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Zum goldenen Lamm
lautet die Umschrift auf dem weit vorragenden Wirtsschilde, und das rundliche vergoldete Lamm beugt den Kopf bescheiden, aber doch auch mit einer leisen, fast neugierigen Wendung.
Den bitterlich herben, aber auch erfrischenden Duft von gepreßten Waldkirschen atme ich, indem ich an das Wirtshaus an der Landstraße denke.
Es ist zur Zeit, wo sich der Sommer zum Herbste neigt. Auf den Thalwiesen mit Stellfallen, wo der floßbare Waldbach eilig dahinströmt, wird das Oehmd gemäht; manchmal hört man die Sense wetzen, und ein flüchtiger Sonnenblitz zuckt von der Klinge zurück.
In den Nußbäumen hinter dem Hause und weiter oben am Hügel in den zahmen Kastanien schäkern die Nußhäher und fliegen ab und zu. Die Forellen in dem bis zum Grunde klaren Bergbach schwimmen lustig hin und her und ahnen nichts davon, daß in dem angekettelten Kasten ihre Genossen eingesperrt sind.
Eine erquickende Lust von Wasser, Wiese und Feld umweht das Haus. Es wäre nur zu wünschen, daß sich etwas von solcher Lust in diese Blätter einströmen ließe.
Ja, es gibt noch verborgene ruhsame und nährsame, in altväterischer Traulichkeit gehaltene Wirtshäuser, und der behaglichsten eines ist das goldene Lamm. Das breite, einstöckige Haus hat sich von der Landstraße zur Seite gerückt, um den haltenden Fuhrwerken Platz zu lassen. Vorzeiten standen hier mehr als ein Dutzend fliegender Krippen, an denen die Frachtgäule unabgeschirrt gefüttert wurden.
Wer vom Berge kam, freute sich im Thale zu sein, und wer bergauf zog und Vorspann brauchte, nahm selber auch Vorspann an einem guten Schoppen hieländischen Gewächses, das der landsmännischen Zunge gar wohl mundet. In der Küche prasselte das Feuer und duftete es wohl damals nicht besser als heute, wo ein Tunnel durch den Berg gegraben ist. Jetzt eben braust der Bahnzug hinein, er stößt noch einen hellen Jauchzer aus, dann verschlingt ihn der Berg, und stille ist's ringsum. Nur manchmal kommt noch langsam eine Holzfuhre krachend daher oder auch ein schnelles Bernerwägelein, mit wohlhäbigen Männern und Frauen in der Landestracht besetzt; die von einem Begräbnis kommen, halten an und lassen sich den Wein herausbringen; die von einer Lustbarkeit kommen, fahren rasch vorüber und winken dem Lammwirte, sie hätten heute genug . . .
Die Flößer, die das Stammholz vom obern Thal und aus den Wäldern herabbringen, stellen gern ihre Ruderstangen am Hause auf, zum Zeichen, daß sie hier Rast halten; sie würdigen das reichliche Essen und den reinen Wein dieses Hauses, darum richten sie es gern so ein, daß sie hier übernachten können. In der großen Stube mit dem grünglasierten Kachelofen und der laut tickenden Schwarzwälder Uhr, da sitzen die wetterharten Riesengestalten der Flößer, die sich vorher säuberlich gemacht, bevor sie sich an den langen Tisch setzen; sie stemmen sich auf mit ihren kraftstrotzenden nackten Armen und verzehren ungeheure Stücke von fettem Fleisch und gehäufte Teller dicken Meerrettigbreis; an Trinken fehlt es natürlich auch nicht, zwischen je zwei Mann steht eine offene Weinflasche, die mehrmals leer und wieder voll ist. Anfangs sprechen die Männer kaum ein Wort, sie essen und trinken still, fast feierlich ernst, dann aber wird's laut wie beim Anruf auf dem brausenden Wasser; nicht umsonst sagt man von einem Manne durchdringender Rede: er hat eine Stimme wie ein Flößer.
Wenn die Männer sich dann zur Ruhe begehen, um früh vor Tag wieder aufzubrechen, sagt wohl die Wirtin in ihrem begütigenden zuversichtlichen Tone: »Thut sacht, ihr Mannen! Wir haben einen wunderlichen Schriftgelehrten im Haus, der einen gar leisen Schlaf hat, und er braucht Ruhe.« Dann ziehen die Gewaltigen ihre schweren hohen Wasserstiesel aus, gehen in Strümpfen geräuschlos in die Dachkammern und kommen am Morgen ebenso geräuschlos wieder herab.
Ja, die Wirtin weiß, welch ein Heiligtum und Heiltum die Stille ist; sie weiß auch, was ein nervöser Mensch bedarf, sie hat's vielfach erfahren.
