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In Biberach trat einmal die Riß aus ihren Ufern und überschwemmte die Stadt. Das Wasser drang auch in eine Stube, worin ein Kanarienvogel in einem Käfig hing. Eine Welle schlug das Türlein des Käfigs auf, und der Vogel flog davon. Dafür aber fing sich ein hereingeschwommener Karpfen im Käfig. Als das Wasser wieder zurücktrat und der Mann und die Frau, die sich in ein Nachbarhaus geflüchtet hatten, die Stube betraten, waren sie nicht wenig erstaunt über den sonderbaren Vogel, der im Käfig steckte. Der Mann hielt ihn für einen Ausländer und glaubte darum, er müsse besonders schön singen können. Da aber der Karpfen keinen Laut von sich gab, sondern wie närrisch mit dem Schwanz hin- und herschlug, wollte der Mann ihn beruhigen und zum Singen ermuntern. Er sang und pfiff ihm allerlei schöne Lieder vor, wie sie damals in Schwaben üblich waren. Endlich sperrte der Karpfen das Maul aus und fing an nach Luft zu schnappen; denn der Aufenthalt im Käfig wollte seinen sonstigen Lebensgewohnheiten nicht entsprechen. Der Mann meinte aber, der Vogel wollte jetzt zu singen anfangen. Überglücklich rief er seine Frau herbei und sagte: »Jetzt paß' auf, Frau, wie der fremde Vogel singen kann.« Der Karpfen aber sperrte das Maul weit auf, tat noch einmal einen tiefen Schnapper und war tot. Der Mann war darüber sehr betrübt und zeigte den toten Vogel seinem Nachbar. Der lachte ihn aus, weil er einen Fisch nicht von einem Vogel unterscheiden konnte. Die Gasse aber, wo das geschah, nennt man in Biberach die Karpfengasse.
(Nach Birlinger u. Buck von K. Rommel.)