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»So ist's also gewiß, Oheim, daß wir morgen den Ausfall machen und dem sichern Tod entgegen gehn«, fragte Konrad am Abend des siebenten Septembers, »wie ich die Landsknechte habe munkeln hören?«
Der Gerber war eben mit ihm und Joseph in die kleine Dachkammer getreten, welche sie gemeinsam bewohnten, und hatte seufzend in einen großen Lehnstuhl sich geworfen, den die Jünglinge zu seiner Bequemlichkeit ihm geschafft hatten. »Ich hab's vom Grafen selber gehört«, sagte dieser. »Morgen schlagen wir uns durch ein Heer von 160000 Mann, oder wir wechseln das Quartier, das heißt«, setzte er leise hinzu, »wir vertauschen die Festung Sigeth mit dem himmlischen Jerusalem.«
»Glaubt ihr denn an's Durchschlagen, Oheim? Vielleicht wär' es so unmöglich nicht. Des Gesindels ist zwar eine große Zahl, dafür sind aber unserer lauter kriegsgeübte Leute.«
»Armer Junge!« seufzte der Gerber, »du bist nicht aus der Art geschlagen, wenn du meinst, es könne ein Mann dreihundert Feinde auf sich nehmen.«
»Oder«, fuhr Konrad eifrig fort, »warum überhaupt das Schloß aufgeben? Jeden Tag können die kaiserlichen Fahnen von Raab heranrücken, dann wollen wir einen Ausfall machen, und der Türkenpöbel wird, wie Spreu, auseinander stieben.«
»Geht nicht«, sagte der Gerber, »an der Festung ist nichts mehr zu halten. Die Mauern sind eingestürzt, die Bollwerke zerschossen, und nur fünfhundert Mann der Unsern sind noch übrig. Wenn die Türken wollen, so haben sie bis zum Abend uns alle einzeln erschossen, wie man Vögel vom Dach schießt, ohne daß sie nur einen Sturm zu wagen brauchen. Seit zwei Tagen haben wir kaum mehr etwas gegessen, und, was das Schlimmste ist, das Feuer kann jeden Augenblick den Pulverthurm erreichen. Zu löschen ist's nicht mehr, wie ich mich selbst überzeugt habe, der Graf aber hat Briefe bekommen, daß von dem Kaiser keine Hülfe zu erwarten sei.«
»Aber könnte der Graf nicht die Festung übergeben«, sagte Joseph, der mit großer Spannung dem Gespräch gefolgt war, »wenn sie doch nicht mehr zu halten ist? Der Solyman ist klug genug, wenn er nur die Festung hat, die Besatzung ziehen zu lassen. Weiß er es doch, daß der Zriny und seine fünfhundert Mann ihr Leben theuer genug verkaufen werden.«
»Das verstehst du nicht, Joseph«, sagte der Gerber. »Einmal hält der Türke keine Kapitulation – er hat fünfundzwanzigtausend Mann vor der Festung verloren und wird keinen der Unsern entrinnen lassen, wenn er's auch tausendmal versprochen hätte. Sodann hat der Graf geschworen, sich nicht zu ergeben, und, das glaub' gewiß! er wird seinen Schwur nicht brechen.«
»Demnach bliebe uns also nichts übrig, als der Tod?«
»Gott ist mein Zeuge«, sagte der Gerber, »ich weiß es nicht anders. Frag jeden Mann im Schloß, die Ungarn oder die Kroaten, den Lindenhardt oder den Schimmelmann, den Schreiber oder den Koch, kein Mensch weiß es anders. Was die Leute heute so still machte, als die Hauptleute im Schloß noch einmal die Verlesung vornahmen, das war nicht Hoffnung und nicht Furcht, das war die Gewißheit: Jetzt geht's zum Tod! Es ist nichts Geringes, seine fünf Sinne noch zu besitzen und seine gesunden Glieder noch zu spüren und dabei eine solche Gewißheit vor Augen zu haben.«
»Es ist mir wahrlich nicht um mich«, sagte Konrad, dem Gerber die Hand über den Tisch hinüber reichend, »aber um euch, Oheim, und meine Eltern. Ist denn wirklich gar kein Rath mehr zu finden?«
»Darüber wollt' ich just mit euch reden«, sagte sein Oheim sich räuspernd, »es gibt noch einen Ausweg, wenn ihr den Vorschlag des Zameth annehmen wollt. Thut ihr's, so sollt ihr, wie ich hoffe, in ein paar Tagen in Sicherheit sein.«
»Wie?« sagte Konrad neugierig, »was wäre das für ein Vorschlag?«
»Der Zameth«, erwiederte der Gerber, »ist ein Landstreicher, der's mit dem Mein und Dein nicht genau nimmt – denn er hat keine Religion – sonst ist er aber kein übler Bursche. Ich kenne ihn seit vielen Jahren: er ist dankbar, wenn man ihm etwas Gutes gethan hat, und ich habe ihm manchmal aus der Noth geholfen. Da kam er vorhin zu mir und sagte, er habe schon gleich von Anfang an diesen Ausgang vorhergesehen und auf seine Sicherheit gedacht, weil er Weib und Kind habe. Er habe sich einen Schlupfwinkel im Schloß hergerichtet, den kein Türke finden und auch das Feuer nicht erreichen könne, und habe ihn mit Lebensmitteln auf drei Tage versehen. Es sei Raum genug darin für vier bis fünf Mann, und er wolle heut Nacht mich und euch mit hineinbringen, da wollten wir ruhig abwarten, bis die Türken, wenn sie die Festung genommen, wieder abziehen würden und dann das Weite suchen. Er ist ein schlauer Kamerad, mit allen Wassern gewaschen, und ich glaube kaum, daß er mehr verspricht, als er halten kann.«
»Und ihr habt den Vorschlag angenommen?« fragten Konrad und Joseph wie aus Einem Munde.
