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Konrad und Joseph hatten die mühselige und für die damalige Zeit sehr weite Reise beinahe zurückgelegt. Sie hatten weder den nächsten Weg eingeschlagen, noch gerade mit besonderer Eile das Ziel ihrer Reise zu erreichen gesucht. Da sie beide mit geringer Baarschaft versehen waren, durften sie die kleine Beihülfe nicht verschmähen, welche auch heute noch der Handwerksbursche mitnimmt, wo es ihm möglich ist. Keine große Stadt wurde umgangen, wenn sie nicht allzuweit vom graden Wege ablag. Konrad erhob da bei der Gerberzunft das übliche Geschenk, und Joseph suchte seine Glaubensgenossen heim. Hie und da wurde ihnen auch in den einzelnen Bauernhöfen, wohin selten ein Fremder sich verirrte, freundliche Aufnahme, und sie machten dann einen Rasttag, um ihre Wäsche und ihre Schuhe wieder in den gehörigen Stand zu setzen. Joseph mußte allerdings sich meist mit einem Nachtlager in der Scheune oder auf dem Heuboden begnügen, im übrigen jedoch wurde er um seines Begleiters willen, dessen Erzählung von dem Zweck seiner Reise ihm die Theilnahme der Bauern sicherte, während seine Jugend und sein bescheidenes Wesen ihm das Herz der Hausfrauen gewann, nicht unfreundlich aufgenommen. Von Kind auf gewohnt, sich als Jude Mißtrauen und Geringschätzung gefallen zu lassen, machte er nur sehr bescheidene Ansprüche an die Gastlichkeit des Landvolks und war seelenvergnügt, daß er sich vor jeder übleren Behandlung durch den Schutz seines Kameraden gesichert wußte. Dieser nämlich hatte die bäurische Schüchternheit, mit welcher er anfangs unter unbekannten Leuten sich bewegte, bald verloren, und die wenigen Male, wo einige Landstreicher sich wollten beikommen lassen, an dem Judenburschen ihren Muthwillen zu üben, hatte er das von dem alten Isaak ihm übertragene Amt des Engels Raphael so kräftig ausgeübt, daß sein Schützling mit großer Befriedigung bemerkt hatte, was es doch um einen treuen Gesellen für eine schöne Sache sei. Wenn er sich recht prüfte, mußte er sich gestehen, daß er eigentlich noch nie so wohl und behaglich sich gefühlt habe, als auf dieser Reise. Es that ihm wohl, nicht wie bisher immer nur gleich einem Dieb und Uebelthäter unter beständigen Vorsichtsmaßregeln gegen Verfolgung sich durchs Leben schleichen zu müssen, sondern auch einmal wie ein Mensch mit freiem Auge und ehrlichem Gewissen sich die Welt ansehen zu können, und wenn er nun die schlichte, treuherzige Art seines Gefährten, sowie die mannigfachen Beweise von Wohlwollen betrachtete, die ihm hie und da in christlichen Häusern geworden waren und gerade in denen am meisten, in welchen man am eifrigsten auf das Christenthum hielt, so kamen ihm die Gojim nicht halb so schlimm mehr vor, als sein Vater sie gemacht hatte. Das Birchas Hamminim d. i. das Fluchgebet gegen die Christen und alle Ketzer, hatte er schon lang aus seinem Morgengebet weggelassen, und wenn sein Reisegefährte den Morgen- und Abendsegen nebst dem christlichen Glauben sprach, hielt er sich nicht mehr die Ohren zu, wie er auf ausdrücklichen Befehl seines Vaters hätte thun sollen, sondern merkte unwillkührlich darauf. Ja einmal auf der Reise ertappte er sich sogar über dem Versuch, den christlichen Glauben nachzusprechen, und machte die Entdeckung, daß er von Wort zu Wort ihn auswendig wußte.
