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Ein kurzer Trommelwirbel aus den Reihen der Landsknechte gab das Signal, daß nun die nach dem Frondsbergerischen Kriegsbuche vorgeschriebene Verhandlung über den armen Ludwig Müller zu beginnen habe. Nachdem die Landsknechte einen großen Ring geschlossen, leitete der Profoß den Gefangenen, der bisher ruhig dagestanden und nur bei dem Wort des Grafen: »Wer seinen Hauptmann mit gezogenem Degen angreift, der stirbt« etwas zusammengezuckt war, bei der Hand in den Ring und sprach also:
»Einen guten Morgen, liebe und ehrliche Landsknechte, edel oder unedel, wie uns Gott zusammengeführt hat. Es ist euch allen wohl bekannt, wie wir uns alle zusammengeschworen haben, daß wir gut Regiment führen und halten wollen, dem Armen, wie dem Reichen, allen Ungehorsam zu strafen. Allhier steht nun aber ein ungehorsamer Geselle, der heut morgen in der Wachtstube wider den Hauptmann den Degen gezogen, – lasset ihn wiegen, was er werth sei.«
Hierauf wurde der Gefangene, der noch geschlossen war, gefragt, ob er einen Fürsprecher begehre.
»Nein«, erwiederte er, »die Sache verhält sich, wie der Profoß es vorgestellt. Ich will nicht leugnen, doch bitte ich die Gemeine um ein gnädig Urtheil.«
Drei Fähndriche traten aus der Reihe, thaten die Fahnen zusammen und steckten sie verkehrt mit dem Eisen in die Erde, dann sprach der Aelteste:
»Liebe, ehrliche Landsknechte, ihr habt des Profoßen schwere Klage vernommen, die er über diesen Gesellen geführt hat, drum haben wir unsere Fähnlein zusammengethan und hier umgekehrt in die Erde gestoßen und wollen sie nimmer wieder fliegen lassen, bis über solche Klage von euch ein Urtheil ergeht, auf daß unser Regiment ehrlich sei.«
Da trat der Feldwebel Klaus Lindenhardt und dreißig Mann aus dem Ring, beratschlagten abseits, gingen wieder in den Ring und stellten's der Gemeine vor, ließen mit drei Trommeln umschlagen bei Ehre und Eid und nun die Hände aufheben, ob der Gefangene solle sterben, oder lebendig bleiben. Die meisten Hände waren aufgehoben, und somit das Todesurtheil über den armen Sünder ausgesprochen.
Die Fähndriche rissen sogleich wieder ihre Fahnen aus der Erde, ließen sie lustig im Winde fliegen, und nachdem sie sich an's obere Ende der Gasse gestellt hatten, sprach der eine: »Liebe, ehrliche Landsknechte, wir danken euch, daß ihr so willig seid gewesen und so ehrlich und ehrenhaftig, gut Regiment zu stärken und zu halten.« Man sah den Feldwebel Klaus Lindenhardt dem Gefangenen die Hände auf's Haupt legen und leise ihm zusprechen, während der Profoß ihm die Ketten abnahm und darauf unter einem dreimaligen Trommelwirbel ihn auf den Ring, den die Landsknechte gebildet hatten, zuführte.
Unter einem kleinem Haufen Zuschauer, an welchem der Gefangene vorüber mußte, stand auch Wuk, der unbeweglich mit ausdruckslosem Gesicht sich den Vorgang mit anschaute. Wahrscheinlich der Händel gedenkend, welche er erst vor wenigen Tagen mit ihm gehabt hatte, reichte ihm im Vorbeigehen der Gefangene die Hand entgegen. Der Kroate stierte ihm zuerst verdutzt in's Gesicht, dann aber schien er ihn zu verstehen, und sein Gesicht gewann augenblicklich den Ausdruck tiefster Theilnahme. Er fing plötzlich an, wie ein Kind zu weinen, schüttelte die Hand seines ehemaligen Feindes und wurde nicht müd', unter beständigem Schluchzen, ihm nachzurufen: »Leb' wohl, wackrer Schwabe! ich nicht sein mehr zornig, fahr' wohl, Landsknecht, ade, ade guter Kamerad.«
In dem Ring, in welchen der verurtheilte Landsknecht geführt wurde, stand bereits der Scharfrichter, ein großes, breites Schlachtschwert mit beiden Händen haltend.
»Wahrt die Gasse wohl«, rief der Profoß, »und schließt sie fest Mann an Mann, denn wer den armen Sünder durchläßt, muß sogleich an seine Stelle.« Die Landsknechte traten einen Mann hoch zusammen und hielten die Spieße vor.
