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In der Frühe des folgenden Tages brachen die sämmtlichen Gäste des blauen Peters, ihn selber an der Spitze, auf einem mit Wein beladenen Wagen von der Schenke auf. Als sie in das Städchen kamen, schlossen sich alle waffenfähigen Männer ihnen an, nebst einer großen Zahl Weiber und Kinder und einem langen Zuge von Wagen und Karren, welche theils Proviant, theils die beste Habe der Flüchtigen in die Festung bringen sollten. Als der Zug in die Nähe der Festung kam, verließ ein Theil der Fußgänger die Fahrstraße und stieg eine Anhöhe hinan, deren jenseitiger Abhang aus Weinbergen bestand, welche der Stadt und dem Grafen gehörten.
»Jetzt aufgemerkt, Jungen!« rief Habermann, als sie die Anhöhe erstiegen hatten, »seht, das ist Sigeth, oder wie der Ungar sagt, Sigethwar, d. h. die Inselstadt, weil sie vom Fluße Almas umflossen wird, hier seht ihr die Neustadt mit dem tiefen Wassergraben umgeben, die einem Feinde schon Mühe machen wird. Wenn er aber die auch genommen hat, dann gilt's die Altstadt zu nehmen, und wenn die Brücken abgebrochen sind, die hinüber führen, wird das eine noch viel schwerere Arbeit sein. Dort seht ihr das Schloß, mit dreifachem Wassergraben und Sümpfen umgeben, und könnt fünf Bollwerke zählen, aus Erde und Reisig aufgeführt. In der Mitte der Festung steht der große rothe Thurm, in dem die Lärmwachen postirt sind, und das Pulver aufbewahrt wird. Der ist mit einer dicken, steinernen Mauer umgeben, zu deren einzigem Thor wieder nur eine Zugbrücke führt. Diesen Hof nennt man die innere Festung, und die allein, wenn sie von ein paar hundert Männern vertheidigt wird und mit Proviant versehen ist, kann einem Feinde Monate lang zu schaffen machen, er müßte denn sich unter der Mauer durchwühlen können. Nun, Jungen, was sagt ihr dazu?«
»Das ist freilich«, sagte Konrad, »ein ander Gebäu, als das Wildensteiner Schloß; ich hätte nie geglaubt, daß es solche Schlösser gäbe, und nimmermehr glaube ich, daß solch' ein Schloß zu nehmen ist. Ich weiß, was so eine Mauer werth ist. Es sind schon zwölf Jahre her, aber ich kann mich's noch wohl erinnern, wie die Mainzer, fünfzig Mann stark, unser Schloß nehmen wollten. Es waren der Unsrigen, außer meinem Vater und dem Adam, nur noch fünf Mann im Schloß, und die draußen fragten wenig darnach, als der Adam mit dem Katzenkopf, den wir auf die Mauer geschafft hatten, unter sie pfefferte, denn es ging ihnen über die Köpfe weg: »laßt sie nur heran und die Leiter an die Mauer legen«, sagte mein Vater, »dann wollen wir schon mit ihnen fertig werden.« Am Thurm legten sie die Leiter an und wollten auf die Mauer. Wie der erste aber schon oben war und gerade sich auf die Mauer schwingen wollte, stieß mein Vater und unsere Leute mit einem bereit gehaltenen großen Balken von innen heraus auf die Steine, auf welchen die Spitze der Leiter lag, und die vorher schon locker gemacht waren. Die Leiter bewegte sich auf die Seite und kam allmählig in's Rutschen. Einer um den andern sprang oder stürzte herunter, und hätte der Andres nicht gerade den Stall ausgeräumt und den Mist im Graben liegen gehabt, es wäre keiner mit ganzen Gliedern wieder aufgestanden. »Hätt' ich nur mein Vieh hinter der Mauer gehabt, statt auf der Wiese«, sagte hernach mein Vater, »die Spitzbuben hätten keine Klaue davon bekommen«, ich aber hab' seit der Zeit vor Thürmen und Mauern immer einen großen Respekt gehabt.«
»Schau, schau«, sagte Balthasar lächelnd, »da weißt du ja schon, wie es in einer belagerten Festung zugeht, und wirst dich nicht fürchten, wenn es Ernst werden sollte.«
»Fürchten?« sagte Konrad, »wenn ich's aufrichtig sagen soll, ich freue mich darauf, ich möchte einmal sehen, was die Türkenhunde, und wenn sie Tausendweis heranziehen, wider tapfere Christen, seien's Ungarn oder Deutsche, in einer solchen Festung ausrichten. Meinst du nicht auch, Joseph?«
»Ich weiß nicht«, sagte dieser, indem er einen Versuch machte zu lächeln, »mir ist, als wenn ich plötzlich in einen großen Strom geworfen wäre und sollte schwimmen. Ich will's versuchen, aber lieber wär' mir's, wenn ich nicht hineingeworfen wäre. Es ist alles so ganz anders gekommen, als mein Vater und ich gemeint haben.«
