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Auf einer kleinen Anhöhe, etwa einen Steinwurf von des Sultans Zelt entfernt, waren die Häupter des Grafen, des Juranitsch und des alten Alapi und noch vieler anderer gefallener Krieger, an Lanzen gespießt, zur Schau gestellt, dazwischen die Sigethischen Fahnen, mit den Spitzen in die Erde gesteckt. Ein Haufe gefangener Weiber und Kinder stand weinend und jammernd umher. Die Weiber hatten die Köpfe ihrer Männer erkannt und drängten sich in der Heftigkeit ihres Schmerzes auf die Anhöhe zu, wurden aber von den Janitscharen unter Schimpfreden und Kolbenstößen zurückgetrieben. Sie warfen sich jetzt auf die Kniee vor dem Großvezier Mohamed Sokolli, der aus dem Lager heranritt, hoben flehend die Hände auf und baten um die Erlaubniß, die Köpfe ihrer Männer begraben zu dürfen. Dieser aber erwiederte mit finsterem Blick: »Haben die Weiber der Gläubigen ihre Männer und ihre Söhne auch begraben dürfen, die von diesen Giaurs sind umgebracht worden? Fragt sie doch, wenn ihr jetzt als elende Sclavinnen in ihren Häusern die Mühle drehen und ihre Kinder warten müßt, und seht zu, was sie euch antworten werden! Gott ist groß! Alle diese Köpfe sollen den Raben zur Speise sein, ohne den des Grafen, diesen will ich seinem Kaiser schicken, damit er erfährt, was aus den besten seiner Helden geworden ist.«
Es waren mittlerweile noch einige weitere Gefangene, darunter des Grafen Mundschenk und Kämmerer, aus dem Schlosse herangebracht worden, die man auf ähnliche Weise wie Joseph und Konrad gefangen genommen hatte. Neugierig ritt der Großvezier heran und fragte:
»Wer seid ihr, und wer hat es gewagt, euch das Leben zu schenken?«
»Wir sind Christen!« sagte Joseph. »Wir beten Jesum Christum an, den Sohn Gottes, den hochgelobten Heiland der ganzen Welt, und haben Niemand um unser Leben gebeten.«
»Nein, gewiß nicht, da sei Gott mein Zeuge«, sagte Konrad. »Tausendmal lieber, wie hier meine Kameraden, den Kopf auf dem Spieß, als ein Sclave im Lande solcher Unmenschen!«
»Wem gehören diese Hunde?« herrschte der Großvezier die umstehenden Türken an.
»Herr!« sagte der Bosnier, sich auf den Boden werfend, »sie gehören mir. Dein Sclave hat sie gewonnen mit der Schärfe des Schwertes, daß sie in seinem Hause lernen sollen Knechte der Moslems zu sein.«
»Elender Lügner, der du bist!« sagte Konrad, »du hast uns von rückwärts die Schlinge übergeworfen, wie man Rosse fängt auf der Haide. Gib mir nur meinen Degen her, dann will ich dir zeigen, was ich mich um die Schärfe deines Schwertes kümmere.«
»Der Giaur ist ein stolzer Junge«, sagte der Großvezier schmeichelnd; »aber sage mir, junger Krieger, hat der Zriny, dein Herr, Gold und Silber und Kleinodien gehabt? Ich weiß, du kannst mir das wohl sagen! Du weißt auch, wo er es verborgen hat. Meine Leute haben nichts finden können. Sag' mir, junger Mann, wo hat er seine Schätze?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Konrad, »und wenn ich's wüßte, würde ich dir's nicht sagen.«
»Der Giaur ist ein stolzer Junge«, wiederholte der Großvezier höhnisch, »aber der Ibrahim wird ihn schon geschmeidig machen. Einstweilen soll ihm der Tschausch Baschi fünfundzwanzig auf seine dicken Füße geben lassen, damit er lernt, wie man mit dem Großvezier spricht.«
Auf den Wink des Tschausch Baschi traten zwei seiner Leute mit ihren langen Stöcken heran, um seinen Befehl zu vollziehen, als einer der gefangenen Ungarn, der ehemalige Mundschenk des Grafen, mit stolzer Haltung sich dem Großvezier gegenüber stellte und sagte:
»Wenn du beim Haupt deines Propheten schwören willst, dem Burschen die Strafe zu schenken,, so will ich dir auf's Haar sagen, wie es sich mit des Grafen Schätzen verhält. Deine Leute haben mir zwar, wie es dieser niederträchtigen Schurken würdig ist, den Bart abgesengt, aber um dieses Burschen willen möchte ich dir dennoch einen Gefallen thun.«
»Wirklich?« sagte der Großvezier, »deine Bitte sei gewährt. Laßt den Burschen los, Tschauschen! Du aber sag' an!«
Der Mundschenk sprach: »Hunderttausend ungarische Dukaten, hunderttausend Thaler, tausend große und kleine Becher und Gefäße hatte der Zriny, aber alles hat er vernichtet; kaum sind Sachen im Werth von fünftausend Dukaten in einer Kiste noch übrig, die in dem Pulverthurm steht, aber desto mehr Pulver ist daselbst, das jetzt, während wir sprechen, auffliegen wird, so daß das Feuer, ohne welches ihr nie das Schloß erobert hättet, euer eignes Heer verderben wird.«
»Was, was ist das?« rief der Großvezier im höchsten Entsetzen, »was ist das für eine Botschaft, Verfluchter? Will dieser Zriny noch als ein todter Hund die Söhne der Gläubigen schlachten und ihr Siegesgeschrei in Wehklagen verwandeln? In's Schloß, Baschi, mit euren Leuten! Schnell, schnell, ruft die Soldaten heraus und haltet Ordnung, nehmt die Trompeter mit und laßt zum Rückzug blasen. Auf, tummelt euch!«
Aber der Befehl kam zu spät. Der Tschausch Baschi war mit seinen Leuten kaum bis zum Eingang des Schlosses gekommen, als man einen furchtbaren Knall hörte. Man sah den Pulverthurm wanken, dann stürzte er nebst den noch stehenden Mauern des Schlosses zusammen. Eine schwarze dichte Wolke von Rauch und Staub zog langsam in die Höhe, der Großvezier und sein Gefolge wendeten ihre Pferde und jagten mit verhängtem Zügel dem Lager zu, während vom Schlosse her ein Geheul des Schreckens und der Wuth herüberdrang.
