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In die Festung waren allmählig gegen dritthalb tausend Mann eingerückt, etwas weniger, als zu einer vollständigen Besatzung nöthig war. Die meisten waren Ungarn und Kroaten, theils Unterthanen des Grafen und darum zum Dienst verpflichtet, theils geworbenes Volk. Außerdem gehörte zur Besatzung ein Fähnlein deutscher Landsknechte, welche der kaiserliche Feldoberste, Lazarus Schwendi, geschickt hatte. Lebensmittel waren genug in der Festung, ebenso ein großer Pulvervorrath, und, was das beste war, die ganze Besatzung war von jenem Geiste des Vertrauens und des Gehorsams beseelt, den nur ein solch erprobter Führer, wie der Graf, in seinen Untergebenen wecken und erhalten kann. Alle Maßregeln bis in's Kleinste waren theils getroffen theils vorbereitet, jedem Mann von der Besatzung sein Posten angewiesen, die Mauern mit Sandsäcken, Felsstücken, Wasserkufen versehen, Minen gelegt zwischen den einzelnen Bollwerken, die Thore befestigt, ein Lazareth eingerichtet, und die ganze Mannschaft hatte bereits genau so ihren Dienst zu thun, als wenn der Feind vor den Thoren läge. Ob der nun wirklich kommen werde, das war die große Frage, welche die Mannschaft beschäftigte.
Die einen behaupteten es mit Bestimmtheit, die anderen widersprachen, der Graf selber war in größter Ungewißheit, da bereits drei ausgesandte Spione zurückgekommen, und jeder eine andere Nachricht gebracht hatte.
Eben war der Graf in die Küche getreten, wo der Gerber sich bemühte, dem zum Küchenjungen ernannten Joseph die verschiedenen Anweisungen in's Deutsche zu übersetzen, welche der Küchenmeister, ein Stockungar, ihm zu geben geruhte, und hatte bereits zum drittenmale ungeduldig die Frage wiederholt: ob der Gerber noch nichts von Mardochai gehört habe, als Zameth angemeldet wurde.
Der Zigeuner trat mit leichten, schnellen Schritten herein, kreuzte die Arme über der Brust und wartete auf den Befehl, seine Botschaft vorzubringen.
»Nur heraus, Zigeuner, mit deinen Nachrichten!« rief der Graf, »mögen sie gut oder schlimm sein, sie sollen Niemand im Schloß ein Geheimniß bleiben.«
»Herr«, berichtete Zameth, »Solyman zieht vor Sigeth. Es hat ihn verdrossen, daß die Husaren bei Siclos den Mehemed Beg geschlagen, er schäumt, wie der Eber im Bakonyer Wald und hat geschworen bei seinem Bart, Sigeth zu nehmen. Er befahl dem Hamsa Beg eine Brücke zu schlagen über die Drau; dreimal hat sie der Strom zerrissen, und der Hamsa Beg betheuerte, es sei nicht möglich, die Brücke herzustellen, da hat er ihm ein seidenes Tüchlein geschickt, darauf der Name »Solyman« stand und ihm sagen lassen: wenn bis zu seiner Ankunft die Brücke nicht gebaut sei, werde er ihn mit diesem Tüchlein am Ufer aufhängen. Auf dies hin trieb der Hamsa Beg alles Volk, Edelleute und Bauern, Weiber und Kinder zusammen, ließ Tag und Nacht arbeiten, und nun ist der Sultan über die Brücke und bereits in Fünfkirchen eingezogen. Ich komme von da und habe das Heer gesehen. Es sind 200,000 Mann, Herr, ein Heer, wie es Ungarn noch nicht gesehen – Alles blitzt von Stahl, Silber und Gold, und das ganze Heer hat Befehl, vor Siegeth zu ziehen.«
»Weißt du das ganz gewiß?« fragte der Graf.
