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Neuntes Kapitel.
Ein unerwartetes Geständniß

Als der erste Strahl des Morgens durch den Wald dämmerte, erhob sich das Weib, machte das Feuer an und setzte ihren Kessel darüber. Dann trat sie vor den schlafenden Konrad und sagte:

»Es ist ein junges Blut und ein guter Mensch; es wäre Schade, wenn ihm ein Haar gekrümmt würde. Doch jetzt ist's Zeit ihn zu wecken. Auch muß ich den Gabriel rufen, daß er bei dem Kind bleibe, während ich den Fremden den Weg zeige.«

Sie brachte den Finger in den Mund und that einen schrillen Pfiff, der gellend durch den Wald hallte und sogleich aus der Ferne erwiedert wurde. Der schlafende Konrad fuhr zusammen, und wälzte sich eine Weile brummend in seinem Mantel, dann sprang er schnell auf die Füße und rief: »Was gibt's, Adam, da bin ich schon!« im nächsten Augenblick aber riß er das Schwert aus der Scheide und schrie: »Was machst du, Weib, sind die Türken da?«

»Dein Kind ist des Todes«, rief Joseph, mit verstörtem Gesicht aus der Hütte springend und die kleine Ada in den Armen haltend, »wenn du uns verrathen hast.«

»Schau, schau, du bist doch nicht so thöricht, als du aussiehst«, sagte das Weib, mit wohlgefälligem Lächeln den herbeistürzenden Joseph betrachtend, »du hast dich gleich des rechten Pfandes versichert. Aber seid ruhig, wir müssen uns jetzt auf den Weg machen. Ich habe nur dem Gabriel gepfiffen, daß er derweilen bei dem Kind bleibt. Er wird im Augenblick hier sein.«

Kaum waren einige Secunden vergangen, als ein Zigeuner von kleinem, schmächtigen Wuchs aus dem Gebüsch trat.

»Wie steht's Gabriel?« rief ihm die Zigeunerin entgegen, »ist etwas geschehn?«

»Sie müssen aneinander gerathen sein«, sagte Gabriel, »denn auf Siclos zu brennen überall die Dörfer. Ich konnte es genau sehen von meinem Baum aus, der Himmel war die ganze Nacht hindurch, wie Feuer, auch hab' ich schießen hören, sonst aber ist Alles still geblieben.«

»Aber was sind das für Männer«, sprach er, die beiden Reisenden verwundert betrachtend, »die hier die Nacht zugebracht haben?«

»Geht dich nichts an, Gabriel, iß mit uns, dann bleib' bei dem Kind, bis ich wiederkomme.«

Als die Gesellschaft mit der Morgensuppe fertig war, schärfte ihm das Weib noch ein Mal die genaueste Wachsamkeit ein und schritt dann den beiden Reisenden voran in den Wald. Nach einem Weg von etwa zwei Stunden hatten sie eine kleine Anhöhe erreicht, zu deren Füßen sich eine weite braune Haide ausbreitete. »Nun geht ihr grade aus«, sagte das Weib, »bis ihr jenen Hügel erreicht, der jenseits der Pußte sich emporhebt; dort folgt ihr eine Stunde lang dem Lauf des Bachs, bis ihr an einen großen Steinhaufen und ein verbranntes Haus kommt, dann könnt ihr nicht mehr irre gehn. Ihr schlagt nur die Straße ein, die sich rechts hin durch die Haide zieht und bis zum Nachmittag seid ihr in Paconia. – Es ist Niemand weit und breit zu sehn, doch haltet eure Augen offen, und nun lebt wohl, glückliche Reise!«

»Habt Dank, und Gott behüt' euch, ihr habt uns viel Gutes gethan«, rief ihr Konrad nach, als sie mit raschem Schritt die Anhöhe hinabeilte, »und hört! wenn ihr einmal eine bessere Religion annehmen würdet, so würde es euch gewiß nicht schaden und euerm Kindchen auch nicht. Das arme Würmlein dauert einem, wenn es so aufwachsen soll, wie ein junges Wiesel« – aber die Zigeunerin war bereits unter den Bäumen verschwunden und hörte schwerlich mehr seine guten Wünsche.

