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Als Solyman am Abend des Tages seine Janitscharen zersprengt und entmuthigt in unordentlichen Haufen zurückkommen sah, kannte sein Zorn keine Grenzen. Es war ihm unbegreiflich, wie die Festung seinen Kerntruppen, geführt von seinen besten Feldherrn, den Beglerbeg's von Anatoli und Rumili, dem Geschützmeister Ali Portuk und den Vezieren Ferhad-Pascha und Mustafa hatte widerstehen können. Nur mit großer Mühe gelang es dem Großvezier Mohamed Sokolli, ihn einigermaßen durch die Aussicht zu besänftigen, daß das Geschütz Ali Portuk's die Mauern und Erdwerke bald so weit zerstören werde, um ohne einen so großen abermaligen Verlust Stadt und Schloß nehmen zu können. Letzterer führte denn auch schon am folgenden Tag eine solche Menge Kanonen auf und schoß unablässig so viel Kugeln in die Festung, daß selbst der Thurm im innern Schloß beschädigt wurde, und die schon von dem Sturm zerstörten Mauern der Neustadt nicht mehr zu halten waren. In der Nacht vor dem 10. August sah sich Zriny genöthigt, die Neustadt anzuzünden. Sie flammte an vier Ecken auf, und die Türken rückten jubelnd auf die Brandstätte.
Hier setzten sie sich fest, zogen Kanäle, um das Wasser abzuleiten und füllten die sumpfigen Stellen mit Erde, Steinen und Balken aus, welche letztere sie aufrecht vor sich hertrugen, um gegen die Kugeln der Belagerer geschützt zu sein. Die ganze Ebene wimmelte von Bauern, Kameelen und Saumthieren, welche das nöthige Material herbeischaffen mußten. Daß Hunderte von Menschen bei dieser Arbeit den Tod fanden, kümmerte die Türken nicht, denn es waren Christen, entweder aus den türkischen Grenzprovinzen, oder Gefangene, die man aus dem eroberten Theil von Ungarn zusammengetrieben hatte, und, wie bei dem Sturm auf die Neustadt, mit Säbel- und Peitschenhieben zu der Arbeit zwang. Das Werk schritt unter den Ausfällen der Besatzung und großen Verlusten der Türken langsam, doch unaufhaltsam vorwärts.
Endlich gelang es Ali Portuk, zwei Brücken, jede aus siebzehn durch Ketten aneinander gebundenen Wagen bestehend, herzustellen, viele mit Wollsäcken behängte Thürme bis an die Mauern heranzuschieben, von denen aus die Janitscharen auf die Besatzung der Stadt schossen, so daß sich kein Mann mehr mit Sicherheit in den Straßen blicken lassen durfte. Am 19. August, am Montag vor Bartholomäi, nahmen sie nach mehreren vergeblichen Stürmen auch die Altstadt. Während noch ein Theil der Besatzung, ohne von dem bereits erfolgten Eindringen des Feindes etwas zu wissen, den Kampf fortführte, eilten die Türken, das Thor und die Brücke zu besetzen, die aus der Altstadt in das Schloß führte. Als nun die Ungarn endlich den Kampf aufgegeben hatten und sich in's Schloß ziehen wollten, fanden sie sich eingeschlossen. Sie suchten sich den Ausgang zu erzwingen, aber die Uebermacht war zu groß. Zwölf ungarische Hauptleute mit ihrem besten Volk blieben in dem ungleichen Kampf, und nur einigen wenigen gelang es, sich durchzuschlagen und die Kunde von dem erlittenen schweren Verlust dem Grafen zu überbringen.
