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In einem Seitental der Fils zwischen Albbergen liegt das gute Dorf Ganslosen. Man erzählt sich von ihm wunderliche Geschichten, wie sie heutzutage nicht mehr passieren, und daher kommt es, daß man in Württemberg jeden dummen Streich einen Gansloser Streich nennt. Von den Ganslosern will man unter vielen anderen insbesondere folgende Geschichten wissen:
I. Der Storch
Auf den Wiesen zu Ganslosen hielt sich vor Jahren ein Storch auf. Den bewunderten und verehrten die Bewohner des Dorfes so sehr, daß sie alljährlich ihm zu Ehren ein großes Fest feierten. Es wurde ein Umzug mit Kirchgang gehalten und dabei folgendes Lied gesungen:
Heut' feiern wir das große Tier,
Das auf unsern Wiesen geht;
Es hat ein schwarz-weiß Wammes an
Und einen Schnabel wie a Gans.
Hallelujah!
Indes wurde der Storch den Ganslosern doch bald zu lästig, weil er ihnen so viel schönes Gras verwatete. Sie hielten daher einen Rat, wie man das Tier am besten von den Wiesen entfernen könnte, und nach langem Hin- und Herreden wurde beschlossen, daß der Gemeindebüttel ihn wegjagen solle. Damit aber nicht auch der Büttel das schöne Gras zertrete, und um zugleich Zeugen für die Ausführung des Ratsbeschlusses zu haben, sollten vier Gemeinderäte den Büttel auf einer Bahre in die Wiesen hinaustragen. Und so geschah es. Der Storch ließ die Gansloser Abordnung ganz nahe zu sich herankommen, sah sie verwundert an und flog darauf davon. »Gucket au,« rief der Büttel, wie höflich das Tierle ischt! hent iahr et gsea, was er für e tiefe Verbeugung vor em Gmeindsrot gmacht hat, eb er dervogfloge ischt?«
II. Die Sonnenuhr
Als die Gansloser ihre Kirche bauten, brachte man auch eine Sonnenuhr an der Seite des Turmes an. Der Maler hatte das Ziffernblatt mit wunderschönen Farben auf die weißgegipste Wand gemalt, und jedermann freute sich über die schöne und praktische Uhr. Nur der Schultes machte ein bedenkliches Gesicht und bemerkte besorgt, der Regen werde die schönen Farben bald abwaschen. Er erteile daher den Rat, man möge ein schützendes Bretterdach über die Sonnenuhr machen. Das geschah denn auch, und jedermann bewunderte die Weisheit des Schulzen.
III. Der Brunnen
Einst hatten die Gansloser einen Gemeindebrunnen graben lassen. Nun hätten sie gar zu gerne gewußt, wie viel Mannslängen tief der Brunnen wäre. Der Schultheiß wußte Rat. Er legte quer über das Brunnenloch eine starke Stange, hängte sich daran und befahl, daß sich nun an seine Füße ein Gemeinderat hängen solle, an dessen Füße wieder einer und so fort, bis man endlich auf den Boden des Brunnens komme. Als nun so ihrer fünf oder sechs Gemeinderäte an den Füßen des Schulzen hingen, wollte diesem die Last doch etwas zu schwer werden, und die Finger begannen an der glatten Stange abzurutschen. Da befahl er: »Haltet fest, ihr da hunten! I mueß amol in d'Händ spucka.« Tat's und plumps! lagen Schulze und Gemeinderäte drunten im Brunnen.
