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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Der Brief

»Jetzt will ich euch auch, treugeliebteste Frau Mutter, das merkwürdige Begebniß beschreiben, davon ich oben schon Erwähnung gethan und dabei der wunderbare Gott recht sichtbar seine Hand im Spiele gehabt.

Wir waren bereits fünf Wochen auf dem Marsch, als wir durch eine schöne, fruchtbare Gegend in Türkisch-Bosnien kamen, wo wir viel gutes Ackerland und schöne Wälder sahen. Am Morgen des heiligen Osterfestes, nachdem wir des Festes wegen uns etwas später auf den Weg gemacht, als wir sonst thaten, reite ich mit Herrn Albert von Wyß unserm Gefolge voran, und wir haben unsere Rede von dem und jenem, wie denn Herr Albert ein leutseliger, redsprächiger Mann ist, der viel gesehen und überall Bescheid weiß.

›Das ist ein schönes, fruchtbares Land‹, sagte er, ›und gemahnt mich fast an eure Heimath in Franken.‹

›Ja‹, sage ich, ›da habt ihr wohl Recht, nur daß daheim heute in jedem Dörflein die Glocken läuten, und alles Volk nach dem Gotteshaus zieht und den auferstandenen HErrn preist, während es hier still ist, wie im Grab, und das blinde Volk im Dunkeln sitzt und im Schatten des Todes, denn hier ist das Reich des Lügenpropheten.«

»Ja, Gott erbarme sich«, sagte Herr Albert, »gewiß es ist ein unerforschliches Gericht, daß hier der Leuchter von seiner Stätte gestoßen, und das Licht des Evangeliums wieder ausgelöscht wurde bis auf das letzte Fünklein. Die Kirchen sind zerstört oder Moscheen geworden; so weit ich sehe, ist nirgends ein Kirchthurm und ein Hahn oder Kreuz darauf, sondern überall die Minaret's mit dem Halbmond, und das Volk ist, wie man hört, ganz besonders gut türkisch und des Hasses voll gegen die Christen.«

Indem wir so mit einander reden, siehe! da hören wir Jemand zur Rechten unseres Weges mit einer hellen Stimme singen:

›Christ ist erstanden
Von der Marter alle,
Deß sollen wir alle froh sein,
Christ soll unser Trost sein,
      Kyrieleis!‹

Dachte zuerst, es möchte jemand aus dem Gefolge sein, das war aber noch weit zurück, und die Stimme kam, wie gesagt, von der rechten Seite des Weges her und sang, was mich auch Wunder nahm, das Lied genau nach derselbigen Weise, wie solche auf Befehl meines in Gott ruhenden Herrn Vaters von dem alten Cantor Justus Helfreich gesetzt, und in allen Kirchen der Herrschaft eingeführt worden ist. Ich wollte demnach sehen, wer der Sänger sei, der das Osterlied sänge mitten im Reiche des Lügenpropheten, konnte aber nicht, da zwischen ihm und der Straße sich ein Gebüsch befand. So stieg ich vom Roß und ging durch das Reisig, und alsbald sang wieder dieselbige Stimme:

›Wär' er nicht erstanden,
Die Welt die wär' vergangen.
Seit daß er erstanden ist,
So loben wir den HErrn Jesum Christ,
      Kyrieleis!‹

Als ich mich durch das Gebüsch durchgearbeitet, sehe ich zwei Sclaven, jeden mit einer Kette, die vom Hals bis an den Knöchel reichte. Sie hatten einen Theil des Feldes gepflügt und lagen nun im Schatten eines Eichbaums neben dem Pflug, um auszuruhen, und der, welcher gesungen hatte, ein junger Mann, sagte zu seinem Gesellen, der viel großer und stärker war, aber ganz betrübt und verzagt aussah: ›Gib dich zufrieden, Bruder, und wehre den traurigen Gedanken. Können wir nicht auch noch, wie Petrus, erlöst werden durch einen Engel des HErrn aus unserem Gefängniß und daheim das Fest feiern? Christ ist erstanden! Er lebt, Er lebt, und spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.‹

Solche Rede gefiel mir trefflich wohl, zumal ich auch sah, wie der kleinere ein Stück Linnen von seinem Hemd riß und es seinem Gesellen um den Fuß legte, den die Kette wund gedrückt hatte.