Voll Freude über den gewonnenen Erfolg ließ Solyman dem Geschützmeister Ali Portuk 10000 Aspern als Belohnung auszahlen für die guten Dienste, die er geleistet. Zu gleicher Zeit wollte er einen Versuch machen, ob durch List und Bestechung bei der Besatzung und dem Grafen etwas auszurichten sei. Er ließ deutsche, ungarische und kroatische Schreiben an Pfeilen in die Festung schießen, um die Treue der Besatzung zu erschüttern oder doch wenigstens Argwohn zu erwecken und die einzelnen Völker unter einander zu entzweien. Dem Grafen selbst ließ er eine unermeßliche Summe Goldes und ganz Kroatien als erbliches Königreich anbieten, wenn er die Festung, die doch nicht mehr zu halten sei, übergeben wolle, und als der Graf ihm erwiedern ließ, er solle die Festung von ihrem Herrn, nämlich dem Kaiser, verlangen, und nicht von ihm, der kein Recht darüber habe, ließ er ihm weiter sagen, des Grafen in dem kaiserlichen Heer dienender Sohn sei als Gefangener in's Lager gebracht worden und werde unter ausgesuchten Martern hingerichtet werden, wenn sich der Vater nicht zur Uebergabe verstehe. Um dem Grafen die Sache glaubwürdig zu machen, mußte der Trompeter und Fahnenträger seines Sohnes, der wirklich gefangen genommen worden war, vor den Wällen der Stadt die Fahnen des jungen Zriny aufpflanzen und die den Ungarn bekannten Schlachtweisen blasen, aber auch dieser Kunstgriff schlug fehl. Der unerschrockene Graf ließ ihm sagen, er könne zwar nicht glauben, daß Gott ein solches Geschick über ihn verhängt habe, wenn aber auch, so sei sein Sohn in Gottes Hand und wisse eben so gut für seinen Glauben und seinen Kaiser zu sterben, wie sein Vater.
Nun wurde auf das Schloß selber der Sturm unternommen, mißlang jedoch gänzlich. Nach einem wüthenden Anlauf mußten die Janitscharen mit einem Verlust von 2 Fahnen und 2000 Mann unter dem Jubel und dem Spott der Besatzung wiederum abziehen. Angefeuert durch die erhaltene Belohnung, erbot sich Ali Portuk bei dem nächsten Sturme, dem dreizehnten, in eigner Person die Leitung des Geschützes zu übernehmen. Kühn wagte er sich auf einer seiner Brücken bis in die Nähe des Schlosses, der Graf aber, der ihn erkannte, ließ eine Kanone, die »Perle« genannt, abfeuern, deren Schuß ihm die Kinnlade hinwegriß und ihn todt zu Boden stürzte. Das Wehgeschrei der Seinigen und das freudige Schmettern der Zinken und Trompeten aus dem Schloß kündigte dem Sultan den Tod eines seiner besten Feldherrn an: außer sich vor Grimm, gebot er den Angriff mit frischen Truppen fortzusetzen und die Zurückweichenden nieder zu schießen, aber hundertweise zu Boden geschmettert, weigerten die Janitscharen den Sturm und ließen sich weder durch Befehl, noch Drohung in den gewissen Tod treiben.
Nicht besser lief ein weiterer Sturm ab, den der Sultan auf den 29. August verlegt hatte. Im Heere hatte man die Prophezeihung verbreitet, an diesem Tag, als dem Jahrestag der für die Ungarn so unglücklich ausgefallenen Schlacht bei Mohacs und der Eroberung von Belgrad und Ofen, werde auch Sigeth fallen. Solyman selber setzte sich zu Pferd und ermunterte die Seinen, aber er sah sie nur die Gräben mit ihren Leichen füllen. Nachdem den ganzen Tag und die folgende Nacht gestürmt worden war, mußte er wieder zum Abzug blasen lassen.
