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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Die Heimkehr

Es war gegen Ende Septembers an einem Samstag, als auf dem Weg, der vom Maingrund das enge Thal zwischen Weinbergen und Wäldern sich heraufzog, ein Wagen auf das Dorf zu sich bewegte, der ziemlich beladen schien. Er ward von vier kleinen, aber muntern und rüstigen Pferden gezogen, deren lang herabhängende Mähnen ihre ausländische Abkunft verriethen. Der Fuhrmann, der neben den Rossen herging, war in seiner Kunst offenbar noch ein Anfänger. Statt mit ruhiger Hand und wenig Worten sein Gespann auf dem schlecht gehaltnen Wege zu leiten, lief er in ungeduldiger Bewegung bald vorwärts, bald rückwärts, zerrte unablässig an den Zügeln und schwang unter fortwährendem Schreien und Drohen seine lange Peitsche klatschend über den Köpfen der Pferde. Seinem Schnauzbart und seiner aufrechten, steifen Haltung nach zu schließen, schien er seines Handwerks eher ein Soldat, als ein Fuhrmann zu sein. Drei Reisende begleiteten den Wagen; sie waren abgestiegen und gingen neben dem Fuhrwerk her, um nöthigenfalls zur Hand zu sein, wenn der schlechte Weg ihre thätige Hülfe nöthig machen sollte.

»Also – sag' ich«, rief der Fuhrmann, »ein richtiger Landsknecht ist doch überall zu brauchen, wo man ihn hinstellt. Ein Andrer hätte auf den schlechten Wegen nicht ein einziges Rad heimgebracht. Wir aber werden jetzt bald mit Sack und Pack, mit Schiff und Geschirr, mit Leib und Seele an Ort und Stelle sein. He, was sagt ihr dazu? Und seht einmal, wie jedes Pferd seinen Kopf aufhebt, wenn ich es bei seinem Namen rufe. – Hü, hü, Solyman! hott, hott, Mehemed Beg! hopp, hopp, Ali Portuk! Wart', ich will dir stolpern, schämst du dich nicht in deinen jungen Jahren? – Ja, ja, sie sind einexercirt, wie jährige Rekruten!«

»Mach' keinen solchen Lärm, Schimmelmann«, rief einer der drei Reisenden, in dem wir den Gerber erkennen. »Allerdings ist das Schlimmste überstanden, und wir werden bald auf besseren Weg kommen. An dem Wiesenstück dort, von dem der Nebel aufsteigt, scheiden sich die Wege; der Weg links führt auf das Dorf zu. Wir werden sogleich an die Brücke kommen, die über den Bach führt, dort können wir wieder aufsitzen.«

Die kleine steinerne Brücke war erreicht, und das Fuhrwerk hielt.

»Jetzt kommen wir auf die heimathliche Gemarkung«, sagte der Gerber. »Seht, Kinder, da unter der Brücke, nur ein paar Zoll neben dem vorbeifließenden Bach, quillt ein Brünnlein aus dem Boden. Ich habe das Brünnlein immer lieb gehabt, und als Knabe gar manchmal es aufgesucht und auf sein Rieseln gehorcht und meine Gedanken dabei gehabt. Auch als ich dieses Wegs mit meinem kleinen Reisebündel in die Fremde zog, bin ich noch einmal hinuntergestiegen, habe daraus getrunken und mir die Thränen aus dem Gesicht gewaschen und dann den Bach überschritten. Hier steh' ich heimkehrend, wie Jakob, an demselben Bach, als an meinem Jordan, und wenn ich jetzt auf euch sehe und auf das Gut, was mir Gott bescheert hat im fremden Land, und der wunderbaren Errettung und Behütung gedenke, die mir zu Theil geworden ist, so sprech' ich – Gott weiß es! – aus dankbarem Herzen: › HErr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knecht gethan hast!‹ – ihr auch, Kinder?«

»Da stimm' ich ein von ganzem Herzen«, sagte Konrad. »Wenn ich bedenke, daß ich in einer Stunde bei Vater und Mutter sein werde und den Andres und den Adam wiedersehe, so könnte mir das Herz vor Freude zerspringen.«