»Du hast Recht«, sagte der andere, »und so lange wir zwei bei einander sind, will ich gern Alles tragen und kann's auch, aber wenn unser Tyrann, wie er droht, dich verkaufen sollte, und ich dich nicht mehr zur Seite hätte, so weiß ich nicht, was aus mir werden wird. Dann wollte ich lieber tausendmal sterben.‹

›Er wird es nicht thun‹, sagte der erste wieder, ›du mußt nur deine Zunge im Zaum halten und nicht gleich auffahren und dräuen, sondern schweigen, wenn er schilt, und gelassen bleiben, auch wenn er noch so wunderlich ist. Wie heißt es hier im Wort des HErrn?‹

Er zog ein Büchlein aus dem Busen und las: › Lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, da er wohl hätte Freude haben mögen, erduldete er das Kreuz und achtete der Schande nicht und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl Gottes. – Verstehst du, wie ich's meine?‹

Der andere nickte, als ob er Beifall gäbe, that aber einen schweren Seufzer und bedeckte das Gesicht mit seinen Händen.

›Wohlan, so sei auch guten Muths‹, sagte der erste, ›und laß dich's nicht grämen, daß wir statt Freude auch Kreuz und Schande haben als elende Sclaven, die man mit Füßen tritt. Leiden wir mit Ihm, so werden wir auch mit Ihm herrschen, so werden wir auch zuletzt mit Ihm überwinden. Er ist nicht todt, sondern lebt und gedenket unser, und wie es uns ergeht, ist Ihm wahrlich nicht verborgen, – ein Wort von Ihm kann Alles ändern.‹

›Gott zum Gruß und den HErrn Christum zum Troste, ihr Beiden‹, sagte Herr Albert von Wyß, der mittlerweile mir nachgegangen und auch hingetreten war. ›Wer seid ihr?‹

Sie erschracken anfänglich, und der eine fuhr schnell mit dem Buche in sein Wamms, als sie aber unsern freundlichen Gruß hörten, faßten sie Muth, und der kleinere sprach: ›Wir sind Christen und wurden in der Festung Sigeth gefangen, und sind seit anderthalb Jahren in harter Sclaverei.‹

›Woher seid ihr gebürtig?‹ fragte ich.

›Dieser mein Geselle ist der Sohn eines Schloßbauern zu Wildenstein in Franken, und ich bin aus dem Dorfe, das dazu gehört. Mein Vater ist ein Jude, ich aber bin ein Christ geworden.‹

›Heißt der Schloßbauer nicht Hollenstein?‹ fragte ich seinen Gesellen.

Hui! herzgeliebte Frau Mutter, da hättet ihr sehen sollen, wie der traurige Bursche lebendig ward. Er sprang im Nu vom Boden auf, daß die Kette klang, und sagte: ›Ja! Ja! kennt ihr meinen Vater? Er heißt Veit Hollenstein, und ich bin sein Sohn Konrad.‹

›Wie bist du denn‹, fragte ich, ›nach Sigeth gekommen? bist du deinem Vater entlaufen?‹

›Ach nein, nein‹, sagte er, ›die Herrschaft und der Amtmann haben ihn so hart gedrückt, daß er auf dem Gut nicht mehr bestehen konnte. Da sollte ich bei meinem Vetter in Siclos Hülfe suchen, und hier mein Geselle ging mit mir, – so sind wir beide in's Unglück gekommen.‹

Ihr könnt euch wohl denken, herzliebste Frau Mutter, wie ich sehr nachdenklich ward, ob wohl dieses Burschen Rede Wahrheit sein könnte.