An der Möglichkeit verzweifelnd, das Schloß mit stürmender Hand zu nehmen, setzten die Janitscharen vier Tage den Angriff aus, begnügten sich, hinter den Erdsäcken hervor, einzelne der Vertheidiger, die auf den Mauern sich zeigten, niederzuschießen und das große Bollwerk mit Minen zu untergraben. Ungeduldig über den Verzug, schrieb Solyman eigenhändig an den Großvezier: »Ist denn dieser Rauchfang noch nicht ausgebrannt und tönt noch nicht die Pauke der Eroberung?« Er sollte sie aber nicht mehr hören, statt ihrer sollte vielmehr die Posaune der Ewigkeit ihm ins Ohr dröhnen. In einem Wuthanfall, in welchen die Erinnerung an den Verlust seiner besten Heerführer und seiner tapfersten Soldaten ihn versetzte, schwur er, er müsse Sigeth gewinnen, und wenn sein ganzes Heer dabei zu Grunde gehen sollte. Da ereilte ihn ein Blutsturz, dem augenblicklich der Tod folgte. Dies geschah in der Nacht, nachdem am Morgen das große Bollwerk, von den Minen der Janitscharen unterwühlt, mit furchtbarem Krachen zusammengestürzt war.
Niemand war bei seinem Tode zugegen gewesen, als der Arzt, der Waffenträger, der Geheimschreiber und Mohamed Sokolli, der Großvezier. Die drei letzteren befanden sich in verzweifelter Ratlosigkeit; der Thronfolger Selim nämlich war fern, und mit Gewißheit war vorauszusehen, daß unter dem Heere, namentlich den Janitscharen, ein furchtbarer Aufstand ausbrechen werde, dessen Folgen für das ganze Reich sich im Voraus gar nicht berechnen ließen.
Da griff der Großvezier zu einem ächt türkischen Mittel: er winkte dem Arzt, ihm zu folgen, führte ihn vor das Zelt und ließ ihn umbringen, kehrte dann zu den übrigen zurück und sagte: »Kein Mensch, nicht einmal die übrigen Veziere, dürfen erfahren, daß der Padischah in's Paradies hinübergegangen. Du, Dschaafer Aga, verstehst des Gestorbenen Handschrift nachzumachen, laß augenblicklich ein Schreiben als einen eigenhändigen Tagesbefehl des Sultans unter das Heer ausgehen. Ich will ein Schreiben an den Skander Bassa von Constantinopel schicken, daß er dem Selim den Tod seines Vaters mittheilt und ihn bittet, dem Heere entgegenzugehen und die Regierung zu übernehmen. Die Truppen will ich durch List zufrieden stellen, der Arzt ist bereits zum Schweigen gebracht.«
Der Waffenträger und Geheimschreiber waren ganz mit diesem Plane einverstanden, der nun sofort zur Ausführung gebracht wurde. Man hörte die gewöhnliche Musik vor des Großherrn Zelt, die Speisen wurden ein- und ausgetragen, und die Pagen gingen hin und her, als wenn er noch am Leben wäre, gleichwohl verbreitete sich am zweiten Tage ein dunkles Gerücht im Lager, ohne daß man dessen Ursprung zu erklären wußte, der Sultan sei gestorben, und sein Tod werde geheim gehalten. Der Verdacht nahm zu, da der Sultan sich nicht öffentlich zeigte, die Truppen wurden unruhig, und die Aga's der Janitscharen erklärten, daß sie für ihre Leute nicht mehr gutstehen könnten, wenn sie ihn nicht zu sehen bekämen.
So in die Enge getrieben, erklärte der Großvezier: sein Herr sei zwar nicht wohl, doch wolle er sich seinem tapferen Heere zeigen. Er ließ durch seine vertrautesten Diener die Leiche schminken, mit prächtigen Kleidern schmücken und setzte sie auf einen in dem dunkelsten Winkel des Gezeltes errichteten Thron, stellte sich selbst neben dieselbe mit den Zeichen der tiefsten Ehrerbietung, so daß das Heer, welches nur aus der Entfernung in das Zelt sehen konnte, getäuscht ward. Dann trat er unter die Janitscharen, ermunterte sie, ihre vielen gefallenen Brüder an den Ungläubigen zu rächen und die letzte Kraft einzusetzen, um den Befehl des Kaisers zu erfüllen.
