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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Der Amtmann

Am folgenden Morgen waren die Leute vom Schloß in Erwartung des angekündigten Besuchs bei guter Zeit aufgestanden. Der Schäfer hatte seine Heerde noch einmal gezählt, um genaue Auskunft über den Stand derselben geben zu können, Adam hatte den Stall in die bestmöglichste Ordnung gebracht, die Bäuerin den Hof und das Wohnzimmer gekehrt und letzteres mit weißem Sand bestreut. Ihren Mann hatte sie dringend gebeten, doch ja dem Amtmann freundlich zu begegnen und durch nichts sich zum Zorn und zur Heftigkeit reizen zu lassen. Einmal gebiete das so die Christenliebe, und dann – komme man unter allen Umständen mit der Sanftmuth weiter, als mit Schelten und Drohen.

»Sei ohne Sorge, Katharine!« hatte er ihr geantwortet, »schau nur meine Haare an – sie sind nicht umsonst seit einem halben Jahre weiß geworden. Gottes Schickungen haben mir das Blut wohl abgekühlt.«

»Er kommt, er kommt!« rief Adam zum Fenster herein. »Der Gerichtsschreiber aus dem Dorf ist bei ihm, eben reiten sie aufs Thor zu!«

Dem Schloßbauern war es trotz seines guten Willens nicht leicht, seinen gefaßten Vorsatz zu halten, als er dem Mann gegenüber stand, der sein größter Feind gewesen und im Grund an allem seinem Unglück Schuld war; nur zögernd nahm er den Handschlag an, den ihm der Amtmann bot, seine Frau aber begegnete demselben mit ungesuchter Freundlichkeit, lud ihn ein, sich's in ihrem Zimmer bequem zu machen und mit ihrer geringen Bewirthung vorlieb zu nehmen.

»Erst das Geschäft!« sagte der Amtmann: »das Weitere wird sich finden! Ich weiß, Schloßbauer, ich bin euch kein willkommner Gast. Wer ein Amt hat, wie ich, kommt manchem ehrlichen Mann ungelegen, der Dienst kennt keine Freundschaft, und, wovon wir hernach sprechen wollen, ich bin ohnehin manchmal weiter gegangen, als der Dienst es forderte. Drum freut mich's aber auch doppelt, daß ihr hoffentlich heute einmal mit mir zufrieden sein werdet. Es ist wahrlich schöner, einem Nebenmenschen wohl, als wehe thun zu dürfen. Den Gedanken habe ich gestern schon den ganzen Tag mit mir herum getragen.«

»Adam! ich denke, wir haben hier nichts zu thun! Wollen wir hinaus gehen, bis der gestrenge Herr Amtmann uns rufen wird!« sagte der Schäfer, ohne jedoch im Geringsten Miene zu machen, seinen Vorsatz auszuführen.

»Bleibt nur!« sagte der Amtmann, »wir haben heute kein Geheimniß. Nehmt Feder und Papier, Abraham Weißkopf«, wandte er sich zu dem Schreiber, »wir müssen den Schloßbauern zu Protokoll nehmen. So nun lest ihm zuerst das Schreiben unserer gnädigen Herrschaft vor!«

Abraham Weißkopf las, wie der Graf v. R., gegenwärtig Adjunkt bei der k. k. Gesandschaft unter Herrn Albert von Wyß durch wahrhaftige Leute erfahren habe, daß dem Schloßbauern Veit Hollenstein wider sein und des Grafen Willen mancherlei Beschwerung und Vexation angethan worden sei, obwohl derselbe ein treuer Unterthan der Herrschaft gewesen und solches auch in gefährlichen Zeiten bewiesen habe. Besagter Veit Hollenstein sei nun aufzufordern, alle seine Gravamina und Beschwerden zu Protokoll zu geben, damit ihm straks alle Gerechtigkeit, Billigkeit, Abhülfe und Entschädigung geschähe, auch wenn solches nicht ohne merklichen Nachtheil der Herrschaft in Stand zu setzen sei. Dies sei dem Amtmann als des Herrn Grafen gestrenger Wille und Befehl kund zu thun, und habe derselbe binnen vier Wochen, was geschehen, an den Grafen nach Wien zu berichten.