›Herr‹, sagte ich leise zu dem Herrn Albert, ›da seht ihr, daß ein Graf nicht die Welt auf und ab fahren und derweilen Land und Unterthan versäumen soll. Dieser Bursche ist mein geborner Unterthan, und ich erinnere mich wohl, von seinem Vater gehört zu haben als einem rechtschaffenen Mann.‹

›Das wäre!‹ sagte Herr Albert, ›ei, das ist doch fürwahr ein wunderbarer Handel!‹

›Sehr wunderbar‹, sagte ich, ›aber was ist da wohl zu thun?‹

›Da ist nicht viel zu besinnen‹, sagte Herr Albert, ›und ich seh' es euch an den Augen an, daß ihr es schon selber wißt. Sehet, daß ihr ihn losbekommt. Ich hatte mir so schon vorgenommen, den andern mit mir zu nehmen, als ich ihn so schön seinem Gesellen zusprechen hörte. Machen wir sie alle beide frei. Wahrlich das wäre ein Gottesdienst am heiligen Ostertage, daran Gott selber sein Gefallen hätte.‹

›Das ist ein guter Rath‹, sagte ich, ›wenn wir ihn nur hinausführen können.‹

Wir befahlen also den beiden, uns zu ihrem Herrn zu führen, der, wie sie sagten, auf einem Hofe seitwärts von der Straße ab wohne. Als wir auf die Straße zurückkamen, fanden wir unser Gefolge, das abgestiegen war und unser wartete. Wir waren noch nicht recht herzugekommen, so sprang ein Zigeuner, der seit drei Tagen sich uns angeschlossen hatte, und wegen allerlei Kurzweil, darauf er sich verstand, wohl gelitten war bei den Leuten, mit großem Geschrei uns entgegen, schlug in dem Gras vor Freude einen Purzelbaum über den andern und rief: ›Was? Was? hab' ich euch endlich gefunden? Ich hatte dem Gerber versprochen, nicht mehr heimzukommen, ich brächte denn euch beide oder einen von euch mit nach Hause, und bin das Land auf und abgefahren, ohne eine Spur von euch zu finden. Willkommen! Willkommen! das wird eine Freude sein!‹

Die beiden Sclaven riefen wie aus einem Munde: ›Der Zameth! Es ist wahrhaftig der Zameth! Gott willkommen! Was führt dich dieses Weges?‹

Wir befragten den Zigeuner, was er von den zwei Jünglingen wisse, und erkannten bald, daß sie uns die lautere Wahrheit gesagt hätten. So gingen wir straks zu ihrem Herrn, um wegen ihrer Freilassung mit ihm zu handeln. Er hieß Ibrahim Ben Ali, und als wir unser Anliegen vorgebracht, wußten wir nicht, worüber wir uns mehr verwundern sollten: über seinen Geiz oder seine Hoffart. Er verlangte eine unerschwingliche Summe und wollte sich weder durch meine noch Herrn Albert's Vorstellungen davon abbringen lassen. Da besprach sich der Zigeuner mit uns leise, daß wir solchen Handel ihm überlassen sollten, und sagte dann zu dem Türken, ihm eine Schnippe schlagend: ›Meister Ibrahim, ihr habt jetzt die Wahl! Wollt ihr hundert Goldgulden für jeden nehmen, oder wollt ihr warten, bis ich nächsten Herbst mit den Grenzern komme bei Nacht und Nebel, und statt Geld euch zu geben, den rothen Hahn euch aufs Dach stecke? besinnt euch wohl, was ihr wählen werdet, denn ihr habt Zeit dazu, und wißt wohl, was die Grenzer für Leute sind. – Kennt ihr die Seressaner?‹

Solche Rede des Zigeuners wirkte mehr, denn unsere Vorstellungen. Der Türke machte im Augenblick den Handel richtig, empfing das Geld und ließ uns die Sclaven. Wir nahmen ihnen die Ketten ab, gaben jedem ein Pferd und hießen sie mit unserm Gefolg reiten.