»Das glaub' ich gern, Joseph«, sagte der Gerber, »du wirst Manches durchzumachen haben. Aber nur den Kopf oben gehalten! So lang man das thut, geht man nicht unter. Hätt' ich, als ich meinen Vater verließ, gewußt, was ich Alles durchmachen müßte, ich hätte gesagt: das geht nicht! und wäre in Verzweiflung gerathen, aber mit Gottes Hülfe geht zuletzt alles, und alles zu einem guten Ausgang. Jetzt möcht' ich nicht wie viel nehmen, wenn ich irgend etwas nicht durchgemacht hätte, was ich zuerst als großes Unglück ansah, und soll ich noch mehr durchmachen, – auch recht! Gott verläßt keinen Deutschen, das ist mein Glaube, und daran will ich fest halten. Ich sag' dir, Joseph, und auch dir, Konrad, wenn Noth an Mann geht, kommt's nicht darauf an, daß man einen starken Arm hat und einen feinen Kopf, obwohl das auch nicht zu verachten ist, sondern man muß ein Herz haben, welches sich nicht erschrecken läßt. Das hilft einem immer wieder auf die Beine. – Das ist so gewiß wahr, als die Sonne am Himmel steht, wenn schon der Mardochai es nicht glauben will.«
»Ich für meine Person möchte euch da ganz Recht geben«, sagte Joseph, »wenn ich nur wüßte, wie man zu einem solchen Herzen es bringen könnte?«
»Man bekommt's, sag ich dir, man bekommt's, es ist eine Gottesgabe. Wenn man in's Wasser gehen soll und man will nicht, sondern will lieber umdrehen und davonlaufen, das hilft nichts und taugt nichts und bringt keinen Segen – da heißt's vielmehr: Gott die Sache befohlen, die Augen zu und frisch hinein. Dann greift einem Gott selber unter die Arme, und wenn man das einmal gespürt hat, hernach fürchtet man sich nicht mehr. Und wenn das Wasser noch so tief ist, endlich muß man an's Land kommen, hier oder dort. Mit diesem Glauben hat man's zu dem gelassenen Herzen gebracht und steckt nicht immer so in der Angst und im Fürchten, wie der Mardochai, dem ich übrigens nichts Böses nachsagen will, denn er ist sonst ein braver Mann.«
»Ihr sprecht gerade, wie der Großvater, Oheim; aber wie steht's denn mit den Leuten im Schloß, halten die auch etwas auf Religion?«
»Wer will das sagen? Es ist viel leichtsinniges Volk darunter, wie dies bei einem solchen zusammengeblasenen Haufen nicht anders sein kann, doch an wackern Leuten fehlt's auch nicht. Ein großer Theil der Besatzung, namentlich die Kroaten und Slavonier, ist katholisch, und der Graf hält ihnen, obwohl er selber evangelisch ist, einen Kaplan und hat ihnen eine Kapelle im Schloß eingeräumt. Von den Ungarn sind Viele und von den Deutschen fast Alle evangelisch, aber der Pfarrer des Grafen, der ihnen Gottesdienst hielt, ist vergangnen Monat gestorben, und nun liest ein Feldwebel von den Landsknechten, mit Namen Klaus Lindenhardt, ihnen am Morgen und am Abend ein Gebet, und Sonntags eine Predigt vor. So viel aber ist wahr, daß bei dem Grafen keiner etwas gilt, der den Glauben verachtet. Drum hält er auf den Klaus Lindenhardt so große Stücke, und ich stand selber dabei, wie der Graf bei der Musterung über die Landsknechte auf den Lindenhardt deutete und zu dem kaiserlichen Feldhauptmann sagte: »Das ist mein bester, – der fürchtet Nichts auf der ganzen Welt, als seinen Gott, und ich kann's ihm bezeugen. Er freut sich, wie er sagt, aufs ewige Leben, und wer Sterben für Gewinn achtet, ist schwer zu erschrecken.«
»Wirklich? das ist mir lieb«, sagte Konrad, »daß der Graf ein frommer Herr ist, und ich will jetzt noch einmal so gern in seinem Schloß abwarten, was die Türken thun werden, und will ihm auch noch einmal so gern dienen.«
»St!« flüsterte Balthasar, »dort steht er, dort, gerade am Thor, das in die Stadt führt. Laßt mich einmal ein wenig voraus treten, daß er mich sieht, – ich stehe euch gut dafür, wenn er mich wahrnimmt, läßt er mich nicht unangesprochen vorbeigehen.«
Der Graf, ein schöner, kräftiger Mann von etwa achtundvierzig Jahren, mit ernstem und doch freundlichem Angesicht, musterte schweigend den herannahenden Zug, indem er die ehrerbietigen Grüße der Landleute mit der Hand erwiederte. Eben erscholl das Kommando Schimmelmann's, das die Landsknechte in Reih und Glied rief, um dem Grafen die militärische Reverenz zu machen, als dieser den mit entblößtem Haupt nahenden Gerber erkannte.