»Nun Schloßbauer«, sagte der Amtmann, während der Schäfer und Adam sich beim Vorlesen des Schreibens bedeutungsvoll zugenickt hatten, »wo fehlt's? Sprecht frei, wie es euch um's Herz ist, ihr braucht euch nicht zu fürchten.«

»Das thu' ich auch nicht«, sagte Veit Hollenstein, »wer ein gut Gewissen hat, weiß nichts vom Fürchten. Es ist euch selbst am besten bekannt, Herr Amtmann, wie ich in's Gedränge gekommen bin. Man hat mir von Jahr zu Jahr den Pachtzins gesteigert, so daß ich jetzt gerade, das Doppelte zahle von dem, was mein Vater selig zu entrichten hatte.« –

» Abgemacht!« sagte der Amtmann. »Schreibt, Abraham Weißkopf, daß der Schloßbauer hinfort denselben Pachtzins zu zahlen habe, wie sonst sein Vater Markus Hollenstein ihn bezahlte. Weiter, Schloßbauer!«

»Die Herrschaft«, fuhr Hollenstein fort, »hat das Holz-, Streu- und Weidrecht mir genommen, das seit unvordenklichen Zeiten auf dem Hof gehaftet, und ich dächte« –

» Abgemacht!« sagte der Amtmann. »Schreibt: Auch soll derselbe alle Holz-, Streu- und Weidrechte wieder zu genießen haben, wie sie seinem Vater selig zugestanden. Weiter, Schloßbauer!«

»Vor fünf Jahren haben mir die Kottwitzischen, Mainzer Gebiets, mein bestes Vieh von der Weide getrieben. Die Herrschaft hat mir verboten, Gewalt zu brauchen und mich selber bezahlt zu machen, und ist mir doch bis jetzt nicht behülflich gewesen, in der Güte wieder zu meinem Schaden zu kommen.«

» Abgemacht!« rief der Amtmann. »Schreibt: Der Schaden, den die Kottwitzischen ihm zugefügt, soll von unparteilichen Männern eingeschätzt und aus dem hochgräflichen Aerario vergütet werden. Weiter!«

»Wenn ich alles dieses erlange«, sagte der Schloßbauer, »so will ich nichts weiter! Ich bin zufrieden und will nicht unbescheiden sein.«

»Seid kein Thor«, sagte der Amtmann. »Das Eisen muß man schmieden, so lang es warm ist, zumal wenn man mit hohen Herrn zu thun hat. Die sind gar leicht heute anders, als gestern und ehegestern. Habt ihr keine Schulden?«

»Freilich!« sagte der Schloßbauer, »die mußt' ich machen, wenn ich bei allem Unglück, was mich betroffen, den hohen Pachtzins erschwingen sollte, aber –«

»Wie hoch belaufen sich eure Schulden?« fragte der Amtmann.

»Auf 380 Gulden Fränkisch, aber –«

» Abgemacht! 380 Gulden sollen aus dem hochgräflichen Aerario sofort an des Schloßbauern Gläubiger ausbezahlt, und sein jährlicher Pachtzins als Heimzahlung des vorgestreckten Kapitals angesehen werden.«

»Herr Amtmann«, sagte Hollenstein verlegen, »das ist zu viel. Wenn ich Alles, was ich oben aufgezählt habe, erlange, will ich mit meinen Schulden der Herrschaft weiter kein Beschwer machen; ich kann mir alsdann schon selber helfen und –«

»Redet mir nichts drein!« erwiderte der Amtmann, »es geht Alles klar und redlich zu: ich handle auf Befehl der Herrschaft – was geschrieben ist, bleibt geschrieben. – Habt ihr noch einen Wunsch?«

»Nein, keinen mehr!« sagte der Schloßbauer.

»Was, keinen Wunsch mehr?« sagte der Amtmann.

Er bemühte sich mit der bisherigen Freundlichkeit und Unbefangenheit weiter zu sprechen, aber an dem Zittern seiner Stimme konnte man leicht merken, daß eine starke innre Aufregung ihn ergriffen habe. Abraham Weißkopf hatte sich auf die vor ihm liegenden Papiere nieder gebeugt und kaute unruhig an seiner Feder, als sei jetzt ein wichtiger Augenblick gekommen. Sämmtliche Anwesende ahnten darum, daß es sich noch um etwas besonderes handeln müße, und schauten erwartungsvoll auf den Amtmann.

»Nun, ich dächte doch, ihr solltet noch etwas zu wünschen haben«, sagte der Amtmann unruhig auf seinem Stuhl hin und her rückend.

