang es, als wollten sie ersticken. Dann wieder schienen sie verzweifelte Versuche zu machen, wilde Kamele zu verschlucken. Das Zelt war geschlossen. Kein Wind wehte. Es duftete nach wiederkehrenden Pilmendämpfen und einer Mischung der Ausdünstungen dreier Rassen. Schließlich schlief ich trotzdem ein und fand das Leben in der Wüste wunderbar.

Am folgenden Morgen weckte mich das aufmunternde Geräusch von »Edsels« Motor. Er fuhr eine Runde nach der andern um das Lager. »Edsel« war gerettet! Doch an seiner Stelle war die Limousine krank. Der Querbalken, der das ganze Vordergestell trug, hatte einen Sprung bekommen. Er mußte behelfsmäßig verstärkt werden, wenn ich nicht unversehens einen Purzelbaum schießen wollte. Diese Ausbesserung würde auch zwei Tage erfordern.

»Nein, danke, jetzt nicht! Ladet sogleich auf und macht euch fertig!«

Um 2 Uhr war alles bereit. Wir fuhren langsam, um die Limousine zu schonen. Es dämmerte und wurde dunkel. Um 8 Uhr waren wir bei der Signalflagge auf dem Paß. Hier biegt der Weg nach Norden zum »Brunnen des Wildpferdes« ab. Die Limousine fuhr mit 20 Kilometer in der Stunde an der Spitze. Yew und ich überzeugten uns immer wieder davon, daß die Scheinwerfer der beiden Lastautos hinter uns blinkten. Sie leuchteten wie Katzenaugen im Dunkeln. Von der Signalflagge aus hatten wir nur noch sieben Minuten bis zum Brunnen Ye-ma-ching. Alle waren aus den Zelten herausgeeilt, als sie die Motore hörten. Keiner hatte geglaubt, daß wir so bald mit dem geretteten »Edsel« wieder zurück sein würden. Die Daheimgebliebenen waren inzwischen auf Streifzügen in der Umgegend gewesen. Bergman hatte ein vollständiges Rundbild der Landschaft aufgenommen, das einen gewaltigen Eindruck von den verwitterten Bergketten, den Höhenzügen und von der schrecklichen Öde vermittelt. Nichts Lebendes in irgendeiner Form war zu sehen gewesen. Es fehlten selbst Spuren wilder Tiere. Der Brunnen trug seinen Namen zu Unrecht; »Wildpferde« oder Wildesel hatten sich nicht gezeigt.

Chen sing am Abend den Rundfunksender von Nanking ein, der uns Neuigkeiten aus dem eigentlichen China, aber keine aus Sinkiang gab. Einen Tag mußten wir bei Ye-ma-ching opfern. Der Querbalken mußte verstärkt werden, ehe die Limousine als diensttauglich gelten konnte. Das Lager glich wieder einer Werkstatt.

In der Nacht zum 25. Januar hatten wir 25,6 Grad unter Null. Der Morgen war ruhig und klar. Man empfand die Kälte nicht. Die Motore ließen sich nur schwer anwerfen, aber endlich hieß es »Kolonne, vorwärts marsch!«. Wir fuhren auf den großen Karawanenweg hinaus. Rechts ließen wir den Berg liegen, der mit 1520 Metern der höchste der ganzen Gegend ist. Auf seinem Gipfel hatten Dr. Hummel und Kung einen Obo errichtet. Das Lager Ye-ma-ching lag 1440 Meter über dem Meeresspiegel.

Wir überqueren zahlreiche Erosionsfurchen. Sie verraten, daß es in dieser trockenen Gegend doch tüchtig regnen kann. Vor uns ragen wieder Berge auf. An ihrem Fuß kreuzen wir eine tief eingeschnittene Abflußrinne. Dann umfahren wir eine schwarze Landspitze, die wie ein Kap von den Bergen rechts vorspringt. Neue Talrinnen treten aus dem Gebirge aus. Wir umsegeln ein zweites Vorgebirge. Der Weg läuft dicht am Gebirgsfuß entlang und wird immer schlechter. Es geht bergan und bergab, über Schluchten, Rinnen und Hügel. Überall ist der Boden mit schwarzem, grobem, scharfkantigem Grus bedeckt. Um auf besseres Gelände zu kommen, fahren wir einen schwarzgrusigen Ausläufer hinab und geraten in eine jäh abfallende Rinne. Sie ist für die Lastwagen zu schmal. Wir geben ihnen Warnungszeichen. Sie suchen sich daher einen besseren Weg. Dann folgen wir getreulich dem Gebirge, immer durch den gleichen Grus, der die Reifen stark mitnimmt. An manchen Stellen legen sich die Lastwagen so stark über, daß sie umzukippen drohen. Die Limousine kriecht langsam und vorsichtig voran. Die Lastautos sind hinter uns. Von den Bergen rechts springen neue schwarze Ausläufer vor. Mehr als einmal müssen wir auf die Lastwagen warten. Da fragt man sich, ob einer von ihnen Schiffbruch gelitten hat und abgewrackt werden muß. Hier muß für künftigen Verkehr eine Straße gebaut werden.

