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Prosa.


Ingeborg.

Die Sonne war untergegangen, und der ganze Horizont erglühte in den herrlichsten Farben. Es war ein Anblick, wie er wenigen zu teil wird. Aber der Mann, der aufgeregt am Strande auf- und abging, wurde nichts davon gewahr. Er war fertig mit der Welt, sein Entschluß war mit größter Kaltblütigkeit gefaßt; noch heute abend wollte er diese Welt verlassen. –

Die Wellen rauschten leise dahin, und die Erinnerung an vergangene Tage kehrte zurück. Er schloß die Augen – und da sah er sie wieder vor sich stehen, genau wie vor fünf Jahren – Ingeborg.

»Ich habe einen schweren Kampf mit mir gekämpft«, sagte sie tonlos, »es ist besser, wir trennen uns. Wir passen auf die Dauer doch nicht zu einander. Wenn der Rausch vorüber, wenn die unausbleibliche Ernüchterung eingetreten ist – mache keine Einwendungen, ich habe alles reiflich überlegt – noch ist es Zeit zu überwinden, und ich weiß, daß wir beide es können, wir sind stark genug. Ich kann dir nie die Gefährtin werden, die du suchst und die dir nötig ist – unsere gestrige Unterhaltung hat mir die Augen geöffnet – suche weiter, und ich wünsche dir, daß du dein Ideal dereinst findest. – Was aus mir werden soll? Ich werde in emsiger Arbeit Trost suchen und werde den Traum unserer Liebe weiter träumen.« – Alle seine Einwendungen prallten ab an ihrem festen Entschluß.

»Und unsere Wege kreuzen sich doch noch einmal,« sagte er bebend, »ich fühle, daß wir für einander bestimmt sind!« »Vielleicht!« antwortete sie seufzend.

»Ich werde jedes Jahr an diesem Tage, um diese Stunde hierher kommen,« sagte er. »Ich nicht« erwiderte sie – noch ein fester Händedruck, noch ein heißer Kuß – und ihre schlanke Gestalt verlor sich in der Dämmerung. –

Fünf Jahre sind seit jenem Abend vergangen, fünf lange Jahre. Getreulich war er jedes Jahr hier gewesen, sie nicht – er hätte es bei ihrem festen, stolzen Charakter auch nicht erwarten sollen. Was wohl aus ihr geworden? Trotz eifriger Nachforschungen hatte er nie wieder etwas von ihr gehört. Er hat fünf Jahre lang versucht, sie zu vergessen – er konnte es nicht. Er suchte und suchte nach einem anderen Ideal – er hat es nicht gefunden. Seine Kraft war zu Ende, das Leben ohne sie hatte keinen Reiz mehr für ihn – Ingeborg, das war seine Welt. –

Und der bleiche Mann zog einen Revolver aus seiner Tasche.

Der Mond war voll aufgegangen, und der tief dunkle Himmel war voller Sterne. Die Wogen brausten gleichmäßig heran und brachen sich an der gegenüber liegenden Buhne.

Kurt schloß seine Augen und ließ noch einmal sein ganzes Leben an sich vorüber ziehen: Freud und Leid, Enttäuschungen über Enttäuschungen.

Unverstanden von seinen Allernächsten hatte er in der Kunst Befriedigung zu finden erhofft; er strebte hohen Idealen nach, doch konnte er sie nicht verwirklichen. – Immer wieder wurde seine Schaffenskraft durch seine verzweifelnde Sehnsucht nach der Verlorenen gelähmt, er konnte sie nicht vergessen! Ingeborg, sie sollte sein letzter Gedanke sein!

Er hielt den Revolver krampfhaft in seiner Rechten, den Zeigefinger am Abzug – er hob die Waffe langsam und ließ, wie um der Welt Lebewohl zu sagen, noch einmal seinen Blick über den ganzen Himmel und das geliebte Meer gleiten – –

Doch was war das?! Es war keine Sinnestäuschung! – dort bewegte sich langsam eine weibliche Gestalt der Buhne zu – deutlich erkannte er ihre Umrisse – sie schreitet auf die äußerste Spitze – da – ein Schrei durchfuhr die Stille der Nacht! –

Klang es nicht wie sein Name: Kurt? – ein Sprung, und eine Lebensmüde kämpfte mit den Wellen. – –

Entsetzt war Kurt aufgesprungen – gleich darauf war er an ihrer Seite und entrang, mit Aufbietung all seiner Kräfte, die Ohnmächtige dem wilden Elemente.

Der Mond warf seinen bleichen Schein auf die wie leblos Daliegende.

Kurt zitterte am ganzen Körper, und seinem Munde entrang sich nur das eine Wort: Ingeborg.

Er beugte sich über sie, bedeckte ihr Gesicht mit glühenden Küssen, während heiße Tränen seinen Augen entströmten. Er hauchte ihr förmlich das Leben wieder ein, und als Ingeborg nach einigen bangen Minuten ihre Augen öffnete und die ihr bekannten, vergrämten Züge erblickte, da umschlang sie ihren Geliebten mit der Kraft aller so lang unterdrückten Leidenschaft; ihre Lippen preßten sich heiß auf die seinigen, und zwei Seelen flossen ineinander.


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