Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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3.

Steinen, den 29. November 1859.

Ein Tischchen und einen Stuhl, Tinte, Feder und Papier, mehr braucht's nicht, um auch in einem Kesselhaus einen Brief zu schreiben oder selbst ein rührend Liedlein zu singen. Hab' ich doch gestern sogar an meine Freunde in Berg ein solches wohlverschlossen einem gewissenhaften Kesselbericht beigelegt, so daß der Herr und Meister unsers prosaischen Daseins selbst die Güte haben mußte, dieses Fünklein aus verachteten idealen Regionen an der richtigen Stelle abzuliefern, ohne zu wissen, was er tat! O, verlaß mich nicht, du schöne Welt über dem wechselnden Mond, wenn ich in einem Heizzug meiner Kessel liege, der zwei Fuß breit und dreizehn Zoll hoch sein mag, und mir dort die heißen Tropfen in den Nacken fallen. Verlaß mich nicht, wenn mein Gewissen anfängt über dich zu schelten und zu fluchen, und wenn ich selbst dich treulos verlasse.

Wahr ist's, ich stehe knietief im kräftigenden Schmutz des praktischen Lebens und lerne Kummer und Sorgen auf dem Brot essen. Zum Glück wächst hier ein Wein, der selbst Pumpernickel hinunterspült. Auch machen eine andre Luft, andre Berge, andre Menschen um mich her vieles erträglicher.

Als ich zum erstenmal hierherkam, fand ich, daß der vermutete Fehler bei der Einmauerung nicht gemacht worden war. Ich stand somit der schwierigen Aufgabe ziemlich ratlos gegenüber und mußte es wagen, auf eigne Faust zu handeln. Verhaltungsmaßregeln einzuholen – das dauerte zu lang. Ich schrieb daher, was ich zu tun gesonnen sei, und erhielt, einen Tag nachdem mein Plan ausgeführt war, die Erlaubnis, dies zu tun. Das Ergebnis schien überaus günstig. Selbst der schlimmste Kessel ließ nach seiner neuen Einmauerung nichts mehr zu wünschen übrig und Oberst Geigy hatte schließlich die Güte, selbst mit mir nach Basel zu fahren, um mich in freundlichster Weise loszuwerden. Die persönlichen Verhältnisse hatten sich nämlich in den Tagen meines Hierseins geändert. Entweder sehe ich die Welt noch mit zu naiven Augen an, oder liegt der Fehler an den Schilderungen, die mir gemacht worden waren. Ich fand jenes böswillige, schadenfrohe Geschlecht von Maschinisten, Spinnmeistern und Direktoren nicht, mit dem ich zu kämpfen gesonnen war. Im Gegenteil erhielt ich fortwährend Beweise von wirklich freundschaftlicher Teilnahme, wie man sie hinter geschäftlichen Beziehungen gewöhnlich nicht suchen darf.

In Berg legte ich große Ehre ein mit meinem Siegesbericht und war bereit, mich aufs neue in stille Freuden am Reißbrett zu vertiefen. Da war's just wieder Samstag. Ich hatte schon mein Handwerkszeug zusammengepackt, um mit dem Gefühl der erfüllten Pflicht heimzugehen, als die Schreckenskunde eintraf. Das Ende einer langen qualvollen Besprechung, obgleich mein Herr und Meister in der Verzweiflung außerordentlich höflich war, bildete den Beschluß, daß ich morgen, statt auf den Hohenstaufen, wie ich vorgehabt, abermals nach Steinen müsse.

Nun war es erst recht keine Luftfahrt, die mich hierher brachte. Das trübe Novemberwetter, das winterliche Tal, und mehr als dies die ungewisse Zukunft der nächsten Woche, der ich amtshalber mit zuversichtlicher Miene entgegensehen mußte, fröstelten mir durch Leib und Seele. Der Oberst war in Basel. Der Hauptmann, sein Schwiegersohn, leitete mit mir die neuen Veränderungen ein, bis der alte Herr zurückkam, dem ich sogleich meine Aufwartung machte und der, wenn man berücksichtigt, daß wir unter der Traufe von drei rinnenden Dampfkesseln standen, in persönlicher Beziehung nicht liebenswürdiger hätte sein können. Mein Hauptumgang aber war damals und ist jetzt wieder ein junger Angestellter der Fabrik, namens Bohni, ein Schweizer, wie ich noch keinen von gleicher Herzensgüte und Gefälligkeit getroffen habe. Die Musik und ein Ausflug nach einer prächtigen Ruine der Umgegend führte uns zusammen und leitete ein Verhältnis ein, das mir einen gewissen Trost gewährt in der Trübsal dieses Lebens.

Denn brauchen konnt' ich ihn. Als der neu eingemauerte Kessel geheizt wurde, rann er zum Verzweifeln. Sogleich wurde ein Bube mit einem Telegramm nach Lörrach abgeordnet, um einen tüchtigen Kesselschmied herzubekommen. Abends, unter dreimal ungünstigeren Verhältnissen, hörte das Rinnen auf. Sogleich fuhr ich selbst nach Lörrach und bestellte den Kesselschmied wieder ab. Den andern Tag rann der Kessel wieder, nachmittags wieder nicht, abends wieder ein wenig, nachts gar nicht und so fort, bis mir schließlich der Verstand stillzustehen drohte. So ging's die ganze letzte Woche fort. Ich hing dabei zwischen Furcht und Hoffnung, wobei ich mir nach und nach Erklärungen für das Unerklärliche konstruierte und der Kessel sich langsam zu bessern schien. Jetzt hoffe ich wieder. Vielleicht war es nur eine Kinderkrankheit junger Kessel. Vielleicht haben auch Kessel vorübergehende Nervenzustände, die kein Mensch berechnen kann.


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