»Allerdings!« sagte Veit Hollenstein, indem eine tiefe Trauer sein Angesicht verdunkelte, »aber nicht von der Herrschaft, sondern von meinem Gott. Es ist wahr, wäre vor zwei Jahren meine Noth vor den gnädigen Grafen, den Gott segnen wolle, gekommen, dann wäre ich heute ein glücklicher Mann – jetzt ist's zu spät!«

»Da wird vielleicht auch noch zu helfen sein« versetzte der Amtmann, »es kommt auf den Versuch an. Sprecht nur, sprecht, Mann –«

»Da ist nicht mehr zu helfen«, sprach der Schloßbauer traurig, »es sei denn, daß der im Himmel hilft. Mein einziger Sohn, mein Erbe, mein Konrad –«

»Nun gut, daß ihr nur endlich einmal sprecht«, rief der Amtmann. »So sagt nur, was ihr bezüglich eures Sohnes für einen Wunsch an die Herrschaft zu bringen habt!«

Abraham Weißkopf kaute immer eifriger an seiner Feder.

»Ich verstehe euch nicht, Herr Amtmann! Ihr wißt ja doch, mein einziger Sohn, mein Konrad, ist gefangen im Land der Türken. Ob er todt ist, oder noch lebt, weiß es die Herrschaft? Wenn er geschlagen wird, kann sie ihn schützen? Wenn er hungert, kann sie ihn speisen? Wenn er friert, kann sie ihn kleiden? Er sollte meine Stütze sein im Alter, und mir und seiner Mutter die Augen zudrücken, er war unser Liebstes auf dieser Welt, kann uns die Herrschaft ihn bezahlen, oder kann sie ihn heimbringen und ein Ziel setzen den elenden Nächten, die mir die Haare vor der Zeit gebleicht haben?«

» Abgemacht!« rief der Amtmann aufspringend. »Schreibt, Abraham Weißkopf: Ist der Schloßbauer in Kenntniß gesetzt worden, daß der Türke Ibrahim Ben Ali, wohnhaft bei Serajewo in Bosnien, seinen im Kriege gefangenen Sclaven, mit Namen Konrad Hollenstein, gegen eine Ranzionirung von hundert Goldgulden los und ledig gegeben, daß besagter Konrad Hollenstein vor vier Wochen in gutem Geleit von Wien aufgebrochen sei, und in acht bis zehn Tagen in seiner Heimath anlangen werde

Abraham Weißkopf's Feder fuhr knarrend in großen, unsicheren Zügen über das Papier. Der Schäfer und Adam machten drei Schritte auf den Tisch zu, und standen dann stille mit offenem Mund. Die Bäuerin hob die gefalteten Hände gen Himmel und rief: »Barmherziger Gott, mein Kind! mein Kind!« Veit Hollenstein machte einige vergebliche Versuche zu sprechen, und trat, gewaltsam nach Fassung ringend, vor den Amtmann.

»Herr!« sagte er dann mit erstickter Stimme, »ihr habt mir viel Uebels gethan, seit ich hier dies Weib geheirathet habe. Ich habe mich bemüht, wie ein Christ, es alles zu vergeben und zu vergessen, und ich hab' mit Gottes und meines Weibes Hülfe es fertig gebracht und allen Groll wider euch aus meinem Herzen gerissen, noch ehe ihr heute zu uns kamt. Wenn ihr aber jetzt aus weiß Gott für einem Grunde, euren Scherz mit mir triebt, Herr, ich glaube, ich könnte es euch nie mehr vergeben.«

»Ihr würdet auch ganz Recht daran thun«, sagte der Amtmann. »Ich war euer Feind – ihr wißt, warum! – ich kann's euch auch nicht übel nehmen, daß ihr mir nicht traut; vielleicht aber beweis ich's euch doch noch, daß ein Mensch sich auch ändern kann. Wollte Gott, ich wäre anders gegen euch gewesen, aber was geschehen ist, das ist geschehen, und läßt sich nicht mehr ändern. Was übrigens die Nachrichten von eurem Sohne betrifft, so seid ohne Sorgen. Die sind so gewiß wahr, als ich jetzt vor euch stehe, um sie euch zu überbringen. Sie sind durch ein eigenhändiges Schreiben seiner hochgräflichen Gnaden, des nun regierenden Grafen Ludwig, an seine Frau Mutter gelangt. Ich habe davon, so weit dasselbe euch angeht, auf Befehl der Frau Gräfin eine Abschrift genommen, und will sie euch wortwörtlich vorlesen, damit ihr keinen Zweifel länger haben könnt. Der Herr Graf sind von Constantinopel im Gefolge des k. k. Gesandten, Herrn Albert von Wyß, nach Wien zurückgekehrt, und schreiben unter anderm, was uns nicht angeht, Folgendes.«

Während er ein Papier aus der Tasche zog und entfaltete, rückten die Schloßbewohner ihre Stühle näher, und der Amtmann las:


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