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Die Lerche.

Tiefe Einsamkeit herrscht um mich her. Ich liege auf dem weichen, grünen Teppich der Heide; vor mir ist in geringer Entfernung das Wattenmeer, von einer hohen Dünenkette umsäumt. Der Himmel ist lichtblau, und nur zarte Wölkchen am Horizonte unterbrechen die Eintönigkeit. Das Meer liegt unbewegt und scheint seinen Mittagsschlaf zu halten; tiefblau glänzt es im Schein der hell strahlenden Sonne.

Die Dünen sehen mit den weißen, sandigen, spärlich bewachsenen Höhen in der Entfernung wie mit ewigem Schnee und Eis bedeckte Berge aus.

Keine Menschenseele in weiter Runde; die wenigen, zerstreut liegenden Bauernhäuser scheinen wie verlassen.

Ein schwacher Windhauch umsäuselt mich und küßt das weite Heideland. –

Da wird's mit einem Mal lebendig! Alle Halme schwanken hin und her, die wie Eindringlinge zwischen dem Heidekraut wachsenden Blumen bewegen ihre Köpfchen, und durch die Heide geht ein leichtes Erzittern. Es summt und brummt in ihr, es zirpt und flirrt, und wohltuende, milde Düfte steigen auf – –

Horch! – Hoch oben in den Lüften schwebt über mir eine Lerche und läßt ihr Lied erschallen. Immer schneller und eindringlicher werden die Töne, immer jubelnder! –

Ich verstehe sie! Sie kommen aus froher Brust und singen von hoffnungsvoller Glückseligkeit: wonnige Träume – nie versagende Liebe! –

Horch! Die Töne werden langsamer, klagend und wehmütig! – Auch sie verstehe ich! Man sieht plötzlich unüberbrückbare Hindernisse – man fühlt erzitternd des Schicksals rauhe Hand – die Kräfte, die eben noch Welten zertrümmern wollten, erlahmen – alles erscheint im Nebel – alles scheint zusammenbrechen zu wollen, alles –

Ein langgezogener schriller Schrei ertönt, und die Lerche schießt pfeilschnell zur Erde nieder!

– Verklungen sind ihre Töne, und herausgerissen aus allen Träumen versteckt sie sich in der Einsamkeit.

O Lerche, Lerche! Du hast die zarten Saiten meiner unendlichen Sehnsucht berührt, du hast mir aus der Seele gesungen.

Auf, auf, ich folge dir!


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