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Kairo, den 17. März 1883.
Einen Ritt nach dem einsamen Obelisk von Heliopolis, ein Frühstück unter der Riesensykomore, in deren Schatten Maria mit dem Jesuskindlein geruht, selbst meine erste Besteigung der Cheopspyramide bei Giseh – das ich alles in den letzten Wochen erhaschte, um in meine künftige indische Welt ein Stückchen Ägypten mitzunehmen – kann ein Reisehandbuch besser wiedergeben als ein flüchtiger Brief mit seinen Augenblicksaufnahmen. Es war des Schönen und Herzbewegenden fast zu viel. Doch hoffe ich, in den übrigen Tagen meines hiesigen Aufenthalts noch eine reiche Blumenlese unter Mumien und Königsgräbern zu halten; denn ich kann nichts dafür, daß ich nicht bloß Ingenieur bin, sondern auch ein Deutscher.
Lieber gebe ich Euch heute ein Bild meines Alltagslebens mit seinen Sorgen, Mühen und Freuden.
Morgens um sechs Uhr lasse ich mich wecken, zunächst um das Vergnügen des Wiedereinschlafens zu haben. Denn zehn bis fünfzehn Meilen täglicher Eselreiterei, Meißeln und Hämmern, Zeichnen und Umherstolpern auf frischgepflügten Feldern, gefolgt von einigen Stunden nächtlichen Kampfes mit Moskitos, machen die Morgenruhe genußreich. Um sieben Uhr wird gefrühstückt. Haus und Hausleute sind, was man in Kairo irgend erwarten kann, wo sich nicht immer die feinste Welt Europas zusammenfindet.
Während ich oben Kaffee, Fleisch und Brot genieße, stärkt sich unten mein Esel mit Klee und mein Eseljunge, den ich schon seit vier Wochen nicht seiner Geschwindigkeit, sondern seiner Geduld und Langmut wegen im Dienst habe, mit dem Bewußtsein eines guten Muselmans. Denn es ist Ramadan, und die ärmeren Ägypter bringen buchstäblich dreißig Tage lang nichts über den Mund, solang die Sonne am Himmel steht. Die Reichen gehen in ihr Kämmerlein und essen im Verborgenen.
Dann folgt der Ritt nach Schubra, welcher, je nachdem ich gelaunt bin, drei bis fünf Viertelstunden beansprucht. Der Himmel ist stets und unverändert blau, die Luft frisch und bewegt, die Straße drei Zoll tiefer Staub, die Sykomoren und Akazien, die sich über dem breiten Weg wölben, geben reichlichen Schatten, die Kleefelder sind grüner als alles Grün in der Welt, und meine Gesellschaft Hunderte von Eseln und viele Dutzende von Kamelen. Das Bild, das in der Nähe von Schubra sich recht hübsch ausnimmt, indem dort der Nil die Straße berührt und die Pyramiden sichtbar werden, war mir indessen nach drei Tagen ein ziemlich gewohntes, und ich begann zu denken, was ich eigentlich denken sollte? Denn ich fand bald, daß die Sorgen des Geschäfts die unzweckmäßigste Unterhaltung sind für einen Morgenritt dieser Art. Was ich in geschäftlicher Beziehung hier brauche, sind Entschlüsse, die nicht mehr als zwei Minuten kosten, und rasches Handeln. Wozu also langes Sorgen? So lasse ich mit Behagen wachen Träumen die Zügel schießen und mache Pläne für orientalische Heldengedichte, in denen die trockene Kultur des Westens über die Märchenwelt des Ostens triumphiert oder umgekehrt, bis sich in der Nähe von Schubra ein Häufelpflug meiner Phantasie bemächtigt, den ich erfinden und Halim-Pascha bestellen sollte.
Schon in beträchtlicher Entfernung vom Feld, auf dem gepflügt wird, belehrt mich das regelmäßige Pfeifen der Maschinen, daß keine Ursache zum unmittelbaren Kampfe mit den Elementen vorhanden ist. Ich reite deshalb vorerst zu dem Hause des prinzlichen Ingenieurs, dessen Frau mir stets einen freundlichen Empfang bereitet. Die Leute sind recht artig eingerichtet, besitzen ein Harmonium und ein gutes Klavier, und wenn ich bis zu später Stunde in Schubra beschäftigt bin, finde ich Tee und ein willkommenes Nachtlager im Hause. In unmittelbarer Nähe des Wohnhauses befinden sich die Reparaturwerkstätten des Gutes, die ich in fortwährender Tätigkeit erhalte, nicht weil eine ungewöhnliche Gebrechlichkeit der Dinge durch meine Ankunft herbeigeführt worden wäre, sondern weil ich, dem Wunsche des Prinzen entsprechend, Versuche verschiedener Art einzuleiten habe.