Als er so des Sultans gedachte, überwältigte den sonst hartherzigen Bösewicht plötzlich eine solche Rührung, daß er in Thränen ausbrach und nicht weiter sprechen konnte. Sogleich theilte sich seine Erschütterung dem ganzen Heere mit, und es erhob sich ein dumpfes Murmeln, das Unglück sei dennoch geschehen, der Sultan sei todt; aber schlau und verschmitzt, wie er war, ermannte er sich wieder und fuhr fort: »Nein! Nein! ich beweine nicht den Tod unseres Herrn, denn er lebt durch Allah's Barmherzigkeit und hat zur Stunde von aller Krankheit und Schwachheit sich erholt, ich weine nur, weil ich mir euer aller elendes Loos vorstelle; denn er hat mit dem heiligsten Eide geschworen, wenn nicht innerhalb zweier oder dreier Tage der Feind besiegt sei, euch alle augenblicklich und mit unerhörten Martern hinrichten zu lassen.«
Diese mit großem Nachdrucke ausgesprochene Drohung rief unter den versammelten Janitscharen eine solche Bewegung hervor, daß sie mit wildem Geschrei sogleich zum Angriff geführt zu werden verlangten. Der Großvezier, ihr Ungestüm benützend, ließ zum Sturm blasen. Wirklich stürzten sie mit solcher Wuth auf die Mauern zu, daß sie zweimal in das Schloß drangen, aber beidemal wurden sie von der Besatzung unter der persönlichen Anführung des Grafen wieder hinausgeschlagen, ohne auch nur einen Fußbreit Erde gewinnen zu können, und nach einem Verluste von 7000 Mann mußten sie auch diesen Sturm wieder aufgeben.
Gleichwohl sollte jetzt für den tapferen Zriny und seine heldenmüthige Schaar die letzte Stunde schlagen.
Eine Mine, welche schon vor der Belagerung zwischen zwei Basteien angelegt war, um den Feind, wenn er die erste genommen und den gefährlichen Boden betreten hätte, in die Luft zu sprengen, entzündete sich unglücklicher Weise durch das Feuer des Feindes und ward nun den Vertheidigern selbst verderblich: ein großer Theil von ihnen flog in die Luft, und ein starker Wind trieb das Feuer unaufhaltsam dem Schlosse zu. Die Balken, die zur Ausbesserung der Gänge an den Ringmauern aufgehäuft lagen, entzündeten sich, die Wohnungen innerhalb des äußeren Schlosses geriethen sofort in Brand, der Graf mußte es am nächsten Tag aufgeben und mit der noch übrigen Mannschaft in's innere Schloß sich zurückziehen. Da die Türken nachdrangen und mit äußerster Heftigkeit mit ihm hineinzugelangen suchten, mußte das Thor gesperrt werden, ehe noch die sämmtliche Mannschaft dasselbe erreichen konnte. Die also Ausgeschlossenen wurden sämmtlich niedergehauen, und eine Menge Frauen und Kinder gefangen genommen. Zum Unglück befand sich auch der noch übrige Proviant im äußeren Schloß und konnte wegen des eiligen Rückzuges nicht mitgenommen werden. Die sämmtlichen Geschütze fielen, ehe sie vernagelt werden konnten, in die Hände der Türken und konnten nun auf die Besatzung selber gerichtet werden, während das beständig vom Wind genährte Feuer bereits auch das innere Schloß zu ergreifen drohte.
Die Türken, nun des Sieges gewiß, steckten ihre Fahnen auf die Wälle, schossen aus gedeckter Stellung in das innere Schloß und warfen Feuer in die inneren Gemächer. Das ganze Heer war am siebenten September unter Trommel- und Trompetenklang herangerückt und hatte sich in solcher Zahl um das Schloß gelagert, daß man von da aus weder Erde noch Wasser sehen konnte. Auf den folgenden Tag, einen Sonntag, wurde der letzte Sturm, der zwanzigste innerhalb dreiunddreißig Tagen, vorbereitet. Der Pulverthurm allein war noch unversehrt von dem Feuer, und die Festung mußte fallen.