»Gewiß, Herr! Jeder Mann im Heere weiß es, und dem Mardochai hat es Mohamed Sokolli, der Großvezier, selber gesagt. Der Großvezier hat dem Sultan abgerathen, aber dieser hat geschworen, das Schloß in einen Steinhaufen zu verwandeln.«
»Nun, Dank für die Nachricht«, sagte der Graf, »aber warum kommt Mardochai nicht selbst um seine Nachrichten zu überbringen?«
Der Zigeuner warf einen schnellen Blick auf Joseph und Balthasar, fuhr dann mit dem rechten Zeigefinger sich um den Hals, und sagte: »Er kann nicht.«
»Wie?« rief der Graf, »er ist getödtet, gehenkt? wie konnte das zugehn?«
»Das ist so zugegangen«, sagte Zameth kaltblütig, »Mardochai war zu Mohamed Sokolli gegangen, und als er zurück kam, brachte er einen schweren Beutel voll Geld mit, den ihm, wie er sagte, des Veziers Seckelmeister gegeben. Zameth hat nie etwas von den Türken bekommen, außer was er ihnen in der Feldschlacht abgewonnen hat, – ich glaube, der Jude war ein Verräther.«
»Das war er nicht!« sagte der Graf, »er gab sich bei den Türken dafür aus, er hat ihnen aber nie eine Nachricht gebracht, als die ich ihm aufgetragen hatte, – er ist mir immer treu gewesen.«
»Nun, auch gut!« sagte der Zigeuner. »Als wir die Stadt verlassen hatten, sahen wir vier Mohren zu Pferd uns folgen, und Mardochai fürchtete sogleich für sein Geld. Als wir den Wald erreicht hatten und ihnen aus dem Gesicht gekommen waren, übergab er mir sein Pferd und hieß mich ein wenig langsam reiten; er selbst ging von der Straße seitwärts in den Wald. Nach einer Weile holte er mich wieder ein, bestieg sein Pferd und sagte vergnügt, er habe sein Geld an einem geheimen Ort versteckt, wo kein Mensch es finden werde. Kaum hatte er ausgeredet, als wir die Mohren hinter uns heransprengen sahen. Wir ließen nun auch die Pferde laufen, aber bald hatten sie uns eingeholt, rissen uns aus dem Sattel und durchsuchten unsre Taschen. Da sie bei Mardochai gar nichts und bei mir nur einige Groschen fanden und ein Stück Maisbrod, fingen sie an uns zu schlagen, endlich aber schimpften sie uns Christenhunde und verlangten, wir sollten rufen: » Es ist kein Gott außer Allah, und Muhammed ist sein Prophet.«
Ich that ihnen sogleich den Gefallen, indem ich's sechs Mal hintereinander schrie, und wurde sogleich mit den Schlägen verschont, der Mardochai aber, statt ihren Willen zu thun, verwünschte ihren Propheten und rief wie besessen in einem fort: » Schma, Jisroel, Adonai elohenu Adonai echâd« Höre, Israel, der HErr, unser Gott, ist ein einiger Gott!. Bei der Seele meines Vaters! ich weiß die Worte auswendig und fürchte, sie werden mir noch lange Zeit Tag und Nacht in den Ohren klingen. Als ich sah, daß sie immer wüthender wurden und ihm an's Leben gehen würden, fragte ich sie auf türkisch, ob sie beim Bart des Propheten schwören wollten, ihm kein Leid zu thun, wenn er sich mit einem Beutel voll Geld löse. Sie schwuren, wie ich mir's erwartete, denn Jedermann hat das Geld lieb. Daß aber Jemand das Geld lieber habe, als sein Leben, das wußte ich nicht, sollte es aber jetzt erfahren. Ich rufe dem Mardochai auf deutsch zu, er solle den Beutel holen, dann würden die Mohren ihn los lassen, da wurde er aber ganz toll, schimpfte mich einen diebischen Zigeuner, der ihm die Seele aus dem Leibe reißen wolle, schrie bald: »Ich kann nichts geben, nichts, nicht ein Goldstück, nicht ein Silberstück, nicht einen Heller!« bald rief er wieder sein »Schma Jisroel«, und so ging's fort, bis endlich einer auf einen Baum stieg und eine Schlinge an den Ast befestigte. Dann hoben ihn die andern in die Höhe, während er den Kopf nach allen vier Himmelsgegenden bewegte und beständig schrie: »Echâd, echâd, echâd.« Ja als sie schon die Schlinge ihm um den Hals gelegt hatten, drehte er immer noch den Kopf und klappte mit dem Maul, bis ihm der Odem ausgegangen war.
