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Der Professor war da und sagte. »Ich weiß, du hast eine bittere Nacht verlebt; du hast in einer einzigen Nacht sieben Jahre Gefängnis durchgemacht. Du hast's verdient. Nun aber kann ich dir den Trost sagen: du hast den Rittmeister nicht geblendet.«
»Was sagen Sie? So ist er also gesund und sehend?«
»Laß mich ruhig ausreden. Ich hatte schon vorher wenig Hoffnung, habe indes doch noch an eine Möglichkeit der Heilung geglaubt, aber alsbald nach der Operation war es entschieden. Also richte dich auf. Bei mir bleiben kannst du, wie du selber einsehen wirst, fortan nicht mehr. Aber du sollst nicht verstoßen werden. Du bleibst, bis etwas für dich ausfindig gemacht ist. Ich schreibe an die Doktorin, vielleicht weiß sie Rat, oder sie nimmt dich selber zu sich.«
O! Wenn ein Verdammtes in der himmlischen Seligkeit aufwacht, es kann nicht glücklicher sein als ich.
Ich sagte aber gleich dem Professor, daß ich mir vorgenommen, den Rittmeister nie zu verlassen und bei ihm zu bleiben, wenn er mich haben will. Ich war doch schuldig, ich hab's doch thun wollen.
Der Professor sah mich verwundert und mit heiterm Blick an, schwieg aber lange, wie das in seiner Gewohnheit war. Dann ermahnte er mich, ich solle nichts übereilen; er könne mein Vorhaben überhaupt nicht billigen, und es sei auch zu bedenken, ob der Rittmeister sich in seiner Wut nicht einmal an mir vergreife.
Das hatte ich noch nicht überlegt, aber ich meinte doch, daß da keine Gefahr sei; ein Blinder ist schwach, und ich bin stark, ich will ihn aber durch Sanftmut besiegen. Ich fragte, ob der Rittmeister wisse, daß nicht ich es war, der ihn in Blindheit gestoßen, und der Professor erzählte, daß der Rittmeister ihn einen Pfuscher genannt und noch viel Aergeres gescholten habe.
Ich verlangte, daß ich zum Rittmeister gehen dürfe. Ich bat, mich allein zu ihm zu lassen; der Professor willfahrte mir aber nicht.
Wir traten beim Rittmeister ein.
Er saß vorgebeugt im großen Lehnstuhl und hatte seine Hand auf den Kopf des Rack gelegt. Er rührte sich nicht, da er uns eintreten hörte. Als der Professor sagte: »Gitta ist da und will Sie um Verzeihung bitten,« stieß er den Hund weg. richtete sich auf und sagte: »So? Und das soll alles sein? Ich erwarte ein Telegramm meines Freundes Schaller, ein Advokat soll euch zeigen, was mir gebührt und euch. Nun, Gitta, freust du dich deiner Rache?«
Noch ehe ich antworten konnte, wiederholte der Professor, daß meine That pflichtvergessen, daß aber auch ohnedies das Augenlicht nicht zu retten war. Der Rittmeister murmelte Unverständliches vor sich hin, dann rief er: »Pfui! Ich bin gefangen in der Herberge der Heuchler und Schelme. Ich bin über eure Gaunerei noch nicht klar. Hat sie die Binde abreißen müssen, damit Ihre Pfuscherei nicht an den Tag kommt; oder bekennen Sie sich als Pfuscher, um die Geliebte des großen Doktors von Berlin rein zu waschen?«
Mir schauderte, wie wenn einer aus der untersten Hölle heraus spräche. So verdreht und verunreinigt dieser Elende alles? O wie traurig! Der Mann ist so elend und so giftig.
Ich faßte mich und sagte ihm, ich lasse mich durch böse Reden nicht abbringen, ich bekenne mich schuldig, ich habe ihn im Zorn blenden wollen, und dafür wolle ich in Demut büßen und dienen und ihn lebenslang nicht verlassen.
»Das willst du? Komm her, gib mir die Hand! Komm näher!« rief der Rittmeister. Ich gab ihm die Hand, und er drückte sie, daß ich meinte, er zermalmt sie. »Ich habe dein Versprechen. Sie sind Zeuge, Sie, Sie da! Herr Professor!« knirschte er. Ich riß meine Hand los und sagte:
»Sie haben mir wehe gethan, das muß das letzte Mal sein. Ich sage Ihnen, ich halte mein Versprechen. Aber merken Sie sich, ich bin stärker als Sie. Und wenn Sie noch ein einzigmal, sei es, wie es sei, mich mißhandeln wollen, dann verlasse ich Sie zur Stunde. Das ist meine Bedingung.
Es war still in der Stube, da wurde ein Brief gebracht. Der Rittmeister verlangte, daß ich lese, und in dem Briefe hieß es, Schaller sei am Schlagfluß gestorben mit dem Champagnerglas in der Hand, das er eben geleert hatte.
Der Rittmeister biß die Lippen zusammen und gab keinen Laut von sich. Als der Professor gehen wollte, rief er:
»Bleiben Sie, Herr Professor. Ich verlange eines, dann verzichte ich auf alles.«
»Und was verlangen Sie?«
»Geben Sie mir Gift. Wozu soll ich noch leben?«
»Ich habe erwartet, daß Sie das von mir verlangen werden, aber Sie konnten sich auch im voraus sagen, daß ich Ihnen nicht willfahre. Ihr Herren wollt, daß wir anderen das Leben als Pflicht ansehen, für euch aber soll es nur Genuß sein, lustiger Trank, wo nicht, so zerschmettert ihr das Gefäß. Sie wollen nicht mehr leben, aber Sie müssen, und Sie werden noch dankbar werden.«
»Werde ich? Gut. Ich werde Ihre edlen Worte beherzigen,« nickte der Rittmeister halb zustimmend, halb verdrossen.
Der Professor ging, ich blieb beim Rittmeister; er rief mich zu sich und sagte, in seinem Koffer liege eine geladene doppelläufige Pistole, ich solle sie ihm geben, er müsse sich erschießen, er könne nicht leben; er verlangte meinen Gehorsam als einzige und letzte Sühne für meine That. Mir stand das Herz still, aber ich faßte mich und sagte: »Wer bürgt mir dafür, daß Sie sich selber und nicht mich erschießen?«
»Sieh da, du bist ja klug! Aber leg mir die Pistole auf den Tisch und geh aus dem Zimmer.«
Ich wiederholte, daß ich ihm nicht willfahre. Er erklärte mir sehr eindringlich, daß ich mir zu viel zugemutet habe; es sei nicht möglich, daß ich ihn pflege, ich müsse ihn immer verfluchen.
»Und wenn du auch gut gegen mich wärst, wozu soll ich noch leben?«
Da gab mir der Himmel das rechte Wort: »Sie müssen noch leben, damit ich Gutes an Ihnen thun kann.«
Das hat ihn auch gepackt, es zuckte in seinen Mienen, und er zitterte am ganzen Leibe.
»Du Gutes an mir? Ich will's glauben. Ich soll also noch erleben, daß Gutes an mir gethan wird?«
Er legte sich nieder, und bald schlief er fest.