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Albrecht begann mit frischem Atem:
»Bei Tische sagt Herr Hornung, er wolle heut abend das Konzert in unserem Verein besuchen. Wir haben nämlich einen Gesangverein und dabei bin ich auch keiner von den letzten. Die Tochter hat mir angesehen, daß ich gern gefragt hätte, ob sie auch mitgeht, denn sie sagt: ›Vater! Ich weiß, die Mutter selber würde es nur recht finden, daß wir uns am Reinsten erheben, aber ich habe noch keinen Sinn dafür. Wenn ich in mir schon Aufmerksamkeit für gute Musik haben könnte, ich ginge und fragte nichts nach dem Gerede der Leute . . .‹ Nicht wahr, Mutter, das ist eine freie feine Seele? Sie hat's noch weiter bewährt. Der Doktor fragt auch nach der Narbe und da sagt sie: ›Es wird dem Herrn Ketterer zuwider sein, das immer wieder zu erzählen. Erlauben Sie.‹ Und sie erzählt die Geschichte mit dem Habicht, so herzig und so lustig, daß wir alle lachen.«
»Und du hast noch immer nicht gesagt, daß ich sie so gut kenne? Weiß sie denn meinen Namen nicht?«
»Ihr werdet schon hören, daß sie bloß den Namen Magdalena gekannt hat. Von da an bin ich jeden Sonntag zu Tisch gewesen und die ganze Woche war mir nur wie ein Rüsten zum Sonntag, und einmal ist auch der Herr Justizrat da gewesen, und wie mich der so freundlich und vertraut begrüßt, da fragt der Doktor Hornung: ›Warum haben Sie denn nie gesagt, daß Sie mit unserem Freunde Heister bekannt sind?‹ Ich habe das rechte Wort nicht sogleich finden können, da sagt Theodora:
»›Der Herr Ketterer hat durch niemand anders, als durch sich selber empfohlen sein wollen.‹
»Könnt Euch denken, Mutter, wie mir da alle Flammen aus dem Gesicht schlagen. Und jetzt wird's auch offenbar, wie sie Euch kennt, Mutter, und Euch von Herzen lieb hat, und wir beide sind auf einmal drauf gekommen, daß wir uns vor Jahren wenige Tage vor dem Tod der Justizrätin unter der Hausthüre Heisters begegnet sind. Nach Tisch kommen viele Männer, die Teilhaber der Zeitung sind, die der Herr Doktor herausgibt, sie halten Beratung im Nebenzimmer und wir zwei waren allein. Sie erzählte mir von ihrer Familie. Seit dem Tode der Mutter schreibt Theodora dem Großvater viel und sie hofft, ihn noch mit dem Vater auszusöhnen, wenn er diesen Frühling aus Italien wiederkommt. ›Und der Großvater wird Sie, Herr Ketterer, auch lieb haben,‹ sagt sie . . . Mutter! Auch! Wie sie das gesagt hat, was ich drauf vorgebracht habe und was sie wieder, das weiß ich nicht mehr, aber bald sind wir uns um den Hals gefallen und haben uns geküßt . . .«
Magdalena wischte sich große Thränen ab, Jakob trat ein und als Magdalena ihm halb weinend, halb lachend erzählt hatte, fuhr Albrecht fort:
»Wir haben ausgemacht, daß wir jetzt dem Doktor noch nichts sagen, aber ich glaub', er hat's uns angesehen; aber weil wir schweigen, hat er auch nichts gesagt. Ich bin durch die Straßen gegangen und hab's gar nicht fassen können, daß da noch Menschen gehen, die ganz anderes im Sinn haben, daß da noch andere Häuser sind als das, wo sie wohnt, und daß es noch eine Minute geben soll, wo wir nicht beisammen sind.
»Am Montagmorgen da tanzte alles mit mir herum: in meinem Herzen ist ein Hammerwerk, aber ich besinne mich und halte mich fest, und da sehe ich, wie ein Arbeiter vom Wellenrad gepackt wird, ich spring' herzu, ich stell' das Rad, aber ich krieg einen Stoß, daß sie mich für tot davontragen. Ich bin aber bald wieder zu mir gekommen.
»Am dritten Tage kommt der Doktor zu mir und bringt mir einen Brief. Theodora schreibt mir: ›Ich habe im Kriege Kranke pflegen gelernt, Vaterlandsgenossen und Fremde, und von dir sollte ich fern sein? Ich habe von meinem Vater verlangt, daß er unsere Verlobung anzeige, damit ich dich pflegen kann.‹ So hat sie mir geschrieben und das war die beste Medizin; ich bin schnell wieder aufgekommen und gestern bei der Abreise war der Vater und Theodora auf dem Bahnhof.«
»Hast du kein Bild von ihr?« fragte Jakob.
»Ja, Vater! ich habe es heute erhalten mit einem guten Briefe. Da ist's.« Er zog es aus der Brusttasche und reichte es dar.
»Ich kenne sie ja,« rief Magdalena, »sie ist viel mächtiger geworden, aber sie sieht noch so herzlieb aus. Die blauen Augen und die roten Backen, die sieht man freilich da nicht, und ihre getreue Stimme hört man nicht. O du Seelenkind!«
Albrecht hatte erzählt und die Eltern saßen still, die Abenddämmerung brach herein, es ward Nacht und noch immer saßen die drei still. Da hörte man Lisbeth vor dem Hause mit einem Fremden sprechen und jetzt rief die Stimme der Frau Süß: »Ich muß zu ihm. Ich bringe Glück.«
Die Thüre ging auf und Frau Süß trat ein.