Am Abend eines heißen Sommertags finden wir die zwei Wanderer mitten in einem der unabsehbaren Wälder, welche damals das südliche Ungarn bedeckten. Sie waren den ganzen Tag über gewandert, ohne ein Dorf oder auch nur ein einzeln stehendes Haus anzutreffen. Der Weg, den sie verfolgten, war wenig betreten, und noch kein Ende desselben abzusehen, obwohl es schon stark auf die Nacht zuging, und die beiden jungen Leute sich sehr nach einer Mahlzeit und einem Nachtquartier sehnten.
Nach einigen verdrießlichen Aeußerungen über den ungebahnten, schlechten Weg, auf dem sie jeden Augenblick über eine Baumwurzel stolperten oder in ein Sumpfloch traten, waren sie eine Weile stumm neben einander hergeschritten, bis endlich Konrad die Stille mit einem lauten Lachen unterbrach. Joseph, der vorausgieng und eben mit seinem Stocke die Zweige einer Eiche auf die Seite schob, die ihm den Weg versperrten, schaute sich verwundert um und fragte mit einem Ton, der auf die gute Laune seines Gefährten eingehen sollte, aber sehr kläglich ausfiel: »Was lachst du, Kamerad? Theile mir's mit, ich möchte auch lieber lachen, als beständig fragen: Was werd' ich heute noch essen? und wo werde ich heute noch schlafen? ohne daß eine Antwort mir darauf einfällt? – Die Luft ist schwül, und wir werden bald ein tüchtiges Gewitter haben.«
»Ich muß lachen«, sagte Konrad, »wenn ich an den Andres daheim denke, wie der sich die ungarischen Schäfer vorgestellt hat. Sie nennen sich Juhassen, und der närrische Name paßt für sie. Was das für ein Kerl war, in dessen Hütte wir die letzte Nacht zubrachten! Ich wußte gar nicht, was ich aus ihm machen sollte, als ich ihn von ferne unter seiner Heerde stehen sah, mitten im Sommer einen Schafspelz um sich, und auf den vor sich hingestreckten Stock gestützt und unter sich auf den Boden sehend, als ob er die dort krabbelnden Ameisen zählen müßte. Ich glaube, er hat gerade seinem Lateinisch nachgedacht, denn er regte sich nicht, als wir ihn deutsch anriefen. Erst als sein Hund Laut gab, hob er den Kopf in die Höhe, und wünschte uns auf lateinisch einen guten Abend.«
»Ach! seine Hütte war schlecht«, sagte Joseph, »nur aus Zweigen geflochten, daß überall der Regen hereindrang, und doch, wie schön wäre es, wenn wir jetzt eine solche Lagerstätte fänden.«
»Noch besser wär' es«, erwiederte Konrad, »wenn wir ein Stück von dem Lammsbraten hätten, welchen er uns vorsetzte, oder von dem Schweinskopf, den du verschmähtest. Er hatte das Schwein aus der Heerde seines Collegen, des Schweinehirten, gestohlen, wie seine Frau mir erzählte, um den fremden Herren, seinen Gastfreunden, ein gutes Essen zu bereiten, das sei so gebräuchlich unter ihnen. Der Juhasse borge auf diese Weise bei dem Ganassen (Schweinehirt), und der Ganasse bei dem Juhassen; denn der Ungar, sagte die Frau, sei gastlich, und halte auf seine Ehre, und dulde keinen Mangel in seinem Hause, wenn ein Gast an seinem Tische sitze.«
»Ländlich, Sittlich«, sagte Joseph, »diese Ungarn sind ein wildes und wunderliches Volk, aber wenn sie diebisch sind zum Vortheile ihres Gastes, sind sie es doch nicht zu seinem Nachtheile, wie ich mir habe sagen lassen. Der Fremde kann sein Haupt ruhig niederlegen in der einsamsten Hütte, auch wenn er Tausende bei sich führte, und ich wollte von ganzem Herzen«, sagte er, trostlos sich nach allen Seiten umblickend, »es wäre jetzt irgendwo eine solche Hütte zu finden, denn die Kniee zittern mir, und meine Füße sind so dick geworden, daß ich nicht im Stande sein werde, sie aus den Stiefeln zu bringen.«
»Schau einmal rechts hinüber«, sagte Konrad, »mich däucht, dort sähe ich zwischen den Bäumen etwas wie einen Lichtschein flimmern.«