Herr, es war ein schauerlicher Anblick. Sie nahmen nun seinen Klepper und wollten den meinen auch nehmen. Der aber hatte bei dem Geschrei Mardochai's Reißaus genommen. Ich stellte mich sehr betrübt darüber und rang die Hände, als sie aber lachend davon ritten und nichts mehr von ihnen zu hören und zu sehen war, that ich einen Pfiff – da trottelte mein kluges Thierchen schon auf mich zu; ich klaubte schnell die Papiere zusammen, welche die Mohren aus der Tasche des Mardochai gerissen und auf dem Boden zerstreut hatten, und fort ging's, wie der Wind, um euch Alles zu melden.«
»Nun, das heiß ich einen elenden Tod sterben, armer Jude«, sagte der Graf, »doch jetzt ist's nicht Zeit zu klagen und zu jammern. Gib mir die Papiere und komm' mit.«
Als der Graf eilend die Küche verlassen hatte, sah sich Balthasar nach Joseph um. Der arme Bursche hatte sich auf den Heerd niedergesetzt und hielt die beiden Hände vor die Augen, während ihm durch die Finger die hellen Thränen nieder rollten.
Der Gerber trat zu ihm, ergriff seine Hand und sprach theilnehmend: »Kümmere dich nicht allzu sehr, Joseph, so hat's kommen müssen, ich hab' ihn oft genug gewarnt, Gott tröst' ihn und dich.«
»Wehe, wehe«, schluchzte Joseph, »ich habe kein Glück. Bin ich darum von meinem Vater gegangen und aus meiner Heimath, um auf ein paar Stunden meines Vaters Bruder zu sehen und dann zu hören, daß er den Raben zum Fraße geworden ist?«
»Ja, lieber Junge, du hast es freilich übel getroffen. Seine Lammfelle sind zwar geborgen, und es steckt ein ziemlicher Werth darin, aber wer kann sagen, wie es geht, wenn das Schloß einen Sturm aushalten muß, und von seinem sonstigen großen Vermögen, das er in baarem Geld hat, wüßte ich auch nicht eine Spur aufzufinden. Das hat er gewiß irgendwo verborgen und keinem Menschen etwas davon gesagt, sondern das Geheimniß mit in die Ewigkeit genommen. Wir waren gewiß gute Freunde, und er hat mich für einen ehrlichen Mann gehalten, aber wie oft ich ihn auch bat um Lebens und Sterbens Willen, mir sein Vertrauen zu schenken, wenn's auch nur seiner Verwandten wegen wäre, fertigte er mich jedes Mal ab mit der Ausflucht, daß man ihn mit Unrecht für einen reichen Mann halte: er habe nichts, als was alle Welt wisse. Es ist ein Unglück, aber in dem Punkt kann ich dir nicht helfen.«
»Glaubt ihr, daß mich sein Geld etwas kümmere?« sagte Joseph unwillig. »O, das verfluchte Geld! der verdammte Mammon, der hat ihm sein Herz ausgedörrt, daß er seines Bruders Sohn, der ihn geliebt hätte, auch wenn er keinen Heller von ihm hätte hoffen können, kaum angesehen und kaum den Augenblick hat erwarten können, wo er einen Beutel mit Gold verdienen konnte.«
»Es ist schade um ihn«, sagte der Gerber, »er war sonst nicht so; aber wenn alle Sünden mit dem Alter abnehmen, so ist's mit dem Geize das Gegentheil, und wie du ganz recht sagst, der Mammon hat ihm das Herz ausgedörrt, je länger je mehr. Ich hoffte immer, es sollte besser mit ihm werden, wenn er in die Heimath zurückkäme und sich dort zur Ruhe setzte, aber unser Herrgott wartet eben nicht, bis es einem gelegen ist zu sterben, sondern wie die Fische gefangen werden mit einem gefährlichen Hamen, so werden die Menschen berückt zur bösen Zeit.«