Was diese beide für eine unmäßige Freude gehabt, läßt mit Worten sich nicht beschreiben. Sie erzählten, in welch' harter Dienstbarkeit sie bei dem grausamen Türken gestanden, und wie sie alle Marter hätten leiden müssen, weil sie ihren christlichen Glauben nicht abschwören wollten; sie hätten aber heimlich ein Testament bei sich gehabt und daraus sich getröstet, und wußte der Konrad nicht genug zu rühmen, wie schön ihn der andere, mit Namen Joseph, welcher vormals ein Jude gewesen, nun aber ein trefflicher Christ geworden, gestärkt und aufgerichtet, also daß er ohne diesen Gesellen in seinem Elend hätte vergehen müssen. Der Jude habe erst ein weniges von ihm gelernt, dann aber habe er täglich von ihm lernen müssen. Hierauf fragten sie den Zigeuner des Weiteren nach dem Gerber Balthasar Habermann, der des Schloßbauern Schwager und der Sohn des alten Jörg ist, den ihr wohl kennt. Derselbe erzählte ihnen, wie er mit dem Gerber und noch einem Landsknecht, nachdem sie drei Tage sich in dem von den Türken eroberten Schloß verborgen gehalten, wunderbar entronnen sei, und wie der Gerber seitdem allenthalben nach ihnen geforscht, aber ohne Kunde geblieben, was aus ihnen geworden sei. Er habe schon alle Anstalt getroffen und stehe wie auf dem Sprung, wenn er sie gefunden, alsbald mit ihnen in die Heimath zu ziehen.

Nur eine schlimme Neuigkeit hatte der Zigeuner, nämlich für den Joseph. Dessen Vater Isaak habe sich aufgemacht, um seinen Sohn zu suchen und sei nach Siclos zu dem Gerber gekommen, bereits krank und schwach. Dieser habe darum es ihm verschwiegen, daß sein Sohn ein Christ geworden und ihn überreden wollen, die Reise aufzugeben. Der Alte habe aber weder durch seine Krankheit, noch durch des Gerbers Zureden sich abhalten lassen, mit ihm, dem Zigeuner, sich auf den Weg zu machen, sei aber nicht weit gekommen. Eines Morgens nämlich, nachdem er in der Nacht sehr elend gewesen, habe er auf dem Weg zu schwanken und zu taumeln angefangen und irre zu reden, sei endlich umgefallen und mit den Worten, ›Fort, fort, immer fort, ich muß zu meinem Sohn, zu meinem Joseph!‹ gestorben. In der Nähe hätten viele Juden in einem Dorf gewohnt, die hätten ihn geholt und ehrlich begraben.

Sein Sohn vergoß viele bittere Thränen bei dieser Kunde, also daß uns seiner jammerte, doch sagte er auch, was Gott thue, sei Alles wohlgethan. Solches sehe er auch in seinem größten Schmerz; denn wenn sein Vater Isaak von seiner, des Sohns, Bekehrung noch bei Leibesleben gehört hätte, würde er das als ein großes Unglück und ganz anders aufgenommen haben, als jetzt, wo er in Abraham's Schooß sei und gewiß sich freuen würde, daß sein Sohn den rechten Messias gefunden.

Endlich kamen wir nach Siclos. Der Zigeuner war auf seinem kleinen Klepper vorausgeritten und hatte schon drei Tage zuvor dem Gerber die fröhliche Nachricht gebracht. Der kam uns entgegen, und nun hättet ihr abermal sehen sollen, welche Freude die Drei hatten, als sie sich wiedersahen. Bald lobten sie Gott, bald küßten sie mir und Herrn Albert die Hände, bald lachten und bald weinten sie und erzählten sich immer wieder aufs Neue, wie wunderbar Gott ihnen durch alles Elend und alle Gefahr hindurchgeholfen habe. Wir mußten mit dem ganzen Gefolg drei Tage bei dem Gerber zu Gaste liegen, der ein kluger und frommer Mann ist, einen großen Reichthum hat und dabei ein fröhliches Gemüth. Er wollte mir die hundert Goldgulden, die ich an den Türken bezahlt hatte, wieder erstatten, da ich es aber anzunehmen mich weigerte, verehrte er mir ein stattliches Roß, einen windschnellen Renner.

Er hatte bei unsrer Ankunft alles schon zur Abreise gerüstet und nachdem er alle Armen in Siclos gespeist und dem Zigeuner sein Haus erb- und eigenthümlich übergeben mit dem Bedingniß, daß dieser das Herumstreunen lasse und mit Weib und Kind als ein ehrlicher Christenmensch sich halte, machte er sich mit uns auf den Weg. Hier in Wien hat er sich nicht aufhalten lassen, obwohl ich es sehr gerne gesehen, sondern ist sogleich aufgebrochen und wird bald in seiner Heimath ankommen.

