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Es hatten bereits einige bald mehr bald weniger günstig für die Besatzung ausgefallene Plänkeleien mit dem türkischen Vortrab statt gefunden. Am Tag nach Solyman's Ankunft deutete Alles auf den ersten ernstlichen Sturm.
Noch vor Sonnenaufgang vernahm man aus der Ebene her ein immer lauter werdendes Gesumme, ein Anzeichen, daß das ganze Heer bereits auf den Beinen sei und sich in der Stille zum Angriff zu rüsten suche. Deutlich hörte man sodann das eintönige Rufen der Muezzin's, die durchs türkische Lager vertheilt waren und die Gläubigen zum Gebet riefen.
Ein starker Nebel, der über der ganzen Gegend lag, machte es zwar unmöglich, von der Festung aus die Bewegungen des Feindes zu beobachten, aber das erst aus den verschiedenen Quartieren vernehmbare, dann immer mehr in der Mitte der Ebene sich einigende Wirbeln der Trommeln, so wie der wilde, immer lauter gellende Klang der Zinken und Trompeten ließ mit Sicherheit schließen, daß die einzelnen Truppenabtheilungen ihre Standquartiere verlassen hatten, um in Sturmkolonnen sich zu sammeln.
Endlich hatte die Sonne den Nebel niedergedrückt, und ein plötzlicher Windstoß trieb ihn in dampfenden Wolken über die Ebene, da sah man alsbald das ganze türkische Heer schon in Schlachtordnung. Weinberge, Gärten und Felder waren, so weit das Auge reichte, von den dunkeln Heerhaufen bedeckt; ihre Waffen blitzten in der Morgensonne, während sie mit einem dreimaligen Allah die nun sichtbar gewordene Festung begrüßten.
Ein Kanonenschuß aus dem »Katzianer«, einer ungeheuern Kanone, welche auf Solyman's ausdrücklichen Befehl mit vor die Festung geschleppt und den Janitscharen übergeben worden war, gab das Signal zum Angriff. Von der rechten und linken Seite des Centrums schwenkten lange Züge ab, um von allen Seiten die Festung anzugreifen und die Vertheidiger hinlänglich zu beschäftigen, während die Kerntruppen, die Janitscharen, der Neustadt gegenüber stehen blieben. So hatte Solyman es selber befohlen. Er saß auf einem Thron unter einem kostbaren, mit Pfauen- und Reiherfedern geschmückten, Zelt und begrüßte mit einer gnädigen Handbewegung seine auserwählten Schaaren, die, ihre Waffen schwingend und an einander schlagend, unter dem betäubenden Getöse ihrer barbarischen Musik sich um ihn sammelten.
In der Festung war bis jetzt Alles still geblieben, jedoch hatte Zriny vom Schloß aus mit scharfem Auge den Feind gemustert.
»Nun, was denkt ihr, Freunde«, sagte er zu seinem Fahnenträger Juranitsch und dem Hauptmann Alapi, die mit andern Edelleuten ihn umgaben, »wo haben wir am Meisten uns vorzusehen?«
»Bis jetzt kann ich's noch nicht sagen«, antwortete Alapi, »doch glaube ich, es gilt dem Schloß. Seht dort den Haufen mit den langen Leitern, der sich rechts heran zieht. Vermutlich denkt der Sultan: ist das Schloß genommen, so folgt die Stadt von selbst nach.«
»Ich glaub' es nicht«, sagte Zriny kopfschüttelnd, »mir scheint, der alte Fuchs hat zu viel Respekt vor meinen Ungarn und wählt den sicherern Weg. Seine Janitscharen rühren sich noch nicht, sondern stehen ruhig der Neustadt gegenüber, als sollten sie nur eine Reserve bilden für die Stürmenden. Paßt aber nur auf, so wie der Sturm begonnen hat, wird er sie gegen die Neustadt hetzen; er weiß so gut, wie wir, daß dort der schwächste Punkt der Festung ist.«
»Ihr habt Recht, edler Graf«, sagte Juranitsch. »Wenn ich mich nicht täusche, so seh' ich unter den Janitscharen eine Menge Bauern vertheilt, welche Reisigbündel tragen. Die armen Teufel werden die Gräben ausfüllen sollen, die wir um die Neustadt gezogen haben, und die leider Gottes! durch die Sonnenhitze schon halb vertrocknet sind, dann werden die Janitscharen heranrücken.«
»Wer hat den Posten am Thore der Neustadt?«
»Die Deutschen«, sagte Alapi.
