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Ein Vermächtnis.

Ein Winterabend war es, rauh und frostig,
Und dicke Flocken fielen lautlos nieder.
Der Schnee lag fußhoch in der stillen Straße
Und glitzerte im Scheine der Laternen.
Das Feuer lohte knisternd im Kamin,
Und warm und traulich war's in meinem Stübchen,
Das, schwach erhellt, im Dämmerlichte träumte.
Und lange lag ich auf dem weichen Polster
Und sah dem Spiel der Flammen sinnend zu
Und dachte, dachte an vergangne Zeiten.

Gar lang ist's her! Schön war sie, schön und jung,
Und ich hab sie geliebt mit ganzem Herzen. –
Sie brach die Treue mir. Und ob sie auch
In manchem Brief verzweifelt mich beschwor,
Ich glaubt ihr nicht und sandte uneröffnet
Die spätren Briefe all an sie zurück. – –
Schon lang ist's her! was wohl aus ihr geworden?
Ob sie wohl manchmal meiner hat gedacht,
Und unsrer Liebe, unsrer heißen Küsse? – –
Es klingelt! – Horch! – Wer wohl in aller Welt
Zu dieser späten Stund mich sprechen möchte?

Tritt nur herein, mein Kind, hab keine Angst
Und weine nicht; sag mir noch einmal jetzt,
Was du bestellen sollst – doch weine nicht!

Dein Mütterchen ist krank und möcht mich sprechen,
Bevor der liebe Gatt sie zu sich ruft?
Maria heißt du, und du sagst, dein Vater
Sei lange tot? Du hast ihn nie gesehn? –
Acht Jahre bist du alt? – Und deine Mutter,
Sag mir, wie ist der Name deiner Mutter?
»Maria Ransen«. – Wie? – Maria Ransen –
Acht Jahre bist du alt – dein Vater tot –
Und deine arme Mutter liegt im Sterben?!
Komm, weine nicht, mein Kind, sie wird genesen,
Wir gehn zu ihr und wollen Trost ihr bringen!

Und schweigend gingen wir den schweren Gang.
Das Kind – ich hatt es bei der Hand genommen –
Ließ weinend das gelockte Köpfchen hängen.
Was wußt es auch von seiner Mutter Schuld
Und der des Vaters, der mein Freund gewesen?
Er raubte mir mein Glück und ging von dannen –
Das alte Lied – indes er ist ja tot! – –

Maria! So muß ich dich wiedersehn? –
Wie öde, kahl und ärmlich dein Gemach! –
Ob ich verzeihen kann? – – Maria – ja,
Denn schwer hast du gebüßt für deine Schuld –
Doch jetzt sei stark, erhalte dir das Leben,
Erhalt es dir für dich und für dein Kind! –
Du fühlst es, und du weißt, du wirst jetzt sterben,
Und flehst mich an, dir eine letzte Bitte,
Was kommen mag, getreulich zu erfüllen?!
Es sei! –
Da richtete das blasse Weib sich auf,
Ihr Kind zum letzten Male an sich pressend,
Und wie verklärt erstrahlten ihre Augen.
Und röchelnd hört ich sie die Worte hauchen:
»Sorg stets für sie, ich schwör's: es ist dein Kind!«
Und stille ward's im Stübben, grabesstill,
So still, als hörte man des Todes Fittich –
Ich aber zog das Kind, das leise weinte,
An meine Brust und flüsterte: Maria,
Sei still, mein Kind, dein Vater ist nicht tot. –

Und draußen wirbelten die weißen Flocken.


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