»Wahrlich, wahrlich du hast Recht«, sagte Joseph, indem er mit seinen scharfen Augen nach der angedeuteten Richtung blickte. »Es ist ein Feuer, das im Freien angezündet scheint, laß uns drauf zugehen, das heißt«, setzte er, sogleich seine Eile mäßigend, hinzu, »das heißt, wenn wir erst wissen, wer bei dem Feuer liegt, – es könnte auch von dem Gesindel sein, vor welchem der Schäfer warnte.«
»Wie sollen wir das wissen, wenn wir nicht hinzugehen«, sagte Konrad, »gehe nur mir nach, und tritt leise auf, wir werden bald zur Stelle sein.«
Nachdem sie sich leise durch die Bäume hindurchgearbeitet hatten, was um so leichter war, als bereits der Sturm sich erhoben hatte, der Joseph's Besorgniß vor einem nahenden Gewitter nur zu sehr rechtfertigte, kamen sie an eine kleine, rings von Bäumen eingeschlossene Lichtung. Einige zwanzig Schritte vor ihnen brannte ein Feuer, über dem ein kleiner Kessel hing, links von dem Feuer stand eine kleine Hütte, aus Zweigen und Aesten aufgerichtet, und ein Weib war beschäftigt, in Voraussicht des bald kommenden Regens, eine Leinwand über die Zweige zu ziehen, welche das Dach der Hütte bildeten.
»Da kommen wir zur guten Stunde«, sagte Konrad leise, »meine Nase sagt mir, daß wir in dem Kessel etwas finden werden, wie eine Abendmahlzeit. Das Weib ist allein und scheint keine Ahnung zu haben, daß sich ein Mensch in der Nähe finden könnte.«
»Doch, doch«, sagte Joseph, »höre nur, sie redet mit Jemand.«
»So, so, kleine Ada«, sagte das Weib, indem sie die Leinwand glatt strich und die Zipfel an die Aeste befestigte, »so, so, bald ist das Haus gedeckt, und das Kind hat sein Süpplein gegessen und wird zur Ruh gebracht. Still, still kleiner Balg«, rief sie, den Kopf in die Hütte streckend, »gleich bin ich fertig, dann tanz' ich dich in den Schlaf. Gestern haben sie mein Kind erschreckt, die bösen Christen, haben den Vater mit sich genommen, daß er ihnen den Weg zeigt, in die Dörfer, wo die Türken liegen – jetzt werden sie an einander sein und sich todtschlagen und todtschießen, piff, paff! – was liegt der kleinen Ada daran, mag der Christ den Türken schlagen oder der Türke den Christen? der Vater lacht dazu und nimmt dem Türken sein Gold und dem Christen sein Silber und bringt's Alles der kleinen Ada, und der Mutter bringt er einen schönen Shawl, den nimmt er dem Vezier, – und das Kind wird in die Händchen klopfen, pitsch, patsch! und die Mutter wird lachen ha, ha, ha, ha! – Nur still noch ein wenig, kleiner Schreihals, gleich bin ich fertig.«
»Das ist ein Zigeunerweib«, flüsterte Joseph, »ich seh's an ihren schwarzen Locken und an dem Shawl, den sie um den Kopf gewickelt hat, und an dem Dolch, der in ihrem Gürtel steckt.«
»Mir auch recht«, sagte Konrad, »wenn wir nur was zu essen bekommen.«
»Was sie aber für seltsames Zeug schwatzt von den Türken und Christen! Sollten die Türken schon bis hieher gekommen sein, von welchen der Schäfer gestern Abend in seinem Kauderwelsch redete?«
»Meinetwegen Türken oder Mohren, Kroaten oder Slavaken«, sagte Konrad, der mit Behagen den angenehmen Duft einsog, welchen eben der Wind aus dem Kessel zu ihnen herübertrug, »ich habe wirklich einen unmenschlichen Hunger. Laßt uns nur, sowie sie den Rücken wendet, in Gottes Namen heraustreten, wenn wir sie auch ein wenig erschrecken müssen.«
»Wart noch ein wenig«, sagte Joseph, »horch, sie fängt, glaub' ich, an zu singen.«
Das Weib hatte die letzte Hand an ihr Werk gelegt und noch schnell einen Arm voll Holz in's Feuer geworfen, dann nahm sie das Kind, das schreiend auf dem Boden der Hütte gelegen, auf den Schooß und nachdem sie es sorgsam eingebunden hatte wegen des bereits in schweren Tropfen niederfallenden Regens, stimmte sie eine Melodie an in hastig hervorgestoßenen Tönen, nach deren Takt sie, das Kind in den Armen wiegend, in großen Sprüngen hinter dem Feuer auf- und abrannte. Das Lied lautete:
Kind schlaf still, das Feuer brennt,
Es kommt kein Wolf, kein Christ dich kennt.