»Und ich spreche auch mein Amen dazu«, sagte Joseph. »Ich werde zwar keinen Vater und keine Mutter finden und kaum einen Freund mehr, der mich noch recht kennen will, wie ehemals, aber meine Freunde bring' ich mit, einen im Himmel und zwei auf Erden. Und so will ich auch eine fröhliche Heimkehr halten, wie die Weisen aus Morgenland, nachdem sie den Stern gesehen und angebetet hatten zu Betlehem.«

»Hast du noch im Sinn bei deines Vaters Haus abzusteigen«, sagte der Gerber, »oder willst du mit uns aufs Schloß?«

»Ich bleibe im Dorf. Ich werde den Ruben sicher daheimtreffen, denn es sind jetzt die Tage des Laubhüttenfestes. Er wird freilich kaum mehr der alte gegen mich geblieben sein, aber ich möchte ihn doch gerade nicht kränken.«

»Wie du willst«, sagte der Gerber. »Solltest du übrigens keine Herberge finden, oder sollte es dir aus irgend einem Grunde in deinem väterlichen Hause nicht gefallen, so weißt du ja den Weg aufs Schloß, – du findest uns dort alle beisammen und wirst willkommen sein. Jetzt aber laßt uns auf den Wagen steigen! Der Konrad wird sonst ungeduldig, und wahrlich ich auch. Fahr' zu, Schimmelmann, und wirf uns nicht zu guter Letzt noch in den Graben. Rasch durch's Dorf gefahren, daß das Feuer aus den Steinen springt, und nicht angehalten, als bis ich dir's sagen werde!«

»Was ich doch für ein alter Thor bin«, fuhr er fort, als sie den Wagen bestiegen hatten. »Jeder Baum am Weg, und jeder Hügel kommt mir vor, wie ein Freund, der mich willkommen heißt und schon längst auf mich gewartet hat, und wie freundlich schauen die wohlbekannten Häuser des Dorfes aus der Dämmerung mir entgegen! es ist mir gerade, wie wenn in jedem das Licht für mich angezündet wäre. Wenn's mir nachginge, würde ich schon bei der Mühle anfangen zu rufen: Der Balthasar kommt! Heraus! Heraus! ihr guten Kameraden! Heraus Jakob, Michel, Wilhelm, Heinrich! Gottlob, daß ich euch wiedersehe! Ost und West! Daheim ist das Best'! – Aber nein, nein! wenn man Dinge erlebt hat, wie wir, will sich das nicht ziemen. Erst morgen Gott die Ehre gegeben, dann wollen wir die Freunde begrüßen, und mit ihnen fröhlich sein.«

In wenig Minuten hatten sie das Dorf erreicht, und der Wagen rollte auf das Thor zu.

»Schrei' nicht so, Schimmelmann«, rief der Gerber, »du bringst mir sonst das ganze Dorf auf die Beine, und nimm dich in Acht, wenn du an's Thorhaus kommst, daß du nicht an dem Pfeiler widerfährst.«

Schimmelmann that sein Möglichstes. Bald hielt der Wagen vor Joseph's Vaterhaus.

»Es ist Licht darin«, sagte der Gerber, »obwohl sich Niemand zeigt – nun geh' mit Gott, Joseph, und wie gesagt, sollte dir's daheim nicht zusagen, so weißt du, wohin du zu gehen hast.«

Während der Wagen davonfuhr, näherte sich Joseph der Hausthüre. Er klinkte sie auf und trat ein. Zitternd vor innerer Erregung, jedoch mit sicherem Schritt, ging er durch den dunklen Vorplatz und öffnete die Thüre des Wohnzimmers. In einem kleinen, damit verbundenen Anbau, dessen Dach leicht abgedeckt werden konnte, war, wie zu der Zeit seines Vaters, die Lauberhütte errichtet. Ruben befand sich darin und ein kleiner Knabe, welcher dem Bruder desselben angehörte. Eben hielt Ruben das Tischgebet. Säulen von Buchs bildeten die Hütte, die mit Maiskolben, Kürbissen, Hagebuttenketten, Goldflittern und bunten Papierstreifen ausgeschmückt war und einen freundlichen, traulichen Anblick gewährte. Die blanke Messinglampe, die er noch von seiner Kindheit her kannte, erleuchtete den Raum, und auf dem Tisch stand eine ärmliche Mahlzeit von weißem Brod und dürrem Obst, nebst einer kleinen Flasche Wein.

