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Theodora, die hoch zu Rosse durch Wald und Feld geritten war, lief jetzt entkleidet, barfuß, wie eine Wahnwitzige im Zimmer umher und stöhnte händeringend:
»So tief! So tief! O Wahrhaftigkeit! Biederkeit! Treuherzigkeit! Du Welt! Womit habe ich das verschuldet? Verschuldet!« Sie schaute um, wie sie das Wort aus ihrem eigenen Munde hörte. Sie stand am Fenster, daran der Hagel prasselte, und rief in das wilde Getön hinein: »Albrecht! Du wußtest und wagtest. O verzeih. Was hast du zu leiden, du Armer. Nein, nicht du. Wir. Ich mit dir. O ein einziger Tag! Heute, da die Sonne aufging . . .«
Im Gedanken an jene Stunde flammten ihre Augen und ihr Körper fröstelte. Sie ward sich ihres verwahrlosten Zustandes inne und kleidete sich rasch wieder an. Der Gedanke stieg in ihr auf, daß der Großvater nur einen grausamen Scherz geübt habe, um sie von ihrer überschwenglichen Liebe zu den niederen Ständen zu bekehren. So schwach auch dieser Halt war, es trat doch eine flüchtige Beruhigung in ihr Antlitz, da sie jetzt Licht anzündete und das Zimmer wieder ordnete.
Der Hagel hatte aufgehört, nur noch leiser Regen rieselte nieder und in der Ferne vergrollte der Donner. Theodora öffnete das Fenster, eine erquickende kühle Luft drang ein und sie atmete auf, wie neu zum Leben erwacht.
Sie klingelte und ließ den Justizrat zu sich bitten, und noch bevor er kam, suchte sie sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß der Großvater Wahrheit gesprochen, denn mit solchen Worten zu scherzen war doch kaum möglich.
Bald trat Heister ein und sagte: »Du hast mich rufen lassen.«
»Ja. Setzen Sie sich, mir versagt noch der Atem.«
»Dein Großvater ist auch sehr unwillig, weil er sich von dir verleiten ließ, statt in einem Bauernhaus am Wege unterzustehen, durch das Hagelwetter zu reiten. Er läßt dir sagen, du sollest auch sofort zu Bette gehen. Was hast du? Warum kniest du nieder? Was ist das? Steh auf.«
»Nein. Lassen Sie mich so sprechen. Sie wissen, daß ich Albrecht liebte wie nur je . . .«
»Liebte? Und nun nicht mehr?«
»O doch, doch. Und wenn alles . . . Lieber Freund! Der Großvater hat die Eltern Albrechts mit Worten bezeichnet, mit entsetzlichen . . .«
»Das habe ich mir gedacht.«
Er hielt inne und Theodora schaute zu ihm auf mit weit aufgerissenen Augen, mit offenem Munde und ihre Arme waren krampfhaft ausgestreckt: »Und es ist wahr!« rief sie.
»Es ist wahr,« bestätigte Heister. Er beugte sich hinab, um die, wie er glaubte, Niedersinkende aufzurichten, aber ohne ein Wort, ohne einen Laut war Theodora aufgestanden und Heister sagte:
»Gib mir die Hand. Du möchtest fragen, warum ich euch nicht früher von dem traurigen Geschick mitgeteilt?«
Theodora nickte mehrmals rasch mit dem Kopfe, und Thränen, die in ihren Wimpern hingen, fielen nieder auf die Hand des Freundes, der fortfuhr:
»Ich weiß zuversichtlich, daß Albrecht nichts von der Vergangenheit seiner Eltern wußte, wenigstens nicht bis zu seiner Krankheit.«
Theodora entwand ihre Hand der des Freundes und ging mit raschen Schritten durch die Stube, dann stand sie wieder vor Heister still, der mit eindringlichem Tone fortfuhr:
»Du bist so jung und doch ernst und einsichtig genug, um zu begreifen, daß der Mensch ein zweites, ein reines Leben gewinnen kann aus Verirrungen und Versuchungen heraus. Reue und Buße erneuen das Herz, so daß es feiner ist als das Herz der Unschuld. Wenn ein Mensch, ohne für seinen Fall mildernde Umstände zu plaidieren, geradeaus bekennt: ich that unrecht – da beginnt eine Neuschaffung seiner Natur. Liebes Kind! Ich habe in vieler Menschen Seele gesehen, aber ich kenne keine, die edler sind, als die Seele dieser, die in Strafhäusern gebüßt haben.«
»Ich werde zeigen, wie ich sie ehre,« rief Theodora.
»Liebes Kind! Mach dir recht klar, es ist leicht gesagt, ich schätze doch, die sich wieder aufgerichtet haben; aber im täglichen Verkehr sie voll erkennen lassen –«
»Das kann ich, das werde ich.«
»Ich vertraue dir, und ich hoffe mitzuwirken, daß alle Widrigkeit besiegt wird. Doch jetzt schlaf ruhig und halte dich tapfer. Gute Nacht, Kind.«
Theodora aber legte sich noch nicht nieder, sondern schrieb bis tief in die Nacht hinein an Albrecht und an ihren Vater, sie müßten kommen.