Hier im Wald bist du eingebaut,
Deine Mutter ist's, die auf dich schaut.
Stadt und Dorf durchschleicht der Tod,
Der Nachtthau hält dir die Wangen roth,
Hahnenblut opfer' ich für dich,
Da schadet dir nicht des Mondes Stich.
Schlaf, sei still, dein Köpflein duck,
Dein Vater ist fort und holt dir Schmuck.
Haben wir den, dann fliegen wir fort,
Die Welt ist weit, wer findet den Ort?
Wer mein Kind mit bösem Aug' schreckt,
Dem wird der Hahn aufs Dach gesteckt –
Alles still, das Feuer brennt,
Es kommt kein Wolf, kein Christ dich kennt.
»Da könntet ihr doch im Irrthum sein, Frauchen«, sagte Konrad, mit einem Male aus dem Dickicht vor das erschreckte Weib tretend, »laßt jetzt ab, euer Kind schläft, legt's hin auf sein Lager, doch aber zu erschrecken braucht ihr nicht. Ich bin zwar ein Christ, aber ich will euer Kindchen ganz gern nicht kennen, wenn ihr mich ein wenig in euren Kessel sehen laßt. Heda, Frauchen, halt! halt!« rief er das Weib an dem einen Arm ergreifend, welches mit einem raschen Sprunge in den Wald entschlüpfen wollte, »mit dem ›Fortfliegen‹ laßt's diesmal nur bleiben, und hört«, fuhr er fort, ihre linke Hand ergreifend, die sie eben zum Munde führen wollte, »laßt euch auch ja nicht einfallen zu pfeifen, eh' wir's euch heißen. Ich habe noch einen Gesellen bei mir, der euer Lied gehört hat; er ist zwar kein Christ, aber auch kein Wolf. Komm nur hervor, Joseph, und laß dich sehen. So, da ist er schon.«
Das Weib, als es sah, daß Flucht und Widerstand unmöglich wäre, hatte sich mit ihrem Kinde rasch auf den Boden geworfen, die Kniee Konrad's umfaßt, und dann seinen rechten Fuß zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit sich auf den Nacken gesetzt. Hierauf hub sie ihre Hände bittend zu ihm empor, und sprach: »Herr, thut eurer Sclavin und ihrem Kinde nichts zu Leide.«
»Ei, bei Leibe nicht«, erwiederte Konrad, »wer wird auch einer Frau etwas zu Leide thun? – ich wenigstens nicht, und mein Gefährte auch nicht. Wir sind ehrliche, deutsche Handwerksbursche, aber hungrig. Steht auf, Frau! und das Kind wollen wir unter euer Zelt legen.« Damit hob er es behutsam auf, und legte es auf das Stroh, mit welchem der Boden der Hütte bedeckt war. »So – da kann's ruhig schlafen, und die Wölfe sollen ihm nichts thun. Es wäre auch Schade darum; denn es ist ein hübsches Kind, obwohl etwas braun. Aber nun, liebe Frau, gebt für Geld und gute Worte, wenn ihr halbweg könnt, uns etwas zu essen. Wir sind schon vierzehn Stunden auf dem Marsche, und haben noch keinen Bissen über den Mund gebracht.«
»Dank' euch, dank' euch, daß ihr dem Kindlein nichts thun wollt, und was seine arme Mutter vermag, das soll euch von Herzen gegeben und gegönnt sein. Zameth kommt vielleicht heute nicht mehr, und wenn er kommt, wird sich auch noch etwas für ihn finden. Das Volk der Haide braucht wenig und theilt gern mit dem Fremdlinge.«
