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18.
Die Seidenstraße

Im Jahre 138 vor Christi Geburt sandte der große Kaiser Wu-ti aus der älteren Handynastie eine Gesandtschaft von etwa hundert Mann unter Führung von Chang Ch'ien zu den Yüeh-chih. Dieses Volk hatte sich in Ta-yüan, dem heutigen Ferghana, niedergelassen, nachdem es von den Hunnen nach Westen vertrieben worden war. Die Hunnen waren die gefährlichsten Feinde der Chinesen. Wu-ti wollte durch seine Gesandtschaft die Yüeh-chih zu Bundesgenossen gewinnen. Chang Ch'ien hatte aber keinen Erfolg. Er konnte nach vielen Abenteuern und zehn Jahren Gefangenschaft bei den Hunnen dem Kaiser einen Bericht vorlegen. Chang Ch'ien erzählte von Oasen und Völkern im heutigen Ostturkestan, von Wegen nach den Ländern des Westens, nach Indien und Persien. Er berichtete von gewaltigen Reichen, die sich bis zum Kaspischen Meer erstreckten, und von hoch zivilisierten Völkern und großen Reichtümern. Der Kaiser erkannte die Bedeutung dieser Reiche für den Handel Chinas und für die Ausbreitung seiner Macht nach Westen. Besonders fesselten ihn die Erzählungen von dem Dasein einer Art wunderbarer »blutschwitzender« Pferde, die von übernatürlichen Hengsten und Stuten stammten.

Des Kaisers Kavallerie hakte bisher nur kleine mongolische Steppenpferde geritten von der gleichen Rasse, die die Hunnen verwandten. Er meinte, mit blutschwitzenden Hengsten von Ta-yüan die einheimische Pferderasse veredeln zu können. Dadurch würde er eine Kavallerie erhalten, die der der Hunnen überlegen wäre. Wu-ti schickte also mehrere Gesandtschaften aus, die eine ausreichende Anzahl der edlen Pferde von Ta-yüan erwerben sollten. Sie kehrten jedoch alle unverrichteterdinge zurück. Schließlich rüstete der Kaiser eine neue Gesandtschaft aus. Sie nahm tausend Goldstücke und ein aus Gold gegossenes Pferd für den König von Ta-yüan mit. Die Gesandten wurden aber gefangengenommen und nach geglückter Flucht unterwegs ermordet.

Als Wu-ti diese Schmach zu Ohren kam, beschloß er, blutige Rache zu nehmen. Er sandte ein Heer mit einer Reiterei von 6000 Mann nach Ta-yüan. Auf dem Marsch durch die wasserlose Wüste westlich von Tun-hwang kam aber ein großer Teil des Heeres um. Der Rest erreichte völlig ermattet Ta-yüan und wurde geschlagen. Nur ein Zehntel der ursprünglichen Macht kam lebendig nach Tun-hwang zurück.

Wu-ti entbrannte im höchsten Zorn und stellte eine neue Armee von 60 000 Mann, 30 000 Pferden und einem großen Troß von Ochsen, Eseln, Karren und Kamelen auf. Die Hälfte dieses Heeres erreichte das Ziel und belagerte die Hauptstadt Ta-yüans. Der König und sein Volk mußten 30 blutschwitzende Pferde und außerdem 3000 Hengste und Stuten von edler Rasse ausliefern. Chinas Ansehen war wiederhergestellt. Der Kaiser konnte nun auch Gestüte zur Veredlung der chinesischen Pferderasse gründen.

Über diese beiden Feldzüge berichten die Annalen der Handynastie. Die Chinesen kamen durch sie mit der westlichen Zivilisation in Berührung. Neue Wege öffneten sich für den Austausch von Waren und Gedanken. zuletzt wurde auch das Eindringen des Buddhismus in das Reich der Mitte gefördert. Diese weltgeschichtlichen Ereignisse waren der Klugheit, dem Mut und der Tüchtigkeit von Chang Ch'ien zu verdanken. Er war einer der größten Entdeckungsreisenden aller Zeiten in Innerasien.

