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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Eine Ueberraschung

Wenn der Schloßbauer Veit Hollenstein sonst den Pfarrer hatte predigen hören über Kreuz und Trübsal und über das Joch, das jeder Christ leiden müsse, waren ihm dabei meist sein unerschwinglicher Pachtzins, seine zwar nicht übermäßigen, aber doch lästigen Schulden eingefallen und das Joch, unter dem ihn der Amtmann Pankratius Zwiesel schon seit Jahren zu halten wußte, sowie die Verluste, die ihm von je an seine schlimmen Nachbarn, die Mainzer, zugefügt hatten. Er hörte darum diese Predigten nicht ungern, und wenn außer der Kirche gerade das Gespräch es mit sich brachte, wußte er auch ein Wort darüber mitzureden, mit wieviel Kreuz und Trübsal ein ehrlicher Mann sich herumschlagen müsse. Der Trost, welchen der Pfarrer dawider gab, machte keinen besondern Eindruck auf sein Gemüth, er fand keine volle Entschädigung darin für das, was er zu leiden hatte, nur so weit zeigte das an heiliger Stelle gesprochene Wort Gottes immerhin seine beruhigende Kraft an ihm, daß die gerunzelte Stirne, mit der er anfangs der Kreuzesschilderung zugehört hatte, sich allmählig wieder ausglättete, und daß er des Amtmanns und seiner feindseligen Nachbarn gedenken konnte, ohne die Faust zu ballen und ohne den heimlichen Wunsch zu haben, ihnen einmal heimzahlen zu können, wie sie's um ihn verdient hätten.

Seit ihm die Trauerbotschaft aus Ungarn zugekommen war, hatte sich seine Ansicht von Kreuz und Trübsal bedeutend geändert. Statt des Amtmanns stand jetzt sein Konrad ihm vor Augen, wie er der Sclave eines grausamen Türken sei, wie er vielleicht schlechter gehalten werde, als ein Hund, und wehrlos unter den unmenschlichsten Mißhandlungen sich heimsehne nach Vater und Mutter, oder wie er vielleicht gar schon seinem elenden Loos erlegen sei. All' die Schläge und Widerwärtigkeiten, die ihm bisher so unerträglich vorgekommen waren, wie gern wollte er sie ertragen, wenn er nur noch seinen Sohn bei sich hätte, oder doch gewiß auf seine Heimkehr zählen könnte! Diese Aenderung seiner Ansichten wirkte wohlthätig auf sein Gemüth.

Jetzt hörte er mit ganz andern Ohren und mit ganz anderem Herzen auf den Trost und die Verheißung der Schrift. Sein ganzes Wesen wurde immer mehr still und gelassen, und sein Weib hatte nur selten mehr über den Trotz und den Eigensinn zu klagen, der die vielen lobenswerthen Eigenschaften des sonst gutartigen Mannes so häufig verdunkelt hatte. Er sprach kaum mehr ein hartes Wort wider den Amtmann und ging seinen bösen Nachbarn, wo er konnte, aus dem Wege, that aber ganz in seiner früheren Ausdauer und Unverdrossenheit seine gewohnte Arbeit. In's Dorf kam er, außer an Sonntagen, nicht mehr, und von den Dorfbewohnern wurde, nachdem die erste Neugierde wegen des Schicksals seines Sohnes befriedigt war, das Schloß gemieden, da der stille Kummer, welcher über der Familie lag, für einen zwecklosen Besuch wenig Verlockendes hatte. Nur Adam und der Schäfer bewährten sich als Freunde in der Noth. Sie schlossen sich wo möglich noch enger an die Familie und suchten, jeder in seiner Art, deren Kummer zu lindern und ihre Hoffnung zu beleben.

