Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Der Abschied

Isaak hatte, wie er gesagt, die Nacht theils mit Lesen, theils mit Beten zugebracht. Er war gerade unter großer Rührung mit der Geschichte Tobiä zu Ende gekommen, als es vom Thurme vier Uhr schlug. Er weckte den Ruben, dann trat er leise an das Bett seines Sohnes. Diesen hatten theils die am Abend geführten Gespräche, theils die Gedanken an die bevorstehende Reise auch nicht schlafen lassen; doch schloß er schnell die Augen und stellte sich schlafend, als er seinen Vater heranschleichen hörte, um ihn zu wecken.

Kaum hatten sie das Morgengebet gesprochen, und die warme Suppe gegessen, welche Ruben bereitet hatte, als von der Gasse her Schritte nahten, und an den Laden geklopft wurde.

»Es ist der Schloßbauer«, sagte Joseph, als er seinen Vater zusammenfahren sah, »ich will gehen, um ihm aufzumachen.«

Bald traten denn auch wirklich der Schloßbauer, sein Weib und sein Sohn, sowie Adam und der Schäfer herein.

»Fertig, Joseph?« sagte dieser, »da sind wir auf die Minute, denn ich liebe es pünktlich zu sein.«

»Mein Sohn ist fertig«, erwiederte Isaak, »hier hast du deinen Stab, und du, Ruben, geh' und hol' ihm das Bündel, das ich ihm geschnürt habe. Ach! es ist wenig darin, er ist ein armer Junge, aber ich habe heute Nacht das Buch Tobiä gelesen, und ich sage, wie Tobias zu seinem Sohne, da er gen Meden zog:

»Sorge nur nichts, mein Sohn, wir sind wohl arm, aber wir werden viel Gutes haben, so wir Gott werden fürchten, und die Sünde meiden und Gutes thun.«

»Das ist wohl gesprochen«, sagte Konrad's Mutter, Katharina, mit Rührung ihren Sohn anblickend, »und ein Wort für unseren Konrad ebenso, wie für euren Joseph.«

Joseph hatte unterdessen seinen Stab und seinen Bündel genommen, und war neben den Sohn des Schloßbauern getreten, der bei seiner hohen, kräftigen Gestalt in der niedrigen Stube des Juden kaum aufrecht stehen konnte.

Der Schloßbauer musterte mit einem prüfenden Blick die beiden, und sagte dann mit gutmüthigem Lächeln:

»Es ist ein schönes Paar, Isaak, und wenn euer Joseph sich noch ein wenig streckt, so kann er nahebei so groß werden, wie der Konrad. Doch wollt ich, Isaak, Ihr hättet dem Joseph außer seinem Stab und seinem Bündel noch etwas gegeben, denn man weiß nicht, wie man's brauchen kann.«

»Nun was denn?« fragte Isaak.

»Ich meine eine richtige Klinge an die linke Seite, so wie diese da, die mein Sohn hat«, sagte der Schloßbauer, indem er mit dem Fuß an den langen, zweihändigen Degen stieß, den sein Sohn trug. »Wer heutzutage auf die Reise geht, der muß sich vorsehen. Ein Mann ohne Schwert ist keines Hellers werth! sag' ich.«

»Habt Ihr's vergessen, Schloßbauer, warum ich den Joseph euerem Sohne mitgebe auf die Reise? Er hat ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge und einen feinen Kopf, das ist besser, denn ein langer Degen. Wie sagt Salomo? Weisheit ist besser, denn ein Harnisch, und die Lehre des Weisen ist eine lebendige Quelle, zu meiden die Stricke des Todes, und wer klug ist, der liebet sein Leben.«

»Er spricht mir wahrhaftig ganz aus der Seele«, sagte Konrad's Mutter, »merke dir das, mein Sohn, und auch, daß Salomo spricht: Ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker, und der seines Muthes Herr ist, besser denn der Städte gewinnt.«