Seit Konrad ihr Kind gelobt, war die Zigeunerin wie umgewandelt; sie hatte offenbar den besten Willen, die ungeladenen Gäste, so gut es ging, zu bewirthen. Aus der Hütte holte sie zwei hölzerne Teller und Löffel, wie Zameth, wenn er gerade den ehrlichen Mann machte und zur Winterszeit den Aufenthalt auf der Haide mit dem in den Dörfern vertauscht hatte, sie auf den Verkauf zu machen pflegte, hob den Kessel vom Feuer, und hieß nun die beiden Jünglinge zulangen. Joseph prüfte erst mit einiger Vorsicht die seltsam aussehende Mischung von Gemüs und Fleisch, die in dem Kessel geschmort hatte. Da er sie aber keineswegs übelschmeckend fand, folgte er dem Beispiele seines Gefährten, der trotz allem, was er in seinem Vaterhaus über die Kochart der Zigeuner gehört hatte, es ernstlich darauf abgesehen zu haben schien, dem Kessel auf den Grund zu kommen. Die Zigeunerin hatte die mehrmals wiederholte Einladung Konrad's, an dem Abendessen Theil zu nehmen, ausgeschlagen. Sie hatte am Eingange der Hütte sich niedergesetzt und schaute halb scheu, halb wohlwollend den beiden Fremdlingen zu. Als endlich der Inhalt des Kessels unter den eifrigen Bemühungen derselben bis auf den letzten Rest verschwunden war, holte sie aus einem Winkel der Hütte eine Flasche Wein hervor nebst einem hölzernen Becher, und stellte sie auf den Boden vor ihre Gäste, indem sie sagte: »Ich weiß nicht, ob der Wein des armen Zigeuners euch munden wird, aber ein Schelm gibt's besser, als er's hat, und ein Trunk wird euch gut thun wider den Regen und die Nachtluft.«
»Nun, so ist's nicht gemeint, daß wir euch Küche und Keller leer machen wollen. Ein Trunk Wassers hätt' es auch gethan, aber das muß wahr sein, liebe Frau«, sagte Konrad, nachdem er den Wein gekostet und den Becher an Joseph gereicht hatte, »euer Wein ist gut. Trink, Joseph, der geht wie Feuer durch die Adern, und könnte einen Todten lebendig machen.«
»Aber nun«, fuhr Konrad fort, »da Hunger und Durst gestillt ist, und ihr nicht, wie der Schäfer, blos ein Kauderwelsch, sondern deutsch reden könnt, wie ich merke, möchte ich euch etwas fragen. Gebt mir Antwort darauf kurz und gut, – wollt ihr?«
Das Weib sah ihn mit forschendem, fast lauerndem Blicke an, nickte aber bejahend.
»Wie weit haben wir von hier bis nach Siclos?«
»Reisende, wie ihr, die dem Wege nachgehen, brauchen eines Tages Länge. Der Zigeuner, der nach der Sonne seinen Pfad nimmt, durch den Wald läuft und über den Fluß schwimmt, ist in sechs Stunden zur Stelle.«
»In sechs Stunden? Das verlohnte sich der Mühe zu versuchen, ob wir nicht auch den Weg finden; ich dächte, Joseph, wir wüßten, wie es in einem Walde aussieht. Meint ihr nicht, daß es möglich sei, Frauchen?«
»Was das Finden betrifft, so wird euch das wenig Schwierigkeiten machen. Ich will euch morgen nur ein hundert Schritte in den Wald führen, dann dürft ihr nur den Spuren der Husaren folgen, die den Zameth gestern mitnahmen, damit er sie des nächsten Weg's nach Siclos führe.«
»Euer Mann hat Husaren nach Siclos geführt?« fragte Joseph, der sich des Selbstgespräches der Zigeunerin erinnerte, das sie belauscht hatten. »Was sollen denn diese dort thun?«
»Es waren Husaren von Sigeth, ein wildes Volk, das wie der Wolf nach Streit und nach Beute lechzt. Sie fielen um Mitternacht uns in's Haus und versprachen dem Zameth guten Lohn, wenn er sie führen wolle. Dann nahmen sie mich und das Kind auch mit, damit nichts von ihrem Streifzuge bekannt würde, hier erst durfte ich zurückbleiben. Die Schlacht muß noch nicht aus sein, weil mein Mann noch nicht zurückgekommen ist.«
»Eine Schlacht sagt ihr? eine Schlacht, mit wem denn?« fragte Konrad in großer Spannung.