»Es ist mir doch recht leid«, sagte der Schloßbauer eines Sonntags Abends, an welchem er mit seiner Frau und dem Schäfer auf der Bank saß vor seinem Hause, »daß man von dem Isaak gar nichts mehr gehört hat. Es sind jetzt gerade drei viertel Jahre, seit er sich auf die Reise machte, und ich möchte doch wirklich wissen, wie es ihm geht. Ich habe den Ruben heute gefragt, als ich aus der Kirche kam und an seinem Haus vorüberging, er wußte aber auch kein Sterbenswörtlein von ihm.«

»Es ist merkwürdig«, sagte der Schäfer, »wie man sich an einen Menschen gewöhnen kann. Ich meine jeden Augenblick, wenn ich auf dem Schloßacker hüte, ich müßte ihn mit seinem Sack auf dem Rücken und seinem langen Stecken den Berg heraufkommen sehen, und jeden Abend mein' ich, er müßte auf seinem Stuhl am Ofen sitzen, und sein Bischen Suppe sich zusammenrühren. Er ist zwar nur ein Jude, aber er meinte es doch gut, wenn er einmal einen Menschen leiden konnte.«

»Ihr habt Recht, Schäfer«, sagte die Bäuerin, »mir sind auch heute früh die Augen naß geworden, als ich durch seine leere Kammer ging und das Kistchen stehen sah, das er immer so sorgsam abschloß, und dessen Schlüssel er mir bei seinem Weggange übergeben hat. Was denkt ihr, wird er etwas von den Kindern in Erfahrung bringen?«

»Wer kann das sagen?« meinte der Schäfer, »doch wäre es gerade so unmöglich nicht. Die Juden sind durch die ganze Welt zerstreut und halten zusammen wie Stahl und Eisen und einer hilft dem andern auf die Spur. Außerdem ist er ein schlauer Kopf, und wenn sich's um seinen Joseph handelt, geht er durch Wasser und Feuer, so furchtsam er sonst ist.«

»Er hat eben ein Elternherz«, sagte die Bäuerin. »Ach, wenn doch Gott wollte, daß wir bald eine gute Nachricht bekämen, sei es durch ihn, oder sei es durch meinen Bruder. Es ist hart, so von Tag zu Tag zwischen Furcht und Hoffnung hinzuleben. Es ist wahr, daß Gott, der HErr, Alles wohl machen wird, und diesen Glauben laß ich mir gewiß nicht nehmen, aber es kommt einem schwer an, standhaft zu bleiben, wenn ein Tag um den andern hingeht, und man am Abend immer wieder einschlafen muß mit dem Gedanken: HErr, ach wie so lange!«

»Ja, das weiß Gott«, seufzte der Schloßbauer, »das Herz möchte mir brechen, wenn ich denke, wie der Konrad so manchen Abend mit uns hier unter dem Baum gesessen hat, und sein Platz jetzt leer ist und leer bleibt. Ach, waren das sonst noch gute Zeiten. Ich war manchmal verdrießlich und unwirsch, und Niemand konnte mir etwas recht machen, auch der arme Junge nicht. Ihr wißt zwar, warum, aber das war nicht recht, das war undankbar gegen Gott, undankbar, sag' ich, Andres. Wenn einen unser Herrgott gesund beisammen läßt, soll man wahrlich zufrieden sein, über keine böse Zeit und keinen Amtmann klagen. Nur noch einmal soll mich der gnädige Gott die Freude erleben lassen, daß ich meinen Sohn wieder bei mir habe, dann soll nichts mehr mich verdrießen, es mag auch kommen, was da will.«

»Das werdet ihr erleben, Schloßbauer«, sagte der Schäfer. »Ich sag' euch, wir sitzen noch manchen Abend mit dem Konrad unter dem Nußbaum und hören ihn erzählen, wie's ihm ergangen ist. Da werden einem wohl die Augen übergehen, zuletzt aber wird die Freude um so größer sein, daß wir ihn wieder haben, und daß Alles so zum guten Ende gekommen ist. – Der muß erzählen können! Ich will nur hören, was er von den ungarischen Schäfern sagen wird und von dem Grafen Nikolaus von Zriny – das muß ein Mann gewesen sein!«

»Laßt mich mit eurem Erzählen; so weit sind wir noch lange nicht. Laßt ihn nur wieder erst daheim sein«, sagte der Schloßbauer seufzend, »oder laßt nur eine Nachricht von ihm kommen, wär's auch nur, daß der Balthasar ungefähr den Ort ausgekundschaftet hätte, wo man ihn hingebracht hat, – aber Alles bleibt still einen Tag wie den andern, es muß einem der Muth entfallen.«

»Nur getrost«, sagte der Schäfer, »ein Stündlein bringt oft, was Jahre nicht bringen.«

Die Pforte, die von außen in den Schloßhof führte, wurde rasch aufgestoßen, und Adam trat ein.