»Ja, Kinder, für euch«, sagte der Gerber zögernd. »Ich sagte ihm, ich wollte euch den Vorschlag mittheilen, und ihr würdet jedenfalls Gebrauch davon machen.«
»Und ihr?« fragte Konrad, »was hättet denn ihr im Sinne zu thun?«'
»Ich? Je nun ich bin ein alter Mann, was liegt an mir? Auf mich wartet kein Vater und keine Mutter mehr, und ich habe nichts zu verlieren, als mein bischen Leben. Denkt euch nur selbst, was würde der Graf, und was würden die Ungarn sagen, wenn sich der Schwabe bei Nacht und Nebel davon gemacht hätte. – Kurz und gut, ich muß sehen, was es mit dem Grafen für ein Ende nimmt. Ich bin sein Unterhan, und ein Eid ist ein Eid.«
»Ein Eid ist ein Eid, und mir, Oheim, muthet ihr zu, daß ich eidbrüchig und fahnenflüchtig werden soll. Wie meint ihr das?«
»Ich meine so, Junge«, sagte der Gerber, »du bist, so zu sagen, nicht des Grafen Unterthan. Nichts, als mein Unverstand hat dich hierher gebracht an diesen unseligen Ort, wo du nichts zu suchen hattest. Wer hat mir ein Recht gegeben, meiner Schwester Sohn in einen Handel zu verwickeln, der ihn nichts, gar nichts angeht? Der Graf wird dich des Eids entbinden, ich weiß, daß er mir die Liebe thun wird, wenn ich ihn darum bitte.«
»Und das sagt ihr im Ernst?« rief Konrad heftig. »Oheim, Oheim, da kennt ihr den Sohn eurer Schwester schlecht! Ich habe zu meiner Fahne geschworen, und während meine Kameraden ihr zum Tod folgen, soll ich, wie ein Spitzbube, davonlaufen und dann, wenn ich heimkomme, meinem Vater erzählen, während meine Kameraden Mann für Mann ihren Schwur lösten mit ihrem Blut, habe sein Sohn mit einem ehrlosen Zigeuner irgendwo in einem Loch gesessen, um seine Haut in Sicherheit zu bringen? Nein, so will ich meine Heimath nicht wieder sehen. Ich würde jede Nacht von meinen erschlagenen Kameraden träumen, und ihr Blut schreien hören wider den meineidigen Verräther mit den Worten des Heilands: Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren! Nein, nein, lieber ehrlich gestorben, als schändlich geflohen! Hand auf's Herz, Oheim, schämt ihr euch nicht, mir so etwas zuzumuthen?«
»Ach, lieber Junge, lieber Junge«, rief der Gerber verlegen, indem zugleich Thränen des Schmerzes und Thränen der Freude ihm über das Angesicht liefen, »ich dachte nicht, daß du meinen wohlgemeinten Vorschlag so aufnehmen würdest! Gewiß, ich wollte dir nichts Schlechtes zumuthen, sondern nur die einzige Last mir vom Herzen schaffen, die mir den Tod schwer machen wird; aber ich sehe, ich muß sie behalten. Ich dachte, das Sterben in deinen Jahren sei schwer, schwerer als in den meinen, und so hat Fleisch und Blut mich vielleicht zu einem Versucher gemacht, aber du hast Recht, der Heiland spricht: Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren. Und so wollen wir denn, wenn es nicht anders sein kann, Gottes Willen über uns ergehen lassen.«
»Aber«, fuhr er fort, »daß wir über uns selbst nicht den Joseph vergessen! Joseph, du hast zu keiner Fahne geschworen und bist kein Christ! warum du hier sterben solltest, dafür wüßt' ich eigentlich nicht den geringsten Grund, du nimmst den Vorschlag des Zigeuners an und rettest dich.«
»Freilich, Joseph«, sagte Konrad, »und wenn du heimkommst, sagst du meinem Vater, ich hätte ihm keine Schande gemacht, und meiner Mutter, ich wäre gestorben wie ein Christ – merk' dir's, Joseph, du brauchst kein Wort sonst weiter zu sagen, meine Mutter versteht dich schon und weiß, wie sie dran ist. – Redet mit dem Zameth, Oheim, und sagt ihm, daß er sich des Joseph's annimmt, als wenn er sein Bruder wäre.«
»Ich gehe nicht«, sagte Joseph.