»Ich will selber zusehen, ob alles in Ordnung ist«, antwortete der Graf. »Geht ihr zu euren Leuten, und wenn meine Vermuthung eintreffen sollte, so schickt denen in der Neustadt alle Mannschaft zu Hülfe, die ihr entbehren könnt.«
Mit einem freundlichen Gruß trat der Graf unter die Landsknechte, welche die dem Thurme zunächst liegende Ringmauer der Neustadt besetzt hatten.
Eben ging der Ruf von Posten zu Posten: »Fertig?« und ward mit der Antwort: »Alles fertig!« erwiedert.
»Wo ist der Feldwebel Klaus Lindenhardt?« fragte der Graf.
»Hier!« erwiederte ein freundlich aussehender Mann mit langem Barte, der eben seinem neugewonnenen Rekruten Konrad Hollenstein gezeigt hatte, wie er in dem etwas engen Raume die Hellebarte zu führen habe, ohne sich dem Geschoß des Feindes allzusehr bloszustellen.
»Haben die Leute alle gefrühstückt?« fragte der Graf.
»Gefrühstückt und den Morgensegen gebetet, wie ihr es befohlen habt, der Feind mag kommen, wann er will, er wird uns bereit finden.«
»Gut, Lindenhardt! ha, mein junger Deutscher«, sagte der Graf auf Konrad blickend, »du wirst heute zum ersten Male Spieß und Degen führen?«
»Ja, Herr«, antwortete dieser, »das heißt, auf dem Schlosse Wildenstein« –
»Schon gut, mein Sohn! du wirst gewiß deine Schuldigkeit thun, wenn ein paar tüchtige Fäuste und ein paar ehrliche Augen nicht täuschen. Gott segne dich«, sprach er, ihm freundlich auf die Schultern klopfend.
»Noch ein Wort, Lindenhardt«, sagte er, diesen näher zu sich heranwinkend, »ich fürchte«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »ihr werdet da mit euren Leuten nicht müßig stehn, sondern einen harten Strauß zu bestehen haben.«
»Kann mir's denken«, erwiederte dieser, »ich sehe dort die Janitscharen und die grüne Fahne.«
»Habt ihr genug Mannschaft?«
»Ich habe alle Posten vollständig besetzt, und dort«, sagte er, auf einen Haufen Landsknechte deutend, die fünf bis sechs Schritte hinter den Uebrigen zurückstanden, »den Schimmelmann aufgestellt, damit jeder Posten sogleich wieder besetzt werden könne, wenn einem der vorderen ein Unglück zustieße. Doch könnte mehr Mannschaft nicht schaden.«
»Ich werde nöthigenfalls dafür sorgen.«
Ein wüthendes Geschrei von dem Schlosse her kündigte den Beginn des Sturmes an.
»Thut eure Schuldigkeit, Kinder«, rief der Graf laut, indem er sich umwandte, um an den Ort zu eilen, wo seine Gegenwart am nöthigsten schien. » Jedermann, wie Klaus Lindenhardt!«
»Also – Jedermann, wie Klaus Lindenhardt«, brummte eine Stimme aus dem zur Reserve aufgestellten Haufen der Landsknechte, »als ob man nicht gerade so gut sagen könnte: wie Reichert Schimmelmann. Wenn man mir doch nur auch einmal ein solches Wort gönnte, wie dem Lindenhardt, – ich kann freilich nicht predigen, aber ich kann fechten, wie ein ehrlicher Landsknecht, – oder wenn man mir nur auch einmal auf die Schulter klopfte, wie dort dem Bauernburschen, aber gegen den Schimmelmann ist man kurz angebunden, da heißt's immer: Ja, Schimmelmann! nein, Schimmelmann! schon gut, Schimmelmann! und nichts ab und nichts zu – na, es ist halt nicht anders!«
»Er trinkt manchmal über den Durst«, sagte Konrad's Nebenmann zu diesem, »und das kann der Graf nicht leiden.«
Wenn es wahr ist, was alle erfahrenen Kriegsleute versichern, daß an einem Schlachttag die Stunden die peinlichsten sind, in denen man, Gewehr im Arm, den Angriff noch erwartet, so befand sich die Besatzung der Neustadt nicht in der angenehmsten Lage. Das Geschütz donnerte bereits um die ganze Festung, von allen Seiten erhob sich das Geschrei der Kämpfenden, während die Vertheidiger der Neustadt, zur Unthätigkeit verdammt, ängstlich auf den bald lauteren, bald schwächeren Schlachtruf der Feinde horchten, um daraus auf den Gang und den Erfolg des Kampfes zu schließen. Zum Gespräch bezeigte Keiner Lust. In einer Spannung, die von Minute zu Minute sich steigerte, suchte man jede Bewegung des gegenüberstehenden Feindes zu erspähen und zu deuten. »Jetzt, jetzt!« rief von Zeit zu Zeit einer, aber immer wollte es nicht zu dem erwarteten Angriff kommen.