In der Folgezeit wurden die Hunnen aus Südkansu vertrieben. Dadurch war eine der Hauptadern für den Handel mit den westlichen Ländern erschlossen worden. Die von Kaiser Schi-huang-Li begonnene Große Mauer wurde von Kaiser Wu-ti weiter nach Westen ausgebaut. Sie erhielt jetzt Wachttürme als Schutz für Verkehr und Handel. Diese Straße heißt Kaiser- oder Seidenstraße. Ihre Befestigungs- und Verteidigungsanlagen sind vor etwa zwanzig Jahren von dem Archäologen Aurel Stein gründlich untersucht und beschrieben worden.

Unter allen Handelswaren, die auf der Kaiserstraße aus dem eigentlichen China ausgeführt wurden, stand die edle chinesische Seide an Umfang und Bedeutung an erster Stelle. Sie war vor zweitausend Jahren die meistgeschätzte und meistgesuchte Ware des ganzen Welthandels.

Ungefähr hundert Jahre nach Christi Geburt hatte der mazedonische Seidenhändler Maës Titianus seine Agenten in Ostturkestan. Sie begaben sich ins Land der Serer oder des seideerzeugenden Volkes und kehrten mit einer Schilderung ihrer Reise zu ihrem Herrn zurück. Von Maës Titianus kamen diese Schilderungen in die Hände des Geographen Marinus von Tyrus. Seine Berichte dienten dem berühmten alexandrinischen Geographen Ptolemäus als Quelle für feine Beschreibung des Landes, das wir jetzt Ostturkestan nennen.

Nach dem Ausgang der Handynastie, 220 nach Christi Geburt, folgte in der Zeit »der drei Reiche« ein Abschnitt der Zersplitterung und des Niedergangs in China. Der Seidenhandel benutzte jedoch unverändert den endlosen Weg von den Küsten des Stillen Ozeans zum Mittelmeer. Um die Jahre 260 und 270 blühten noch immer Leben und Handel in der chinesischen Stadt Lou-lan. Ich hatte das Glück, die Ruinen dieser Stadt am 28. März 1900 in der Nähe des damals trockenen Sees Lop-nor zu entdecken. Lou-lan war Sperrfort, Garnisonstadt und wichtiger Knotenpunkt an der großen Verkehrsstraße. Um dorthin zu kommen, mußten die Karawanen von Tun-hwang, dem letzten Außenposten chinesischer Kultur gegen den Westen, die fürchterlich öde Wüste durchqueren. Dann erst erreichten sie den Lop-nor, wo Lou-lan die erste Oase des Tarimbeckens war.

Warum hörte der Seidenhandel über Lou-lan auf, warum wurde die Stadt von den Einwohnern verlassen? Der Fluß – der untere Tarim – hatte bis dahin die ganze Gegend mit Wasser versehen. Jetzt änderte er seinen Lauf. Er strömte nun nach Südosten und Süden und bildete den See Kara-koschun, den südlichen Lop-nor. Er wurde im Jahr 1876 von N. M. Prschewalskij entdeckt.

Lou-lan selbst wurde völlig vergessen, als ob es von der Erdoberfläche weggefegt worden wäre. Marco Polo unternahm im Jahr 1273 seine berühmte Reise von Westen nach Osten. Er zog nicht weit südlich vom Lop-nor vorüber. Von dem Dasein der alten Stadt hatte der Veneter natürlich keine Kenntnis. Sie hatte bereits tausend Jahre geschlafen. Lou-lan sollte noch weitere Jahrhunderte schlafen müssen, bis es plötzlich aus seinem langen Schlummer erweckt wurde. Durch die Funde, die seine Ruinen preisgaben, gewannen wir neue Erkenntnisse über die uralte Weltstraße und die Verbindung zwischen China und dem Westen vor 2000 Jahren.

Die Chinesen nennen – wie erwähnt – die große Handelsstraße durch Schensi und Kansu von Sian wahrscheinlich bis Chia-yü-kwan, dem äußersten Tor im Westen in der Großen Mauer, Kaiserstraße. Von dort bis Kaschgar trägt die Fortführung nach Westen noch heute den Namen Tien-schan-nan-lu oder »die Straße südlich vom Himmelsgebirge«. Dieser Name bezeichnet auch den Teil der Provinz selbst, der südlich von Tien-schan liegt.