Es war natürlich, daß der eintretende Joseph mit Wehmuth der Vergangenheit gedachte. Die Tage des Laubhüttenfestes waren für den Knaben stets Freudentage gewesen. Viel theuere Erinnerungen an Vater und Mutter, sowie an Freunde und Bekannte seines Hauses wurden in ihm wach bei diesem Anblick. Dem einzigen, der aus diesem Freundeskreis jetzt gegenwärtig war, dem alten, strenggläubigen Ruben zuzumuthen, daß er ohne Vorurtheil, ja ohne Vorwurf den Sohn des Hauses empfangen sollte, den er nur als einen Abgefallenen ansehen konnte – das wäre zu viel verlangt gewesen. Joseph war daher gerne geneigt, ihm einige Unfreundlichkeit nicht anzurechnen, ja er hatte sogar ein Gefühl, als habe er ihm etwas abzubitten und gute Worte zu geben, um das alte Verhältniß wieder herzustellen. Er wollte ruhig den Schluß des Gebetes abwarten und dann mit herzlichen Worten ihn ansprechen.

Ruben wandte den Kopf beim Aufgehen der Thüre und erkannte auf den ersten Blick den Eintretenden. Er hielt inne im Gebet, und in seinem ganzen Aussehen kündigte sich ein furchtbarer Wuthausbruch an. Seine Fäuste fingen an sich zu ballen, seine Nasenlöcher erweiterten sich, und schweigend heftete er seine weit geöffneten Augen mit dem Ausdrucke des tiefsten Hasses auf den Sohn seines ehemaligen Herrn, der ihm ruhig gegenüberstand und freundlich die Hand zum Gruß entgegenstreckte.

Der kleine Knabe stand erschrocken auf bei der unheimlichen Stille, die mit einem Male eingetreten war. Er blickte zitternd und mit bangem Ausdruck bald auf Ruben, bald auf Joseph, dann nahm er schüchtern ein Glas mit Wein vom Tisch, um es der Sitte nach dem Fremden zu reichen.

»Rühre dich nicht von der Stelle«, rief Ruben mit wutherstickter Stimme, indem er dem erschrockenen Knaben heftig das Glas aus der Hand riß – »das ist der Meschummed (der Verdammte)!« Dann schleuderte er grimmig das Glas auf den Boden, daß die Stücke wider die Wände flogen, und rief mit einem wilden Blick auf Joseph:

»So müsse zerspringen dein Geist, wie dies Glas zersprungen ist, du Vertilgter! Wir haben heute das Takkeh Ojbhenu in der Synagoge wider dich gebetet, daß Gott dich schlage, du Pôsche (Abtrünniger), wie er die Erstgeburt geschlagen hat in Aegyptenland; wie darfst du es wagen, deinen Fuß zu setzen in deines Vaters Haus? Verflucht war dein Ausgang, verflucht sei dein Eingang!«

»Rede nicht mehr weiter, Ruben«, sagte Joseph, ihm ernst und fest in's Auge sehend, »laß lieber mich zum Wort kommen. Mein HErr und Meister, auf den ich jetzt getauft bin, sagt: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, – drum erschrecken deine Flüche mich nicht. Und weiter sagt er: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, thut wohl denen, die euch hassen! – drum erzürnen deine Flüche mich nicht. Du hast harte Worte geredet wider den Sohn deines Herrn, aber denke, sie seien ungesagt, ich will auch so denken. Du bist alt geworden in diesem meinem Haus und warst stets ein treuer Knecht, und wenn du bei mir bleiben willst, sollst du es so gut haben, wie ich selbst, und soll dir nichts fehlen auf deine alten Tage.«

