Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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100.

Neuorleans, den 18. Februar 1867.

Nach der Aufregung und Arbeit meiner Ausstellung kam für mich und auch für das liebe Publikum ein kleiner Rückschlag, der erwartet und nötig war, um unser gegenseitiges Verhältnis festzustellen. In verschiedenen Zeitungen erschienen Aufsätze gegen die Dampfpflügerei. Ich setzte mich zunächst hin und schrieb Entgegnungen, die, wie ich allseits vernehme, mit Wohlgefallen hingenommen wurden.

Dann kamen wieder Leute aus Luisiana, Texas, Mississippi und Alabama, die dampfgepflügt haben wollten, dieser hundert, jener sechshundert, der dritte tausend Hektar; aber einen Dampfpflug kaufen wollten sie nicht. Tatsache ist nämlich, daß das vergangene Mißjahr, die Folgen des Krieges und die Regierungsmaßregeln der Politiker aus dem Norden die Südstaaten an den Bettelstab gebracht haben. Pflanzer, die vor fünf Jahren ihre zehn- bis fünfzehntausend Dollar jährlich verdienten, stehen heute auf ihren unbebauten Gütern und sind oft nicht imstande, die Maultiere anzuschaffen, die sie für den diesjährigen Anbau bedürfen. Selbst die Reichsten haben sich auf die nächste Ernte zu vertrösten und suchen, sogut es geht, mit den alten Mitteln wenigstens einen Teil ihrer Besitzungen zu bestellen. Unter diesen Umständen mag ich so gut dampfpflügen als ich will und kann, der Dampfkultur im großen Eingang zu verschaffen, ist hier ein Kampf gegen die Unmöglichkeit.

Den Leuten aber mietweise dampfzupflügen, ist weder meine noch Fowlers Absicht. Dies muß durch einheimische Gesellschaften geschehen. Ich wies deshalb sämtliche Anträge dieser Art ab, mit Ausnahme den eines Herrn A. Marshall, des reichsten Pflanzers in der Nähe, dem ich ein paar hundert Acker um den »selbstkostenden« Preis pflüge, um die Ungläubigen mit einer handgreiflichen Tat aufs Maul schlagen zu können.

Mr. Marshall ist ein Mann mit weißen Haaren und ein Gentleman. Vor dem Krieg hatte er sieben Plantagen, jetzt hat er nur noch zwei im Betrieb. Sein nächstes Gut ist etwa fünfzehn Meilen vom Ausstellungsplatz, wo meine Maschinen standen. Das erste war somit, dieselben an Ort und Stelle zu schaffen, und heute vor acht Tagen setzte ich sie demgemäß in Bewegung. Nun geschah aber etwas Unerwartetes. Um den ganzen Ausstellungsplatz läuft ein breiter Kanal, der am Haupteingangstor mittels einer etliche zwölf Meter breiten hölzernen Brücke überspannt ist. Die Hälfte dieser Brücke, in der Richtung ihrer Breite, ist ein neuer, die andre ein acht Jahre alter Bau; beide sehen sich aber vollständig gleich. Bei meiner Einfahrt in den Park fuhr ich zufällig auf der neuen Hälfte, bei der Ausfahrt ebenso zufällig auf der alten, und als meine erste Maschine, die ich selbst steuerte, in der Mitte des Grabens angelangt war – krach! versank Brücke und Maschine in einem allgemeinen Welteneinsturz. Die zwei Neger, die ich als hoffnungsvolle Zöglinge oben hatte, sprangen wie Riesenfrösche ins Wasser, das übrigens nicht tief ist. Ich selbst blieb auf der Maschine, die mit ihren Vorderrädern das jenseitige Ufer erreicht hatte, während sie mit den gewaltig arbeitenden Hinterrädern in einem Chaos von gebrochenen Balken und Planken, Wasser und Kot herumwühlte. »Kühl!« ist unter solchen Umständen mein Wahlspruch, der mich bis jetzt noch nie im Stich gelassen hat. Ich stellte die Maschine ab, riß das Feuer heraus und ließ den Dampf zu jedem Loch ausströmen, das zu öffnen war. Dann sprang auch ich herunter, oder besser gesagt, kletterte hinauf, und betrachtete den Schaden.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: im Laufe der zwei folgenden Tage zog ich mit Hilfe der zweiten Maschine die erste aus ihrer unbequemen Lage. Es war eine Höllenarbeit, da ich, wie Ihr wißt, allein bin und Nigger wie Weiße des Landes mit derartigen Kunststücken noch nicht umzugehen wissen. Dabei fing es an zu regnen und regnet seit fünf Tagen fast unausgesetzt, so daß die Straßen in einem Zustand sind, der es vorläufig zur Unmöglichkeit macht, Mr. Marshalls Gut zu erreichen. Über dem Graben bin ich, aber ehe es weiter geht, muß auf ein paar Tage menschliches Wetter eintreten, das ich leider nicht selber machen kann. Dies ist unangenehm, doch hat es auch sein Gutes. Es gab mir Zeit, den Plan für Seilschiffahrt auf General Taylors Kanal auszuarbeiten und vorzulegen. An sich ist die Sache nichts Großes, da der Kanal nur sechs Meilen lang ist. Aber an ihren Folgen dürfte sie von Bedeutung werden; denn eine bessere Gelegenheit, den Gedanken praktisch zu erproben, wird sich nicht leicht finden.