Die Bezeichnung Seidenstraße ist in China niemals gebräuchlich gewesen. Vermutlich ist Freiherr v. Richthofen der erste, der diesen bezeichnenden Namen eingeführt hat. Im Text seines berühmten Werkes über China spricht er von der »Seidenstraße« und auf einer Karte von der »Seidenstraße des Marinus«. Im Jahr 1910 gab Albert Herrmann eine sehr wertvolle Arbeit unter dem Titel heraus: »Die alten Seidenstraßen zwischen China und Syrien.«

Von Sian nach Nordwesten und Westen bis zur Gegend von Tun-hwang ist die Seidenstraße ein einziger Weg. Von Tun-hwang oder dem nicht weit westlich davon gelegenen Yümen-kwan, dem Jadetor, teilt sie sich in drei Zweige: einen über Chotan, einen über Lou-lan und einen nördlichen über Hami und Turfan. Es gibt noch weitere Verzweigungen, die im westlichen Teil von Ostturkestan beginnen. Ein Weg geht über Issik-gul, wo das Volk von Wu-sun den Seidenhandel durch Tauschgeschäft vermittelte. Ein anderer ging durch Ferghana nach Samarkand oder Taschkent durch das Land der Alanen beim Aralsee und vom alten Lauf des Oxus oder Amudarja, Usboi, nach dem Kaspischen Meer. Von hier führte er den Kura hinauf nach Phasis, dem Schwarzen Meer und Byzanz weiter. Eine dritte Straße durchquert das Land der Yüeh-chih oder der Tokharen, ferner Baktrien und Margiana. Sie berührt die Hauptstadt der Parther Hekatompylos und die Städte Ekbatana in Medien, Palmyra, Antiochia oder Tyrus, wo sich die Seidenmanufaktur zu hoher Blüte entwickelte. Herrmann nennt noch eine alte Seidenstraße von Jarkend über den Pamir nach dem Land der Yüeh-chih und eine andere über die »hängenden Passagen« im Hindukusch nach Gandhara in Nordwestindien, Kabul, Südiran, Hormuz, Buschir oder Seleukia nach dem Persischen Golf und Südarabien, von wo Tauschhandel mit Ägypten betrieben wurde.

Zweifellos wurde schon vor Wu-ti Seide aus China ausgeführt. Bei Kertsch auf der Krim hat man Seide in griechischen Kolonien gefunden. Auch der Admiral Alexanders des Großen, Nearchos, spricht von »serischen Stoffen«, die von Norden her nach Indien gekommen seien.

Im übrigen hat die kostbare und gesuchte Handelsware nicht viele Spuren auf der Seidenstraße innerhalb Chinas hinterlassen. Noch geringere weiter westlich, wo sich die Seidentransporte auf verschiedene Karawanenwege im weiteren Aßen verteilten.

Im Jahre 1901 fand ich in Lou-lan einige Seidenstücke. Sie sind wahrscheinlich die ersten ihrer Art von der chinesischen Seidenstraße. Im gleichen Ort machte Stein 1906 und 1914 umfassende Seidenfunde. Die französische archäologische Expedition nach Palmyra sammelte in Gräbern Stücke chinesischer Seide. In Folke Bergmans Sammlung von 1930/31 am Edsin-gol gemachten Funden aus der Handynastie ist auch eine kleine Anzahl von Seidenstücken und andern Textilien enthalten. Auf unserer Fahrt – den Kum-darja aufwärts nach dem neuen Lop-nor im Frühjahr 1934 – fanden Parker C. Chen und ich in den bereits erwähnten Gräbern aus Lou-lans letzter Blütezeit ein Sterbegewand aus Seide, das die Leiche einer jungen Frau umhüllte. Bergman fand gleichzeitig in Wüstengräbern südlich vom Kum-darja derartige Überreste in größerer Anzahl.