»Mit den Türken«, antwortete das Weib, »mit den Sengern und Brennern des Mehemed Beg von Tirhala.«
»Behüte Gott«, sagte Konrad, »sind denn die Türken in Siclos? Joseph, hörst du's? Großer Gott! was wird da aus unsern Verwandten geworden sein?«
»Und was wird aus uns werden?« sagte Joseph erbleichend.
»Wegen eurer Verwandten seid ohne Sorge. Es war Alles ausgeflogen, als die Türken in's Land fielen: die einen sind nach Sigeth, die andern nach Raab, die andern nach Paconia geflohen. Niemand sieht den Türken kommen und bleibt ruhig dabei, außer der Krieger auf seiner Burg, der Bürger in seiner festen Stadt und der Zigeuner in seiner Hütte. Auf sechs Meilen in die Runde sind alle Dörfer und Höfe leer. Die großen Thore, die sonst vor dem Sohn der Haide sich nicht aufthaten, wenn er auch noch so demüthig anklopfte, die stolzen Häuser, von denen man ihn und sein hungriges Kind mit Hunden hinweghetzte, stehen jetzt weit offen, und wenn er will, zieht er ein und macht sich's bequem und beim Abzug steckt er den rothen Hahn auf's Dach.«
»Bei meines Vaters Haupt«, flüsterte Joseph, »wir müssen uns vorsehen. Ich glaube, das gottlose Weib steht mit den Türken im Bund.«
»Nun das wäre nicht übel«, schrie Konrad. »He, Weib, mit wem haltet denn ihr's, mit den Türken oder mit den Christen?«
»Mit keinem von beiden«, sagte sie mit einem seltsamen Lachen, »der Türk ist uns feind, und der Christ uns kein Freund, oder doch nur selten. Da sind wir am besten dran, wenn sie sich gegenseitig todtschlagen, dann ziehen wir ihnen nach, wie Wölfe und Raben, und leben wie reiche Leute, dienen bald dem einen, bald dem andern; wer uns wohl gethan hat, dem thun wir wieder wohl, und wer uns übel gethan hat, dem thun wir wieder übel.«
»Gott erbarm' sich's«, sagte Konrad. »Ihr seid ja, wie die wilden Thiere, was habt ihr denn für eine Religion?«
»Religion? die lassen wir den Christen und den Türken. Wir essen und trinken, bis wir endlich sterben, wir wandern von Ort zu Ort, frank und frei wie der Vogel, bis der Habicht ihn fängt, oder der Jäger ihn schießt, oder bis er vom Ast fällt vor Alter und Schwachheit.«
»Aber was wird denn dann einmal aus eurer Seele?«
»Was aus dem Nebel wird, wenn ihn die Sonne verjagt, was aus dem Rauch wird, wenn ihn der Wind verweht, oder aus dem Wassertropfen, wenn ihn die Hitze verdampft. Wie im Leben, so heißt's im Tod von den Zigeunern:
– ›dann fliegen wir fort,
die Welt ist weit, wer findet den Ort?‹«
»Gottloses Weib«, sagte Konrad, »das heißt ja leben und sterben, wie die, so keine Hoffnung haben.«
»Thörichter Christ«, erwiederte das Weib, »haben wir keine Hoffnung, so haben wir auch keine Furcht, denn – wen wir fürchten, der muß uns dreifach fürchten.«
»Nun, weiß Gott, das glaub' ich auch«, sagte Konrad, »mein Großvater hatte Recht, wenn er sagte: du sollst keinen Menschen fürchten, außer den, der Gott nicht fürchtet. Doch sagt uns, Frau, wer glaubt ihr denn, daß siegen wird, wenn die Christen und Türken jetzt in Siclos an einander gerathen? Wir sind keine Zigeuner, sondern ehrliche Deutsche, und wenn die Türken siegen sollten, so wissen wir wahrlich vor der Hand nicht, was aus uns werden wird.«