»Du gehst nicht? Warum willst du dich abschlachten lassen ohne Zweck und Nutzen?«
»Abschlachten – das ist das rechte Wort für den Juden«, sagte Joseph nicht ohne einige Bitterkeit, doch nahm er sogleich wieder seinen gewöhnlichen Ton an, und wiederholte: »Ich geh' nicht.«
»Ja, warum denn nicht, Joseph?« sagte Konrad. »Hier wird dich kein Mensch vermissen, und was wäre es mir für ein Trost, wenn daheim meine Eltern von dir meinen letzten Gruß erhielten!«
»Ich weiß es, ich weiß es wohl, daß mich Niemand vermissen wird, aber es ist eine Stimme in mir, die spricht: Du sollst nicht gehen. Des Menschen Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Ich fürchte den Tod und bin doch des Lebens satt. Ich bleibe und theile euer Schicksal, – o wenn ihr wüßtet, wie mir zu Muth ist!«
»Du bist eben traurig, wie wir alle«, sagte der Gerber.
»Nicht doch, ihr wißt nicht, was Traurigkeit ist. Ich habe, seit wir an diesem Ort sind, keine frohe Stunde gehabt. Manchmal schien es mir, als ob endlich ein Licht mir aufgehen wollte in meinem Herzen, aber dann kam immer wieder eine Wolke der Verfinsterung um die andere. Mir geht es, wie den Leuten von Seïr bei dem Propheten, ich frage: ›Hüter, ist die Nacht schier hin?‹ und frage wiederum: ›Hüter, ist die Nacht schier hin?‹ Aber der Hüter spricht: ›Wenn der Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht sein, wenn ihr schon fraget, so werdet ihr doch wieder kommen und wieder fragen.‹ Ich bin der Nacht und des Wartens und Fragens satt, und wenn keine bessere Antwort kommt, will ich lieber nicht mehr länger leben, sondern auf einmal meiner Angst ledig werden.«
»Was hab' ich dir gesagt, Joseph?« erwiederte der Gerber; »nur immer den Kopf oben gehalten und Gott gebeten um ein gelassenes Herz, das hilft einem immer wieder auf die Beine!«
»Ich habe Gott täglich darum gebeten, aber er hat mein Gebet nicht gehört und hört's nicht, er kann auch nicht; denn Moses, sein Knecht, hat gesagt zu dem Volk, dem ich angehöre: ›Der HErr wird dir in der Fremde ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und verdorrete Seelen. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß ich den Abend erleben möchte! des Abends wirst du sagen: Ach, daß ich den Morgen erleben möchte, vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst!‹ Wir haben gesündigt und müssen des Herrn Zorn tragen, alle wie einer und einer wie alle.«
»Er wird nicht immer hadern noch ewiglich Zorn halten. Er gebietet ja auch: Tröstet, tröstet mein Volk, redet mit Jerusalem freundlich, prediget ihr, daß ihre Ritterschaft ein Ende hat.«
»Ihr meint es wohl«, sagte Joseph, traurig lächelnd, »das sind eben solche Worte, an denen mir manchmal der Lichtschein aufgehen wollte, aber es ist immer wieder die Verfinsterung gekommen. Mein Volk ist, wie es war, und war, wie es ist. Ich sehe wohl die Sünde, womit es seine Strafe verdient, wie aber soll es mit einem Mal so gerecht werden und so Gott gefällig, daß er sein Gericht wendet und mit seiner Gnade es heimsucht, daß er den grausamen Pfeil, mit dem er nach ihm zielt, vom Bogen nehmen und die Hand der Barmherzigkeit ihm darreichen sollte?«
»Ich könnte dir die Antwort darauf geben«, sagte der Gerber, »nach meinem einfältigen christlichen Verstand; aber du bist ein Jude und würdest« –
»Gebt mir sie, gebt mir sie!« rief Joseph; »ich begreife Alles, was ein Mensch begreifen kann; gebt mir sie, und ich will Alles thun, ich will dem Zameth folgen, ich will den Tod vermeiden, wenn's möglich ist, und will, euch segnend, zurückkehren in unsere Heimath.«
Ein dumpfer, dreimal sich wiederholender Trommelwirbel hallte vom Hof herauf – »der Feind, der Feind!« schrie Konrad aufspringend.
»Nein, nein!« rief der Gerber, »das bedeutet: Zur Kirche! Der Graf hat Befehl gegeben, daß alle, Evangelische und Katholische, in ihrer Kirche sich versammeln, um auf den morgenden Tag sich vorzubereiten. – Konrad, wir müssen gehen, gehab dich wohl, Joseph, wenn die Kirche aus ist, sehen wir uns wieder.«