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Parker C. Chen. Hummel

Die Strecke der Seidenstraße, die im folgenden Kapitel kurz geschildert wird, liegt zwischen An-hsi und Sian und hat eine Länge von etwa 1500 Kilometern. Die gleiche Straße geht von An-hsi weiter durch Pei-schan, längs des Nordufers des neuen Lop-nor und des Kum-darja nach Korla. Dieser Abschnitt hat eine Länge von etwa 930 Kilometern. Er führt zum größten Teil durch unbekanntes Land. Diesen Teil befuhren wir auf dem Wasserweg in zwei Kanus und in Pei-schan mit zwei Kraftwagen. Ich komme auf ihn in meinem Buch »Der wandernde See« zurück.

Die ganze Seidenstraße von Sian über An-hsi, Kaschgar, Samarkand und Seleukia nach Tyrus hat in der Luftlinie eine Länge von rund 7500 Kilometern und mit allen Windungen wohl eine solche von rund 10 000 Kilometern. Das kommt etwa einem Viertel des Äquators gleich.

Ohne Übertreibung kann man sagen, daß diese Handelsstraße das längste und in kulturgeschichtlicher Hinsicht bedeutungsvollste Verbindungsglied zwischen Völkern und Erdteilen ist. Die chinesischen Kaufleute in Sian, Loyang und andern vor ein paar tausend Jahren großen und wichtigen Handelsmittelpunkten wußten bestimmt nicht, wo die unzähligen Seidenballen, die ihre Karawanen nach Westen trugen oder fuhren, schließlich landeten. Für sie war die Hauptsache, aus der ersten Zwischenhand ihr Geld zu bekommen. Tokharer, Baktrier, Parther, Meder, Syrer führten die kostbare Ware weiter. Erst die phönizischen Schiffer in Tyrus und anderen Mittelmeerhäfen wußten, daß Rom der größte Abnehmer war. Die römischen Patrizier, die ihre Frauen und Töchter in Seide kleideten, hatten nur unklare Darstellungen über die Herkunft des begehrten Stoffes. Sie begnügten sich mit der Kunde, daß sericum, die Seide, und serica, der Seidenstoff, von einem Volk, den Serern, hergestellt und ausgeführt wurde. Er sollte irgendwo im fernen Osten in Asien leben. Offensichtlich stammt das lateinische Wort für Seide vom chinesischen ssu, sse, sser, koreanisch sir.

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Der mögliche Verlauf einer Autostraße durch Eurasien vom Stillen zum Atlantischen Ozean.

In den ersten Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt herrschte auf der Seidenstraße ein buntes und gewiß höchst malerisches Leben. Die chinesischen Annalen sagen uns ebenso wie andere Quellen nur sehr wenig darüber. Aus den erwähnten Funden können jedoch viele Schlüsse gezogen werden. Ich werde in dem Buch »Der wandernde See« hierauf zurückkommen. Dort werde ich von der Organisation des Handels erzählen, von Gasthöfen und Herbergen, von Soldatenposten und Transportschutz, von marschierenden Truppen, Boten und Pilgern. Ich werde die Wassertransporte durch den trockensten Teil der Wüste, Dolmetscher, Zoll und Kontrollen an den Sprach- und Landesgrenzen schildern. Auch die üblichen Transportmittel, Ochsenkarren, Esel, Pferde oder Kamele und die Postbeförderung durch reitende Kuriere bespreche ich dort. Ich werde auch von der Großen Mauer berichten und von den Wachttürmen, die neben ihrer eigentlichen Aufgabe auch noch die Entfernungen in Li (= 442 Meter) anzuzeigen hatten.

In meinem im ersten Abschnitt erwähnten Schreiben an die Regierung in Nanking wies ich darauf hin, wie glanzvoll ein Wiederaufleben der Kaiserstraße sein würde. – Wir waren ja gerade ausgezogen, um diesen Verkehrsweg vom eigentlichen China nach dem Herzen Asiens zu erforschen. Wir wollten dabei untersuchen, was an Ausbau und Unterhaltung notwendig wäre, um ihn in großem Maßstab dem Kraftwagenverkehr dienstbar zu machen. Auf die eigentliche Seidenstraße kamen wir erst bei der Heimfahrt von Urumtschi aus. Diesem Teil ist der folgende Abschnitt gewidmet.