Endlich nach einigen Stunden peinlichen Harrens donnerte ein Kanonenschuß aus dem feindlichen Centrum, und sofort setzte sich die gegenüberstehende Heeresmasse in Bewegung. Eine dichte Staubwolke wirbelte auf, in welcher man einzelne Reiterschaaren hin und her jagen sah, die sich einige hundert Schritte vor der Neustadt zu einem dichten Haufen sammelten.
»Das ist das reisige Volk des Begler Beg's von Rumili«, sagte Schimmelmann, »ich glaube, sie wollen gleich über die Mauer herein reiten.«
»Achtung, Kinder«, rief Klaus Lindenhardt, »und keinen Schuß auf die Reiter gethan! Ich sehe die Schanzgräber und das zusammengetriebene Bauernvolk hinter ihnen hermarschiren mit den Reisigbündeln, um die Gräben auszufüllen. Die müßt ihr auf's Korn nehmen, sowie sie sich der Mauer nähern.«
In einer langen Fronte machten endlich die Reiter Halt vor den Mauern, spannten die Bogen und legten die Flinten an. »Jedermann deckt sich!« kommandirte Lindenhardt. Kaum war der Befehl befolgt, indem jeder, so gut es ging, hinter der Brustwehr oder seinem langen Schild sich in Sicherheit zu bringen suchte, als ein Kugelregen wider die Mauern schlug, und ein Hagel von Pfeilen durch die Luft sauste; dann stoben die Reiter nach rechts und links aus einander, und blitzschnell stürzten die Schanzgräber mit den Reisigbündeln auf die Gräben zu.
»Ruhig gezielt, Feuer!« rief Lindenhardt. Die mit gehacktem Blei geladenen Kanonen wurden losgebrannt, und richteten furchtbare Verwüstungen unter dem dichten Haufen an. Von den Uebrigen, die auf die Gräben herandrangen und der Mauer näher kamen, wurde der größte Theil durch die Musketen und die auf sie geschleuderten Piken der Landsknechte erlegt, und die hintersten Reihen wandten sich zur Flucht. Aber die Reiter, die im Rücken des Haufens sich wieder gesammelt hatten, trieben sie unbarmherzig mit Peitschen- und Säbelhieben vorwärts, und eh' noch die Kanonen wieder zum Feuern fertig waren, waren die Gräben mit den Reisigbündeln, mit Brettern, zum Theil auch mit Leichen soweit ausgefüllt, daß der Sturm durch das Fußvolk unternommen werden konnte.
»Unverzagt, Kinder!« ermunterte wieder Lindenhardt, »jetzt werden sie kommen, aber wer über den Graben ist, ist lang noch nicht über die Mauer.«
Langsam und schweigend setzten sich nun die Janitscharen abermals in Marsch und näherten sich der Mauer. Zwischen den Sturmleitern, die sie hoch aufgerichtet trugen, sah man eine Unzahl von Roßschweifen, Halbmonden und Fahnen. Thürme, je auf drei neben einander befestigten Wagen stehend, eine Erfindung Ali Portuk's, rückten, zwischen den ersten Reihen vertheilt, langsam heran, von Bauern geschoben, die hinter dem Balkenwerk vor jedem Schuß der Belagerten hinlänglich gedeckt waren. Diese Thürme waren von gleicher Höhe, wie die Mauern, und von den tapfersten Janitscharen besetzt, die von da aus, ohne Sturmleitern zu brauchen, die Besatzung angreifen und gelegentlich auf die Mauer springen konnten. Aus der Ferne hörte man das dumpfe Räderrasseln des heranrückenden Geschützes, mit welchem das türkische Heer in einer für die damalige Zeit unerhörten Menge versehen war.