Der Weg wurde dann besser. In dem gewundenen Tal, in dem wir jetzt zwischen schwarzen, nunmehr höheren Bergen dahinfuhren, war er eben, aber locker. Ein Schwarm kleiner Vögel flog auf und verschwand. Wovon leben sie, und wo bekommen sie Wasser her? Hier ist es ja ebenso öde wie auf dem Mond. Südlich von uns erstreckt sich ein Längstal von Ost nach West. Wahrscheinlich bildet es ein abflußloses Becken.

Unser Tal wird schmäler und schließlich so eng, daß kaum ein Lastkamel hier durchkommen könnte. Also müssen wir rückwärts fahren, wenden und einen andern Durchgang suchen. In einer Ausweitung ist der Boden stark sandig. Zwei Wagen fahren fest. Wir versuchen, sie flottzumachen. Die Sonne geht unter. Wir beziehen daher Lager und machen ein Feuer an. Wasser haben wir stets bei uns, denn noch ist unser Eisvorrat nicht erschöpft. Hier wachsen Saksaulen und Sträucher. Eine Fuchsspur lief durch den Sand. Was hatte Reineke Fuchs auf einem so elenden Jagdgrunde zu suchen?

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Lager in Pei-schan. Bergman

Vom Lager hatten wir nur ein kleines Stück bis zu einem Paß. Hier öffnete sich eine großartige Aussicht auf eine schier endlose Landschaft im Westen. Auf der andern Seite ging es durch tiefen Sand steil abwärts. Die Räder wirbelten dichte Staubwolken in die Luft. Wir erreichen sandigen flachen Boden mit lebenden und toten Saksaulen. Im Süden erhebt sich eine mittelhohe Kette. Wir steuern nach Südwesten und sind bald auf härterem Gelände, auf dem kleine Grasbülten licht stehen. An einer Stelle waren die Saksaulen hoch wie Bäume. Der Weg folgt einer flachen Furche zwischen roten, abgerundeten Terrassen. Dann umgeben uns flache rote Hügel, die durch Rinnen getrennt sind. Hin und wieder sehen wir einen Obo, der diesen leblosen Karawanenweg bezeichnet. An geschützten Stellen liegen noch kleine Flecke von einem nur örtlichen Schneefall. Wir steigen in einem Talgang zwischen wilden grauen Felsen hinan. Aus der Talsohle ragt eine Felsenspitze oder ein Block auf. Während einer Rast kletterte Effe in eine Nische der Bergwand und wurde im Bild festgehalten.

Das Tal wird immer enger und immer malerischer. Es wird eingefaßt von grauen pyramidenförmigen Gipfeln und bewachsenen Sandhügeln. An schattigen Stellen liegt immer mehr Schnee. Wir fahren durch richtigen Buschwald zwischen wilden Felsenkämmen. Auf beiden Seiten klettern die Dünen an den Berghängen hinauf. Doch dann hören die Berge auf, und offenes Land liegt wieder vor uns. Auf der andern Seite fällt das Gelände leicht nach Nordwesten ab. Die Ebene scheint endlos zu sein, nur im Norden und Süden ragen Berge auf. Drei Lastwagen fahren Seite an Seite vor uns her und sehen wie drei graue Elefanten aus. Die Fahrer Serat, Dschomtscha und Georg warten auf uns und wollen ein Plauderstündchen abhalten. Dann springen sie wieder auf ihre Führersitze hinauf und rattern weiter über die Wüste. Sie verschwinden in einer Senke, tauchen aber bald auf der andern Seite wieder auf. Auf dem Kamm einer kaum bemerkbaren Geländewelle scheinen sie unbeweglich wie scharfe Schattenrisse zu stehen. Wenige abgerundete Hügel erheben sich einzeln oder in Reihen und gleichen vorgeschichtlichen Grabhügeln. Die Wüste ist völlig unfruchtbar. Dennoch sind ein paar Antilopen zu sehen. Im Süden erstreckt sich eine fortlaufende Kette in schön gedämpftem blauen Farbton. Es klingt widersinnig, ist aber wahr: die Skelette gefallener Kamele sind die einzigen Lebenszeichen, die man in diesem Reich des Todes erblickt. Man täuscht sich oft in den Entfernungen. Bisweilen scheint ein Berg ziemlich nahe zu sein, aber es dauert Stunden, bis man ihn erreicht. Ein andermal hält man einen nahe gelegenen Hügel für einen fernen Berg.