IV. Das Feuerroß
Die Gansloser waren von jeher brave Leute und stets bereit, wenn's not tat, andern mit Rat und Tat beizuspringen. Brach irgendwo in einem Nachbarort ein Brand aus, so eilten sie, so rasch es eben gehen wollte, mit Spritze und Feuereimern zu Hilfe. Und wenn es gerade lichter Tag war und nicht irgendein Bürger von Ganslosen ein Rad von der Feuerspritze herausgenommen hatte, um ein zerbrochenes Rad am Mistwagen damit zu ersetzen, so kam der Schulze mit seiner Mannschaft auch meist noch eben recht auf dem Platz an, ehe der Brand von andern gelöscht war. War es aber Nacht, so ging es den Ganslosern mitunter recht fatal. Man konnte nie so recht sehen, in welchem Ort es eigentlich brenne, und einmal hatte man zu spät bemerkt, daß der Feuerschein, auf den man zugefahren war, vom aufgehenden Mond herrührte. Um solchen Irrungen vorzubeugen, hatte nun der Gemeinderat beschlossen, wenn eine Brandröte am Himmel aufsteige, den Büttel als Boten auszusenden. Der mußte genau nachsehen, wo es brenne, und alsdann die Gansloser Feuerwehr holen und an die Brandstätte führen. Nun kann man sich wohl denken, daß auf diese Weise viel Zeit verloren ging, zumal der Büttel schon ein älterer Mann war. Und in der Tat kam nun die Löschmannschaft von Ganslosen immer erst dann auf dem Brandplatz an, wenn's nichts mehr zu löschen gab. Da beschloß nun der weise Rat von Ganslosen, statt des zu Fuß gehenden Boten einen Reiter auf Kundschaft nach dem Feuer auszuschicken. Gesagt, getan. Als man wieder einmal eine Brandröte am Nachthimmel aufsteigen sah, wurde rasch das Feuerroß vorgeführt. Da war aber keiner, der sich getraut hätte, in die stockfinstere Nacht hinauszureiten. Man konnte ja nicht wissen, ob man mit dem Pferd in einen Graben stürzte oder auf einen Baum stieß oder über einen Stein fiel. Doch der Schulze und sein Gemeinderat wußten auch in diesem Falle Rat. Sie beschlossen: »Wenn es wieder einmal bei Nacht brennt, so muß dem Feuerreiter stets der Büttel mit der Laterne vorangehen und den Weg erleuchten.«
V. Der Farre
Der Kirchturm von Ganslosen hatte in etwas mehr als halber Höhe ein schmales Gesims. Zwischen den Steinfugen dieses Gesimses wucherten üppige Grasbüschel. Keine Frage, das schöne Gras, das da oben am Turme wuchs, war Gemeindeeigentum; aber niemand wußte zu sagen, wie man das Gras pflücken könnte. Jedoch auch in diesem Falle wußte der Schulze das Richtige zu treffen. Er befahl, den Gemeindefarren herbeizuführen und an einem Seil am Turme hinaufzuziehen, damit er das Gras abfresse. Es geschah so. Man legte dem Tier eine Schlinge um den Hals und zog es in die Höhe. Kaum schwebte der Farre frei am Seil, so streckte er die Zunge aus dem Maul heraus. »Gucket,« schrieen die Zuschauer, »er schleckt scho mit der Zong dernoch.« Als aber der Farre beim Gras ankam, war er in der Schlinge erstickt.
VI. Das Eselsei.
Die Einwohner von Ganslosen hatten einen ziemlich weiten Weg in die Mühle, und es war ihnen oft recht unbequem, kleinere Mengen von Getreide oder Mehl, deretwegen sie nicht gerade einen Wagen nehmen wollten, tragen zu müssen. So beschloß endlich der hochweise Rat von Ganslosen, von Gemeinde wegen einen Esel zu kaufen, der das Geschäft des Säcketragens besorgen sollte. Der Schultheiß ging also am nächsten Markttag in die Stadt. Aber er mußte wohl nicht recht im Kalender nachgesehen haben, oder er hatte sich im Marktplatz getäuscht, kurz und gut: der Schultheiß geriet auf den Gemüsemarkt und suchte hier vergeblich ein Grautier. Wie es nun so seine Blicke suchend nach links und nach rechts schweifen ließ, sah er auf den Brettern einer Marktbude zwischen Körben mit Eiern, Kartoffeln, Rettichen auch eine großmächtige runde Kugel, wie sie der Schultheiß noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Es war aber ein Kürbis. Der Schultheiß trat näher und beguckte das große runde Ding von allen Seiten, betastete es auch, wurde aber nicht recht klug daraus, was es sein sollte. Endlich faßte er sich ein Herz und fragte den Händler: »He, Vetter, was ist das für ein Ding da?« Der Händler aber war ein Schalk und hatte schon lange dem biedern Landmann verschmitzt lächelnd zugeschaut und erwiderte nun in wichtigem Ernste: »Das ist ein Eselsei, frisch angekommen aus der Türkei, wo es die größten Esel gibt.