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Es scheint euch sonderbar, daß die Komtesse,
Die junge Tochter unsres Schloßbesitzers,
Ganz weißes Haar hat, weiß wie frischer Schnee?
Ihr möchtet wissen, wie das zugegangen?
Ich will es euch erzählen, rückt heran!
Zwei Jahre sind es her, begann der Graf,
Ich war ein ständger froher Gast im Schlosse
Und hatte mir, ich will es gern gestehn,
Die Gunst der schönen Gräfin leicht errungen.
Beim Spiel, beim Tanz, beim Sport, beim Reiten, Jagen,
Stets war sie die gewandteste von allen,
Und der allein ihr ebenbürtig schien,
War ich. Wir beide kannten keine Furcht.
Das wildeste der Pferde ritten wir,
Voll Wagemut wir machten jeden Sprung,
Und wenn es galt, der Launen Übermut
Zu zeigen, waren stets voran wir beide.
Wir sprachen nie ein einzig Wort von Liebe.
Ich fühlte, daß wir beide uns gehörten,
Und doch hielt eine unbestimmte Scheu
Mich davon ab, um ihre Hand zu bitten.
Nach einem Feste war's, schwül war die Nacht,
Der Mond bedeckt, und finstre Wolken jagten,
Ein Wirbelwind wies auf ein nah Gewitter,
Als die Komteß im laun'schen Übermut
Mir zurief, noch zur alten Burg zu reiten,
Zu der Ruine, ihrer Ahnen Stammschloß,
Von dem man sich erzählte, daß bei Nacht
Der Geist des ersten Ahnherrn laut dort stöhnte.
Dorthin, rief sie, dorthin will ich jetzt reiten
Und lauschen auf der Äolsharfe Ton,
Und Sie begleiten mich doch wohl, Herr Graf?
Und ich erwidert: »Gnädigste Komtesse,
Ich weiß den Vorzug Ihrer Wahl zu schätzen,
Indessen bitt ich bei dem heutgen Wetter
Auf diesen Ritt, der tollkühn, zu verzichten.«
Was? rief sie, diese Feigheit, tapfrer Graf,
Hätt ich bei Ihnen nimmermehr vermutet!
Indes, Baron von Pfeil, Sie werden mich,
Ich zweifle nicht daran, sehr gern begleiten!
Und Pfeil, mein Freund und stiller Nebenbuhler,
Sprang auf und sagt: Ich folg bis in den Tod!
Sie brachen auf, kein Bitten hielt sie ab,
Ich blieb zurück, verdrossen und gekränkt,
Und schaute ihnen todestraurig nach.
Mir war, als wenn das Liebste, das ich hatte,
Vor meinen Augen in den Abgrund stürzte,
Als wenn das Herz man aus der Brust mir risse
Und meiner Lieb den Todesstoß versetze. –
Ich ritt nach Haus, da zuckten schon die Blitze,
Der Donner rollte und der Sturm brach los,
Und prasselnd fiel der Regen auf die Erde. –
Am frühen Morgen fand man meinen Freund
Bei der Ruine, abgestürzt und tot. –
Und die Komteß lag lange krank darnieder,
Von heißem Fieberwahn den Geist umnachtet.
Und als ich sie nach Monden wiedersah,
Ganz teilnahmlos und ernst und still und bleich,
Da war ihr einstges schönes, schwarzes Haar
Ganz weiß, schneeweiß.
Es ward's in jener Nacht,
Als bei der Äolsharfe Klagetönen
Mein Freund den Leichtsinn durch den Tod mußt büßen.