Etwa vierzig Schritte vor der Mauer machte die ganze Heeresmasse Halt. Eine Unglück weissagende Stille trat ein, bis der Ruf der Koransleser erscholl: » Der Tod vor dem Feind ist der Eingang in das Paradies. Allah ist Gott, und Muhammed sein Prophet.«
Ein dreimaliges Allah war die Erwiederung des Heeres. Das Geschrei war so gellend und ohrenzerreißend, daß selbst die versuchtesten der auf die Mauer postirten Landsknechte unruhig wurden, und einige der jüngeren, unter ihnen auch Konrad, unwillkürlich mit einer etwas verdächtigen Eile den Kopf umdrehten, als wollten sie sehen, ob nach rückwärts doch auch noch ein Weg offen sei.
»Wer mir einen Zoll zurückweicht, oder noch einmal den Kopf umdreht«, brüllte Schimmelmann, »dem schlag' ich den Schädel ein, wie eine Eierschale.«
»Unverzagt, Brüder!« rief Lindenhardt, »Alles mit Gott! wenn's nur einmal losgeht, wird auf einmal das Fieber vorbei sein. Fertig, fertig, jeder Mann! Feuer! drauf mit Spieß und Schwert! Jesus, Jesus, meine tapfern Brüder!«
Er hatte kaum geendet, als schon allenthalben die Sturmleitern angelegt wurden. »Jesus, Jesus«, »Allah, Allah«, scholl es durch einander. Die Kanonen donnerten, das Gewehrfeuer knatterte die Mauer entlang, da und dort wurden schon die bärtigen Gesichter einzelner Türken sichtbar, die auf ihren Sturmleitern in die Höhe gestiegen waren, krumme Säbel blitzten durch den Pulverdampf, und es kam zum Handgemenge. Felsstücke wurden auf die Stürmenden geschleudert, das schon eine Weile in den Kesseln dampfende Oel ihnen über die Köpfe gegossen, die Sturmleitern umgeworfen, und in den Gräben krümmten sich winselnd und fluchend ganze Reihen von Feinden, aber immer wieder nahten neue Schaaren, angetrieben von ihren Aga's, um ihr Glück zu versuchen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen war es den Türken gelungen, an die Stelle, wo die Mauer und das etwas vorspringende Thor einen rechten Winkel bildeten, einen ihrer Thürme heranzuschieben.
»Also« – schrie Schimmelmann, »jetzt wollen wir sehen, was der Bauernbursche kann. Achtung gegeben, Junge, da legt ein tüchtiger Kerl die Lanze ein! aufgepaßt oder ich geb' dir keinen Pfennig für dein Leben! – Ha! das war gut parirt! nicht übel für so einen Grünspecht! – jetzt gib du ihm die Hellebarte zu schmecken! – stoß noch einmal zu! – brav, brav! der Tausend, wer hätte das gedacht, da liegt ja der Kerl schon im Graben, wie ein gespießter Frosch. Ja, ja! nur dem Schimmelmann gefolgt, der versteht's.«
Konrad's Nebenmann war nicht so glücklich gewesen. Ein riesiger Mohr aus der Leibwache Solyman's hatte ihn mit seinem Streithammer niedergeschlagen und sprang auf die Mauer mit hoch geschwungenem Säbel, Konrad von der Seite angreifend, der bereits mit einem zweiten Gegner handgemein geworden war. Konrad hatte noch im rechten Augenblick die Gefahr bemerkt und mit seiner Hellebarte den Streich aufgefangen, aber sein anderer Gegner machte nun auch Miene auf die Mauer zu springen, und seine Niederlage war dann gewiß.
»O weh!« rief Schimmelmann, »zwei gegen einen – das ist ein böser Handel, aber das soll nicht sein. Komm' ihm einer zu Hilfe, oder halt! ich will ihm selber Luft machen. Platz da, Kameraden!« Mit einer furchtbaren Gewalt schleuderte er seine Axt wider den Mohren. Sie fuhr pfeifend durch die Luft und traf zwar blos den vorgehaltenen Schild, aber mit solcher Wucht, daß der Mohr wankte und in die Kniee sank. Mit zwei gewaltigen Sprüngen hatte ihn Schimmelmann ereilt, spaltete ihm mit dem Degen den Kopf und stieß ihn mit einem Fußtritt von der Mauer: »Geh hin zu deinem Bluthund von Kaiser und richt' ihm einen Gruß aus von Reichert Schimmelmann«, rief er ihm nach, indem er seine Axt aufhob und zu seinem Haufen sich wieder zurückzog.