»Nein, nein, nein, du Meschummed«, rief Ruben, schäumend vor Wuth und ihm die Fäuste entgegenballend, »will ich doch lieber das Fleisch von meinen eigenen Knochen abnagen, als von dir ein Stück Brod nehmen, lieber gleich dem Wild liegen im Thau und im Schnee, als mit dir unter einem Dach wohnen und an deinem Heerd mich wärmen, lieber meine Rechte verdorren sehen wie die Hand Jerobeam's, als daß ich sie brauche, dir zu dienen. Als ich hörte, daß du dich dem Toole (Gekreuzigten) zugewendet, daß du ein Verräther geworden an deinem Gott, an deinem Volk und an deinem Vater, habe ich, was mein Eigenthum ist, fortgeschafft in das Haus meines Bruders und dir und deinem Hause geflucht, ich selbst bin geblieben um deines Vaters willen, der mich zum Wächter gesetzt hat, bis dieses Haus wieder seinen Herrn habe. Nun geh' ich und schüttle den Staub von meinen Füßen. Möge Gras wachsen vor seiner Thüre, möge es zerfallen, wie diese Lauberhütte zerfällt, möge das Feuer auf seinem Heerd verlöschen, wie diese Lampe verlischt.«

Mit diesen Worten faßte er eine Säule der Hütte und riß mit einem gewaltigen Ruck das ganze Gebäude zusammen, daß die zu seinem Schmuck dienenden Früchte nach allen Seiten hin über den Boden rollten, dann blies er die Lampe aus und sagte zu dem Knaben, der sich weinend vor Angst an ihn schmiegte: »Komm, Aaronchen, seine Leuchte soll verlöschen mitten in der Finsterniß, hier soll kein Ben Jisroël mehr weilen. Du aber, Verräther, statt der Lauberhütte, in der du auf dem Schooß deiner Mutter gesessen, sieh dir jeden Tag das Halseisen an, in welchem sie von deinen jetzigen guten Freunden an den Pranger gestellt worden ist.«

» Meine Seele müsse sich freuen des HErrn, und fröhlich sein auf seine Hülfe. Glaube mir, Ruben, es wird Friede hier wohnen, ein Friede, von dem du nichts weißt, ich aber kenne ihn und habe ihn gespürt in Tagen der Angst und Trübsal, da andere Schrecken mich bedrohten, als die vergeblichen Flüche eines armen blinden Menschen.« Aber Ruben hatte bereits die Stube mit hastigen Schritten verlassen, die Thüre fuhr zu, und Joseph stand allein.

Er fand an dem gewohnten Ort das Feuerzeug, machte sich Licht und räumte die Trümmer der Lauberhütte zusammen, dann durchging er das ganze Haus. Alles war in der pünktlichsten Ordnung und genau so, wie zu seines Vaters Zeiten. Nur Ruben's Schlafzimmer war ausgeräumt.

»Das war zu viel!« sagte endlich Joseph. »Dieser Willkomm hat mir den Abschied von meinem Volk leichter gemacht, als mir lieb ist. So fahre hin, Israel nach dem Fleisch! Deine Flüche treffen nicht. Wie willst du fluchen, dem Gott nicht fluchet, wie willst du schelten, den Gott nicht schilt? Aber fort, fort von hier, ich will Worte der Liebe hören, und ich weiß, wo sie mein warten.«

Schnell ergriff er seinen Stab wieder, verschloß das Haus und machte sich auf den Weg zum Schloß. Die Erinnerung an seinen Vater, mit dem er so manchmal des Weges gegangen, begleitete ihn. Ihm schauderte mitunter bei dem Gedanken, daß dieser ähnlich, wie Ruben, seine Bekehrung hätte ansehen können, aber der Gedanke kam ihm vor wie eine Sünde wider seinen Vater, und sein ganzes Innere empörte sich wider eine solche Vorstellung.