»Gerade so mein' ich's auch«, sagte Adam, der Knecht, »und hab's auch immer so gehalten, aber nur alles mit Maaß und alles zu seiner Zeit. Wie ich auf der Reise nach Frankfurt war und durch das Stockstädter Wäldchen fuhr, springen im Umsehen drei Kerls auf mich los. Einer hält die Pferde, die zwei andern fahren auf mich zu, reißen mich vom Wagen, und schreien: »Den Beutel her, oder wir schlagen dich mausetodt!« und damit fingen sie schon an, mich weidlich durchzubläuen. Da dacht ich auch: »ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker« und ließ mir alles gefallen. Was wollt ich auch machen? sie waren mir zu stark, und meinen Raufdegen hatte ich unter die Säcke geschoben, weil ich mir nichts Böses vermuthet hatte. Wartet nur, sagte ich, laßt mich nur meine Säcke aufheben, da liegt mein Geld. Den Sack aufheben, und den Raufdegen herausreißen – das war Ein Ding! Den ließ ich ihnen nun über den Köpfen sausen – weißt du, Konrad, ich hab' dich erst vor acht Tagen den Handgriff gelehrt? – Dann gieng's rechts, links, links, rechts ihnen um die Ohren. Ich meine, sie haben Beine bekommen, und haben mir mein Geld gelassen.«

Isaak lief in der Stube auf und ab, als wenn er auch einer der Schnapphähne wäre, die von dem tapferen Adam bearbeitet wurden, dann rief er, mit verzweifelten Blicken bald den Schloßbauer, bald den Adam ansehend: »Schweigt mir von Schwertern, und schweigt mir von Spitzbuben und von Raufdegen und Todtschlagen. Das paßt alles für euch, nicht für unser einen. Ihr seid ein Burgmann des Grafen, Schloßbauer, und du auch Adam. Ich habe euch gesehen, Hollenstein, wie ihr mit Helm und Harnisch und mit Spieß und Schwert den Mainzischen Reitern nachjagtet, als sie euch die Kühe und mir den Gaul von der Weide getrieben, und hab' euch fechten sehen, zwölf Mann gegen zwanzig Mann, draußen am Thor, und schlagen und niederwerfen, und den Raub abjagen, aber hast du mich schon einmal fechten sehen, Adam? Schloßbauer, habt ihr mich schon einmal fechten sehen?«

»Wahrlich nicht, ich müßt's lügen«, sagte der Schloßbauer lächelnd, »dafür hab' ich aber auch damals meine Kühe wieder bekommen, während euer Bräunchen heute noch von dem Schloßvogt in Seligenstadt geritten wird.«

»Er soll ihn reiten bis er das Genick darauf bricht«, sagte der sanftmüthige Isaak, »ich bin und bleibe ein Mann des Friedens und mein Sohn auch. Hab' ich Recht, Schäfer, oder habe ich nicht Recht?«

»Da kann ich dem Isaak nicht Unrecht geben«, sagte der weise Schäfer versöhnend, »jeder Mensch hat seine Art. Die Maus bringt keinen Löwen zur Welt, sondern nur ein Mäuslein, aber«, setzte er hinzu, um seinen gerade nicht schmeichelhaften Vergleich einigermaßen wieder gut zu machen, »ich sage, ein Mäuslein kann manchmal einem Löwen aus der Noth helfen.«

»Gut gesprochen, Schäfer«, sagte Isaak kopfnickend, »das heißt gesprochen, wie ein kluger Mann. Laß nur meinen Joseph die Maus sein, du aber, Konrad, sei du der Löwe, sei du meinem Sohne, was der Engel Raphael gewesen ist dem Sohne Tobiä, als er zog gen Rages in Meden. ›Ein Freund liebet alle Zeit, und ein Bruder wird in der Noth erfunden!‹ – Laß seine Seele etwas gelten in deinen Augen, dann will ich auch getrost sein, und denken, wie der alte Tobias: ›Meinem Sohn geht es, ob Gott will, wohl, denn er hat einen getreuen Gesellen mit sich‹, und Gott soll dich segnen und mehren, und dich machen zu einem reichen Mann bei dem Vetter, wie den Jakob, als er diente bei Laban in Haran. Willst du dem Knaben gut sein, willst du ihn schützen, wie deinen Augapfel, versprichst du mir das, Konrad?«

Der handfeste Bauernsohn, den Isaak's überschwengliche Rede verlegen und verdutzt gemacht hatte, ermannte sich endlich, und sagte, mit ehrlichem Auge aufblickend: »Schon gut! man braucht kein Löwe und kein Engel Raphael zu sein, und wird doch keinen Kameraden im Stiche lassen. Niemand soll sagen, daß ich das jemals gethan hätte.«

