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Es war am Samstag vor jenem Sonntag, der Professor hatte früh morgens über Land gemußt und konnte erst spät abends zurückkehren, da erhielt ich einen Besuch von meinem Schwager aus Rheinfelden. Er sagte, daß er Geschäfte hier gehabt und doch nicht umhin gekonnt habe, mich aufzusuchen, obgleich ich seit Jahren mich weder der Agnes noch viel weniger seiner und seiner Angehörigen erinnert hätte. Ich mußte mein Unrecht eingestehen, ich begriff selber nicht, daß ich, in ständiger Anspannung für die Kranken, alles andere übersehen hatte.
»Drum spanne jetzt aus,« sagte der Schwager, »du siehst übel aus, ganz anders, als ich gemeint hab'. Du strengst dich zu arg an. Komm jetzt auf ein paar Wochen zu uns und ruh dich aus und laß dir's wohl sein. Du bist uns lieb und wert, und der Agnes bist du es auch schuldig, daß du nach ihr siehst; du bist die einzige Schwester von ihrer Mutter selig.«
Was war das? Das war ja eine Handreichung wie vom Himmel herunter, die mich von dem Elend losmacht.
»Besinn dich nicht lang,« drängte der Schwager, »in dem Hause hier ist's ja, wie wenn die Sonne nicht schiene. Ich weiß nicht, wie du es hier aushältst. Jedenfalls wirst du in ein paar Wochen bei uns wieder rote Backen kriegen. Sprich mit deinem Professor, er muß dir Urlaub gehen. Oder soll ich an deiner Statt mit ihm reden?«
Ich mußte erklären, daß der Professor abwesend sei und erst spät abends heimkehre.
»Dann bleib' ich hier über Nacht,« sagte der Schwager, »und morgen ist ja ohnedies Sonntag, und da reisen wir wieder miteinander, weißt, wie damals, wo du auch aus aller Betrübnis heraus wieder heiter geworden bist. Das ganze Städtchen und die ganze Gegend wird sich freuen, wenn du kommst. Es ist noch oft von dir die Rede. Droben in Heiden ist es nicht mehr wie zu deiner Zeit und der von dem berühmten Doktor. Ich hab's in der Zeitung gelesen, er ist gestorben. Der Fruchthändler von Rorschach ist auch gestorben. Sei froh, daß du ihn nicht geheiratet hast, du wärst jetzt Witwe mit einem Haufen Kinder. Aber der Sträußlesoberst lebt noch, er kommt zu uns und fragt oft nach dir. O! Wie wird sich alles mit dir freuen, und besonders die Agnes, und meine andern Kinder denken auch an dich und singen die Lieder, die sie von dir gelernt haben.«
Helle Freude, Freiheit und Sonnenglanz ging vor mir auf, als der Schwager so redete, und es fügte sich ja so schön: derweil ich draußen war, konnte der Rittmeister unsere Anstalt verlassen, und er brauchte nicht zu wissen, wer ihn gepflegt hatte; es bangte mir ja ohnedies vor der Stunde, wenn er mich sehen und mir danken wird. Nein, er soll mich nicht sehen, mir nicht danken.
Ich saß still aufatmend, da sprach der Schwager weiter, man rühme meine Geschicklichkeit, und daß ich eigentlich Assistent sei und meinen bestimmten Anteil an dem Lohn für die Heilungen habe. Ich mußte das verneinen.
»Aber ein gut Stück Geld hast du doch zurückgelegt?« fragte der Schwager. Ich hatte kein Hehl, ihm die Summe zu nennen, und daß der Professor mir dieselbe in der Sparkasse angelegt habe.
Der Schwager fand mein Besitztum weit unter seiner Erwartung und fügte noch hinzu, daß die Sparkasse viel zu niedere Zinsen gebe. Leichthin erzählte er dann, daß er einen Anbau an seinem Haus machen wolle, er ziehe nicht gern Geld aus dem Geschäft, weil er es da besser umtreibe; wenn ich ihm aber mein Erübrigtes übergeben wolle, so werde er dafür eine Hypothek aufs Haus eintragen lassen und mir doppelte Zinsen geben.
Ich erklärte, daß ich von Geldgeschäften nichts wissen wolle; ich hätte in meiner Jugend genug davon zu leiden gehabt.
»Ja so,« nahm der Schwager auf, »du meinst vielleicht gar, ich rechne dir auf, was ich an deinem Vater verloren habe? Fällt mir nicht ein. Was kannst du dafür? Da hättest du viel zu thun, wenn du alles wieder glatt machen wolltest. Das geht dich nichts an. Und dein Vater selber hat ja auch nichts davon gehabt, der Schurke von Rittmeister hat ihn ja ausgeraubt.«
Da war's wieder! Der da drin liegt und den ich pflege, hat meinen Vater nicht nur ausgeraubt, er hat ihn auch verleitet, daß er andere in Verlust brachte.
»Jetzt siehst du plötzlich wieder so traurig aus,« nahm der Schwager auf, »thut mir leid, daß ich von Geldsachen mit dir geredet habe. Laß es ungesagt sein. Da hast du meine Hand drauf, daß ich nichts mehr davon erwähne. Laß dein Geld auf der Sparkasse. Du hast recht. Aber jetzt lasse ich nicht nach, du mußt mit mir heim, sonst meinst du, ich wäre wegen des Geldes gekommen. Ich kann haben, wo ich will. Und du sollst sehen, daß du uns lieb und wert bist, wie eine Schwester.«
Er hat mir aus gutem Herzen zugeredet, aber es war vorbei, ich gehe nicht mit; die Geldsache hat mir plötzlich alles wie mit Asche zugedeckt; ich will nichts von der Welt draußen, ich bleibe hier auf meinem Posten, mag kommen, was da will.
Ich bat den Schwager, mir die Agnes zu schicken, ich wolle die Reisekosten bezahlen. Er erwiderte, daß er sie einmal gelegentlich mitbringen werde, und stand auf. Ich sagte ihm, daß der Ronymus hier bei Baur am See wäre, er solle ihn besuchen. Der Schwager entgegnete, daß er dem Sohne des Weger zulieb nicht drei Schritte gehe. Ich habe mich zurückgehalten, den Hochmut zu widerlegen. Und so war der Abschied weit weniger herzlich, als der Willkomm gewesen, obgleich der Schwager noch bei der letzten Handreichung wiederholte, ich möge bald zu Besuch kommen.
Als er fort war, fiel mir erst ein, daß ich der Agnes hätte was schicken sollen; ich hätte ihr den Anhenker vom Rittmeister schicken können. Aber nein, sie sollte kein Andenken tragen von dem Verderber ihres Großvaters.
Ich hörte die Lokomotive pfeifen von dem Zug, mit dem der Schwager heimwärts fuhr. Wie gut wär's, wenn ich auch dort mit fortgezogen würde. Es hat so kommen müssen, wie es gekommen ist . . .
In der Nacht vor der Operation des Rittmeisters starb die Frau, die sich die Augen ausgeweint hatte.
Der Rittmeister schlief fest, geräuschlos war der Professor mit dem Assistenten die Treppe herabgekommen; im Hause war alles still.