»Eine Neuigkeit, Herr!« rief er, sobald er des Schloßbauern ansichtig wurde, »eine große Neuigkeit! Der Amtmann Zwiesel ist eben zum Dorf hereingeritten und wird morgen zu euch auf's Schloß kommen.«

»Der Amtmann?« sagte der Schloßbauer, sehr unangenehm von dieser Neuigkeit überrascht, »was führt den schon im Monat August hierher? – Doch ich kann mir's denken«, sagte er nach einigen Augenblicken des Nachdenkens, »er hat gehört, daß der Isaak, den er fürchtet, nicht mehr hier ist, da kommt er, um dem Schloßbauern wieder die Daumschrauben anzusetzen.«

»Nein, Herr«, sagte der Knecht, »das einmal gewiß nicht! Es ist ein Wunder mit ihm vorgegangen; er war freundlich, wie ein Ohrwürmchen, trug mir seinen Gruß auf an alle Leute im Schloß und redete von euch, als ob er euer bester Freund wäre.«

»Nun dann ist's wirklich so, wie ich fürchte«, sagte der Schloßbauer. »Er macht's, wie unser alter Kater, wenn er die Maus gefangen hat. Der spielt erst noch mit ihr, dann gibt er ihr den Genickfang.«

»Da sollt' ihn doch« – sagte Adam, »doch nein, Herr, es kann nicht sein, laßt mich nur erzählen! Gerade, wie ich durch's Thor gehe, seh' ich schon von weitem einen Haufen Leute vor dem Hirschwirthshaus stehen mit abgezogenen Hüten, und wie ich nahe hinzukomme, steigt der Amtmann und sein Knecht, der Lorenz, vom Pferd. Ich will mich natürlich schnell vorbeidrücken, aber der Amtmann erkennt mich und ruft: ›Ah, da ist ja mein alter Freund, der Adam, der kommt just wie gerufen, geh' herauf zu mir, ich muß dir etwas auftragen.‹ Ja, denk' ich, dürft' ich dir nur einmal zeigen, was ich für ein alter Freund von dir bin, gehe aber ihm nach, die Stiege hinauf. Da führt uns der Wirth in seine vornehme Stube, wo der weiße Schrank steht mit den gläsernen Löwen, und der Amtmann läßt eine Maaß Wein bringen, stößt mit mir an und sagt: ›Da trink auf die Gesundheit deines Herrn, des Schloßbauern.‹ Ja, sag' ich, auf die trink' ich, das ist ein geplagter Mann, aber ein rechtschaffener Mann, und wem's in der Welt am besten geht, dem der geplagt wird, oder dem, der selber die Leute plagt, das wird sich zuletzt noch ausweisen. Merk's, Fuchs! dacht' ich, trank das Glas aus bis auf den letzten Tropfen und stieß es herzhaft auf den Tisch.

Er that aber, als merkte er den Stich gar nicht, sondern sagte: ›Ganz recht, Adam! drum bin ich heute so guter Dinge, daß ich ihm fröhliche Nachricht zu bringen habe. Ich würde jetzt noch mit dir auf's Schloß reiten, aber es wird bald dunkel, und mein Gaul ist die steinichten Wege noch nicht gewohnt! Morgen komm ich bei guter Zeit und bring ihm meine Nachricht. – Ich hab' mir's nicht nehmen lassen, selber den Botenlohn zu verdienen, obwohl mir nachgehends das Reiten schwer fällt; aber was thut man nicht um eines alten Freundes willen? der Schloßbauer und ich, wir kennen uns schon gar lang!‹

›Gewiß‹, sagte ich, ›das kann ich bezeugen und wenn's so ist, wie ihr mir sagt, werdet ihr willkommen sein.‹ Und damit machte ich mich davon.«