Sodann wird General Longstreets und meine, mit vereinigten Kräften geborene amerikanische Baumwollensäemaschine soeben im Modell ausgeführt. Doch glaube ich nicht, daß damit viel Geld zu verdienen ist. Im übrigen fange ich an, in Neuorleans zu Hause zu sein, ohne mich sonderlich zu Hause zu fühlen. Wenn auch die Leute im Süden um ein Gutes höflicher sind als die Yankees, so konnte ich doch bis jetzt noch niemand finden, an den ich mich enger anschließen möchte. Der Ton in den großen Hotels ist, wie im Norden, eiskalt und langweilig, wenn er nicht alle vier bis fünf Wochen durch einen Revolverschuß unterbrochen wird. Am Tag nach meinem Auszug aus dem St.-Charles-Hotel, dem ersten der Stadt, erschoß ein »Richter« aus Texas seinen Bekannten, einen Senator aus Alabama, die beide im Hotel wohnten, in dem Salon, in welchem ich gewöhnlich meine Zeitungen lese. Der reiche Owen erklärte mir dieses etwas rasche »richterliche« Verfahren als »doch nicht so ganz ohne! Es veranlasse die Gesellschaft, einen höflichen Ton im gegenseitigen Umgang aufrechtzuerhalten«. Glacéhandschuhe und Revolver! Der meine ist vorderhand noch im Koffer. Auch die meinen!

Das Wetter will noch nichts vom Frühling wissen. Der Unterschied zwischen Kairo und hier ist erstaunlich. Die Umgegend bietet soviel als nichts. Alles ist flach; in den Swamps ein wüstes Gewirre von vertrockneten Pflanzen, Dornen und Disteln. Das einzig Eigentümliche sind die Sykomoren und Hickorybäume, die mit Girlanden eines seltsamen, dunkelgrünen Mooses behangen sind, das ihnen etwas wehmütig Malerisches gibt. Letzten Sonntag zeichnete ich auf einem einsamen Ausfluge nach dem Pont Chartrain, einem lagunenartigen See im Osten der Stadt, ein paar dieser gewaltigen Riesen aus einer verschwundenen Zeit. Es tat mir wohl, nach all dem Sorgen, Jagen und Treiben wieder einmal ein Stück Natur, so flach es war, mit Ruhe genießen zu können. Ein Spaziergang am Mississippiufer hinauf, wenn der gewaltige Strom die klare, goldene Abendröte in allen Farben widerspiegelt und die stattlichen Flußdampfer, diese Archen Noahs des neunzehnten Jahrhunderts, majestätisch farbige Ringe und Streifen durch das Gold ziehen, ist im Monat Februar immerhin besser und gesünder, als im Schneewasser stampfen und Katarrhe pflegen.


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