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Wie Gedichte entstehen.

Endlich ein windstiller Abend mit der schönen Aussicht auf – keinen Regen! Ich bewaffnete mich also mit einem Regenschirm – man kann nie wissen, wozu ein solcher gut ist – und stieg hinauf aufs – ach so, ich vergaß ja anzugeben, wo ich war – ich war nämlich in Helgoland – also ich stieg hinauf, – d. h. in Wirklichkeit benutzte ich den Fahrstuhl – nach dem Oberlande. Warme, frische Seeluft, herrliche Aussicht auf das brausende Meer – es ist überhaupt ein erhebendes Gefühl, wenn man mal in völliger Selbstverleugnung auf jemanden, oder etwas, von oben herabsehen kann! Ich ging weiter und weiter und hatte schon die Südspitze passiert, als ich einen Badegast, ganz in sich versunken, auf einer einsamen Bank sitzen sah. Ich wollte sein Leid zu ergründen suchen, dazu mußte ich aber sein Gesicht sehen. Ich umkreiste ihn also in unauffälliger Weise, er blickte auf – ich sah ihn durchdringend an und wußte Bescheid:

Denn ich habe
Die Gabe,
Des Menschen Geschichte
Aus seinem Gesichte,
Aus seinem Wesen
Heraus zu lesen,
Und den poetischen Strauß
Nehm ich dann gleich mit nach Haus.

Ich setzte mich also auf die nächste Bank, öffnete meine Camera poetica und schrieb:

Auf diesem Bänkchen hab ich oft gesessen
Mit meinem Liebchen in verschwiegner Nacht –
Wie innig konnten wir die Hände pressen,
Wie haben wir geherzt, geküßt, gelacht!

Wie hoffnungsfroh wir schauten in die Ferne
Und sahen nur ein unvergänglich Glück,
Es trug uns unser Wunsch bis an die Sterne,
O sel'ge Zeit – wie weit liegst du zurück!

Das Schicksal trennte uns, und längst vergessen
Hatt ich der jungen Liebe goldne Zeit,
Doch seit ich jetzt auf dieser Bank gesessen,
verspür im Herzen ich das einstge Leid.

Der arme Mann tat mir leid, und in gedrückter Stimmung setzte ich meine Wanderung fort. Da fiel mir plötzlich eine vor mir gehende schlanke Erscheinung auf, tadellos elegante, jugendliche Figur, das Gesicht mit einem dichten Schleier bedeckt. Wer konnte die Schöne sein? Meine Phantasie beschäftigte sich fortwährend mit ihr. Ich ging vorbei, warf einen Seitenblick hinüber, blieb stehen, ließ sie vorübergehen, folgte ihr bis zur Nordspitze – d. h. ich möchte zu meiner Verteidigung erwähnen, daß ich auch ohne sie denselben Weg gemacht hätte! – und bis in die sogenannte Giftbude. Sie setzte sich an einen Tisch – ich gleichfalls, sie bestellte sich eine Tasse Kaffee – ich auch, und ich berechnete schlau, daß sie beim Trinken den Schleier lüften müsse. Ich durchlebte Augenblicke höchster Erwartung! Endlich trat das Ereignis ein, und fast gleichzeitig sagte sie zu mir: »Sie wollen wohl auch auf den Sonnenuntergang warten?« – Ich antwortete: »Nein, meine Gnädige, meine Sonne ist bereits untergegangen,« machte eine tadellose Verbeugung, ging hinaus, setzte mich auf eine Bank und schrieb:

Einsam, still auf öden Fluren
Ging ein Weib.
Langsam folgt ich ihren Spuren –
Zeitvertreib!

Jugendliche schlanke Taille,
Elegant!
Sonnenschirm, Griff aus Emaille,
In der Hand.

Sah in einer schattgen Laube
Ihr Gesicht,
Sah, sie war 'ne alte Schraube!
So was sticht!

Und sie sagte süßlich lächelnd:
Bin bereit – –
Ich erwiderte kalt röchelnd:
Keine Zeit!

Der Einfall amüsierte mich köstlich. Von der Sonne war wie gewöhnlich nichts zu sehen, sie versteckte sich hinter Wolken! Es lag aber eine majestätische Stimmung in der Atmosphäre –

Schon wieder dieses Lachen.

Vor mir sitzt ein Pärchen, und die Schöne lacht in einem fort, über das, was ihr Begleiter und über das, was sie sagt! Und er schneidet ihr nach allen Regeln der Kunst die Kur. Ich umkreiste sie – die Störung paßte ihnen scheinbar nicht, sie sahen ärgerlich zu mir auf – aber dann lachte sie sofort wieder.

Nachdenklich machte ich mich auf den Heimweg und schrieb:

Sie konnte so herzhaft lachen,
Sie lachte in einem fort
Bei allen möglichen Sachen,
Mir schien, über jedes Wort. –

Und heute kann sie nur weinen,
Sie weinet immerzu,
Dann findet sie – will's ihr scheinen –
Vergessenheit und Ruh.