»Wie geht's, Joseph«, redete er endlich seinen Gefährten an. »Mir ist's wieder ganz wohl, seit das Weib fort ist, obwohl sie uns eigentlich nichts Uebels gethan hat, aber so ein Mensch, der meint, seine Seele wäre, wie ein Rauch oder Dampf, und es gäb' keinen Himmel und keine Hölle, kommt mir fast vor, wie der leibhaftige Gottseibeiuns.«

»Ach«, sagte Joseph seufzend, »wie bist du glücklich, daß du vor einem solchen Menschen einen Widerwillen hast! Ich könnte das Weib um seine Religion fast beneiden; denn es ist zuletzt mißlicher, beim Ausgang aus diesem Leben Schlimmes, als gar Nichts erwarten zu müssen.«

»Du redest irre«, sagte Konrad, stehen bleibend und erstaunt seinen Gefährten anschauend.

»Leider nicht«, erwiederte Joseph, »ich spreche, wie mir's um's Herz ist.«

»Und ich bleib' dabei«, sagte Konrad, »wem's so um's Herz ist, der ist irr im Kopf.«

»Nun so laß mich trotzdem aufrichtig mit dir reden«, entgegnete sein Gefährte. »Du bist jetzt mein einziger Freund, und ich will lieber meine Krankheit dir entdecken, als sie verschweigen und elendiglich daran zu Grunde gehen. Seit ich gestern hörte, wie es in diesem Lande aussieht, ist mir's verzweifelt zu Muth. Ich konnte die Nacht kein Auge zuthun, sondern es war mir, als säh' ich, auch wenn ich die Augen schloß, beständig den Rachen des Todes wider mich aufgethan, und«, sagte er schaudernd, »diesen Anblick kann ich nicht ertragen. Du bist in gleicher Gefahr, wie ich, wie ist dir's zu Muth?«

»Ah so, du denkst an die Türken«, sagte Konrad, »wahrhaftig die hatte ich ganz vergessen; aber du hast Recht! ich glaube, daß jedem, der jetzt, wie wir, in diesem unseligen Lande wandert, das Schwert über dem Haupt hängt, und wenn du mich fragst, wie mir zu Muthe ist, kann ich nicht anders sagen, als: schlecht, Bruder, herzlich schlecht! ich wollte fast, ich wäre noch einmal daheim.«

»Wenn dir nun ein Türkensäbel mit einem Mal vor den Augen blitzte und toddrohend über deinem Haupte funkelte, und wäre kein Entrinnen möglich, was würdest du thun?«

»Was ich thun würde?« sagte Konrad mit großem Ernst, »was ich thun würde? Ich würde zusehen, ob nicht meines Vaters alter Degen noch fest genug wäre, den Säbel auszuhalten, ich würde dem Türken frisch zu Leib gehen und«, fuhr er fort, der Ermahnung seiner Mutter gedenkend, »ich würde in meinem Herzen zu Gott schreien, daß er mir hilft.«

»Wenn er dir aber nicht hülfe?« rief Joseph in steigender Aufregung, »wenn der Schlag träfe und dir das Haupt spaltete, und dein Blut ausströmte und mit dem Blut dein Leben, und die Seele von dem Leib sich schiede – wie dann?«

»Ach, es wird nicht so kommen«, sagte Konrad, »wer wird immer gleich das Schlimmste fürchten? Das wäre doch schrecklich, so mir nichts dir nichts in der Fremde erschlagen zu werden von einem gottlosen Türken, während daheim Vater und Mutter die Stunden zählen, bis sie von ihrem einzigen Sohn etwas sehen, oder doch etwas hören werden. Wahrhaftig, da wär' mir's doch viel lieber, Vater und Mutter legten mich daheim auf unsern Gottesacker neben meinen Großvater, und sie selbst legten sich einst an meine Seite, damit wir neben einander schliefen.«

»Wie aber, wenn's so käme, wenn's doch so käme?« rief Joseph wild, indem er heftig mit dem Fuße aufstampfte.

Konrad's Züge drückten einen schmerzlichen Ernst aus: er wurde still, und Thränen sammelten sich in seinen Augen, allmählig aber gewannen seine schmerzlichen Züge einen ruhigeren Ausdruck, und er sagte sanft und mit einer ungewöhnlichen Erregung in der Stimme: »Dann würde ich mich erinnern des Wortes, das meine Mutter mir auf den Weg gegeben: Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes, Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert, dann würde ich mich erinnern des Heilandes, auf den ich getauft bin, und des Wortes: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, ja mein letztes Wort«, sagte er nach abermaligem Stillschweigen, »mein letztes Wort sollte sein: Herr Jesu, dir leb' ich, Herr Jesu, dir sterb' ich, dein bin ich todt und lebendig, und mein Trost, daß es von hier aus nicht weiter in den Himmel ist, denn von meinem väterlichen Haus aus – und ich glaube, so könnt' ich auch das überstehen.«