»Das ist schwer zu sagen«, erwiederte das Weib, den Kopf zweifelnd hin und her wiegend, »der Türken sind viele, sie bedecken Feld und Stadt wie die Heuschrecken, und der Christen sind wenige, doch todte Menschen wird's jedenfalls genug geben, denn die Husaren von Sigeth sind Männer, und ihre Säbel werden blutroth sein, ehe sie dieselben in die Scheide stecken, gleichviel, ob sie siegen oder geschlagen werden. Zameth wird seine Zeit abwarten, bis der Abend kommt. Dann wird er den Schnittern nachgehen und zusehen, was sie für Arbeit gemacht haben, und bei dem Leben meines Kindes! er wird nicht leer heimkehren, sondern genug finden, was des Aufhebens werth ist.«
»Schrecklich, schrecklich«, sagte Joseph, »in was für ein Land sind wir gekommen! Frau, ihr habt ein Kind, das ihr liebt, ich habe zu Haus einen Vater, der mich auch liebt, denn ich bin sein einziger Sohn, und hier mein Gefährte hat Vater und Mutter und ist auch ihre einzige Freude und Hoffnung. Sie werden den Segen Gottes erflehen für die, welche ihren Kindern in der Fremde Gutes thun. Ich kann nicht glauben, daß ihr trotz eurer gotteslästerlichen Religion uns den Türken unter's Messer liefern wollt. Wir sind fremd im Land und haben keine Seele beleidigt, ihr könntet uns zurecht helfen. Rathet uns ehrlich, was wir thun sollen.«
»Ich kann's und ich will's. Ihr seid arm und fremd, wie wir, darum sind wir Freunde. Seht, dort liegt Siclos«, sagte sie mit der Hand nach der Gegend deutend, von welcher sie hergekommen waren, »und hier« fuhr sie fort, nach der entgegengesetzten Seite den Arm emporhebend, »liegt Paconia. Ruht jetzt aus, morgen will ich euch den Weg dahin zeigen. Wenn ihr ordentlich ausschreitet, könnt ihr noch lang vor Abend die Stadt erreichen. Dort werdet ihr Leute eures Glaubens und eures Stammes genug finden und könnt dann thun, was sie selber thun werden.«
»Nun Gott lohn's euch«, sagte Konrad, »laß uns dem Rath folgen und sehen, wie wir die Nacht herumbringen. Zum Glück hat der Regen aufgehört.«
Damit breitete er einen Mantel von grauem Tuch, den er, in einen Riemen geschnürt, neben sich liegen hatte, auf dem Boden aus, wickelte sich hinein und lag bald, aller Angst und Sorge vergessend, in festem Schlaf.
»Folgt seinem Beispiel!« sagte das Weib zu Joseph, der, seinen Gedanken nachhängend, in's Feuer schaute, »geht in die Hütte, dort werdet ihr trocken liegen. Thut, was ich sage«, fuhr das Weib fort, als Joseph ihr bedeutete, selber diesen Platz einzunehmen, »euch seh' ich's an, daß ihr nicht gewohnt seid im Nachtthau zu liegen; dem Zigeunerweib gilt das Alles gleich.«
Joseph hielt es für das Beste, fernere Einreden aufzugeben und kroch in die Hütte, während das Weib unter einem Baum sich zusammenkauerte und den Kopf auf ihre Kniee legte.