Auf unserer Fahrt sahen wir die Große Mauer. Sie zog sich Meile für Meile und Tag für Tag wie eine endlose graugelbe Schlange durch die Wüste. Ihre Aufgabe, das Reich der Mitte vor den Barbaren des Nordens zu schützen, war lange erfüllt. Wir erblickten die unzähligen Wachttürme, die längs der Straße stumm und doch so beredt von vergangener Größe zeugen. Als wollten sie dem Gesetz der Vergänglichkeit auf ewig Trotz bieten, schimmerten sie, regelmäßig wie der Pulsschlag, durch den Straßenstaub. Winternebel und Jahrhunderte hatten ihnen nichts anhaben können. Wir sahen heute die Seidenstraße in ihrem tiefsten Verfall! Bei verlöschendem Leben und sterbendem Handel verband sie die Trümmer von Städten und Dörfern und Menschen, die dauernd in Unsicherheit und empörender Armut lebten. Nur in der Einbildung sahen wir bunte Szenen der Vergangenheit, diesen ununterbrochenen Karneval von Karawanen und Wanderern. Täglich trafen wir Postboten mit Briefen in Ledertaschen hinter dem Sattel und hörten das Läuten der Schellenkragen, die die Pferde um den Hals tragen. Unsere Ohren vernahmen so eine Weise, die auf dieser Straße mehr als zweitausend Jahre lang erklungen ist. Und wieder vermeinten wir das Brausen des mächtigen Flügelschlags der Zeit zu hören.

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Von der Beschaffenheit der alten Verkehrsader hinsichtlich der Verwendbarkeit als Autostraße mögen folgende Zahlen einen vorläufigen Begriff geben. Vom 18. Dezember 1934 bis zum 8. Februar 1935 oder in dreiundfünfzig Tagen legten wir die Strecke von An-hsi nach Sian zurück. Davon waren fünfunddreißig Tage Reisetage, die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug somit nur 42,85 Kilometer für den Tag. Wir hätten schneller vorwärts kommen können, wenn nicht die Kartenaufnahme und die tiefen, engen Schluchten soviel Zeit in Anspruch genommen hätten. Am letzten Reisetag vor Sian erübrigten sich die Aufnahmearbeiten, der Weg war aber ganz schlecht. Trotzdem legten wir 160 Kilometer zurück. Wenn wir unabhängig von der Karte gewesen wären, hätten wir also die Strecke zwischen den beiden Städten in wesentlich kürzerer Zeit bewältigen können.

Persönlich hatte ich nichts gegen die Langsamkeit, mit der wir auf der Seidenstraße vorwärts krochen. Ich hatte dadurch viel Zeit und konnte so die Straße und die Landschaft, das Leben in Städten und Dörfern, Menschen und Verkehr, mit einem Wort die Wirklichkeit, so wie sie ihre Bilder vor unsern Augen entrollte, gründlich in mich aufnehmen. Ich muß jedoch bekennen, daß ich meist im Reich der Phantasie lebte, in der Vergangenheit mit ihren eindrucksvollen Bildern und ihrem pulsierenden Leben, in der Zukunft mit ihren großartigen Ausblicken auf technische Möglichkeiten.

Ich habe schon davon gesprochen, wie wichtig es für China ist, die großen Verbindungswege zu seinen innerasiatischen Besitzungen zu bauen und zu unterhalten. Zu meiner Freude habe ich von verschiedenen Stellen in China gehört, daß die Regierung bereits dieses gigantische Vorhaben in Angriff genommen hat. Die Eisenbahn Sian–Lan-tschou befindet sich im Bau. Zur Zeit erlauben es die finanziellen Verhältnisse Chinas nicht, den Schienenweg über An-hsi nach Urumtschi und Kaschgar zu verlängern, obwohl dieser Plan große Zustimmung findet. Zweifellos wäre es besser, sich zunächst mit Autostraßen zu begnügen. Sie sind unverhältnismäßig billiger und beanspruchen nur einen Bruchteil der Arbeitszeit.

