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Der Lügenschmied von Cannstatt

1. Zu des schwäbischen Poeten Bebels Zeiten (ca. 1500) lebte zu Cannstatt ein Schlosser oder Kleinschmied, den man den Lügenschmied nannte. Er war weit in der Welt herumgekommen, hatte viel gesehen und gehört und wußte davon allerlei Wunderbares zu erzählen. In seiner Jugend diente er bei einem Edelmann als Stallbube. Einmal an einem kalten Wintertag mußte er mit seinem Herrn über Land reiten. Sie ritten den ganzen Tag bis zum Abend und kamen endlich zu einer Herberge, wo sie nächtigen wollten. Der Wirt kam heraus, um ihnen beim Absteigen behilflich zu sein. Aber als unser Schmied vom Pferde steigen wollte, war er auf dem Sattel festgefroren. Er gab sich alle Mühe loszukommen, doch vergebens. Der Wirt und seine Leute konnten nicht anders helfen, als daß sie die Sattelgurt losmachten und den Reiter mitsamt dem Sattel vom Pferde nahmen. So trugen sie ihn in die Stube und setzten ihn hinter den Ofen, wo er nach und nach auftaute und sich endlich vom Sattel befreien konnte.

2. Auf dem Heimweg begegnete ihm ein anderes Abenteuer. Denn als er mit seinem Junker an einem tiefen Wasser vorbeiritt, sahen sie zwischen den Eisschollen eine Fischreuse schwimmen. Der Junker sagte: »Wenn wir nur die Reuse hätten, denn sie ist gewißlich voll von Fischen!«   »Die ist bald geholt,« entgegnete der Lügenschmied und sprengte mit seinem Roß in den Fluß. In dem Flusse hauste aber ein mächtig großer Fisch. Der hatte schon lange auf Beute gelauert. Als nun der Schmied eben die Reuse fassen wollte, kam er herbeigeschwommen, sperrte den Rachen auf und verschlang mit einem Mal Roß und Reiter. Der Junker, der vom Ufer aus zuschaute, war darüber voll Entsetzen. Um so größer war aber sein Erstaunen, als er am andern Tag seinen Buben, den Schmied, gesund und munter in den Schloßhof einleiten sah. Der Fisch war nämlich noch am selben Abend gefangen worden. Als man ihn aufschnitt und ausweidete, kam der Lügenschmied, noch auf dem Gaule sitzend, hervorgesprengt, so daß die Leute sich nicht wenig darüber verwunderten.

3. Eines Tages ging er in den Wald, um ein Wildbret zu schießen. Lange wollte ihm nichts in den Schuß kommen. Da auf einmal knackte es im Gebüsch, und wie erstaunt war er, als er ein Wildschwein daherkommen sah, hinter dem ein altes Schwein lief, das den Schwanz des jungen im Maul hatte. Das alte Schwein war nämlich blind und wurde auf diese merkwürdige Weise von dem jungen geleitet. Der Schmied, schnell besonnen, spannte die Armbrust, zielte genau und schoß dem jungen Schwein das Schwänzlein glatt am Leibe ab. Es lief eiligst davon. Das blinde Schwein aber hielt das abgeschossene Schwänzlein des jungen im Maule, blieb stehen und wartete geduldig, bis der Schmied herbeikam, den Stummel ergriff und es von dannen führte. Fünf Meilen weit führte er es durch Wälder und Felder bis nach Stuttgart, wo er großes Aufsehen erregte und das Schwein auf dem Markt gut verkaufte.

4. Ein andermal war er wieder im Wald auf der Jagd. Da stieß er auf ein überaus starkes Wildschwein. Es war ein Hauer und hatte Zähne, die ihm wohl eine halbe Elle lang zum Maule heraushingen. Da Hunde das Schwein gehetzt hatten, war es ganz wild und ging mit großem Grimm auf unsern Jäger los. Diesem fiel das Herz in die Hosen. Er floh und verkroch sich voll Angst in einen hohlen Eichbaum. Aber das Wildschwein war ihm auf den Fersen. Da es nun an den Baum kam und ihn dort erspürte, fing es an, mit seinen Zähnen in den Eichbaum zu hauen. Es geschah dies mit solcher Gewalt, daß die Zähne ziemlich tief eindrangen und der geängstigte Schmied sie wohl sehen konnte. Immer näher kamen ihm die furchtbaren Hauer. Da in seiner Not kam er auf einen glücklichen Einfall. Er trug in seinem Gürtel einen Dolch, der am Heft eine breite Platte hatte. Den nahm er und schob ihn, als das ergrimmte Schwein wiederum zu arbeiten anfing, durch die krummen Hauer des Tieres, so daß sie nicht mehr zurückgezogen werden konnten. Das Wildschwein war somit gefangen, und der Schmied konnte es, als er glücklich seinem Gefängnis entstiegen war, auf bequeme Weise töten.