Herzliebste Frau Mutter! ich habe euch dies Alles so des Weiteren beschrieben, weil ich weiß, daß euer christliebendes Herz darüber eine Freude haben werde, – denn ihr habt euch allezeit gefreut mit den Fröhlichen! – dann aber auch, damit dem Schloßbauern Veit Hollenstein, über den ich durch besagten Gerber, seinen Schwager, wohl unterrichtet bin, Mittheilung gemacht und alles sein Recht zu Theil werde. Es ist deßwegen mein ernstlicher Wille und Befehl, daß sogleich eine Untersuchung vorgenommen werde, was der Mann für Beschwerde habe, und daß er für alle erlittene Unbill entschädigt werde, ehe noch sein Schwager und sein Sohn nach Hause kommen. Es liegt darum der Befehl bei an den Amtmann Pankratius Zwiesel.«

»Jetzt«, sagte der Amtmann, »wäre ich fertig. Bin ich dem Befehl gehorsam gewesen?«

Es ist schwer einen großen Schmerz, es ist noch schwerer, eine große Freude zu beschreiben. Thränen waren aus aller Anwesenden Augen geflossen. Selbst Abraham Weißkopf, so lederfahl und abgestorben sein Gesicht sich ansah, hatte mehrmals das Sacktuch hervorgezogen, und der Amtmann, als er bei einigen Stellen des Briefs das Schluchzen hörte, hatte seiner Rührung auch freien Lauf gelassen, doch zeigte jeder seine Freude in eigenthümlicher Weise. Adam, der Knecht, sprang bei den Stellen, die ihn besonders überraschten, vom Stuhle auf und dem Fenster zu, als wollte er trotz seiner Thränen ein Juchhe in die Welt hinausschreien, während der behaglich vor sich hinlächelnde Schäfer ihn mit so wenig Geräusch als möglich immer wieder niederdrückte, um nur ja kein Wort des Briefs zu überhören. Die Mutter hob bei jeder Nachricht, welche ihr Herz besonders traf, die gefalteten Hände zum Himmel, der Schloßbauer wechselte beständig die Farbe und schien mit dem Athemholen nicht zurecht zu kommen.

Endlich, als der Amtmann fertig war und eine Antwort erwartete, erhob sich Letzterer, seiner inneren Bewegung in einem Strome von Thränen Luft machend, und sagte: »Nun Gott sei gelobt, und mein gnädiger Graf von Ihm gesegnet.«

»Es ist noch Jemand da«, sagte der Amtmann, ihm die Hand entgegenstreckend, »der ein freundliches Wort von euch haben möchte, obwohl er's nicht verdient. Habt ihr nicht Eines auch für mich? Mag's hören, wer will, ich will es frei und ehrlich aussprechen, ich habe nicht schön an euch gehandelt.«

Der Amtmann meinte es wirklich aufrichtig. Die Furcht vor den Drohungen des Grafen hatte ihn zuerst bewogen, seine Handlungsweise zu prüfen. Dann aber hatte die handgreifliche Erfahrung, daß Gott gutgemacht habe, was er böse machen wollte, und der Blick, den er jetzt in das Herz der beiden Gatten geworfen hatte, in das Leid, das sie durchgemacht und in die Freude, die sie nun empfanden, ihn so erschüttert, daß sein Verfahren gegen die Schloßleute ihm unverantwortlich vorkam. Der Gedanke an sein begangenes Unrecht war gestern und heute mit jeder Stunde ihm peinlicher geworden.

Hollenstein ging auf ihn zu und sagte: »Hier meine Hand, Herr Amtmann, nachdem ihr diese Botschaft mir gebracht, könnt' ich für euch in's Feuer gehen.«

»Vergebt mir nur«, versetzte dieser, »daran hab' ich genug. Wollt ihr wirklich vergeben und vergessen?«

»Tausendmal, tausendmal«, sagte die Bäuerin, ebenfalls seine Hand ergreifend, »wo einem der HErr so das Herz mit Freude heimsucht, da ist für Haß und Groll kein Winkel mehr zu finden. Wie könnte aus einem Munde Loben und Fluchen gehen? Nein, wahrlich, es soll nicht also sein.«