Es wäre doch besser, ich meinte,
Sie wechselte manchmal ab –
Da lachte sie und weinte –
Dann brachte man sie zu Grab.

Mir tat dies Schicksal wirklich leid; hoffentlich hab ich mich geirrt. Lange blieb ich nicht allein. Bald hatte ich ein vor mir gehendes Paar eingeholt, ich hemmte meine Schritte und hörte leise Seufzer und abgerissene Worte und Sätze: Mein, dein, Leid, trennen, Glück, zu Gott Vertrauen haben, etc. Der Fall interessierte mich. Jetzt mußte ich nur noch die Gesichter sehen, und dann – das fühlte ich – war ein schönes Gedicht ausgereift. Ich ging vorbei – sie sahen zu Boden. Schade! Ich drehte mich, wie zufällig um – sah zu wenig! Was tun? Da wandte ich eine List an: ich ging immer langsamer, und dicht vor ihnen ließ ich meinen Schirm fallen – wie gut, daß ich ihn bei mir hatte! Der Herr bemühte sich höflichst darum, und ich konnte in seinem und ihrem Gesichte lesen – Schicksalsschläge – –

Während ich sonst immer zum Schluß eine passende Ueberschrift suche und häufig nicht einmal eine finde – hier fing ich damit an:

Gefunden.

Jetzt bist du mein, jetzt kann ich mein dich nennen,
Und freudig biete Herz ich dir und Hand,
Und nur der Tod soll unsre Liebe trennen,
Die uns nach schwerem Leid so froh verband.

Wir strebten beide nach demselben Ziele,
Wir suchten beide nur das reine Glück,
Und unsrer Herzen edelste Gefühle
Sie führten uns durch Nacht zum Licht zurück.

Und wenn Gefahren drohn, dann nicht verzagen,
Es lebt ein Gott, ihm wollen wir vertraun.
Wir können stolz das Haupt und aufrecht tragen
Und hoffnungsfreudig in die Zukunft schaun.

Das befriedigte mich. Glückliche Menschen! ich hätte trotz allem wohl in ihrer Lage sein mögen.

Ich beschleunigte meine Schritte, es wurde dunkel, und der Mond war erschienen. Da sah ich zwanzig Schritte vor mir auf einer Bank ein Liebespärchen: ein Marinesoldat und auf seinem Knie – die Marie!

Schnell mein Buch heraus!

Momentaufnahme:

Sie hielten sich selig umschlungen
Und küßten sich all die Zeit –
Der Mond hat's von oben besungen
Und ich besing's von der Seit!

Ich ging näher – hörte einige süße Worte – ging vorüber – sie ließen sich nicht stören. Ich neidischer Mensch machte dann Halt, sah sie an und sagte zu dem Vaterlandsverteidiger: »Das laß ich mir gefallen! Kann ich Sie nicht ablösen?« – »Nach einer halben Stunde!« erwiderte er und grinste, und sie grinste auch. »Ich werde mir den Fall überlegen«, rief ich ihnen zu, »inzwischen viel Vergnügen – gute Nacht!«

Am nächsten Laternenpfahl – die Laterne brannte sogar – machte ich halt – der Mond war verschwunden. Ich las die erste Strophe durch, um mich wieder in die richtige Stimmung zu versetzen, und fuhr fort:

Dann schlich ich mich sachte näher,
Hört Worte von Liebe und Treu,
Der Mond kroch langsam höher,
Ihm war die Geschichte nicht neu. –

O selige Liebesstunden
Ich spüre fast euren Hauch –
Der Mond war vor Rührung verschwunden,
Und ich – ich verschwinde jetzt auch!

Dann beschleunigte ich meine Schritte, summte die Melodie aus »Tiefland«: »Vor der offnen Kirchentüre wartet schon die Braut«, und langte ungestört im Unterland an. Ich wollte nun schnell nach Haus, um meine Ruhe zu finden.

Da tauchte er plötzlich wieder vor mir auf, der Badegast mit tadelloser Glatze, den Hut in der Hand! So lief der Mann seit zwei Tagen fortwährend umher! Entweder sucht er den Heldentod durch einen Sonnenstich, dachte ich mir, oder er befolgt das Sprichwort: »Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land« wörtlich, oder auch er will sich für die Menschheit opfern und den Beweis erbringen, daß trotzdem seine Haare nicht wieder wachsen. Der Mann gab mir zu denken, und gedankenvoll langte ich in meiner Klause an, steckte zwei Kerzen in Brand, versetzte mich in eine Sonntagsstimmung und schrieb:

Ein jeder liebt die Freiheit!
Warum denn stets im Haus?
Und darum geht auch alles
Am schönen Sonntag aus.

Zuerst ging meine Köchin,
Ließ mich allein im Haus,
Dann ging – 's war kalt – das Feuer,
Dann ging die Lampe aus.

Dann macht ich Toilette,
Nichts hielt mich mehr im Haus,
Und sah, o Schreck – jetzt gehn mir
Sogar – die Haare aus.


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