»Und wo wirst du denn hinfahren, wenn du gestorben bist?«

»In den Himmel«, sagte Konrad zuversichtlich, »in den Himmel! dort werd' ich mit meinem Vater und meiner Mutter zusammenkommen, entweder so, daß ich dort sie, oder daß sie dort mich finden, je nachdem es Gottes Wille ist, daß ich sie, oder daß sie mich überleben. – Ich weiß zwar von deinem jüdischen Glauben wenig oder nichts, aber du glaubst ja doch auch eine Auferstehung und ein ewiges Leben, – nicht wahr?«

»Freilich, aber ich kann den Glauben nicht haben, den du hast, den Glauben, daß diese Verheißung auch mir etwas helfen solle. Wie ich das glauben will und will mich aufraffen aus der Angstgrube, in der ich liege, fällt mir ein, wie ich da und dort nicht gethan habe, was Gottes heiliges Gesetz befiehlt, ja wie ich eigentlich an keinem einzigen Tag das Alles thue, wie ich's gar nicht thun kann, und wenn ich auch tausendmal es thun wollte. Und so fühl' ich täglich die Schuld, die ich auf mir habe, wachsen und weiß, daß sie täglich wachsen wird bis an meines Lebens Ende, und statt, daß ich nun an's Licht komme und einen Trost sehen könnte, falle ich immer wieder klaftertief hinunter, viel tiefer, als ich zuvor schon lag. O, ich weiß noch, welches Entsetzen mich erfaßte, wenn ich am Neujahrstag in der Synagoge stand, und das Schofar geblasen ward, an das ewige Gericht zu erinnern, und das Geschrei anhub: »Schreib mich ein in's Buch des Lebens! – doch«, setzte er seufzend hinzu, »du wirst das nicht verstehen.«

»Ich versteh' es wohl, Joseph, mir sind auch schon solche Gedanken gekommen, aber da hat mich mein Großvater und meine Mutter und mein Pfarrer gelehrt, daß die Sünde vergeben ist. Ich glaube Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben, so heißt's im dritten Artikel, und – wart' einmal – wie heißt's doch in dem Lied', das wir lernen mußten, als wir in den Pfarrhof gingen? Ja, so heißt's:

Es ist das Heil uns kommen her,
Von Gnad' und lauter Güten,
Die Werke helfen nimmermehr,
Sie mögen nicht behüten.
Der Glaub' sieht Jesum Christum an,
Der hat g'nug für uns all' gethan,
Er ist der Mittler worden.«

»Du vergißt«, sagte Joseph, »daß wir an euern Messias nicht glauben, sondern den Messias erst noch erwarten.«

»Ja so«, antwortete Konrad, »das ist etwas Anderes. Wir haben freilich nicht mehr darauf zu warten, daß er kommt, sondern nach unserem Glauben heißt es, Christus ist hie, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferwecket ist und sitzet zur rechten Seite Gottes und vertritt uns. Denke du eben: Gott ist barmherzig, und er wird auch mir barmherzig sein.«

»Lassen wir das dahin gestellt sein«, erwiederte Joseph mit einem schmerzlichen Lächeln, »ob ich das glaube, oder nicht glaube, wenn du aber nicht an die Vergebung der Sünden glaubtest, und nicht, wie du sagst, auf den Messias dich verlassen könntest, daß der genug für dich gethan, würdest du dann auch so sicher, wie du vorhin es ausgesprochen, sagen, daß du in den Himmel kommst, und würde all' die Angst, mit der du aus diesem Leben gehen mußt, doch zuletzt überwunden werden von der Hoffnung eines anderen Lebens?«

Konrad schaute nachdenklich vor sich hin; dann sagte er mit entschiedenem Ernste:

»Nein, nimmermehr, das wäre unmöglich! Ich bin kein Geistlicher, ich rede nur, wie ich es verstehe, doch aber ich meine, wenn ich nicht eine Vergebung der Sünden zu glauben hätte, ich möchte dann von der Auferstehung und dem ewigen Leben auch nicht ein Wort hören. So bin ich's gelehrt worden: Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit

»Das ist's, was ich von dir hören wollte. Nun weiß ich, woran ich bin.«


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