« »Das wäre!« sprach der Schultheiß, und das Maul blieb ihm voll Verwunderung offen stehen. Dann aber dämmerte ein großer Gedanke in seinem Hirn auf, daß es am Ende das beste wäre, wenn die Gemeinde den Esel selbst aufziehen würde; denn man wüßte dann gewiß, wie alt das Tier wäre. So fragte er denn den Händler weiter: »Was kostet denn so ein Ei?« »Ich habe heute schon elf Stück verkauft,« sagte dieser, »ich will Euch dieses letzte Stück vom Dutzend um einen Gulden lassen.« Der Schultheiß fand zwar den Preis nicht hoch; aber aus Gewohnheit versuchte er etwas abzuhandeln. »Seht,« sprach er, »das Ei ist nicht ganz rund, und es hat auch einen weißen Fleck; der Esel wird gewiß einen Fehler mit auf die Welt bringen, kurze Ohren oder krumme Beine oder sonst etwas. Ihr könnt mir das Ei wohl um 50 Kreuzer lassen.« Der Händler verschwor sich hoch und teuer, wenn bei der Sache zuletzt nicht ein normaler Esel herauskomme, so wolle er Hans heißen, ließ aber endlich dem Schulzen den Kürbis um 50 Kreuzer. Dieser zog sein rotes Schnupftuch heraus, band das Eselsei fürsichtiglich ein und zog vergnügt der Heimat zu, nachdem ihm der Händler noch einmal empfohlen hatte, das Ei ja recht warm zu halten und bald ausbrüten zu lassen. Die Gemeinderäte in Ganslosen waren nicht wenig erstaunt, als ihnen der Schulze das türkische Eselsei zeigte, und beschlossen sogleich, das Ei einer Henne unterzulegen. Da merkten sie zu ihrem großen Schrecken, daß das Ei zu groß oder die Hennen zu klein seien, und Gänse gab es nicht in der Gemeinde, daher ja der Ort Ganslosen hieß. Nun war guter Rat teuer. Einer meinte zwar, man könnte das Ei durch eine Kuh ausbrüten lassen; aber die Weisheit der übrigen fand das nicht angängig, da dabei das Ei leicht zerdrückt werden könnte. Aber der Schulze wußte Rat. »Ihr Mannen,« sprach er, »ein türkisches Eselsei ist nicht wie andere Eier und bedarf daher auch einer weisen Behandlung. Ich mache den Vorschlag, daß wir, der Rat von Ganslosen, das Ei selbst ausbrüten. Und da wir schon etliche ältere Leute unter uns haben, so wollen wir das Brutgeschäft droben auf der Sommerhalde über dem Wald vornehmen. Dort scheint die Sonne gar warm und hilft mitbrüten.« Alle waren einig, und so begann denn der Schultheiß droben an der Sommerhalde einen Tag lang zu brüten, und nach ihm setzte jeder Gemeinderat einen Tag lang das Geschäft fort. Endlich kam die Reihe auch an den Büttel. Als der nun so einige Stunden im Sonnenschein ruhig auf dem Ei gesessen war, wandelte ihn ein menschliches Bedürfnis an. Fürsichtiglich zog er sich vom Ei zurück und setzte sich dicht hinter demselben nieder. Da stieß er unversehens mit dem Fuß an den Kürbis und, o Schrecken! dieser geriet ins Rollen und rollte den Abhang hinunter. Mit Entsetzen sah der Büttel, wie das Ei in immer tolleren Sprüngen hinabhüpfte. Jetzt war es dicht am Walde, da stieß es, bums! an einen Baumstamm, flog, in zwei Stücke zersprungen, in einen dichten Haselbusch, und, o Wunder! heraus aus dem Busch sprang in wilden Sätzen ein Hase. Der Büttel traute seinen Augen nicht recht, als er das langohrige Tierlein am Berghang hinüberrasen sah. Es war ihm ganz klar: das war der junge Esel, der aus dem zersprungenen Ei herausgekommen war, und nun war das undankbare Vieh im Begriff davonzulaufen. Und in heller Verzweiflung schrie er dem Tiere nach: I-a, i-a, Esele! Ganslausa zua! do isch dein Ätte!«
VII. Die Namensänderung.
Die Einwohner von Ganslosen hatten es endlich satt, daß man jeden dummen Streich, der im Lande begangen wurde, ihnen in die Schuhe schob und die Gemeinde dadurch zum Gespött der Leute machte. Sie beschlossen daher, eine Abordnung zum König zu schicken und ihn zu bitten, er möchte ihrem Heimatorte einen andern Namen geben. Der Schulze reiste also mit etlichen Gemeinderäten nach Stuttgart und trug dem König das Anliegen der Gemeinde vor. Der König hatte aber noch nie etwas von Ganslosen gehört und wußte nicht, ob es ein Hof oder ein Weiler, ein Flecken oder ein Städtchen sei. Und als der Sprecher geendet, fragte er: »Ja, liebe Leute, was ist denn eigentlich Ganslosen?« »Ha,« antwortete der Schulze, »des ischt ebe au a Dorf.« »Nun,« sagte lächelnd darauf der König, »so soll es von heute an Auendorf heißen.«
(Nach Meier, Magenau u. mündlichen Berichten von P. Barth.)