Während unserer langen Fahrt sah ich im Geist die neue Autostraße mit unzähligen Brücken über Flüsse, Bäche, Bewässerungskanäle und Schluchten durch Steppen und Wüsten nach An-hsi, Tun-hwang, dem nördlichen Lop-nor, am Kum-darja entlang nach Korla und weiter nach Kutscha, Aksu und Kaschgar sich hinziehen. Dort in Kaschgar sollte sie, nachdem sie treulich der Karawanen und Räderspur der alten Seidenstraße gefolgt wäre, noch keineswegs enden. Die Russen sollen gerade beim Bau einer Autostraße von Osch über Terek-dawan nach Kaschgar sein oder sie schon fertiggestellt haben. Auf jeden Fall ist es für unsere heutigen Straßenbauingenieure eine Kleinigkeit, in Hunderten von Kurven einen Fahrweg über den 4000 Meter hohen Paß zu bauen.

In Osch erreicht man die bereits bestehenden Autostraßen im russischen Turkestan. Von dort geht es ohne Mühe und Gefahr weiter nach Taschkent, Samarkand, Buchara, Merv und über die Grenzen Irans nach Meschhed und Teheran und endlich über Kirmanschah nach Bagdad. Die Autostraßen in Iran sind vortrefflich. Ebenso gut sind die Straßen durch die syrische Wüste nach Damaskus oder Aleppo. Von dort setzt sich der Weg durch Kleinasien nach Ankara und Stambul fort. Von dort ist der Weg durch ganz Europa offen.

Ohne freundwillige Zusammenarbeit mit Rußland kann diese unendlich lange Autostraße keine Einheit werden. Mit den notwendigen finanziellen Opfern in China und im Einverständnis mit Sowjetrußland ist das Vorhaben jedoch, verglichen mit vielen andern technischen Großtaten auf der Erde, verhältnismäßig einfach. Ja, im Vergleich zu einem andern von Chinesen ausgeführten Bauwerk, nämlich der Großen Mauer, ist dieser Straßenbau eine Kleinigkeit. Es ist kein phantastischer Fiebertraum, zu behaupten, daß die Zeit nicht fern zu sein braucht, wo es einem Liebhaber von Autoreisen möglich sein wird, in seinem eigenen Wagen von Sinkiang aufzubrechen, der Seidenstraße bis Kaschgar zu folgen, durch ganz Westasien nach Stambul zu fahren und sich dann über Budapest, Wien und Berlin nach Hamburg, Bremerhaven, Calais oder Boulogne zu begeben. Erreicht er dann, nach Zurücklegung von rund 12 000 Kilometern in der Luftlinie oder von rund 16 000 Kilometern Straße, die Küste des Atlantischen Ozeans mit seinem Wagen in guter Verfassung, so hat er wohl seiner Leidenschaft für einige Zeit genuggetan. Dann wird er jedoch auch eine ganze Welt unvergeßlicher Erfahrungen gesammelt haben. Er wird einen gigantischen Querschnitt durch die ganze Alte Welt gesehen und die interessanteste und lehrreichste Autofahrt durchgeführt haben, die überhaupt auf Erden denkbar ist. Er wird zurückkehren mit der Erinnerung an das malerische, von Menschen wimmelnde China, an Oasen am Rand der Gobi, an die rätselvolle Wüste zwischen Tun-hwang und Lou-lan, das öde Heimatland der wilden Kamele. Er wird einen Schimmer des wandernden Sees und des Vegetationsgürtels erblickt haben, der eben jetzt an den Ufern des Flusses Kum-darja neu entsteht. Er wird die Sanddünen am Nordrand der Takla-makan und die osttürkischen Oasen am Fuß des Himmelsgebirges gesehen haben. Die Sommersonne Innerasiens wird ihn verbrannt haben. Nie wird er das Heulen der Sandstürme oder die rasende Jagd der Schneetreiben im Winter vergessen. Er wird eine, wenn auch flüchtige Bekanntschaft mit den Wanderern zu Fuß und zu Pferd und mit dem stillen Zug der Kamelkarawanen am Rand der Straße gemacht haben.