»Wo ist der Großvezier?« rief der Tschausch Baschi, der an der Spitze seiner Leute im schnellsten Jagen wieder zurückkehrte, »der Aga der Janitscharen sagt, daß 4000 Mann in's Schloß gedrungen und gewiß 3000 sind erschlagen.«
»Tödtet diese Christenhunde, schlagt todt, schlagt todt!« brüllten Rache schnaubend die umherstehenden Türken und warfen sich mit gezogenen Säbeln auf die gefangenen Christen. Der Bosnier aber rief den Tschausch Baschi um seinen Schutz an und während dessen Leute mit ihren Stöcken sich den Andringenden in den Weg warfen, ließ er Joseph und Konrad jeden auf ein Pferd heben und brachte sie unverletzt in sein Zelt, das in der Mitte des Lagers stand.
Als nach drei Tagen das türkische Heer aufbrach, war das stolze Sigeth nur noch ein großer Trümmerhaufen. Außer den wenigen, welche entweder durch einen besondern Zufall gerettet, oder wider ihren Willen von den Türken gefangen genommen waren und nun nebst den Weibern und Kindern in die Sclaverei geschleppt wurden, hatte keiner der Vertheidiger den Tod des Grafen und den Fall der von ihm so ritterlich vertheidigten Festung überlebt. Konrad und Joseph, als sie mit dem türkischen Heer durch dieselben Weinberge ziehen mußten, von denen aus sie zuerst die Festung gesehen hatten, warfen einen wehmüthigen Blick des Abschieds auf die noch mit den Leichen bedeckten Felder und beneideten, der eigenen trostlosen Zukunft gedenkend, das Loos ihrer gefallenen Kameraden, denen ein Dichter der damaligen Zeit die schöne Grabschrift setzte:
» Corpora fessa jacent, fortissima corda triumphant« »Ihr müder Leib liegt in Ruhe, ihre tapfern Herzen aber triumphiren.«.
Mehr noch als sein eignes Geschick beunruhigte die Ungewißheit über das Schicksal seines Oheims Konrad's Gemüth. Die Möglichkeit, daß er unter den einstürzenden Mauern vielleicht lebendig begraben sei, war ihm noch schrecklicher, als der Gedanke, daß er von den Türken doch noch entdeckt und erschlagen worden sein könne.