»Nein, Nein!« sagte er, »nimmermehr kann solch' höllischer Grimm in einer Seele wohnen, die auch nur etwas von dem Licht des göttlichen Wortes wahrgenommen hat, und wenn es doch möglich gewesen wäre, nun so hat Gott wohlgethan, der Seele meines Vaters solche Versuchung zu ersparen. Er sei tausendmal gepriesen!«

Bald hatte er das Schloß erreicht, und da der sonst so pünktliche Adam heute zum erstenmal das Thor zu schließen vergessen hatte, stand er in wenigen Augenblicken vor der Thüre der Wohnstube. Er erkannte sogleich Konrad's Stimme.

»Ja, liebe Mutter!« hörte er ihn sagen, »es ist wahr, was ihr mir zum Abschied gesagt habt: Ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker. Hätte ich den Joseph nicht bei mir gehabt in der Gefangenschaft, hätte er nicht jeden Tag mich getröstet, hätt' ich's nicht deutlich an ihm gesehen, daß man mit Gott und seinem Wort Alles, auch ein solches Sclavenleben überdauern kann, ich wüßte nicht, was aus mir geworden wäre. Dreinschlagen kann ein Jeder, aber still halten und sich schlagen lassen, und dabei nicht blos sich selbst, sondern auch einen verzagten Nächsten aufrecht halten, das ist nicht Jedermanns Ding.«

Joseph hatte schon zweimal angeklopft, ohne daß man ihn gehört hatte. Er öffnete daher die Thüre und trat ein. Das Zimmer war hell erleuchtet, und hell strahlte die Freude des Wiedersehens auf den glücklichen Gesichtern der Anwesenden. Der Gerber dehnte seine robuste Gestalt behaglich in dem großen Lehnstuhl. Konrad saß zwischen Vater und Mutter, die nicht müde wurden ihn anzusehen und seine Hände zu drücken. Adam und Andres, welche von der untern Seite des Tisches aus gleichfalls die Ankömmlinge nicht aus den Augen ließen, hatten mit Schimmelmann bereits gute Freundschaft geschlossen und ließen sich Bier, Weißbrod und Käse schmecken, womit Konrad's Mutter für diesen Freudenabend sich vorgesehen hatte.

»Ha! prächtig, prächtig!« rief der Gerber aufspringend, »da kommt mein Taufpathe. Nun das ist schön von dir, Joseph, oder, wie du jetzt heißest, Joseph Balthasar, du allein hast uns noch gefehlt. Hier, Schwager und Schwester, hier habt ihr den guten, lieben Jungen, heißt ihn herzhaft willkommen!«

Es bedurfte seiner Ermahnung nicht. Der Schloßbauer hatte sich schon erhoben, um dem Freund seines Sohnes die Hand zu schütteln, seine Frau that deßgleichen und sprach: »Sei gottwillkommen, lieber Joseph, wie soll ich dir's jemals danken, was du an unserm Sohn gethan hast? Du hast Mutter und Vater verloren, ich will dir eine Mutter schuldig sein.«

»Und ich einen Vater«, sagte der Schloßbauer, »und das sollst du morgen erfahren.«

Adam und der Schäfer hießen ihn ebenfalls willkommen und erklärten mit Verwunderung, er habe sich so geartet und sei so mannbar geworden, daß er kaum mehr zu kennen sei.

»Gott lohn' euch allen eure Freundschaft«, sagte Joseph; »mein Volk hat mich ausgestoßen, aber ich habe mich nicht geirrt, daß ich bei euch eine Zuflucht haben würde.«

»Aha«, sagte der Gerber, »ist's gekommen, wie ich mir's gedacht habe?«

»Es ist so gekommen«, sagte Joseph achselzuckend, »und noch schlimmer. Nicht Vorwürfe, auf diese war ich gefaßt – sondern Flüche begleiteten meinen Eingang in's Haus meines Vaters.«

