Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
An einem milden, klaren Sommerabend
Traf ich in jenem kleinen Städtchen ein,
In dem ich, ungefähr vor dreißig Jahren,
Als Jüngling einst die Ferien verbrachte.
Der damals unscheinbare, kleine Bahnhof,
Er war vergrößert, der Perron bedeckt,
Sogar ein Restaurant war angebaut,
Worin ich mich nach langer Reise stärkte.
Dann schlenderte ich langsam durch die Straßen,
Erkannte manches Haus, manch Firmenschild,
Und freute mich, als ich den Marktplatz sah,
So traulich, grad wie einst und unverändert.
Hier stand die alte, schwere Pumpe noch,
Vor der, wie einst, die kleinen Kinder spielten
Und grad wie ihre Eltern sich bespritzten.
Dort stand der Roland noch, der würdge Ritter
Und schaute ehrfurchtsvoll dem Spiele zu!
In jeder Neujahrsnacht, so hieß es damals,
Er wende flehend seinen Blick gen Himmel,
Und sicher gibt es noch in jedem Jahr
Wie damals Leute, die das Wunder sehn! –
Die Turmuhr schlug in vollen Tönen zwölf, –
Die Töne, die so oft ins Herz mir drangen,
Und da stand ja das liebe Kirchlein auch
Und auf der Spitze noch der alte Hahn,
Der einst vor hundert Jahren laut gekräht,
Wie allen Ernstes es erzählt die Fama,
Und auch die Luft, die war so rein und weich,
Von schwerem, süßem Lindenduft gewürzt
Wie einst! – Es ward so seltsam mir ums Herz! –
Dort ist der schmale, schattige Fußweg ja,
Der mich so oft bis an den Wald geführt! –
Gedankenvoll schritt ich den Weg entlang –
Es grüßten mich Jasmin und blauer Flieder,
Es grüßte eine Heckenrose mich,
Ich freute mich des Dufts und brach sie nicht.
Dann kreuzte ich ein kleines, reifes Feld,
Ein Blumenmeer in allen Farben leuchtend,
Ich warf mich nieder auf das weiche Polster
Und träumte an dem Busen der Natur. –
Und an mein Ohr drang köstliche Musik:
Ein zartes Geigen, Rasseln, Zirpen, Schwirren,
Geschrill der Grillen, Summen und Gebrumm,
Ein großer Chorgesang in weiter Stille!
Es wogte und es schwirrte auf und nieder,
Und bunte Schmetterlinge und Libellen
Sie tändelten von einer Blum zur andern.
Und wie ein Wonnerausch kam's über mich –
Und dann – zwei träumerische, blaue Augen,
Mit einem Blick so unschuldsvoll und rein,
Sie tauchten sanft in der Erinnrung auf!
Ich sprang empor – ich fühlte mich beengt –
Ich eilte weiter, trällerte ein Lied,
Ein lustig Lied, hinweg ihr trüben Schatten!
Dann überschritt ich schnell ein muntres Bächlein,
Das plätschernd, rieselnd, rauschend floß daher;
Entsprungen von der Höhe des Gebirgs
Sucht singend es und springend seinen Weg
Durch einen schönen, dichten Buchenwald,
In den ich sinnend meine Schritte lenkte.
Ein frischer Wind strich kosend durch die Blätter,
Und wie ein Willkommsgruß erklang das Rauschen,
Es war ein Knistern, war ein zartes Flüstern,
Es war ein sanftes Singen in den Höhn!
Erkannten sie, die alten, mächtgen Bäume,
Den Wandrer wieder, der vor vielen Jahren
Im jugendlichen Glück sie oft besang?
Er war gealtert und das Auge müd,
Doch sie, sie blühten in der einstgen Frische –
Mir ward so weh ums Herz, so sehnsuchtsvoll –
Die blauen, träumerischen, schönen Augen
Sie lockten mich, sie führten eilig mich
Zur Waldesmitte, wo versteckt und still –
Ich kannte noch den Weg – ein Plätzchen war:
Ein altes Bänkchen und ein morscher Tisch,
Ein hoher Lindenbaum, ein Blätterdach
Mit Blütenschnee bedeckt – hier, wo mir einst
Der ersten Liebe Glück ward offenbart.
Und lange saß geschloßnen Augs ich da
Und träumte einen sel'gen Jugendtraum
Von blauen Augen und von süßen Worten,
Von heißen Küssen und von erster Liebe! –
Ich sah sie neben mir, das blonde Gretchen,
Ich spürte ihren Hauch, der Hände Druck
Und hörte flüstern sie: Ich liebe dich! – –
Ich ging davon und hatt sie schnell vergessen.
Ich war zu jung, die Liebe war mir Spiel,
Und andre Gretchen kreuzten meine Wege! –
Ob wohl das Herz mit
H. und
G., das in
Den Baum ich schnitt, jetzt noch zu sehen war?
Ich suchte, – ei, da wars! viel höher zwar,
Verwachsen und verwischt, doch zu erkennen –
Verschlungen
H. und
G., ein Herz mit einem Pfeil!
Die Wunde, die dem Herzen er gebracht,
War längst vernarbt, und ach, das Herz war tot. –
Und Gretchen, armer Leute schönes Kind,
Was wohl aus ihr nach all der Zeit geworden?
Ich schleppte mühsam Steine dann herbei
Und baute vor dem Baume einge Stufen,
Von denen aus ich leicht das Herz erreichte.
Mir war's, als schmückte ich ein altes Grab,
Als ich das Zeichen einstger Lieb erneute.
Warum ich's tat? Ich wußt es selber nicht –
Ich tat's und fühlte glücklich mich – wie einst,
Als mir mein blondes Lieb zur Seite stand
Und zärtlich neckend Kosenamen zurief.
Sie, heda Sie, was machen's halt denn da?!
So tönte plötzlich rauh es an mein Ohr –
Ich wandt mich um und sah ein häßlich Weib,
Zerlumpt und schmutzig, mit der Faust mir drohend,
Ich stieg herab, schritt schweigend auf sie zu
Und sah – zwei träumerische blaue Augen,
Doch ohne Glanz, ohn Reiz und müd und matt,
Ich sah ein Weib – mit Spuren einstger Schönheit,
Gealtert vor der Zeit, mit hohler Wang –
Ich sah, mir schien's ein Traum – mein frühres Lieb.
»Was kümmert Sie's, wenn ich am Baume schneide?«
Sprach ich bewegt und sah sie forschend an,
»Ich suchte ein schon lang verlornes Glück,
Ich fand die Spur, das Glück ich fand es nicht!«
»Der Baum dort«, sprach sie, »und das Herz sind mein,
Und mein der Mann, der es dereinst geschnitzt;
Er ging davon, ließ mich im Gram zurück,
Doch kehrt er wieder, wenn die Linde blüht,
Und diese feste Hoffnung ist mein Leben –«
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen
Und spähte suchend, ängstlich in die Ferne –
»So lebe weiter in der schönen Hoffnung«,
Sprach tröstend ich – »und hoffe bis zum Tod«,
Wohl dem, der stets im Hoffnungstraum befangen,
Doch weh dem, der enttäuscht aus ihm erwacht.«
Ein Vöglein ließ ein sehnend Lied erschallen,
Die Blätter rauschten leise Lebewohl,
Und ich ging traurig, müde meiner Wege.