Es soll aber verschwiegen bleiben, wo das Wirtshaus zum goldenen Lamm zu finden ist, denn sonst bekommt es einen Stern in den Reisebüchern, und übers Jahr verscheuchen karrierte Engländer und rot beshawlte Engländerinnen die heimische Ruhe, und statt der schüchternen, aber sorgsam saubern Agnes bedient uns ein mit seinem Schicksal unzufriedener schwarzbefrackter Jean, und der echte Honig – man muß ja jetzt zu allem echt sagen – der von den Bienenstöcken im Krautgarten, reicht nicht mehr aus; es muß gefälschter aufgesetzt werden. Und was noch das Schlimmste wäre, es käme ein Klavier ins Haus, und die Gäste, die aufs Essen warten oder auch eben sich gesättigt haben, klimpern zu eigenem Zeitvertreib und zum Ruhevertreib der Hörer.
Nein, die Welt braucht das Haus nicht zu finden. Die Wirtsleute freuen sich, wenn Gäste kommen, sind aber nicht verzagt, wenn sie ausbleiben; denn sie sind nicht bloß Gastwirte, sie haben Aecker und Wiesen und Wald, und wer das Glück hat, im Lamm zu wohnen, dem sagt jedermann: »Da sind Sie gut aufgehoben, der Mann und die Frau haben keinen Feind landauf und landab, nur einen haben sie gehabt, und an dem hat die Frau Gutes gethan, wie man's kaum für möglich halten sollte.«
Die Leute sprechen viel mehr von der Frau als von dem Mann. Sie verkehrt mit den Bauersleuten, als wäre sie noch ganz und nur ihresgleichen, und dabei hat sie sich keinen Zwang anzuthun; denn im Grunde ist sie noch das einfache Bauernkind, obgleich sie ein gut Teil Welt bis in die höchsten Kreise hinein kennen lernte und die besten Bücher besitzt, die sie mit Verständnis gelesen hat.
Dem Mann ist es lieb, daß mehr von der Frau als von ihm die Rede ist, und doch verdient er den besten Ehrenruf und hat ihn auch. Er braucht indes kein Lob von fremden Menschen, er hat an einem genug, und das kann ihm auch genug sein.
Da kommt sie aus dem Hause und steht bei einem Bauern in der Oberländer Tracht auf der Freitreppe. Sie ist groß und schlank und hat eines jener Gesichter, denen man ansieht, wie mancher Schmerz darin zuckte; nun aber wohnt Friedsamkeit darauf, und zumal die braunen Augen, die noch jugendlich hell leuchten, haben einen Ausdruck der Sicherheit und des festen Wohlwollens. Ihre Haltung ist stramm aufrecht, sie trägt sogar den Kopf etwas hoch, man sieht ihr eben das Soldatenkind an und vielleicht auch etwas von dem Selbstgefühl der Bauernprinzessin. Sie reicht jetzt dem Manne die Hand und sagt: »Lebet wohl und kommet wieder und grüßet alle daheim, die noch an uns denken.«
Sie kehrt ins Haus zurück, dafür kommt jetzt der Lammwirt vom Röhrbrunnen her; er ist bei guten Jahren, etwas wohlbeleibt, aber noch flink dabei. Jetzt geht er bedächtig im kleinsten Schritt, denn er hat eine Bütte voll Wasser auf dem Rücken und geht damit nach der Brennerei im Erdgeschoß, wo er Kirschwasser bereitet; nur einmal schaut er flüchtig um nach den Schweinen, die in den aufgeschütteten Trestern und Kernen knarfeln und einander manchmal wie zum Scherz anstoßen, damit sie aufjauchzen können.
Wenn der Lammwirt Zutrauen zu einem Gaste hat – denn er ist nicht ohne Mißtrauen – dann holt er die roten Schächtelchen herbei, darin fünf Ehrenmünzen sind, Auszeichnungen von verschiedenen Ausstellungen; die von Paris zeigt er zuletzt. Auf welche er den größten Wert legt, darüber läßt er sich nicht aus, denn er ist ein Wirt und hat in der Schweiz gelernt, es mit allen Nationen zu halten.
Dabei ist er aber überzeugt, daß reines Kirschwasser ein Heilmittel für alles ist; es erwärmt nicht nur, es kühlt sogar nachträglich, behauptet er. Wenn man das gute Getränk lobt, vergißt er nie hinzuzusetzen: »Ich hab's von meinem Vater gelernt, das zu machen; es gehört ein besonderer Schick dazu.«
Er ist ehrlich stolz auf seinen Kirschwasserruhm, sonst aber macht er sich nicht viel aus der Meinung der Welt, denn, wie gesagt, er hat einen Menschen, der ihn hoch hält, und das ist ihm genug und kann ihm auch genug sein.
Hören wir die Frau selber.