»Wundert mich nicht«, sagte der Schäfer, »es hätte noch schlimmer kommen können. Als wir im Wirthshause von dem Brief erzählten, den der Amtmann vorgelesen hatte, waren viele Juden zugegen und horchten neugierig zu; wie es nun aber herauskam, daß der Joseph ein Christ geworden, erhuben sie ein solches Geschrei, daß das Haus zitterte. Sie fluchten dem Joseph und mir und meinem Vater und meinem Großvater und wackelten mit ihren spitzigen Bärten, daß mir's angst und bange wurde. Dann spuckten sie aus und verließen unter Drohungen die Stube. Wäre der Adam nicht bei mir gewesen, ich hätte mir nicht nach Haus zu gehen getraut. Wie ich mir habe sagen lassen, haben sie sich heute in ihrer Schule versammelt, um den Joseph todt zu beten.«

»Laßt sie, die armen Schächer!« sagte der Gerber; »wir aber wollen auch etwas thun, Joseph. Es heißt im Psalm: Ich will Dir danken in der großen Gemeine und unter viel Volks will ich Dich rühmen. Wir haben darum eben mit einander beschlossen, morgen feierlich in der Kirche Dank sagen zu lassen für Alles, was der gnädige Gott an uns in der Fremde und im Elend gethan und um seinen weitern Segen Ihn zu bitten. Unser Gebet wird Gott angenehm und erhöret sein trotz des Fluchens aller Juden in der ganzen Welt. Bist du einverstanden?«

»Von ganzem Herzen«, sagte Joseph. » Mein Leben hat er am wunderbarsten vom Verderben erlöst und mich vor allen gekrönt mit Gnade und Barmherzigkeit.«

Es wäre schwer, die weitere Unterhaltung zu schildern, die lange bis nach Mitternacht die Gesellschaft wach hielt. Der Gerber führte das Wort. Athemlos horchten alle Anwesenden seiner Schilderung von dem letzten Ausfall der Besatzung und dem Tod des Grafen von Zriny, von dem furchtbaren Gemetzel in der eroberten Festung und dem Entsetzen, das ihn ergriff, als Zameth die Gefangennahme der beiden Jünglinge ihm nicht mehr verheimlichen konnte. Selbst Konrad und Joseph waren erschüttert, als ihnen die durchlebten Schreckenstage wieder so lebendig vor die Seele traten, und priesen sich glücklich, daß ihnen wieder ein friedlicher Beruf beschieden sei, nur Schimmelmann gab mitunter durch ein muthiges Schnauben zu erkennen, daß er eigentlich damals mehr in seinem Element gewesen sei, als jetzt, wo er seine kriegerische Laufbahn in der bescheidenen Stellung eines Pferdeknechtes beschlossen hatte. »Eines Landsknechts Stand sei eigentlich doch der schönste in der ganzen Welt; aber seine Mutter habe nichts rechts drauf gehalten und ihn ermahnt, für seine alten Tage zu sorgen und darum wolle er jetzt wenigstens ihr folgen, da er leider lange genug nichts nach ihr gefragt habe.«

Adam hörte mit großem Behagen, daß Konrad unter dem Fähnlein gedient und so mannhaft und wacker mitgestritten habe, daß Lindenhardt und selbst der Graf ihm ihre Anerkennung nicht versagt hatten. Er nickte ihm schmunzelnd zu, als ob es nun endlich sich bestätigte, daß die Stunden, in welchen er oft zum Verdruß der Bäuerin seinem ehemaligen Zögling das Fechten gelehrt hatte, denn doch nicht ohne einen schönen Nutzen geblieben seien.

