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Eines Tages sagte mir unser Professor, ich müsse auf einige Zeit die Anstalt verlassen, die Engländerin aus Indien, die ich schon in Heiden gesehen habe, sei mit ihrem Kinde angekommen; das Kind sei falsch operiert worden und sei noch böser als je. Die Operation werde nicht im Hause, sondern im Hotel Bauer am See gemacht; auch die Heilungszeit müsse dort abgewartet werden.
Ich ging nicht gern fort aus dem Hause, ich konnte mir gar nicht denken, daß ich je von da weg solle; aber die Pfälzer-Doktorin hatte recht, ich bin eben ein Soldat, der auf den Posten hinaus geschickt wird, und abgelöst werde ich auch wieder.
Ich siedelte also hinunter in den Gasthof, und wer stand unter dem Hofthor und hatte eine große grüne Schürze an? Der Ronymus. Er zwinkerte mir nur mit den Augen, sonst gab er mir kein Zeichen, daß er mich kennt.
Die Engländerin wohnte hoch oben, ich war schon angekündigt. Der Ronymus schob einen andern Hausknecht weg, nahm meinen Koffer auf die Schulter, trug ihn in den Lupf – sie heißen ihn auch Lift – mit dem man hinauf fährt, und sagte:
»Steigen Sie nur hier ein.«
Ich folgte ihm, er stieg auch ein, die Maschine gurgelte, es ging in die Höhe; in der kleinen Stube, die aufstieg, brannte ein Licht, wie bei Nacht. Mir war, als ob ich verhext wäre.
»Hast du mich gleich erkannt?« fragte der Ronymus und fuhr sich dabei mit der Hand über die Augen.
»Ja.«
»Wir wollen aber vor den Leuten nicht merken lassen, daß wir uns kennen. O lieber Gott! O guter Gott! Was machst du alles . . .«
Weiter ist nichts geredet worden. Wir waren schnell oben im dritten Stock, die Maschine hielt an, der Ronymus nahm meinen Koffer wieder auf die Schulter und trug ihn in mein Zimmer.
Jetzt wischte er sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht; er hörte aber gar nicht auf und wischte immerfort, er trocknete wohl noch anderes ab und stand da und atmete schwer.
»Ich trag' sonst das Siebenfache von dem da leicht,« sagte er endlich, »ich hab' ja bei dir daheim einen Maltersack Hafer selber aufgeladen und auf die obere Bühne getragen wie eine Feder. Sag', hast du gewußt, daß ich hier bin?«
»Nein.«
»Aber ich wußte, daß du hier bist; ich hab' es meinen Eltern geschrieben. Ich weiß es schon lang, aber ich hab' dich nicht in Ungelegenheit bringen wollen. Soll ich sagen, daß ich Knecht bei deinem Vater gewesen bin? Ich habe gefürchtet, ich verrat mich, will sagen, ich verrate dich –«
Der gute Mensch konnte nicht weiter, und mir fuhr es wie ein Blitz durch alle Glieder: der Ronymus hat dich gern. Nein, die treue Seele soll nicht unglücklich durch mich werden.
Ich glaub', daß doch auch noch vom Großbauernstolz in mir war, und ich war auch jetzt seiner gewöhnt. Ich sagte:
»Ich bin gern in der Anstalt, und ich bleib' da mein Leben lang.«
»Ja, ja,« sagte er, »ich will dir auch nur noch sagen, ich weiß, was du an meiner Mutter und an meinem Vater gethan hast. Deine Schuhe, die lasse ich nicht von meinem Unterknecht putzen, die putz ich dir jeden Tag selber; ich möcht' dir die Händ' unter die Füß' legen. Sieh mich nicht so verwundert an. Sei froh, du hast einen Menschen um dich . . . Still! Es kommt jemand . . . Befehlen Sie sonst noch was?« schloß er plötzlich mit ganz anderm Ton, der Schelm.
Unser Professor kam, und der Ronymus ging davon. Der Professor mußte mir doch was angesehen haben, denn er sagte:
»Gitta, du siehst so betroffen aus. Ist dir's denn so schwer, aus der Anstalt fortzugehen? Sei nur ruhig, es wird dir schon gefallen, und du hast hier viel mehr freie Zeit. Ich möchte dich aber heute nicht zum Assistenten haben. Laß einmal deinen Puls fühlen. Ja, du hast etwas Fieber.«
Ich hab's auch gehabt. Nicht wegen des Ronymus, den bring' ich schon zurecht, das fehlt nicht; aber jetzt kommt das alte Leben wieder auf mich nieder, und ich habe fast ganz vergessen, woher ich komme und was überhaupt gewesen ist.
Aber jung sein ist eine schöne Sache, und eine gute Pflicht dabei, noch mehr. Ich bin ein Soldat, der auf den Posten geschickt ist, das fällt mir jetzt wieder ein, und da heißt es, wach sein und sich um nichts nebenaus kümmern.
Unser Professor erklärte mir nun, ich hätte die besonders schwere Aufgabe, das rothaarige Kind ruhig zu machen; das sei ein kleiner Teufel, den wir wohl chloroformieren, aber in dieser Aufregung nicht heilen könnten.
»Du kennst ja die Seridja noch von Heiden her.«
Der Professor führte mich nun zu dem Kinde und sagte:
»Hier, Seridja, hier hab' ich dir eine gute Freundin gebracht.«
Wie ich dem Kinde nahe kam, schrie es, als ob es am Spieß stecke, und wie ich mich niederbeugte, wollte es mich an den Haaren zerren und schlug mir mit beiden Fäusten ins Gesicht.
»Gelt, Kind, du hast mich nicht schlagen wollen?« sag' ich, »gelt, du hast arge Schmerzen, die dich so bös machen? Du hast deine Schmerzen schlagen wollen.«
Wie ich das sage, schreit das Kind:
»Geh fort, geh fort. Ich will dich nicht. Nein, bleib da, bleib jetzt. Wie heißt du denn?«
»Gitta!«
»Gitta! Gitta! Gitta! Das ist lustig. Komm, gib mir die Hand, ich thu' dir nichts; ja, meine Schmerzen sind bös, so bös.«
Ich gab ihm die Hand, und es streichelte sie.
Die Mutter und der Professor sahen einander an, und was sie dachten, denke ich auch: das Kind ist bezwungen, das kriege ich in die Hand.