»Ich danke dir, Schimmelmann«, sagte Lindenhardt, der ebenfalls zu Hülfe herbeigeeilt war, »du hast dem Jungen das Leben gerettet, ich danke dir.«
»Ist nicht nöthig«, antwortete Schimmelmann, »aber wenn ihr mir jetzt einen Gefallen thun wollt, so kommandirt ihr die Leute hier ab, sie sind müd' und haben ihre Schuldigkeit gethan. Laßt jetzt mich und meine Mannschaft hinzu, während sie sich ausruhen. Ich bin jetzt warm geworden, und da kann ich das müßige Dastehn nicht mehr aushalten.«
»Auch gut, wenn ihr so wollt, tretet an.«
»Also« – brüllte Schimmelmann, »vorwärts, Kameraden, her! her! ein Schelm, wer seinen Platz nicht behauptet lebendig oder todt!«
Die Türken hatten den Sturm mit erneuerter Wuth wieder begonnen. Im Graben standen sie Kopf an Kopf, die Schilde über sich haltend, um vor den herabgeschleuderten Steinen sich zu schützen. Aufgestachelt, von den Versprechungen des Großsultans, der demjenigen dreitausend Aspern zum Ehrengeschenk verheißen hatte, welcher die Mauern zuerst ersteigen würde, drängten sich die Janitscharen wetteifernd zu den Leitern.
Schimmelmann's Mannschaft stand an Tapferkeit ihren Vorgängern nicht nach. Er selbst zeigte sich als einen tapfern Soldaten und umsichtigen Führer. Er hatte überall die Augen, lobte und tadelte, und unter den Streichen seiner Axt, deren jeden er mit seinem fürchterlichen: »Her, her!« begleitete, erlag mancher Janitschar, der sich bereits im Besitz der dreitausend Aspern geträumt hatte.
Trotz ihrer heldenmüthigen Tapferkeit aber gerieth die kleine Besatzung in immer größere Bedrängniß: es waren zwar verhältnißmäßig nur wenige gefallen, aber viele waren schwer verwundet und mußten sich zurückziehen, während der Feind immer wieder frische Truppen zum Sturm trieb und je länger je mehr an Zahl zu wachsen schien. An einigen Stellen waren die Mauern bereits so zerschossen, daß es nur der größten Anstrengung und Tapferkeit gelang, die Bresche wider den Feind zu halten. Die zum Ausruhen abgetretene Mannschaft hatte nach kurzer Rast im Verein mit den Leuten Schimmelmann's, den Kampf wieder aufnehmen müssen, doch Dank der besonnenen Führung Lindenhardt's und der kaltblütigen Ruhe, mit der die Landsknechte vor dem Feind auszuhalten gewohnt waren, hatte sich noch keine Unordnung gezeigt. Gleichwohl fürchtete Lindenhardt, daß er nicht lange mehr im Stande sein werde, mit seinen Leuten allein den Strauß zu bestehen.
»Geh«, sagte er zu Konrad, »sieh, daß du den Grafen oder den Alapi findest, und sage, sie sollen eilend einige Mannschaft zu Hülfe senden. Eile, mein Sohn; denn Eile thut Noth«, rief er ihm nach, als Konrad dem Pförtlein zustürzte, das in die Stadt führte.
»Her, her!« erscholl wieder Schimmelmann's Stimme, der sich eben mit einem Dutzend seiner Leute einer durch die Bresche herandringenden Schaar der Feinde entgegenwarf. Eine Kugel zerschmetterte ihm den rechten Arm, er nahm die Axt in die linke Hand und rief: »Also – sag' ich, Kameraden! ein Schelm, wer seinen Platz nicht behauptet, es sei todt oder lebendig.« Aber sein Wille war besser als seine Kraft. Nach einigen Minuten sank er, von den vorausgehenden Anstrengungen und dem nun hinzugekommenen Blutverlust erschöpft, ohnmächtig zusammen und mußte von Lindenhardt aus dem Bereich der Angreifenden hinweggebracht werden. Dieser trat nun an seine Stelle und füllte sie, wenn auch mit weniger Geschrei, doch mit gleicher Stärke und Tapferkeit aus.
»Unverzagt, Brüder!« rief er, als unter dem nun beträchtlich zusammengeschmolzenen Häuflein der Seinigen durch den Fall Schimmelmann's, sowie durch den vermehrten Andrang der Feinde eine kleine Bestürzung sich zeigte. »Denkt an euren Eid! wer ehrlich ficht, dem kann nichts Schlimmeres begegnen, als daß er ehrlich stirbt; immer wieder vorwärts, vorwärts in Gottes Namen!«
Augenblicklich hatten die Landsknechte sich wieder ermannt und drangen in geschlossenen Gliedern ihm nach – da stürmte Balthasar und Konrad durch die Pforte. »Hellauf, Muth gefaßt, Landsleute!« schrie jener mit einer Stimme, die das Geschrei der Stürmenden übertönte, »Sieg! Sieg! die Ungarn haben den Sturm überall abgeschlagen, und eben ist der Graf durch die Ausfallspforte gebrochen, um diesen vermaledeiten Janitscharen in die Flanke zu fallen. Ihr werdet im Augenblick sie laufen sehen. Hört ihr seinen Schlachtruf?«
»Jesus, Jesus!« schallte es seitwärts. Die Landsknechte erwiederten den Ruf und fielen nun mit doppeltem Muth über die Stürmenden her.