Dabei wird mir nach und nach klar, wieviel ein arabischer Schlosser und ein ägyptischer Schmied zu leisten vermögen. Diese Leute sind willig, aber ihr Fleisch ist schwach, und infolge des Ramadans schlafen sie, sobald man ihnen den Rücken kehrt. Auch komme ich hier des Tages zehnmal in die Lage, dem Schlosser die Feile und dem Schmied den Hammer aus der Hand zu nehmen und auf diese Art zu sagen, wie man das Eisen anpackt. Es war dies nach meines Freundes und Gönners, Oberstudienrat K.s, Ansicht das Ideal, das dem jungen Techniker vorschweben sollte, nach meiner reiferen Erfahrung die Phantasterei eines Gelehrten. Nun bekommt in diesem Lande der Wunder der Gedanke doch eine gewisse Bedeutung! – Hinter den Werkstätten erbaute ich mir ein Zeichenbureau aus einem dreibeinigen Tisch, wo ich täglich versuche, prinzlichen Gedanken eine einigermaßen ausführbare Form zu geben.
Gegen zehn Uhr bin ich bei den Dampfpflügen im Felde, um zehneinhalb erscheint der Prinz, der mit einem stereotypen: »Comment vous portez-vous?« die Unterhaltung eröffnet. Er ist der Sohn des großen Mohamed Ali, Oheim des verstorbenen Vizekönigs (Said), des gegenwärtigen (Ismael) und des künftigen (Mustafa); nichtsdestoweniger ist er jünger als diese drei und kommt erst nach Mustafa selbst auf den Thron, indem stets der Älteste der Familie Vizekönig wird. Er wurde in Paris erzogen und soll sogar auf den Barrikaden für die Republik gefochten haben, aber ebendeshalb rasch eingeheimst worden sein. Soweit ich ihn kenne, ist er ungewöhnlich unternehmungslustig, voll Interesse für alles Wissenswerte, zurückhaltend, wenn er spricht, sehr aufmerksam, wenn er hört. Seine Umgebung ist türkisch gekleidet, er selbst europäisch, mit Ausnahme der Pantoffeln, in denen er auch im Felde erscheint. Seine Umgangsformen, abgesehen von einer gewissen Neigung, sich überall auf den Boden zu setzen, sind durchaus französisch-englisch. Er spricht mit mir nur Französisch, soll aber, wie man mir warnend sagte, auch das Englische recht wohl verstehen.
Natürlich hat er, wie der beste Despot, wohlbezahlte Spitzbuben in seiner Nähe, mit denen ich meinen ersten Strauß auszufechten hatte. Ich ging ohne Diplomatie den geraden Weg. Die Verhältnisse verlangen derbe Mittel. Seit vierzehn Tagen sind meine zwei Hauptgegner entlassen. Das Geschäft dieser Bande, den guten Ruf und die Leistungsfähigkeit der Fowlerschen Maschinen so gründlich als möglich zu zerstören, war halb geschehen, als ich kam, so daß der Prinz die Absicht hatte, Geräte im Wert von dreitausend Pfund Sterling wieder zurückzuschicken. Das Blatt hat sich nun aber gewendet, so daß ich bereits für die doppelte Summe weitere Bestellungen auf das Pflugsystem erhielt, das vor vier Wochen nahezu verurteilt war.
Gewöhnlich bin ich bis nach sechs Uhr auf dem Felde, oder zwischen den Werkstätten und dem Felde hin und her reitend beschäftigt. Selten vergeht ein Tag ohne energisches Eingreifen in die landesübliche Arbeitsweise. Die Fellachin sind intelligente Burschen, aber – man schiebt freilich alles auf den Ramadan – sie sind faul. Die weißen und roten Turbane fühlen sich auf Pflug und Maschine nicht heimisch, und der Wasserträger, der mit seinem Geißhautschlauch den Tender füllt, kommt fast immer zu spät, wofür er vom »Nasir« (dem Verwalter des Guts) ohne viel Aufhebens seine Tracht Prügel erhält.
Im Mondenschein reite ich dann dem Sirius entgegen, durch die finstere Sykomorenallee zurück, unter dem Bellen der wilden Hunde, das um Kairo nie verstummt, und preise mein Geschick, wenn mein Esel nicht dreimal in der Dunkelheit zusammenbricht. Geschieht dies, so wartet er ruhig, bis ich über seinen Kopf hinweggestiegen bin. Wir sind beide darauf eingeübt.
Daß ich nach solchen Tagen, wenn ich abends müde die Haut mir vom Gesicht ziehe, nicht sehr schreibselig gestimmt bin, werdet Ihr begreifen. Auch die Nächte werden schwül, und über meinem einfachen Leben wie über der Politik der Großen, mit denen es mich hier zusammenführt, brütet die heiße Luft des Morgenlandes.
Vorgestern hat man, wie es heißt, eine Verschwörung gegen den Vizekönig Ismael-Pascha entdeckt, an deren Spitze sein Bruder Mustafa stehen soll. Es ist eine düstere Welt, trotz allem Sonnenschein.