»Art läßt nicht von Art«, sagte der Schäfer. »Die Hollensteine sind immer mannhafte und streitbare Männer gewesen. Wie der Vater, so der Sohn! das ist nicht zu verwundern! Aber, Adam, Schloßbauer, Schloßbäuerin, das ist doch gewiß merkwürdig, daß Alles gerade so gekommen ist, wie ich's vorausgesehen habe. Es sind noch keine drei Wochen, daß ich's gesagt habe, wir würden den Konrad noch manchen Abend bei uns haben und ihn erzählen hören von den Wunderdingen, die er erlebt hat. – Wenn man lang lebt und auf die Welt Acht gibt und gute Bücher liest, lernt man Manches, was andern Leuten ihr Lebenlang nicht einfällt.«

Den Schluß des Gespräches bildeten die freundlichen Erinnerungen der Schloßleute an die Zeit, in welcher der alte Isaak das Dorf verlassen und auf dem Schloß, so zu sagen, sich häuslich niedergelassen hatte. Jeder beklagte seinen Tod und wußte etwas zu seinem Lob zu erzählen – der Schloßbauer, was für einen uneigennützigen Freund und besonnenen Rathgeber man an ihm gehabt, der Schäfer, wie er in der letzten Zeit so leutselig gewesen und alle Kinder, Juden- und Christenkinder, gern auf ihn zugelaufen, der Adam, daß er einen warmen Mantel von ihm bekommen habe. Am wohlthuendsten für Joseph war die treuherzige Versicherung der Schloßbäuerin, daß sein Vater den Haß gegen die Christen ganz abgelegt habe, seit er aufs Schloß gezogen war. Ruben habe ihm einmal harte Vorwürfe gemacht, daß er unter lauter Christen wohne. Seit der Zeit habe er mit der Judenschaft nichts mehr zu thun haben wollen und sei nur noch am Schabbes im Dorf geblieben. Sie habe gar nicht mehr daran gedacht, daß er ein Jude sei, sondern oft ihr Herz ihm ausgeschüttet, und er habe schön und fromm sie aus den Psalmen getröstet.

Als die Gesellschaft spät sich trennte, händigte Konrad's Mutter dem Joseph die Schlüssel ein zu dem Kistchen, das sein Vater ihr übergeben hatte, und das in seiner Kammer bewahrt wurde. Joseph öffnete es, ehe er sich niederlegte. Es enthielt Urkunden, von fremder Hand geschrieben, die genaue Nachweisung gaben über das nicht unbedeutende Vermögen, welches Isaak seinem Sohn erspart hatte. Der größte Theil desselben war bei seinem Freund Jochanan in Frankfurt niedergelegt, einen andern Theil hatte er mit auf die Reise genommen. Da letzterer bei Isaaks plötzlichem Tod durch Zameth in Sicherheit gebracht und an den Gerber ausgeliefert worden war, so sah sich Joseph hinlänglich in den Stand gesetzt, irgend ein Gewerbe anzufangen, das ihn ehrlich nähren sollte. Der Gerber hatte sich vorgenommen, im Dorf ein neues Haus zu bauen und sein altes Handwerk wieder anzufangen, und hatte ihn eingeladen, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Er war jetzt fest entschlossen, dessen Anerbieten anzunehmen.

Am längsten ruhten Joseph's nasse Augen auf einem kleinen vergilbten Zettelchen, das sich zu unterst in dem Kistchen fand. Die wenig im Schreiben geübte Hand des alten Isaak hatte in der hebräischen Currentschrift, wie sie unter den Juden bräuchlich ist, es selber beschrieben und die Worte lauteten:

»Ich gehe dich zu suchen, lieber Joseph, du Sohn meiner seligen Rebekka und mein Sohn, du Freude meines Herzens und Krone auf meinem Haupt. Sollte ich versammelt werden zu meinen Vätern, ehe ich dich gefunden, dann sei nicht allzu traurig, daß ich den Weg alles Fleisches gegangen bin. Israel's Hoffnung stehet auf dem HErrn. Gedenke aller der Worte, die da stehen im 126. Psalm und lies sie mit Freuden.« Dann folgten mühsam mit zitternder Hand in der gewöhnlichen großen Druckschrift geschrieben die Verse des Psalms, die ihm ganz besonders tröstlich und der Erwägung seines Sohnes werth erschienen sein mochten:

»Wenn der HErr die Gefangenen Zion's erlösen wird, so werden wir sein, wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. – Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.« –


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