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Die Ingelfinger nennt man Distelfinken. Daran sind aber sie nicht schuldig, sondern ihr Schultheiß, dem mit einem Distelfinken einmal ein Streich passiert ist. Dieser Schultheiß hielt nämlich in seiner Stube einen Distelfinken, und der Vogel war ihm lieb und wert, nicht sowohl wegen seines hellen Gesanges, sondern noch mehr wegen seines zutraulichen Wesens. Da geschah es nun eines Morgens, daß der Schultheiß den Vogel fütterte und dabei die Türe des Käfigs öffnete. Er wußte nicht, daß zur selben Zeit seine Frau hinter ihm das Fenster aufmachte, dieweil sie die Stube kehren wollte. Wie's nun des weiteren ging, weiß ich nicht; kurz und gut, der Distelfink entwischte dem Käfig und flog hinaus auf den Baum vor dem Hause, wo er sich niederließ und gegen den Schultheißen, der ihm vom Fenster aus lockte, piepste, gleich als ob er sagen wollte: Fang mich, wenn du kannst! Er schien auch einen Flug in die weite Welt zu planen, denn er hob und senkte immer wieder die Flügel, wie wenn er probieren wollte, ob sie dazu auch kräftig genug seien. Den Schultheiß brachte dies in helle Verzweiflung. Er lief aufs Rathaus und läutete dem Schützen. Und als der in Eile gelaufen kam, befahl er ihm, rasch die Tore der Stadt zu schließen, damit der Vogel nicht entwische. Ob's geholfen hat, weiß ich nicht; aber die Ingelfinger haben von der Geschichte den Namen »Distelfinken« bekommen.
(Mündlich von F. H.)