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Kairo, den 21. Juni 1863.
Die Sonne scheint, wie zu Diodors Zeiten, in den Brunnen von Syene und steht fast senkrecht über meinem rotglühenden Schädel. Es ist ein eigentümliches Schlemihlgefühl für einen Deutschen, wenn er mittags, während der Esel in der Mitte eines busch- und baumlosen Platzes aus natürlichen Gründen stehenbleibt, nach dem eignen teuern Schatten sucht. Zuerst ein scheuer Blick hinab zwischen den langen Ohren des grauen Leidensgefährten – sodann einer, ebenso erfolglos, nach hinten – darauf hinunter am linken und schließlich am rechten Steigbügel; aber überall dieselbe gelbglühende, schattenlose Sandfläche, tot, brennend, unberührbar. Eier werden hart in der Sonne, und wenn man an einem Fellahmetzger vorüberkommt, der schlafend neben dem halben Büffel liegt, den er an einem wilden Feigenbaum aufgehängt hat, so hört man das Zischeln des Fleisches und sieht ein Räuchlein aufsteigen, wo ein Sonnenstrahl den appetitlichen Kadaver berührt. Doch haben wir den Gipfel des Elends jetzt erreicht; in sechs Wochen liegt die vertrocknete Welt unter Wasser.
Mein Auszug aus Kairo steht bevor, mein Haus in Schubra ist fertig. Staub und Schutt wurden schon vor mehreren Wochen ausgefegt; sie häufen sich indessen wieder an, ohne auf irgendwelchen Widerstand zu stoßen. Mein liebenswürdiger Prinz ersuchte mich, ihm eine Liste des einem Europäer notwendigen Hausrats anzufertigen, und meine Junggesellenwünsche waren rasch in niedlichem Französisch Seiner Hoheit unterbreitet. Den Befehl, die Sachen herbeizuschaffen, erhielt alsbald der anwesende Nasir und damit ich die stumme Weisung, eine mehr als europäische Geduld zu entfalten. So habe ich denn noch immer das Vergnügen, den Bewohnern der Schubrastraße als Uhrwerk zu dienen, und zugleich die beste Gelegenheit, mich gründlich zu akklimatisieren. Denn ich genieße Sonne, Wind und Staub wie wenige im Lande, und bin eine Autorität geworden, wenn es sich um Esel handelt, deren Gemütsleben eines meiner Lieblingsstudien geworden ist.
Als ob ich Zeit zu Nebenstudien hätte! Vor vierzehn Tagen kamen zwei neue Dampfpflüge, eine ganze Gasfabrik und vierzig Baumwollenreinigungsmaschinen an, die alle aufgestellt und in Tätigkeit gesetzt sein wollen. Eine kleine Maschinenfabrik ist unterwegs, in der ich Werkführer, Konstrukteur und Direktor zu sein habe. Und das ist nur die Hälfte des Wergs an meiner Kunkel. Vor drei Wochen hatte ich meine erste Audienz beim Vizekönig, der nach den Erfolgen unsers diesjährigen Pflügens in Schubra sich nun auch der Dampfpflügerei ergeben will. Die Ursache meiner Einführung war jedoch eine andre. Natürlich kennt Ihr weder die englischen noch die ägyptischen Dreschmaschinen, wenn, was ich nicht weiß, letztere nicht von Herodot beschrieben wurden. Der Vizekönig aber kennt beide, mag die englischen nicht und möchte die ägyptischen mit Dampf treiben. Dies veranlaßte ihn, etwas erfinden zu wollen, und da die Geburtswehen Seiner Hoheit sehr schwer sind, so wurde ich als eine von Halim-Pascha aufs beste empfohlene Hebamme herbeigeholt. Die Ehre ist groß; die Aufgabe aber nicht klein und gefährlich. Ist das Kind eine Mißgeburt oder kommt es tot zur Welt, so ist dies selbstverständlich mein Fehler. Dabei wird mir zum erstenmal recht klar, wie schwer es ist, mit großen Herren Kirschen zu essen.
Vorläufig ist jedoch für mich und Fowler diese Verbindung mit dem Vizekönig von entscheidender Bedeutung. Es hat dies ebensoviel Erfreuliches als Bedenkliches. Nirgends versteht man die Warnungen des Alten Testaments, das unter diesem Himmel geschrieben wurde, so gut als hier, wo noch immer die Luft weht, die vor dreitausend Jahren geweht hat, und Fürstengunst in tägliche Schwankungen versetzt. »Wehe dem Menschen, der sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für seinen Arm!« O Freiheit! Freiheit! Hier in dieser schwülen Atmosphäre des Despotismus und der Laster, die er erzeugt, lernt man verstehen, welchen Fortschritt die Menschheit in etlichen Jahrtausenden gemacht hat. In Deutschland, wenn mir auch die Theorie zusagte, hatte ich meine Zweifel, ob dieser Fortschritt so gar viel zu besagen habe. In England ahnt man, wenn auch in Nebel gehüllt, die große Wahrheit. Im Orient, in den Kreisen besonders, die mit europäischem Luxus und europäischer Politur aufgeputzt sind, in Ländern wie Ägypten, wo man täglich mit der Nase auf ein vergangenes Jahrtausend stößt, wird sie uns sonnenklar.