»Was werd' ich nun anfangen?« sagte Joseph. »Ich komme mir vor, wie ein Weinstock, der keinen Stab hat, und dem der Wirbelwind alle Wurzeln locker gemacht. Wahrlich ich sehe keinen Stern mehr, der mir leuchtet.«
»Was hab' ich dir gestern gesagt?« tröstete der ehrliche Gerber, »nur immer den Kopf oben gehalten und Gott gebeten um ein gelassenes Herz, dann gehen einem die Sterne nicht unter, und was den Stab betrifft, der dir jetzt seit deines Oheims Tode fehlt, Junge, da schau einmal mich an, ob ich nicht der Mann bin, dir diesen Stab zu ersetzen? Vorderhand, sollt' ich meinen, wär' ich noch stark und wetterhart genug, meinst du nicht?«
»Ihr seid ein guter Mann, und das weiß der Gott Abraham's, daß ich seit der kurzen Zeit, wo ich euch gesehen, euch liebe, wie ich meinen besten Freund nur lieben könnte. Aber was kann ich euch sein, wenn jetzt, wie es scheint, Tage kommen werden, wo jeder mit sich selbst genug zu thun haben wird?«
»Da müßten doch seltsame Tage kommen, wenn der Balthasar Habermann nicht so viel Zeit und Christenliebe finden sollte, sich um einen Landsmann und einen Neffen seines Wohlthäters und noch dazu einen so guten Jungen zu kümmern. Man sagt zwar, ›Jeder ist sich selbst der Nächste‹, das ist aber ein Sprüchwort, welches für den Zameth gut genug sein mag, dessen jedoch ein Christenmensch sich schämen müßte. Thue also immerhin, wie dein Oheim gesagt hat, halte dich an mich und es soll dir ein Freund nicht fehlen. Wo willst du jetzt hingehen?« fragte er, indem er ihm die Hand reichte.
»Auf meine Kammer«, sagte Joseph etwas schüchtern. »Ich will Leid tragen für meinen Oheim und dann alljährlich an seinem Sterbetage das Kaddisch für ihn beten, wie es unser Glaube vorschreibt. Es ist Alles, was ich für ihn thun kann. Wenn ich mir denke, wie er in der Verzweiflung aus der Welt gegangen ist, und wie sein Körper jetzt draußen an einem Baum hängt, den Vögeln des Himmels zum Fraß, könnte mir das Herz brechen. – Guten Abend!«
»Es ist wirklich ein guter Junge, der Joseph«, sagte der Gerber, »und er dauert mich. Er wird wenig vom Vermögen seines Oheims unter die Hände kriegen; der Himmel weiß, wo der alte Rabe seinen Schatz verborgen hat, die Gold- und Silberstücke, die er bald bei dem Grafen und bald bei dem Türken sich verdiente, und die Juwelen und Edelsteine, die er den Soldaten abzuschachern wußte, aber sein Brod soll der Junge doch haben, so lange ich lebe. Er gefällt mir und scheint ganz aus der jüdischen Art geschlagen.«
»Das ist wahr«, sagte Konrad, »er hat nichts von einem Juden, außer der Furcht. Die ist aber groß, und obwohl er sich derselben schämt, kann er doch nicht davon loskommen.«
»Glaub's gern«, sagte Balthasar, »ein Jude ist ein Jude, aber hier zu Lande muß er sich die Furcht abgewöhnen, oder er wäre besser nicht hierher gekommen.«