Von den Ländern westlich vom Terek-dawan wird er die Erinnerung an eine andere Welt bewahren, an die prachtvollen Moscheen aus Tamerlans Zeit in Samarkand, an die geistlichen Hochschulen in Buchara, wo Kuppeln und Minarette in bunter Fayence glänzen, an Merv mit seiner Überlieferung an Gelehrsamkeit und Wissen, an Imam Rizas Grabmoschee, wo sich heute noch die Pilger aus ganz Iran versammeln, an das Märchenland Persien, Hadschi Babas Heimatland, und an Bagdad, die Stadt der Kalifen und der Hauptschauplatz von Tausendundeiner Nacht. Von Ankara und Stambul her wird er in das brausende Leben des Westens eintreten und mit Wehmut an die große Stille und den Frieden der Wüsten Asiens zurückdenken. An der Küste des Atlantischen Ozeans wird er trotz alledem froh sein, daß der frische Seewind seine sanderstickten Lungen füllt.

Eine solche Pulsader, der Erde längste Autostraße, würde jedoch nicht nur für Vergnügungsreisende gemacht sein. Ihre Aufgabe wäre weit höher. Sie würde die Handelsverbindungen innerhalb Chinas erleichtern und einen neuen Weg zur Gemeinschaft von Osten und Westen öffnen. Sie würde zwei Weltmeere verknüpfen, den Stillen Ozean und den Atlantischen Ozean, zwei Erdteile, Asien und Europa, zwei Rassen, die gelbe und die weiße, zwei Kulturkreise, den chinesischen und den westlichen. Alles, was geeignet ist, verschiedene Völker einander näherzubringen, sie zusammenzubinden und zu vereinen, sollte mit Freude begrüßt werden, in einer Zeit, da Mißtrauen und Neid sie trennen.

Wer sagt, daß ein solcher Plan unmöglich und undurchführbar sei, mag nicht vergessen, daß er vor zweitausend Jahren erfüllt war. Der Verkehr, der damals zwischen Sian und Tyrus pulste, wurde fünfhundert Jahre lang aufrechterhalten. In jener Zeit wurden viele blutige Kriege zwischen den Ländern und Reichen ausgefochten, durch die die Seidenstraße führte. Trotzdem wurde der friedliche Verkehr ununterbrochen fortgesetzt, weil alle die unerhörte Bedeutung und den Vorteil einer der größten und reichsten Pulsadern des Welthandels einsahen.

Für die Forschung würden sich neue Weiten öffnen, denen leichter als heute beizukommen wäre. Das dunkelste Asien würde der Kultur und der Entwicklung zugänglich gemacht werden. Die chinesische Regierung, die die Seidenstraße wieder von den Toten erweckt und sie für die heutigen Verkehrsmittel öffnet, wird gewiß der Menschheit einen Dienst erwiesen und sich selbst ein Denkmal gesetzt haben. Wohl wird viel von der Romantik der alten Zeit verlorengehen, wenn der Klang der Karawanenglocken und der Schellen mit dem Laut von Dampfpfeifen und Hupen vertauscht wird. Aber das Innere Asiens ist groß. Es. findet sich Raum genug für die altertümlichen Reiseformen. Die Takla-makan-Wüste könnte durch keine andern Maschinen als höchstens Flugzeuge in ihrem Frieden gestört werden. Die Eisenbahn von Krasnowodsk über Samarkand nach Andischan konnte keineswegs den altertümlichen und malerischen Glanz in nennenswertem Umfang verdunkeln, der das Leben im westlichen Turkestan bestrahlt.

Mit solchen Gedanken begannen wir die lange Fahrt nach Osten auf der Seidenstraße. Während die prachtvollen Bilder der Vergangenheit eins nach dem andern unter dem Horizont im Westen versanken, stiegen täglich im Osten neue prächtige Zukunftsaussichten mit der Morgensonne empor.

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