»Gibt's nichts mehr, ihnen auf die Köpfe zu werfen?« rief Balthasar, »ich möchte auch noch ein wenig mithelfen, die Schurken zum Laufen zu treiben.«
»Hier, hier!« rief Konrad, auf ein großes Felsstück deutend, an dem er mit zwei andern Kameraden schon mehrmals seine Kraft vergeblich versucht hatte.
»Den Balken her!« rief der Gerber; »laß mich! zurück! ich werde schon allein fertig.« Rasch warf er sein Wamms ab, setzte den Balken unter, und sogleich hob sich das Felsstück und schmetterte auf die dicht gedrängten Türken. Ein lautes Wehgeschrei aus dem Graben folgte dem dumpfen Krachen, und die Zunächststehenden wichen zurück; im nächsten Augenblick sah man Haufen von Janitscharen, verfolgt von den Husaren Zriny's, über die Ebene rennen, und nun begann eine allgemeine Flucht. Der Tag hatte glorreich für die Besatzung geendet. Einige siebenzig Mann hatte der Sturm die Belagerten gekostet, dagegen lagen 3000 Türken erschlagen, theils in den Gräben, theils auf der Ebene.
Zurückgekehrt von der Verfolgung, besah der Graf die Mauern der Neustadt. Als er auf die Stelle kam, welche die Landsknechte vertheidigt hatten, und die zerissenen Mauern, sowie die mit Leichen bedeckten Breschen sah, sagte er erstaunt: »Diese Mauern habt ihr mit euren wenigen Leuten so lange gehalten? Habt Dank, Lindenhardt!« fuhr er fort, diesem die Hand schüttelnd, »ihr habt wahrlich heute eure Schuldigkeit gethan.«
»Es hat sie jedermann gethan, edler Graf!« erwiederte dieser, »vor allen aber der Gefreite Reichert Schimmelmann.«
»Wer? dieser da?« sagte der Graf, auf Schimmelmann zugehend, der sich auf eine Bank gesetzt hatte und kleinlaut auf seinen verbundenen Arm niedersah.
»Ich hab' meinen Posten wenigstens nicht mit Willen verlassen«, antwortete er grämlich; »nein, ich hätt' ihn lebendig und todt gehalten, aber der Lindenhardt hat mich weggetragen.«
»Er hat recht gethan«, sagte der Graf, dem Verwundeten freundlich auf die Schulter klopfend, »einen solchen Gesellen will man nicht gern verlieren. Pfleg' dich, Kamerad, daß du bald wieder gesund wirst.«
»Also – den Schimmelmann will man nicht gern verlieren, den Reichert Schimmelmann?« sagte der Verwundete mit einem selbstgefälligen Lächeln auf dem blassen Lippen dem Grafen nachsehend – »also, sag' ich«, fuhr er in der höchsten Begeisterung fort, »der Graf ist der erste Held in der Christenheit, und wenn der Schimmelmann nicht mehr für ihn fechten kann, so läßt er sich für ihn todtschlagen, dabei bleibt's!«
»Sei ruhig«, sagte Balthasar, der seine Wunde angesehen, »dein Arm wird wieder geheilt werden, und wenn nicht, sollst du, so lange Gott dir das Leben gönnt, in meinem Haus ein Bett, und an meinem Tisch einen Teller finden. Ich weiß, was du an meinem Neffen gethan hast.«
»Nicht der Rede werth, aber euer Anerbieten nehm' ich an: Der Mensch thut gut, für seine alten Tage zu sorgen, hat meine Mutter gesagt, als ich wider ihren Willen Handgeld nahm bei den Werbern. Jetzt könnte sie sehen, daß ich ihren Rath befolgt habe.«
Mit diesen Worten erhob er sich unter einigen schmerzlichen Seufzern, um dem Feldwebel und dem Gerber in's Lazareth zu folgen, damit sein Arm kunstgerecht verbunden würde.