Nach ein paar kargen Vegetationsgürteln steigen wir auf eine neue, gegen 1600 Meter hohe Schwelle hinauf. Auf der andern Seite öffnet sich wieder das Flachland. Nun hatten wir nicht mehr weit zum Lager, das von der Mannschaft der drei »Elefanten« bereits aufgeschlagen war. Am nächsten Tag waren die Grasbülten etwas häufiger. Einige Male kamen wir an alten Karawanenlagern und Kamelskeletten vorüber. Rings um uns breitet sich eine große Niederung aus, deren gelbe Tonablagerungen alten Seeboden verraten. Die Berge im Süden heißen »die Berge der Pferdemähne«.

Es ist ein eigenartig flaches Land mit roten Farbtönen. Senken mit Sand und Grasbülten sind durch Erhebungen mit harter Grusoberfläche, Gobi oder völlige Wüste getrennt. Im Süden haben wir zunächst eine niedrigere schwarze Kette. Weiter südlich eine höhere grauviolette, deren niederhängende Schneestreifen wie eine Pferdemähne aussehen. Wir überraschen zwei Antilopenherden von fünf und acht Tieren, die in einer Senke äsen. Sie fliehen elastisch wie Bälle über das Wüstenhochland.

Serat erklärt, daß der »Brunnen des Kuchens«, Ho-shao-ching, nicht weit sein kann. Er erkennt die kleinen Tonhöcker und die mit Tamarisken bewachsenen Kegel in seiner Nähe. Es ist nicht leicht, sich hier zurechtzufinden. Am Brunnen laufen aus mehreren Richtungen Pfade zusammen. Schließlich entdeckten wir den Brunnen. Es war deutlich, daß er seit langem nicht benutzt worden war. Er war voller Staub und Sand, Wollflocken und anderer Dinge. Nicht weniger schwierig war es, sich vom Brunnen wieder auf die große Straße zu finden. Wir durchquerten eine Senke mit schönen Saksaulen und stießen schließlich auf den Weg. Gleich hinter dem Brunnen sind wir in einer Höhe von 1680 Metern und steigen also nach Westen. Je weiter wir kommen, desto größer sind die Schneefelder, die den Ma-tsung-schan krönen.

Um 11 Uhr machen wir bei der Quelle Kung-pao-chüan halt. Sie entspringt in einem eingeschnittenen Bett. Hier wachsen Algen, zwischen denen kleine Krustentiere umherhuschen. Unterhalb der Quelle finden wir große Eisschollen, die einem gefrorenen See ähneln. Wir nehmen an diesem einladenden Platz ein einfaches Frühstück ein. Dann setzen wir unsere Fahrt fort und erreichen Dambin Lamas alte Burg. Ein kleiner Hof ist von grauen Mauern aus Steinen und ungebrannten Ziegeln umgeben. Alle Dächer bestanden aus Tamariskenstämmen und anderm Bauholz. Sie waren jetzt verschwunden. Die Burg glich einer Ruine. Ihre Räume waren durch enge Gänge, schmale Treppen und Türöffnungen ohne Türen verbunden. Am Burghof erhob sich ein viereckiger Wachtturm. Rings an den Wänden des Gerichtssaals waren feste Steinbänke angebracht. Ein anderer Raum war Audienzsaal gewesen. Eine steile, schmale Treppe führte zu Dambin Lamas Wohnräumen hinauf. Von ihren Fenstern hatte man eine weite Aussicht auf die Wüste. In einer Küche war ein steinerner Herd mit Platz für den Kochtopf und Rauchöffnung.

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Dambin Lamas Räuberburg. Hummel

In dieser Burg gründete Dambin Lama, »Der falsche Lama«, seine Macht und erhob Steuern von den Karawanen. Vor etwa zehn Jahren wurde er von Chalchamongolen überfallen und getötet. Jetzt sieht man an den Spuren, daß nur Füchse und Vögel in dieser romantischen Feste herrschen.

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