»Gut, gut! mein Sohn«, sagte die Bäuerin, »sei ihm ein treuer Freund, aber halte nicht Fleisch für deinen Arm, und wenn die Noth an den Mann geht, so denke wie ein Christ, und glaube und bete. Versprich mir das«, fuhr sie fort, und ergriff seine Hand, – »und nun, da es so sein muß, so mache dir nicht lange das Herz schwer, sondern zieh' in Frieden, und nimm das Wort mit, womit ich mich selber tröste, nimm es mit als eine Erinnerung an deine betrübte Mutter: ›Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder Schwert? – In dem allen überwinden wir weit, um deswillen, der uns geliebet hat.‹ Zieh' in Frieden.«

»Zieh' in Frieden«, sagte der Schloßbauer, ihm gleichfalls die Hand reichend, »und Gott gebe, daß es dir einmal besser gehe, als deinem Vater, und daß kein ungerechter Amtmann« – die Sprache ging ihm aus, und nach mehreren vergeblichen Versuchen, weiter zu sprechen, schloß er, rasch sich abwendend, mit erstickter Stimme: »Nun, du weißt schon, was ich meine.«

»Zieh' in Frieden«, sagte Andres, der Schäfer, »du bist noch ein junges Blut und gehst in ein fremdes Land, da heißt's: Die Augen aufgethan! und trau, schau, wem? Es ist nicht ein Mensch, wie der andere. Sieh' dich vor, wenn du mit unbekannten Leuten zu thun hast, – am ersten, dünkt mich, kannst du immer noch einem Schäfer trauen, ein Schäfer ist meist ein ehrlicher Mann, auch wenn er lateinisch spricht.«

»Gott behüte dich«, sagte der Adam, »und zieh' in Frieden. Halt's in der Fremde so, wie ich's immer gehalten habe: »Ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker, und«, setzte er leiser hinzu, »leg deinen Raufdegen nie von der Seite, denn man weiß nie, wie man den brauchen kann.«

Isaak und sein Sohn hatten sich, während Konrad seinen Abschied machte, gegenüber gestanden und schweigend einander in's Auge gesehen. Als Ruben den Bauernsohn sich umwenden und auf die Thüre zuschreiten sah, trat er zu seinem Herrn und sagte: »Segnet den Joseph und laßt ihn ziehen; dies Jahr sind wir Knechte, das Jahr, das da kommen wird, sind wir gefreiete Kinder und Herren.« Isaak legte nun seinem Sohne die Hände auf das Haupt, und sprach mit feierlicher Stimme:

»So ziehe hin! Gott sei mit dir auf dem Wege, und sein heiliger Engel geleite dich, auf daß du wieder zu mir kommen mögest mit Freuden.« Als aber die beiden Jünglinge das Zimmer verlassen hatten mit dem letzten Lebewohl, und die Zurückbleibenden sich die Thränen abwischten, und ihre Rührung theils weniger, theils mehr zu verbergen suchten, da that Isaak wie Tobias, an dessen Geschichte er sich erbaut hatte: er knieete nieder, hub laut an zu weinen und sprach: »Und nun, Herr, gedenke nicht meiner oder meiner Väter Missethat! Denn weil wir deine Gebote nicht gehalten haben, so sind wir auch dahin gegeben unseren Feinden, daß sie uns berauben, gefangen halten und tödten, und sind zu Schanden und Spott und Hohn geworden den Fremden, dahin du uns zerstreuet hast. Ach, Herr, erzeige mir Gnade, und nimm meinen Geist weg im Frieden, denn ich will viel lieber todt sein, denn lebend.«

»Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte; er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten«, tröstete die gutmüthige Schloßbäuerin. »Gebt euch zufrieden, Isaak, ich muß es auch thun! Lebt wohl, und wenn ihr etwas hören solltet von den zwei Knaben, thut es uns gleich zu wissen. Kommt auch recht oft zu uns, denn wir müssen jetzt noch bessere Freunde werden, als wir's bisher schon waren.«

Isaak versprach alles, und die Leute vom Schloß wünschten ihm einen guten Morgen, und begaben sich auf den Heimweg, ehe noch die Dorfbewohner aufgestanden waren und mit neugierigen Fragen sie belästigen konnten.


 << zurück weiter >>