»Ha, mein Schwabe!« rief er freundlich mit volltönender Stimme, »das ist brav, daß du kommst. Wenn deine achtzigtausend Landsleute, die, wie ich höre, jetzt in Raab sich verschanzt haben, nur auch so thun möchten, dann wollten wir den alten Solyman zu Paaren treiben, daß es eine Lust wäre, aber wie es scheint, wollen sie es uns allein überlassen, mit ihm fertig zu werden.«
»Der Kaiser kennt eben seinen Mann, mit Erlaubniß zu reden«, sagte Balthasar, »und wird es nicht für nöthig halten, und wer die Arbeit gehabt hat, wird hernach auch die Ehre haben.«
»Meinst du? Wo ist denn dein Freund Mardochai? Ich erwarte ihn schon den ganzen Tag.«
»Er ist mit dem Zameth«, sagte Balthasar mit bedeutungsvollem Blinzeln, »auf Reisen gegangen, morgen wird er kommen.«
»Gut, mach dir's bequem im Schloß, und wenn dir etwas fehlen sollte, laß mich's wissen.«
»Danke, gnädiger Herr«, sagte der Gerber sich räuspernd und mit den Füßen scharrend, als wollte er sich zu einer längern Rede sammeln, »aber ich hätte da zwei junge Burschen aus dem Reiche mitgebracht, der eine ist meiner Schwester Sohn und der andere ist ein Kamerad von ihm; wenn ihr's erlaubtet, möchte ich sie mit in's Schloß nehmen. Sie sind noch jung, aber vielleicht könnten sie doch sich nützlich machen. Der da könnte vielleicht« –
»Der da, der da«, fiel ihm der Graf in's Wort, mit raschem Blick die beiden Jünglinge messend, »der da tritt unter die Landsknechte, – übergib ihn dem Klaus Lindenhardt, und der dort kommt in die Küche, – sprich mit dem Küchenmeister, und nun Gott befohlen!«
»Sagt' ich's nicht«, sprach Balthasar, sich vergnügt die Hände reibend, »daß er mit mir reden werde? Und wie der die Leute kennt und gleich weiß, wo einer hingehört! Es freut mich doch, Konrad, daß er dich unter die Landsknechte thun will: es ist ein Zeichen, daß du ihm gefallen hast. Es war recht, Junge, daß du so kerzengrad dich vor ihn hingestellt und ihm frisch in die Augen gesehen hast, denn das liebt er.«
»Gewiß!« sagte Joseph traurig, » ich konnte seinen Blick nicht aushalten und mußte die Augen niederschlagen, drum hat er mich auch für nichts geachtet.«
»Thut nichts, Joseph!« beschwichtigte Balthasar, »es geht einem leicht so mit solchen Herren, wenn man ihrer nicht gewohnt ist, und was die Küche betrifft, so sage ich dir, daß man dazu nicht jeden brauchen kann. Er hat es gleich los gehabt, daß du ein anstelliger Bursche bist. Kommt nur, daß ich alsbald jeden nach seinem Befehl unterbringe, denn er vergißt nichts, was er einmal gesagt hat, und ganz gewiß wird er morgen schon fragen, ob sein Befehl vollzogen sei.«