»Liebe, gute Gesellen«, rief der Gefangene mit fester Stimme, »ich hatte gehofft, mannhaft und ritterlich mit euch zu streiten wider den Erbfeind des christlichen Glaubens, nun aber habe ich mich selber solcher Ehre unwerth gemacht und muß nun den bittern Tod erleiden. Ich will mich dessen nicht weigern, sondern meine Missethat tragen; bitte darum für's Erste Gott, sodann den Hauptmann und dann euch Alle um Verzeihung, daß ich Unrecht gethan und Aergerniß gegeben. Thut ihr mir mein Recht, der große Gott aber thue Barmherzigkeit an meiner armen Seele.«
Der Profoß nahm ihn wiederum bei der Hand und führte ihn dreimal langsam durch die Gasse, um Abschied von den einzelnen zu nehmen. »Gott tröste dich, Kamerad«, »leb wohl, Ludwig!« sagten die einen schluchzend, andere verbargen unter einem finsteren Gesicht ihre Rührung, während der Gefangene sie bat, fest zuzustoßen, damit er nicht lange leiden müsse.
Nachdem ihn der Profoß umarmt und gebeten hatte, er wolle ihm verzeihen, denn was er gethan, habe er von wegen des Regiments thun müssen, gab er ihm drei Streiche auf die rechte Schulter im Namen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geistes und kommandirte: »Lauf!«
»Dran, in Jesu Namen«, rief der arme Sünder und stürzte herzhaft in die Gasse. Augenblicklich bohrten sich ihm die Spieße in den Leib, und als er zu wanken anfing, hatte ihn der ihm nacheilende Scharfrichter mit zwei Sprüngen erreicht, und spaltete, mit dem breiten, zweihändigen Schlachtschwert ausholend, mit einem einzigen Hieb ihm von hinten den Kopf bis auf die Schulter.
Als er todt war, fielen sämmtliche Landsknechte auf die Kniee und beteten ein Vaterunser. Dann zogen sie dreimal um die Leiche, während die Schützen bei jedem Umzug Feuer gaben, bildeten zuletzt wieder einen Ring, in welchen der Profoß trat, sich abermals für gut Regiment bedankte und alle ermahnte, sich an dem Geschehenen ein gutes Exempel zu nehmen. Vier Mann hoben den Todten auf die bereitstehende Bahre, die übrige Mannschaft ordnete sich hinter ihnen zum Zug und verließ unter Trommelschlag den Schloßhof.
»Es muß so sein, es muß so sein«, rief Balthasar, um sich selbst und seine beiden Landsleute einigermaßen zu beschwichtigen, namentlich den Joseph, der, vor Entsetzen außer sich, krampfhaft des Gerbers Arm gepackt hatte, »wer wollte sonst das wilde Volk regieren? Denkt darum nicht schlimmer von dem Grafen – der Krieg ist kein Kinderspiel! Wenn tausend Menschenleben auf dem Spiel stehen, muß Zucht und Ordnung gehalten werden. Nicht daß ich dem armen Burschen das Leben nicht gegönnt hätte, aber es heißt eben nicht umsonst: Wer das Schwert nimmt, der soll durch's Schwert umkommen.«
»Großer Gott, wer hätte das gedacht?« sagte Joseph, »eben noch frisch und jung, wie Asahel, Sohn Zeruja's, und jetzt zu Boden geschlagen, ein Kind des Todes!«
»Joseph«, erwiederte der Gerber, »ehe wir noch ein paar Tage älter geworden sind, wird mancher, der jetzt noch frisch einherschreitet, ein Kind des Todes geworden sein. Schau nur die Leute an, wie ihnen das Scherzen vergangen ist. Es ist alles still, wie vor einem Gewitter. Ich bin schon manchmal dabei gewesen, wenn es wider den Türken ging: da ging's laut zu mit Prahlen und Jauchzen, heut aber macht jeder ein Gesicht, als wollte er sagen: Jetzt gilt's! Nun ich denke, wenn sie schon nicht schreien und prahlen, sie werden drum nicht schlechter fechten. Nur Muth gefaßt, Jungen, jeden Augenblick kann's den ersten Tanz geben. Seid ihr nun erst einmal dabei gewesen, das zweitemal geht's schon besser, und einmal muß Alles ein Ende nehmen und dann – dann geht's fort aus diesem Land. Gott weiß es! Konrad, seit ich nicht mehr allein stehe, sondern auch für meiner Schwester Sohn zu sorgen habe, könnt ich mich weit weg wünschen aus diesem Land.«
Er würde seine Betrachtungen noch weiter fortgesetzt haben, aber es wurde laut Befehl gegeben, den Hof zu räumen, damit jeder an seinen Posten gehe. Er brach somit auf, während sein beständiges Kopfschütteln bezeugte, daß die Lage, in welcher er und die seinem Schutz befohlenen Jünglinge sich befanden, ihm noch Manches zu denken gäbe, das er nicht gerade laut wollte werden lassen.