»Ach, Joseph«, rief er kleinmüthig, »daß wir je einen Fuß aus der Heimath setzen mußten. Das war ein Unglückstag, wo wir dieses unselige Sigeth zum ersten Male gesehen haben. Vater und Mutter, Verwandte und Freunde, Heimath und Freiheit – Alles, Alles haben wir darin verloren, ach wie glücklich wär ich, wenn ich tauschen könnte mit dem ärmsten Bettler, der von meinem Vater ein Almosen bekommt!«
»Gedulde dich, Bruder«, sagte Joseph. »Heißt's nicht im Psalm: Befiehl dem HErrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl machen? Ist nicht an mir das Wort bereits erfüllt? Geh' ich nicht jetzt auch, wie du, in die Knechtschaft und bin doch reicher und gesegneter und wahrlich auch fröhlicher, als wenn ich mit allem Gut Mardochai's beladen nach Hause zu meinem Vater und meinem Volke gehen dürfte? Hab' ich nicht mehr gewonnen, als ich verloren habe? Und wenn ich zeitlebens das Sclavenbrod essen müßte, ich tröste mich der Verheißung, daß mein Erlöser lebt, und daß die Gefangenen Zion's einst von ihm erlöst werden und ihre Zunge voll Rühmens sein wird, ja voll Rühmens auch für die Zeit der Angst, der Noth und des Elends. Muß ich dir das erst sagen«, fuhr er fort, als er sah, daß seine Worte wenig Eindruck auf seinen Gefährten machten, »solltest du das nicht alles besser wissen?«
»Ja freilich«, sagte dieser, »aber seit es mir so gar schlecht geht, hab' ich gar keine Lust mehr an Gottes Wort zu denken und keinen Muth, damit mich zu trösten.«
»Ich glaube, Bruder, du machst dir allerlei unnütze Gedanken über das, was wir hätten thun sollen und thun können, statt daß du denken solltest: Gottes Wille geschehe! In der Nacht, wo ich getauft wurde, habe ich meine jüdische Tephillim abgelegt und das Vaterunser gebetet. Als ich die Bitte sprach: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden, kam mir's als eine große Sünde vor und auch als eine große Thorheit, daß ich Feuer und Schwert, Hunger und Gefangenschaft gefürchtet, und ich nahm hernach meine Tephillim wieder und schrieb nur diese Bitte darauf. Sieh' her«, fuhr er fort, seinen Rock aufknüpfend, »hier trag' ich sie auf der Brust, so bin ich dem Schwert der Türken entgegen gegangen und so will ich auch in die Gefangenschaft wandern.«
Nicht ohne Beschämung brach Konrad das Gespräch ab. Er ging nachdenklich neben seinem Leidensgefährten her, der ihn in christlicher Ergebung weit übertraf und machte endlich auch den Versuch, die Zukunft Gott anheimzustellen und sich zufrieden zu geben. Nach einem starken Tagesmarsch lagerte sich das Heer vier Stationen vor Belgrad am Rande eines Waldes.
Der Tod Solyman's war, wie wir gehört haben, dem türkischen Heere verheimlicht worden. Bei dem Abmarsch von Sigeth wurde sein Leichnam, als ob er noch am Leben wäre, in einer verschleierten Sänfte getragen. Mehemed Sokolli aber hatte endlich Nachricht bekommen, daß Sultan Selim Constantinopel wieder verlassen habe und bereits dem heimkehrenden Heere entgegen ziehe. Er beschloß darum, den Tod des Sultans nicht länger zu verheimlichen. Er berief in der Stille die Koransleser und befahl ihnen, vor Tages Anbruch die Sänfte zu umringen und das Fâtihe d. i. das Todtengebet anzustimmen. Die Truppen waren kaum aufgebrochen, als von der rechten Seite der Sänfte der Chor ertönte:
»Alle Herrschaft geht zu Grunde,
Aller Menschen harrt die Stunde«
und von der andern geantwortet wurde:
»Ihn allein den Alllebend'gen
Kann die Zeit, der Tod nicht bänd'gen.«
Das Heer horchte auf in lautloser Stille, als ihm aber klar wurde, was der Gesang bedeute, brach es in ein solches Geheul und Wehklagen aus, daß der Marsch stockte. Ehe jedoch die Trauer in Wuth übergehen konnte, trat der Großvezier unter die Haufen und redete sie also an:
»Waffengefährten! was steht ihr und warum wollt ihr nicht ziehen? sollen wir dem Pâdischah des Islams, der uns so viele Jahre beherrscht hat, nicht viel mehr unser Lob darbringen und unsern Dank beweisen? Er hat Ungarn zum Hause des Islams gemacht, er hat einen jeden von uns mit Wohlthaten genährt, soll dies sein Lohn sein, daß ihr hier stehen bleibt und klagt und weint? Sollen wir nicht vielmehr seinen Leichnam auf unseren Köpfen entgegen tragen seinem Sohn und Nachfolger Selim Chan, der euer zu Belgrad wartet, um das Testament seines Vaters zu vollziehen, in welchem ihr mit Geschenken und Soldvermehrung bedacht seid? Seid wohlgemuth, laßt die Koransleser ihr Gebet verrichten und marschirt!«
Die Rede machte einen guten Eindruck: das Heer blieb ruhig, und nach drei Tagen nahm Selim, der mittlerweile mit demselben zusammengetroffen war, auf einem neuen goldenen Thron sitzend, die Huldigung an. Der aus dem benachbarten Bosnien zugezogene Landsturm wurde nun entlassen. Auch Ibrahim verließ das Heer, und Konrad und Joseph mußten ihm folgen. Wie traurig auch das ihnen beschiedene Loos aller Wahrscheinlichkeit nach ausfallen mußte, so erkannten sie doch darin eine große Gnade von Gott, daß sie bei einander bleiben durften, während die übrigen Gefangenen vertauscht oder verkauft wurden, je nach dem Vortheil oder der Laune ihrer unbarmherzigen Herrn, so daß gar häufig Geschwister, ja Mutter und Kinder getrennt wurden, und ein herzzerreißendes Jammergeschrei im Lager erschallte.
Wir überlassen nun die Jünglinge ihrem Schicksale und sehen uns wieder einmal in ihrer Heimath um und bei den Ihrigen, deren Segenswünsche in die Fremde sie geleitet hatten.