5. Später durchzog unser Schmied als Kriegsmann die Welt. Da geschah es, daß er einsmals durch einen großen Wald kam, der voll tiefen Schnees lag. Während er so dahinging, kam plötzlich ein hungriger Wolf auf ihn losgerannt. Das Tier sperrte den Rachen auf, als ob es ihn mit Haut und Haar verschlingen wollte. Der Schmied hatte weder Wehr noch Waffen bei sich, um das Untier von sich abzuhalten. Doch kam er nicht aus der Fassung. Als der Wolf herbeikam, fuhr er ihm schnell mit der Hand durch den Schlund in den Leib hinab und hinten hinaus, erwischte den Schwanz des Tieres und zog nun an diesem aus Leibeskräften, bis er ihn durch den Leib gezogen und also den Wolf umgewendet hatte, wie ein Schuhmacher einen Schuh umwendet, den er in Arbeit nimmt.

6. Im Krieg wurde er mit andern Reitern ausgeschickt, den Feind auszuspähen. Sie wagten sich zu weit vor und fielen in einen Hinterhalt, den die Feinde gelegt hatten. Zurück konnten sie nicht, vorwärts aber auch nicht, denn ein breiter Fluß hinderte sie daran. Der Fluß war zwar, da es Winter war, mit einer Decke von Eis überwölbt. Doch war das Eis noch dünn, so daß seine Mitgesellen nicht wagten, es zu betreten. Alle fielen darum den nachfolgenden Feinden in die Hände. Nur der Schmied wagte den Ritt übers Eis. Kaum hatte aber das Pferd das Eis betreten, so brach es ein, und Roß und Reiter versanken im tiefen Wasser. Es geschah ihnen jedoch weiter kein Leid, und sie kamen auch glücklich auf dem Grund des Wassers an. Dort irrte der Schmied lange umher, ohne einen Ausgang zu finden; denn die Eisdecke wölbte sich über den ganzen Fluß und hielt ihn gefangen. Endlich wurde er zornig, legte seinen scharfen Raufspieß an, den er bei sich führte, und durchbohrte mit einem heftigen Anlauf das Eis, daß es zerbarst. Glücklicherweise war das Wasser an dieser Stelle ziemlich seicht. So konnte das Pferd mit einem kräftigen Satz aus dem Wasser auf den Damm springen. Mit dem Bewußtsein, daß Gott den Mutigen nicht verläßt, trabte der Schmied wohlgemut von dannen.

7. Einst nahm er an der Belagerung einer Stadt teil. Dabei geschah es, daß die Feinde aus der Stadt fielen und mit ihm und seinen Kameraden scharmützeln wollten. Sie wurden aber besiegt und wiederum in die Stadt hineingetrieben. Bei der Verfolgung war der Schmied so hitzig hinter den Feinden her, daß er aller Gefahr vergaß und ihnen sogar zum offenen Tor der Stadt hinein auf seinem Pferde nachjagte. In demselben Augenblick ließ der Torwart das Gatter fallen, mit dem das Tor für gewöhnlich verschlossen wurde. Das schwere Gatter schlug unserem Schmied den Gaul hinter dem Sattel ab, ohne daß er es merkte. So kam's, daß er auf dem halben Gaul die Feinde durch die Gassen bis zum Marktplatz verfolgte und ihnen dabei noch vielen Schaden tat. Hier auf dem Markt stellte sich ihm aber eine Übermacht entgegen, der er nicht gewachsen war. Schnell wollte er darum das Pferd wenden und wieder zurückreiten, konnte aber nicht, da das Pferd nur noch eine vordere, aber nicht mehr eine hintere Hälfte hatte. Es blieb ihm nun nichts anderes übrig, als sich zu ergeben. Die Feinde, seine große Tapferkeit ehrend, schenkten ihm die Freiheit und entließen ihn unbehelligt wieder zu seinen Gesellen.

(Nach Bebel u. Wendunmut [1563] von K. Rommel.)

Schlußvignette

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