»Ja, Honig im Munde, Galle im Herzen«, sagte der Schloßbauer, unruhig hin und her gehend. »O ich kann mir Alles denken! Morgen wird er kommen und sagen: Schloßbauer, die Herrschaft meint, ihr wäret jetzt alt geworden und müßtet anfangen euch zu schonen. Sie hat darum den Hof einem Andern übergeben und auf Martini mögt ihr abziehen und euch nach einem stillen Fleckchen umthun, wo ihr euer Alter in Ruh und Frieden verbringen könnt.«

»Ei du gottloser Ahitophel!« sagte der Schäfer, »da sollte man ja ganz an der Menschheit verzweifeln.«

»Laßt mich nur erst ausreden!« sagte Adam, »ich bin noch nicht fertig. Dahinter muß ich kommen, was der im Schilde führt, dachte ich und eilte sogleich die Stiege hinunter in die Wirthsstube, um den Lorenz bei seinem Schoppen aufzusuchen. Ihr wißt, wir sind Geschwisterkinder, und ich brauche bei dem kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

›Lorenz‹, sag' ich, ›was hat der alte Spitzbube mit meinem Herrn vor?‹

›Kann's nicht sagen‹, antwortete er lachend, ›aber auf keinen Fall etwas Schlimmes. Gestern früh kam ein Brief von dem jungen Grafen aus Wien. Der Amtmann mußte sogleich zur Gräfin, um ihn zu lesen. Was darinnen stand, weiß ich nicht, aber gegen Abend kam er, wie ein begossener Hund, von ihr zurück und gebot mir heute mit dem frühesten zu satteln, denn wir müßten nach Wildenstein. Als ich ihm am Morgen sein Pferd vorgeführt hatte und wieder in den Stall zurückgegangen war, um meinen Braunen nachzuholen, hör ich die Gräfin vom Fenster herunter rufen: »Zwiesel, ich bind's euch noch einmal auf die Seele, stellt mir den Hollenstein zufrieden! Mein Herr Sohn versteht keinen Spaß, wenn er etwas befohlen hat, und ich will mir nicht noch einmal von ihm vorwerfen lassen, daß treue und ehrliche Unterthanen, die sich um die Familie verdient gemacht haben, in seiner Abwesenheit unterdrückt werden, und ihre Kinder in die Fremde schicken müssen, um sie von den Türken fangen zu lassen. Richtet dem Mann meinen herzlichen Glückwunsch aus und laßt euch nicht beikommen, eine eurer alten Tücken zu üben. Schwarz auf Weiß will ich's sehen, daß ihr ihn ganz zufriedengestellt habt. Eine Klage von ihm und, so gewiß mein Sohn lebt, ihr kommt sofort von Amt und Brod!« So hat sie gesagt. Er meint, ich hätte nichts davon gehört, weil ich noch im Stall war, aber ich habe jedes Wort verstanden und gemerkt, um's dir zu hinterbringen, denn wahrhaftig! ich hab' mich selber gefreut, daß sie dem Fuchs einmal hinter die Schliche kommen.‹ Nun Schäfer?« schloß Adam seine Erzählung, »was sagt ihr jetzt dazu, he?«

»Jetzt laß ich's gelten«, sagte dieser befriedigt, »jetzt glaub' ich selbst, daß er einen andern Ton anstimmen wird. Sein Amt setzt er nicht auf's Spiel. Glück zu, Schloßbauer! Jetzt kommen doch einmal wieder die ehrlichen Leute oben auf. Das Rad hat sich endlich einmal gedreht, wie sich's schon lang hätte drehen sollen!«

»Freu' dich, Mann«, sagte die Bäuerin, »und laß uns Gott dafür preisen. Es heißt doch nicht vergeblich: Wahrhaftiger Mund besteht ewiglich, aber die falsche Zunge besteht nicht lang! gewiß jetzt kommen die guten alten Zeiten wieder.«

»Zu spät, zu spät«, sagte dieser traurig den Kopf senkend, »doch es wäre sündhaft, wenn man nicht auch jetzt noch es mit Dank gegen Gott annehmen würde.«


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