»Amen, Amen!« sagte der Amtmann. »So will ich nun guten Muths mich auf den Heimweg machen und nur wünschen, daß ihr bald mich zu etwas braucht. Vielleicht wird der Konrad«, fuhr er fort, auf die Bäuerin blickend, »sich bald nach einem rechtschaffenen Weib umsehen, und für das junge Paar wird dann nicht recht mehr Platz sein in dem alten Schloß. Thut mir's nur zu wissen! So ein kleiner Nebenbau wird sich auch noch anbringen lassen.«

»Ach, ihr meint's recht gut, Herr Amtmann«, sagte Konrad's Mutter. »Für jetzt ist davon keine Rede, aber wenn's der liebe Gott so fügen wollte, würde ich mich eures Anerbietens schon erinnern.«

»Bringt mir die Frau nicht auf unnütze Gedanken«, sagte der Schloßbauer, indem nach langer Zeit der erste Anflug von Laune auf seinem grämlichen Gesicht sich zeigte, »in solchen Dingen verstehen die Weiber keinen Spaß, sondern wollen gleich Ernst machen. Geh' lieber, Frau, und bring' etwas zu essen und zu trinken, so gut wir's haben; es ist Mittag geworden, und der Herr Amtmann soll keinesfalls den Rückweg nüchtern antreten.«

Dieser nahm die Einladung an, und Abraham Weißkopf, so wie Adam und der Schäfer hatten die Ehre, bei dem einfachen, aber reichlichen Mahle seine Tischgenossen zu sein und ließen sich ein Paar Flaschen Wein, die aus der Satteltasche des Amtmanns hervorgeholt wurden, weidlich schmecken. Erst am Nachmittag trennte man sich. Der Amtmann ritt in's Dorf zurück, und bald hatte auch der Schäfer und der Knecht eine Veranlassung gefunden, die ihnen einen Gang eben dahin unumgänglich nothwendig machte.

»Ich bin am liebsten allein«, sagte der Schäfer, als sie das Schloß im Rücken hatten, »aber wenn man so etwas erlebt hat, wie wir am heutigen Tag, da muß man unter die Leute und muß erzählen. Der Mensch ist einmal nicht anders – so steht's schon in der Schrift: Weß das Herz voll ist, deß gehet der Mund über.«

»Just so ist mir's auch«, sagte Adam, seine Schritte beschleunigend, »ich gehe sonst das ganze Jahr in kein Wirthshaus, denn die Bauern sehen einen Knecht doch nur über die Achsel an, heut aber wend' ich einen Schoppen auf. Es läßt mir keine Ruhe – ich muß sehen, wie sie die Ohren spitzen werden über die Nachricht, daß der Schloßbauer wieder zu Kräften kommt – und, Schäfer, was die Judenschaft für Augen machen wird, wenn sie hört, daß der Joseph sich hat taufen lassen. So etwas ist noch nicht erhört worden, seit das Dorf steht.«

»Gewiß nicht!« sagte der Schäfer, »ich aber habe mir's gleich gedacht, als die Beiden sich auf die Reise machten, daß sie in dem Ungarnland merkwürdige Dinge erleben würden.«

»Ja, ihr seid ein gescheiter Mann, ihr habt es oft gesagt! – Habt ihr denn auch Alles richtig gemerkt?«

»Da sei ohne Sorgen! ich weiß des Grafen Brief auswendig, so gut, als wenn ich ihn selber geschrieben hätte, und wenn ich erst die Auslegung noch dazu mache, so hab' ich drei Stunden daran zu erzählen.«

»Wenn sie euch etwas nicht glauben wollen«, sagte der Knecht, um Angesichts der Wichtigkeit, die ihnen der heutige Abend zu geben versprach, nicht ganz leer auszugehen, »nicht wahr, dann thut ihr mir den Gefallen und beruft euch auf mich? Ich werde dann sagen: Ich war selber dabei, als der Amtmann den Brief vorlas, und ich hab' Alles mit meinen eigenen Ohren gehört von Anfang bis zum Ende!«

»Versteht sich«, sagte der Schäfer, »ich erzähle, und du mußt's bezeugen.«

Nachdem zu beiderseitiger Zufriedenheit diese Verabredung getroffen worden war, betraten sie das Wirthshaus, welches sich bald mit neugierigen Gästen anfüllte.


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